fast kein Ausbruch

Kapitel 5

Seraphin

Die Vorlesung war der Horror und das lag ausnahmsweise einmal nicht daran, dass Seraphin sich in endlose Diskussionen mit ihren Kommilitonen verstrickte, wovon ganz klar sie als Siegerin hervorgehen würde, weil sie bereits zwei Semester über diesen Leuten war. Es lag an dem neuen Dozenten.

Declan Dunn, ein Veteran, ein Mann, der sehr genau wusste, was alles in den immer noch eher unruhigen Gebieten der Welt los war. Der wusste, wie erheblich die Weltregierung dabei versagte, Gebiete unter Kontrolle zu bringen.

Er hatte Statistiken mitgebracht, keine Einzelfälle, sondern Daten, die belegten, dass diese nach Eigenständigkeit strebenden Gebiete grausame, frauenfeindliche Züge annahmen, in denen die selten gewordenen Frauen verkauft, versklavt und zur „Zucht" missbraucht wurden. Und das taten sie nicht nur mit den Frauen in ihren Gebieten, die solche Ländereien panisch verließen und Schutz in angrenzenden Gegenden suchten, wo sie behandelt wurden, wie es Frauen in ihrer Gesellschaft zustand. Es gab Angriffe auf die Randgebiete, Entführungen, Vergewaltigungen von Frauen, Kindern und auch verdammt vielen Jungen, die als sexueller Ersatz herhalten mussten. Das war alles nichts, was Seraphin und ihre Mitstudenten nicht wussten, aber es ihnen so gnadenlos zu präsentieren, hatte sich noch kein Dozent gewagt.

Dennoch war der wahre Horror nicht die unverblümten Details, sondern die Reaktionen einiger Studenten. Sie hörte einige junge Männer hinter sich Witze reißen, die nicht nur respektlos, sondern fast schon verhöhnend gegenüber den Opfern solcher Taten waren. Einige diskutierten trotz der ganzen präsentierten Fakten immer noch darüber, ob es nicht besser wäre, die Friedenstruppen aus diesen Gebieten abzuziehen und die Leute dort ihrem Schicksal zu überlassen. Wie gerade.

„Es kostet Menschenleben, Geld, Arbeitsaufwand und andere Ressourcen, um diese Gebiete wieder unter Kontrolle zu bringen, und trotz unserer militärischen Überlegenheit geht es nur langsam voran, und wofür? Etwas Staub, Land und Menschen, die sich wie Barbaren aufführen und einfach nicht zivilisiert werden wollen? Sollen sie doch ihre Länder behalten und leben wie vor tausend Jahren, sie werden doch eh früher oder später aussterben", begann eine Studentin, wobei Seraphin die Augen verdrehte und den Kopf auf ihre Tischplatte fallen ließ. Es war zum Verzweifeln.

„Es gibt viele Gründe, dafür zu kämpfen, und hätten Sie die letzten vierzig Minuten zugehört, anstatt sich mit Ihrer Nachbarin zu unterhalten, hätten Sie diese Gründe auch wahrgenommen, anstatt jetzt überholte Fragen zu stellen.

Also noch einmal zum Mitschreiben für alle, die es nicht selbst zustande bringen, dies aus den Statistiken herauszulesen.

Erstens: Wir sind die Weltregierung, keine Dreiviertel-Weltregierung. Diese Länder sind nicht primitiv, sie bekommen Hilfe von der Regierung, die sie mitgewählt haben. Uns. Das sind unsere Leute. Es war das versäumnis der Rest der Welt das die War-Lords die Macht an sich reißen konnten. Mit Gewalt.

Zweitens: Die Gesetze, die wir erlassen haben, gelten für die gesamte Menschheit, um nichts Geringeres als ihre bloße Existenz zu schützen, und das nicht auf Teufel komm raus, sondern um auch langfristig eine Zukunft zu haben. Deshalb verzichten wir bewusst auf jede weitere genetische Manipulation unserer Spezies, die nicht notwendig ist, um gesunden und zeugungsfähigen Nachwuchs hervorzubringen. Dazu gehören äußerliche Anpassungen genauso wie das Erzwingen der Geburt eines weiblichen Fötus, was in der Praxis sowieso nie wirklich funktioniert hat.

Drittens: Es ist unsere Pflicht, die genetische Vielfalt zu erhalten, um unserer selbst willen. Dazu gehört jedes lebende Individuum, auch solche, die wir als Barbaren ansehen.

Viertens: Diese Gebiete, die unter ihren Kleinkönigen leiden, gehören zu unserem Staatsgebiet und machen nicht davor halt, die Randgebiete unserer Gesellschaft zu überfallen. Es gibt keine Mauer, keinen Zaun und keine Gewaltandrohung, die verhindert, dass verzweifelte Menschen brandschatzen, verschleppen und plündern. Genauso dürfen wir die Frauen und Kinder, die in diesen Gebieten geboren werden und unter furchtbaren Bedingungen leben, nicht im Stich lassen. Wenn wir das tun, haben wir als Regierung und als Spezies versagt. Sie können nichts dafür, auf der falschen Seite der Grenzen geboren zu sein.

Das ist eine moralische Verantwortung! Dafür lohnt es sich, alle Kraft aufzuwenden, selbst wenn es Menschenleben kostet. Ich versichere Ihnen, jeder da unten weiß um das Risiko und tut dennoch seinen Dienst gerne und voller Überzeugung. Selbst wenn er es in den acht Pflichtjahren in den unruhigen Gebieten nur schafft, ein Kind oder eine Frau zu retten", beendete er seinen Vortrag, und nun schwieg die Studentin zähneknirschend. Seraphin konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkneifen, das den Kopf besagter Studentin zu ihr schießen ließ, als hätte man an einem Gummi gezogen.

„Lach jemand anderen aus, Rotkäppchen. Du hast weiß Gott genug Feinde, als dass du es dir erlauben könntest, mich auch noch dazuzuzählen", brüllte sie in Seraphins Richtung, worauf sich ihr Grinsen weiter ausbreitete.

Seraphin hatte keine Ahnung, wer das war, aber wer sie war, schien selbst in dem neuen Jahrgang weit bekannt zu sein, und das Miststück hatte vor, ihre Wut über die in ihren Augen erfolgte Respektlosigkeit von Declan Dunn, an ihr auszulassen.

Schlechte Idee.

Als wäre man sauer, weil man von einem Kätzchen gekratzt wurde, und zog nun einem hungrigen Tiger am Schwanz.

Vielleicht wollte diese Frau sich auch nur selbst beweisen, dass sie die Gerüchte um Seraphins Temperament lächerlich fand, und versuchte, dagegen anzukommen. So was passierte Sera oft.

Dumme, hohle Frauen, die glaubten, etwas zu sagen zu haben, weil ihre Familien reicher und mächtiger waren. Sera erhob sich langsam, nahm all ihre Beherrschung zusammen, um die Schlampe nicht zu packen und mit ihrem Kopf so lange auf die Platte einzuschlagen, bis sie nicht mehr atmete, sondern griff lediglich nach der Wasserflasche, die der dummen Kuh gehörte, und leerte sie über ihrem Kopf aus.

Langsam, gemächlich, zumindest körperlich beherrscht.

Sie kreischte, sprang auf und war dabei, sie wieder anzufauchen, da donnerte Seraphin das Holzgefäß auf den Boden, sodass die Kuh nach hinten sprang und niemand daran zweifelte, dass Seraphin noch andere Dinge tun würde.

Sie schwieg immer noch, drehte sich um und setzte sich auf ihren Platz, wo Saddest neben ihr sie mit großen, vorwurfsvollen Augen ansah und etwas von „unnötig" brabbelte.

Die kurze Szene hatte der gesamte Hörsaal wahrgenommen. Nun da Sera wieder saß und die Schnepfe bemerkte, dass niemand ihr half oder Seraphin laut zu tadeln wagte, brach sie in Zornestränen aus, raffte ihre Sachen zusammen und verließ den Hörsaal.

Danach blieb es eine Weile still, bis Declan Dunn sich räusperte und mit seinem Unterricht fortfuhr, als wäre nichts gewesen.

Dabei streifte sein Blick kurz Seraphins, die ihre Lippen zu einem sanften Lächeln verzog. Zumindest sollte es sanft und nett sein. Sie wusste, dass es bei ihr immer wie ein Zähnefletschen wirkte. Als ihr neuer Dozent nur eine Augenbraue hob und dann weiterblickte, wandelten sich Seraphins Gefühle von Wut und Stolz darauf, halbwegs die Kontrolle behalten zu haben, zu beschämt und unsicher.

Sie hasste es, unsicher zu sein, was wiederum ihre Wut anfachte, weswegen sie noch mehr Scham empfand, weil sie sich so wenig unter Kontrolle hatte und sich verletzlich fühlte und wütend und machtlos und ... Aarg.

Es war zum Verzweifeln.

Den Rest der Vorlesung starrte Seraphin auf die kleine Projektion auf ihrem Tisch, versuchte, der Vorlesung zu folgen und ihr Gefühlswirrwarr auseinanderzutüfteln. Dann endete die unendlich lange Stunde, und im Hörsaal wurde das Raunen lauter. Bewegung kam in den Raum.

„Hast du gesehen, wie er dich nach deinem Ausbruch angesehen hat?", fragte Saddest, und Seraphin sah sie stirnrunzelnd an.

„Das war kein Ausbruch, ich war fast vollkommen beherrscht", wollte sie klarstellen.

Saddest zuckte mit den Schultern. „Er ist ein ziemlich harter Kerl, hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, sogar als du ihn sauer angesehen hast und ..."

„Das sollte unschuldig aussehen. Gott, ich bin wirklich furchtbar?" Am liebsten hätte sie sich in einem Raum verkrochen und wäre dort gestorben. Warum musste sie sein, wie sie war? Sie wollte das doch gar nicht. Wie sollte sie Politikerin werden, wenn sie es nicht mal hinbekam, freundlich und sympathisch zu lächeln?

„Was? Nein, hör doch zu. Du bist, wie du bist, und während jeder Kerl in diesem Raum von dir entweder eingeschüchtert war oder du ihn wütend gemacht hast mit deinem Verhalten, war er ganz ruhig, fast gelangweilt. Ich sagte es ja schon im Flur. Das ist der Typ Mann, den du brauchst, ruhig und gelassen, selbst wenn neben ihm eine Bombe hochgeht. Was in deinem Fall quasi ständig ist. Frag ihn, ob er mit dir was trinken geht!" Saddest schüttelte an ihrer Schulter.

„Was? Haben Kieran und Lucan dir den Verstand herausgevögelt? Er ist unser Dozent. Nur weil er in einem Kriegsgebiet überlebt hat und wahrscheinlich brutal und verroht genug ist, um meine Ausbrüche nicht zu kommentieren, heißt das noch lange nicht, dass ..."

„Hast du was zu verlieren?", unterbrach Saddest sie, und Seraphin knurrte kurz wütend auf.

„Du schließt das alles aus einem kalten Blick und einer fehlenden Reaktion? Du bist verrückt", beschloss Seraphin.

„Vielleicht. Ich gebe zu, dass das alles eventuell nur Wunschvorstellungen meinerseits sind, aber du hast immer noch nichts zu verlieren. Normalerweise bist du nicht so feige, einen Mann zu fragen, ob er mit dir ausgeht. Also sei nett, lächle hübsch und ..."

Um Saddest zu beweisen, wie dumm diese Idee war, setzte Seraphin ihr schönstes Fast-Lächeln auf, und ihre Freundin hielt in ihren Ausführungen inne.

„Okay. Vielleicht lässt du das mit dem Lächeln. Das ist ja gruselig. Schau einfach wie immer gelangweilt drein und lass deine Schönheit den Rest machen. Das klappt sicher", veränderte sie augenblicklich den Plan, und Seraphin fragte sich ernsthaft, wann genau Saddest beschlossen hatte, sie zu verkuppeln.

Ehrlich, für den endgültigen Weltfrieden zu sorgen, wäre einfacher! Verdammt, sie mit ihrem Temperament in ein öffentliches Amt zu bekommen, war einfacher, als einen Mann für sie zu finden!

Dennoch stöhnte Sera nur genervt, denn mit einem hatte Saddest recht. Sie hatte nichts zu verlieren.

„Fein. Aber ich sage dir gleich, dass das nichts bringt", sagte sie, erhob sich mühselig, während der Hörsaal sich leerte, und versuchte, ehrlich nett auszusehen, als sie auf ihren Dozenten zuging.

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Das wars mit der Leseprobe.

Wenn ich euch überzeugen konnte: sagt mir bescheid. Ich freue mich darauf euch wieder andere Geschichten präsentieren zu können. 

Mehr geschichten von mir findet ihr auf Patreon. Da viele davon für Wattpad viel zu verboten sind ^^

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