00 | Prolog

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Serendipity

[noun] finding something good without looking for it

Das Leben ist unberechenbar und ein immer fortlaufender Prozess. Nichts bleibt so, wie es ist. Man verliert sich, zerbricht, macht neuen Dingen Platz, wächst über sich hinaus.

Hab keine Angst vor dem Fluss des Lebens. Denn manchmal findet man etwas Großartiges, ohne überhaupt danach gesucht zu haben.

PROLOG

- Vier Wochen zuvor -

Nylah überflog die Namen auf dem Blatt Papier, das vor ihr auf dem Tisch lag.

Eine von diesen Personen sollte Kol ersetzen.

Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen.

Die Sängerin hatte nie eine Person sein wollen, die sich von anderen abhängig machte. Für die das Leben vorbei war, sobald ein geliebter Mensch einem den Rücken zukehrte.
Aber Nylah bekam das Gefühl nicht los, dass die Zeit stehen geblieben war.

Egal, wie sehr sie sich darum bemühte, auf andere Gedanken zu kommen; immer wieder holte sie der Mann mit den schwarzen Haaren ein.

Man sollte meinen, dass innerhalb der letzten Wochen zumindest irgendeine Form der Besserung eingetroffen war. Doch der Schmerz, der weiterhin lichterloh in ihrer Brust brannte, ließ deutlich auf das genaue Gegenteil schließen.

Fünf Jahre lang waren Kol und Nylah ein Paar gewesen. Alle aus ihrem Umfeld hatten geglaubt, dass das die große Liebe war. Sie galten als Vorzeigebeispiel.

Doch von einem auf den anderen Tag war die Blase zerplatzt. Nylah erinnerte sich noch genau an den Moment, als Kol ihr verkündet hatte, dass er sie nicht mehr liebte. Die Wärme hatte seine haselnussbraunen Augen vollkommen verlassen gehabt und ausdruckslos hatte er Nylah dabei zugesehen, wie ihre Welt zerbrochen war.

Doch nicht nur das Leben der Sängerin veränderte sich durch die Trennung schlagartig. Kol stellte sicher, dass er nichts mehr mit seinem bisherigen Leben zu tun hatte und trat außerdem auch aus der gemeinsamen Band aus.

Deswegen saß Nylah jetzt zwei Monate später, gemeinsam mit ihren beiden verbliebenen Bandkollegen Ewan und Reece, in einem alten Studio, um einen Nachfolger für ihren Exfreund zu finden.

Die Stunden zogen an Nylah vorbei. Nur am Rande bekam sie die Gespräche mit, die der Schlagzeuger und der Gitarrist mit den Bewerbern führten.

Nicht mal die vorgespielten Songs konnte ihre Aufmerksamkeit erregen. Keiner war ansatzweise so gut, wie Kol es gewesen war. Ihre Hoffnung schwand.

"Also, wie fandet ihr ihn?", fragte Ewan, als sich zum wiederholten Mal die Tür hinter einem Anwärter schloss und die drei alleine ließ.

"Er war nicht schlecht." Reece zuckte mit den Schultern und fuhr sich dann durch die dunkelblonden Haare.

"Ich fand ihn auch ganz okay, denke ich", Ewan rieb sich über das stoppelige Kinn.

"Das stimmt, aber es waren viele ganz okay", schaltete Nylah sich ein. Ihre Finger verkrampften sich um den Stift in ihrer Hand.

"Wir können nicht so wählerisch sein, sonst werden wir nie jemandem finden." Verärgert sah Reece zu der Sängerin. Immer wenn Ewan und er jemanden gut fanden, blockte sie sofort ab. Er verstand, dass dieser ganze Prozess eine Qual für sie war. Aber, wenn es für die Band weitergehen sollte, brauchten sie nun mal einen neuen Bassisten.

"Aber trotzdem können wir nicht einfach irgendwen nehmen, nur um den Platz vergeben zu haben!", machte Nylah ihren Standpunkt klar.

"Okay, okay", ging Ewan beschwichtigend dazwischen, "wir sind alle müde und es ist auch relativ spät. Ich würde sagen, dass wir uns noch einen Bewerber oder eine Bewerberin anhören und dann für heute Schluss machen, okay? Morgen ist auch noch ein Tag", schlug Ewan vor. Nylah lehnte sich wieder zurück und Reece gab ein zustimmendes Brummen von sich.

Ewan sah seine zwei Bandmitglieder prüfend an, bevor er die nächste Person in den Raum rief. Sein Blick huschte kurz zu der Uhr, die an der Wand hing. 22 Uhr. Sie saßen hier schon mittlerweile seit acht Stunden.

Die Tür öffnete sich erneut und ein hochgewachsener Junge betrat den Raum. Seine schwarzen Haare waren wirr und seine grünen Augen huschten von Reece zu Ewan und schließlich zu Nylah.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich kommst", ergriff Reece nun unvermittelt das Wort und Nylah und Ewan blickten ihren Bandkollegen überrascht an.

"Kennt ihr zwei euch?", schlussfolgerte Ewan.

"Ja, wir kennen uns aus der Schule. Ich bin Nathan", stellte sich der Unbekannte vor. Während der Bewerber vor ihm nervös und beinahe verängstigt gewirkt hatte, war Nathan das genaue Gegenteil.

"Ich habe Nathan gesagt, dass wir einen neuen Bassisten brauchen", weihte Reece seine Bandkollegen nun ein, "aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass er meine Einladung wirklich annehmen würde."

Zum ersten Mal an diesem Tag bekam Reece wieder Hoffnung. Nathan und er hatten die Realschule zusammen besucht und er war damals schon ein unfassbar guter Bassist gewesen.

"Ich kann dich doch nicht im Stich lassen", antwortete dieser.

"Er ist wirklich gut", gab Reece zu, was Ewan überraschte. Sein Bandkollege war nicht gerade dafür bekannt, andere zu loben.

"Wie gut er wirklich ist, stellt er dann jetzt ja unter Beweis." Nylah hatte das Gespräch bisher schweigend verfolgt, hatte nun aber das Wort ergriffen, um das Prozedere zu verkürzen. Sie wollte einfach nur nach Hause.

Nathans grüne Augen richteten sich auf Nylah und verharrten so lange bei ihr, dass es ihr fast schon unangenehm war und sie am liebsten wegsehen wollte.

Dann verzogen sich Nathans Lippen zu einem kaum merklichen Grinsen und er begann zu spielen.

Wenn Menschen leidenschaftlich Musik machten, dann sah man ihnen das sofort an. Sie taten es, weil sie es liebten und nicht weil sie beispielsweise von den Eltern dazu gezwungen wurden, jede Woche die Klavierstunde zu besuchen.

Sie gingen in der Musik auf, lebten die Musik. Und genau so war es auch bei Nathan. Man konnte sehen, dass, sobald der erste Ton erklang, er in einer anderen Welt war. Er spielte, als hätte er nie etwas anderes getan, als wäre die Musik ein Teil von ihm. Als wäre Musikmachen so selbstverständlich wie atmen.

Der letzte Ton hallte in dem Studio wieder und Nathan hob den Blick.

Nylah biss sich auf die Lippe. Es missfiel ihr, dass Nathan tatsächlich so gut spielen konnte, wie Reece es versprochen hatte. An Ewans Gesicht war abzulesen, dass auch er durchaus angetan war.

Für einen Moment war es still in dem kleinen Raum, die drei schienen unfähig, etwas zu sagen. Nathan hätte diese Tatsache nie zugegeben, aber das Schweigen der Band verunsicherte ihn für einen Moment.

Deshalb ergriff er nun einen Augenblick später selbst das Wort, um der Situation zu entkommen.

"Sagt mir dann einfach Bescheid, wie es aussieht", erklärte er lässig und versuchte an den Gesichtern abzulesen, was die drei wohl dachten.

Obwohl er eigentlich nur zum Spaß hergekommen war und sich nicht wirklich ernste Hoffnungen gemacht hatte, hatte ihn jetzt irgendwie doch der Ehrgeiz gepackt. Manchmal vergaß er, dass er wohl nicht dafür gemacht war, um halbe Sachen zu machen.

Ewan löste sich als erstes aus seiner Starre und nickte nun. "Ja, na klar. Machen wir", die Worte stolperten nur so aus seinem Mund.

"Okay, bis dann", antwortete Nathan nun, da die anderen beiden immer noch nichts beigetragen hatten. Doch an Reece anerkennendem Blick konnte er sich schon denken, was in dem Kopf des Jungen vorging. Nur das Mädchen mit den schwarzen Haaren, Nylah, verzog keine Miene und ließ Nathan fragend zurück, als er nun den Raum verließ.

"Was sagt ihr?", fragte Reece, prompt nachdem die Tür ins Schloss gefallen war.

Für einen Moment kehrte erneut Stille ein.

"Ich sage, dass wir unseren neuen Bassisten gefunden haben", ergriff Nylah nun das Wort und blickte die beiden an. Reece Augenbrauen wanderten, aufgrund der Endgültigkeit in ihrer Stimme, überrascht nach oben zu seinem Haaransatz.

"Bist du sicher, dass wir nicht noch weitersuchen sollen?", hakte er nach. Er vertraute Nylahs plötzlichem Stimmungswechsel nicht ganz.

"Selbst wenn wir weitersuchen würden, würden wir niemand besseren finden", erklärte Nylah. Obwohl sie wusste, dass das die Wahrheit war, machte sich ein bitterer Geschmack in ihrem Mund breit.

"Ich stimme euch zu, aber Reece, ich glaube du hast was nicht bedacht, als du Nathan eingeladen hast", Ewan sah mit gerunzelter Stirn auf das Blatt, auf dem noch weitere Informationen über Nathan zu lesen waren, "er wohnt in New York?"

Nylah sah Ewan verwirrt an. Von Montreal, wo die drei lebten, war New York sechs Stunden entfernt, was wirklich nicht gerade um die Ecke war.

"So weit hatte ich gar nicht gedacht", Reece gab ein genervtes Stöhnen von sich, "ich hab davon mitbekommen, dass Nathan zwei Wochen hier ist, um seine Familie zu besuchen und hab ihn dann direkt gefragt, ob er nicht vorbeikommen will. Ich habe aber auch ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass wir uns direkt für ihn entscheiden würden."

Ewan seufzte. "Dann müssen wir wohl weiter suchen. Wir können nicht jedes Wochenende so weit fahren."

"Oder wir ziehen nach New York", sagte Nylah, ohne mit der Wimper zu zucken.

"Ja klar", Reece zog eine Augenbraue hoch, "Sonst noch was?"

"Um wirklich weiterzukommen als Band, könnte New York uns bessere Chancen liefern", erläuterte Nylah ihre Gedanken.

Reece stieß den Atem aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er konnte nicht verleugnen, dass Nylah Recht hatte. Auf der anderen Seite war das Ganze auch ein riesiger Schritt.

"Okay, ich bin dabei", sagte Reece, der nicht anders konnte, als sich von Nylahs Begeisterung mitreißen zu lassen. Er war schon lange bereit, Montreal hinter sich zu lassen. Seit Jahren sehnte er sich nach einem Neuanfang, ohne seine Vergangenheit, an die er an jeder Ecke erinnert wurde.

Ewan war der einzige, der zögerte. Er biss sich auf die Lippe und seine Gedanken schossen direkt zu Lexi. Vor seinem geistigen Auge konnte er ihre roten Haare sehen, die blau-grünen Augen und das freche Lächeln, das ihm schon mit 16 den Kopf verdreht hatte. Mittlerweile war Ewan 21 und er und Lexi waren seit ein paar Monaten ein Paar.

Wenn er nach New York ziehen würde, könnte die Beziehung darunter leiden. Ewan fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits wollte er unbedingt Musik machen, aber andererseits wollte er auch nicht so weit weg von Lexi sein.

Seine Finger schlossen sich um seine Silberkette mit dem aufgedruckten Kompass. Wenn das ganze zwischen ihm und Lexi echt war - und davon war er fest überzeugt - würden sie das schaffen. Es würde nicht leicht werden, aber auch nicht unmöglich.

Ewan straffte seinen Rücken. "Ich bin dabei."

Und obwohl das ganze im ersten Moment wie eine Schnapsidee wirkte, war das Schicksal der Band Serendipity somit besiegelt.


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