Kapitel 3
,,Mut steht am Anfang des Handelns. Glück am Ende." (Demokrit)
*
Geschafft, aber zufrieden, stolpert Leni über die Schwelle des kleinen Zimmers in der Hütte, in dem sie die nächste Zeit die Nacht verbringen wird. Von Martha weiß sie, dass die Zimmer alle erst vor kurzem komplett renoviert worden sind. Die Duschen seien wohl sogar noch nie benutzt worden. Aus Brandschutzgründen haben dann jedoch trotz alledem keine Übernachtungsgäste aufgenommen werden dürfen, sodass sie jetzt allesamt unbenutzt leer stehen. Glück für Leni, die sich deshalb weder in einem völlig überteuerten Gästezimmer einmieten muss, noch mit der Anstrengung von täglichem Pendeln konfrontiert ist.
Neben der Tür streift sie ihre Schuhe ab und tapst die letzten Schritte auf gepunkteten Socken zum Bett am Fenster, das Gott sein Dank bereits bezogen ist. Erleichtert seufzend lässt sie sich in die weichen, hellblauen Kissen sinken und massiert mit müden Fingern ihre schmerzenden Füße. Sie ist das lange Stehen eindeutig noch nicht gewohnt. Mit ihrer freien Hand angelt sie in ihrer Reisetasche auf dem hölzernen Dielenboden nach ihrem Handy. Es dauert einen Moment, bis sich das Smartphone mit dem W-Lan verbindet. Ein lang andauerndes Vibrieren gibt zu erkennen, dass ihr Messenger von ungelesenen Nachrichten regelrecht überschwemmt ist. Lenis Mundwinkel zucken, als sie sieht, dass allein zweiundzwanzig der ungelesenen Nachrichten von Nele stammen. Auch ihre Mutter erkundigt sich nach ihrem Tag. Sie verfasst eine kurze Antwort an Nora und scrollt sich dann breit lächelnd durch Neles Nachrichtenflut. Da sie sich eindeutig zu müde fühlt die Details über die letzten vierzehn Stunden Wort für Wort schriftlich vor Nele auszubreiten, tippt sie kurzerhand auf den Anrufbutton. Während sich die Verbindung aufbaut, rutscht Leni etwas weiter nach hinten ans Kopfende und setzt sich bequem zurecht.
,,Ja?", meldet sich Nele schließlich atemlos.
,,Hey, Nela. Ich dachte ich rufe einfach kurz an, bevor ich mir die Finger wund tippe. Was machst du gerade?"
,,Hey, Leni." Leni kann das offenherzige Strahlen ihrer Freundin quasi vor sich sehen. ,,Ich bin wieder einmal mit Samson unterwegs, nachdem es jetzt endlich etwas kühler geworden ist. Und weil wir gerade an einer Katze vorbeigekommen sind, habe ich nicht sofort hingehen können. Du kennst den Spinner ja." Im Hintergrund ist ein kurzes Bellen auszumachen, als wisse er genau, dass Nele gerade über ihn gesprochen hat.
,,Allerdings! Ich schätze er hat der Katze einmal so richtig gezeigt, wer der Boss ist."
Nele prustet los. ,,Naja, nicht wirklich. Die Katze war eher mäßig beeindruckt von Samson. Ganz im Gegenteil. Die hat sich wahrscheinlich köstlich amüsiert."
Ein Lächeln umspielt Lenis Lippen. Sie sieht die Szene ganz klar vor sich: Die kleine, süße Nele, wie sie versucht den großen, schwarzen Neufundländer zu beruhigen. Im Grunde gibt es kaum etwas, das Samson wirklich aus der Fassung bringt. Die meiste Zeit wirkt er geradezu träge. Katzen jedoch schaffen es immer wieder aufs Neue ihn rasend zu machen.
,,So, jetzt aber genug von mir. Ich will alles hören, ja? Jedes noch so unbedeutende Detail. Aber vor allem eines: Hast du schon irgendwelche heißen Typen erspäht? Arbeitest du womöglich mit einem zusammen? Schieß los!"
Leni wundert sich kein bisschen darüber, dass ihre Freundin so schnell auf ihr Lieblingsthema zurückkommt. Sie weiß nur, dass es genau die richtige Entscheidung gewesen ist Nele anzurufen. Denn diese vermag es eben immer sie zum Lachen zu bringen. Selbst wenn Leni das überhaupt nicht will. Wenn sie alles Recht der Welt hätte schlecht gelaunt oder wortkarg zu sein. Ohne Einwände ergibt sich Leni ihrem Schicksal. Sie kennt Nele schon zu lange, um nicht zu wissen, dass sie in diesem Punkt gnadenlos sein würde.
Da das Wetter an ihrem ersten Arbeitstag nicht allzu gut gewesen ist, hat Leni Zeit gehabt sich in Ruhe ein wenig einzugewöhnen. Zunächst einmal hat sie mit Jona gemeinsam den Gastraum hergerichtet. Ganz geduldig hat ihr Marthas Sohn genau erklärt, was am Anfang des Tages jeweils alles zu tun ist. Seine ruhige Art hat es ihr leicht gemacht sich wohlzufühlen und ihr die Scheu vor Fragen genommen. Später hat ihre Chefin ihr grob erklärt, was es die nächsten Tage in der Küche alles zu tun gibt. Doch auch wenn Leni sich wirklich bemüht hat ganz genau aufzupassen, hat sie mit Sicherheit schon wieder etwa die Hälfte vergessen. Martha hat sie zwar getröstet, dass es ganz normal sei, sich am Anfang mit allem ein wenig überfordert zu fühlen. Trotzdem kann Leni nicht umhin ein wenig niedergeschlagen zu sein. Sie möchte einfach niemanden enttäuschen. Nein, das stimmt wohl nicht ganz. Ihr größter Feind sind schon immer ihre eigenen Erwartungen an sie selbst gewesen, selten die der anderen.
,,So, so. Ihr habt euch also gut verstanden?", hakt Nele nach. Und Leni weiß, auch ohne sie zu sehen, genau, dass Nele dabei eine Augenbraue anhebt.
,,Ja, auf jeden Fall, ich fühle mich mit den beiden echt wohl", erwidert Leni aufrichtig. Martha hat ihr erklärt, dass Schlechtwettertage zum Kuchen backen und Knödel machen da sind. Also hat sie gemeinsam mit Jona bestimmt über drei Stunden lang so viele Knödel gemacht, wie sie ihr Leben lang wohl insgesamt noch nie gesehen hat. Ganze Waschwannen voll Teig hat Martha ihnen hingestellt. Und so eintönig und lästig die Arbeit wohl hätte sein können, so viel Spaß hat sie trotzdem gemacht. Immer wieder hat Jona sie mit seinem trockenen Humor überrascht und sie in Gelächter ausbrechen lassen, sodass ihr am Ende nicht nur Hände und Füße, sondern ganz besonders ihre Bauchmuskeln geschmerzt haben. ,,Ich mag sie einfach."
Nele seufzt und murmelt mürrisch vor sich hin. ,,Mensch Leni, so wird das wohl nie was mit dir und den Männern. Kannst du nicht vielleicht einmal einen Typen einfach nur attraktiv finden?"
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