Kapitel 7

,,Ich mag Hände, die bereit sind mit anzupacken, wenn es notwendig ist und die auch loslassen können, wenn es erforderlich wird... Ich mag ein Bauchgefühl, dem man vertraut und ich mag Beine, die bereit sind steinige Wege zu gehen... Ich mag das Gefühl von Gelassenheit und Optimismus, ich mag Streit und die anschließende Versöhnung..." (Autor unbekannt)

*

,,Martha? Ich bin gleich wieder da. Ich muss nur kurz auf die Toilette."

Lenis Chefin nickt abwesend, beide Hände tief in einer Schüssel voll hellem Teig vergraben. Die Berghütte ist brechend voll an diesem sonnigen Nachmittag. Scheinbar alle Welt hat die Idee gehabt ausgerechnet heute bei ihnen vorbeischauen zu wollen. Die letzten vier Stunden haben sie alle konzentriert durchgearbeitet, während die Bestellungen dennoch gleichzeitig eher mehr statt weniger geworden sind. Die Terrasse ist bis auf den letzten Platz besetzt und die Kinder der vielen Familien sorgen dafür, dass auch der Spielplatz direkt daneben gut besucht ist. Die Stille fühlt sich deshalb fast ohrenbetäubend an, als sie endlich die Mitarbeitertoilette betritt. Im Spiegel ertappt sich Leni dabei, wie sie breit lächelt. Sie sieht zwar gleichzeitig auch eindeutig mitgenommen aus, aber das kann offenbar nichts daran ändern, dass sie es noch nicht eine Sekunde lang bereut hat sich für diesen Job beworben zu haben. Schwungvoll dreht sie den Wasserhahn auf, um sich schließlich die Hände zu waschen. Sie nimmt sich einen Moment Zeit das Gefühl ihrer Finger unter dem Wasserstrahl zu genießen und seufzt wohlig. Auch ihre erhitzten Wangen und ihre inzwischen ein klein wenig aufgelöste Frisur bekommen etwas Zuwendung. Zufrieden betrachtet Leni abschließend noch einmal ihr Spiegelbild, bevor sie sich beeilt die schmale Stiege nach oben zurück in den Gastraum zu gelangen. Den Blick auf die Stufen gerichtet, um nicht zu stolpern, erklimmt sie den letzten Absatz und prallt plötzlich mit voller Wucht gegen einen festen Körper. Erschrocken keucht Leni auf und schafft es gerade noch sich im letzten Moment am Treppengeländer festzukrallen, bevor sie die Stiege rücklings wieder herunterpurzelt.

,,Mannaggia! Pass doch auf!"

Schwer atmend richtet sich Leni langsam wieder auf. Sie zittert und hat noch immer das Gefühl zu fallen. Etwas verängstigt hebt sie den Blick und zuckt leicht zurück, als ihre Augen auf zwei wütend funkelnde Iriden treffen, die Leni an Eiskristalle erinnern. An mörderisch gefährliche und doch wunderschöne Eiskristalle im scharf geschnittenen Gesicht eines jungen Mannes, der einen schwankenden Turm mit Kisten auf den Armen balanciert. Eingeschüchtert senkt sie den Kopf. Sie fühlt sich wieder wie in der Grundschule, als sie vor der ganzen Klasse ausgeschimpft worden war, weil sie ihre Hausaufgaben vergessen hatte. Als hinter ihren Lidern Tränen zu brennen beginnen, wendet sie sich hastig ab. Blind steuert sie den Gastraum an. ,,Entschuldige bitte", murmelt sie kaum hörbar. Ein völlig irrationaler Gedanke schießt ihr durch den Kopf: Sie muss schleunigst zu Martha zurück. Die versinkt bestimmt schon im Chaos! Mit der Schulter knallt sie ungebremst gegen den Türrahmen und stolpert. Eine Hand umfasst ihren Oberarm, um sie zu stützen.

Es poltert. ,,Porco, cane!" Ein genervtes Stöhnen folgt.

Etwas fassungslos stehen sich Leni und der Fremde gegenüber und betrachten das Chaos zu ihren Füßen. Der junge Mann muss wohl einen Wimpernschlag lang vergessen haben, dass er eigentlich keine Hand frei hat, um nervöse Kellnerinnen davor zu bewahren sich selbst zu gefährden. Infolgedessen haben sich die Kisten auf dem Boden verteilt. Eine Eisbox war sogar aufgesprungen, sodass die Dielen zu allem Überfluss auch noch mit Eiscreme beschmiert waren.

,,Geht es dir gut?" Der warme, raue Klang seiner Stimme reißt sie aus ihrer Trance. Er wirkt ernsthaft besorgt um sie.

,,Hmm?" Erst jetzt bemerkt Leni, dass sie sich unwillkürlich ihre pochende Schulter gehalten hat. Mit den Fingerspitzen wischt sie sich den Tränenschleier aus den Augenwinkeln. ,,J-ja, alles gut. Dank dir." Sie lächelt schwach. ,,Tut mir wirklich leid."

,,Ach was. Mir tut es leid." Er verzieht gequält das Gesicht. ,,Dass ich vorhin so ausgerastet bin, hatte eigentlich wenig mit dir zu tun." Er seufzt tief. ,,Sag mal, arbeitest du hier?", erkundigt er sich und deutet erklärend auf ihre Schürze.

,,Ja, seit ein paar Tagen."

,,Ahh. Tja, dann schätze ich, wir sehen uns von nun an öfter. Ich hoffe nur das nächste Mal schaffen wir es ein wenig weniger chaotisch."

Leni lacht schniefend. ,,Das hoffe ich auch."

,,Ich bin Milo. Ich bringe Martha gelegentlich Eis vorbei." Er hält ihr förmlich die Hand entgegen, was Leni seltsam sympathisch ist. Es ist selten geworden von jungen Leuten zur Begrüßung oder Vorstellung die Hand gereicht zu bekommen. Meistens werden einem entweder unangenehme Umarmungen aufgenötigt oder man steht sich etwas verkrampft gegenüber.

Sie ergreift seine Hand deshalb, ohne Zögern und muss über das Bild ihrer beiden Hände lächeln. Ihre kleine mit den bunt lackierten Nägeln in seiner großen. ,,Ich bin Leni." Rasch beißt sie sich auf die Zunge, um nicht noch mehr zu sagen.

,,Apropos Eis", beginnt er etwas zögerlich, ,,darf ich dich vielleicht zur Wiedergutmachung auf eines einladen?" Ein schelmisches Funkeln umspielt seine blauen Augen, die sie längst nicht mehr an Eiskristalle, sondern vielmehr an klare, tiefe Bergseen denken lassen. Es fällt Leni nicht schwer sich vorzustellen, wie er genau mit diesem Blick schon so manches Mädchen von sich überzeugt hat.

,,Gern", erwidert sie schlicht und lächelt.

,,Was wird das hier, wenn's fertig ist?" Jona ist im Türrahmen aufgetaucht, vermutlich angelockt vom Lärm, den sie beide veranstaltet haben. Vielsagend richtet sich sein Blick auf die Sauerei und ihre Hände, die einander noch immer nicht losgelassen haben. Hastig löst Leni sie voneinander.

,,Milo hat Eis vorbei gebracht", ist alles, was sie als Erklärung beisteuern kann. Eine leichte Röte kriecht ihre Wangen empor, so peinlich ist ihr die Aussage, ja, die ganze Situation!

Milos Lachen beschert ihr eine angenehme Gänsehaut.

,,So kann man es natürlich auch nennen."

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