8. Therapie
Nach einer schnellen Fahrt durch die Nacht kamen wir dann endlich bei mir Zuhause an, wo John schon vor der Haustür stand und mir einen warnenden Blick zuwarf. Ich wartete bis Jake abgestiegen war und tat es ihm dann gleich, um anschließend noch meinen Helm auszuziehen und mir durch die Haare zu wuscheln.
"Du sollst doch nicht betrunken fahren", wies John mich auf mein Versprechen hin, doch ich versuchte ihn sofort wieder zu beruhigen.
"Ich habe kaum etwas getrunken und das, was ich getrunken habe, liegt Stunden zurück. Keine Sorge", erklärte ich ihm ruhig und zündete mir dabei eine Zigarette an.
Jake setzte sich auf eine Stufe vor der Haustür, während John mich fragend ansah.
"Willst du den echt mit reinnehmen?", flüsterte er, sodass Jake uns nicht hören konnte.
"Ja, merkt schon keiner."
Ich schnippste die Zigarette nach kurzer Zeit weg, lief an Jake vorbei zur Haustür und schloss diese so leise es mir möglich war auf, während Jake den Weg zurück auf seine Füße fand und mir mit leisen Schritten folgte.
Das ganze Untergeschoss war stockdunkel, was uns schon mal für unsere Aktion in die Karten spielte, also liefen wir hinein und schlossen leise die Tür hinter uns. Ich wollte auf direktem Weg hoch in mein Zimmer laufen, doch als mein Blick zur Seite fiel, verdrehte ich gestresst die Augen, als Jake gedankenverloren den Kühlschrank zu plündern schien.
"Jake!", zischte ich leise und sah ihm fassungslos dabei zu, wie er in einen von Odrans Muffin biss und ihn sichtlich zu genießen schien.
"Scheiße man! Ist der geil! Wo kauft ihr die Dinger?!"
"Die sind von Keeva, du Vollidiot! Komm jetzt! Wenn-"
Ich hörte oben im Flur wie eine Tür sich öffnete und lief sofort zu Jake hinter die Kücheninsel, um ihn an seinen Schultern runterzudrücken, während mein Herzschlag sich vor Stress langsam beschleunigte.
"Fuck, was-"
"Halts Maul!", unterbrach ich ihn flüsternd und während Jake unter mir am Boden saß und seinen Muffin aß, schaute ich panisch zur Treppe, wo gerade Rian nach unten kam und mir einen kalten Blick zuwarf.
"Na", meinte ich grinsend und versuchte ganz normal zu wirken, doch sein Blick zeigte mir nur zu gut, dass er bemerkte, dass irgendwas nicht stimmte.
"Was ist hier los?", wollte er wissen und näher kommen, doch ich riss sofort panisch die Augen auf und hob meine Hand.
"Bleib stehen!"
Ich wollte auf keinen Fall das er um die Insel herumkommen und Jake erwischen würde, denn sonst würden wir wahrscheinlich genau wie Irinas Ex mit dem Gesicht nach unten auf der Straße enden.
"Senan, ich hab keine Lust auf deine-"
"Ohhhhhh, Baaaaaby", stöhnte ich einfach mit geschlossenen Augen und krallte mich an der Küchentheke fest, um anschließend wieder zu Rian zu schauen, der mich verwirrt anstarrte.
"Was guckst du so? Willst du mitmachen?"
Hoffentlich nahm er mir ab, dass vor mir auf dem Boden eine Frau knien würde, sonst hätte ich gleich wirklich ein Problem.
Rian schien kurz wie erstarrt, doch nach einem kopfschütteln verschwand er zu unserem Glück wieder nach oben. Gott sei Dank wollte der nicht das Risiko eingehen, dabei zuzusehen, wie mir irgendeine Tusse den Schwanz blasen würde.
Als mein Blick wieder nach unten zu Jake fiel und ich erleichtert durchatmete, stand dieser auf und lachte auf, sodass auch ich in sein ruhiges Lachen einstimmte.
"Stell dir vor, er hätte trotzdem geguckt. Dann wärst du nicht nur das schwarze Schaf der Familie, sondern auch noch die Schwuchtel."
Jake grinste mich dämlich an und sah total lustig aus, mit der ganzen weißen Glasur um seine Lippen.
"Das wäre definitiv ein Bild gewesen, dass Rian auf ewig verfolgt hätte", fügte ich belustigt hinzu und als wir noch kurz etwas Wasser getrunken hatten, machten wir uns auf Zehenspitzen auf den Weg nach oben, um auch endlich ohne erwischt zu werden mein Zimmer zu erreichen."
-
Der nächste Morgen traf mich wie ein Schlag. Die Wirkung des wenigen Alkohols war nun überhaupt nicht mehr zu spüren und als ich meine Augen aufschlug und Jakes leises Schnarchen hörte, kamen sie ganzen Erinnerungen der letzten Nacht wieder in meinen Verstand.
Ich sah Irina, dazu ihre Villa, doch auch die Toten auf der Straße, die mich heimsuchten, obwohl es mir im Moment der Tat überhaupt nichts ausgemacht hatte.
Unter diesen mich zerstörenden Gedanken stand ich aus meinem Bett aus, deckte Jake zu, der auf der Couch lag und suchte dann schnell das Badezimmer auf. Dort in dem Schrank gab es alles, was mein Herz begehrte.
Schmerztabletten, Schlaftabletten und auch Beruhigungsmittel. Rian hatte den scheiß verboten, doch Odran versteckte sie in seinem Kulturbeutel und schnell nahm ich mir zwei der Tabletten mit beruhigender Wirkung, um diese mit dem Blick auf mein Spiegelbild und Wasser herunterzuspülen.
Meine dunklen, braunen Augen sahen mir erschöpft entgegen, während die Tattos an meinem Hals im Glanz des Lichts hier wirklich gut aussahen.
"Senan?", klopfte plötzlich Odran laut an die Tür und ich zuckte flüchtig zusammen, ehe ich noch schnell meine Zähne putzte und ihm dann die Tür öffnete.
"Ja?"
"Warst du letzte Nacht am Kühlschrank?"
Er starrte mich an, als hätte ich ihn um einen Millionen Geschäft gebracht, dabei ging es ihm sicher nur um seinen scheiß Muffin. Da ich aber wirklich nicht am Kühlschrank war, schüttelte ich verneinend den Kopf und wandte mich an ihm vorbei aus dem Badezimmer.
Weit kam ich nicht, da hielt er mich am Arm fest und nickte zur Treppe neben uns.
"Wir müssen reden", erklärte er ruhig und irritiert hob ich eine Augenbraue und fing nervös an, an meinem Lippenpiercing zu spielen.
"Heißt wir du und ich, oder noch jemand von dem ich wissen sollte?"
Ohne mir eine Antwort zu geben stieg der die Treppen nach unten und da Wiederstand zwecklos war und ich auch keinen Bock hatte, dass sie gleich in mein Zimmer kamen würden und Jake dabei noch entdecken würden, folgte ich ihm einfach.
Als ich unten ankam, saßen alle am Tisch und warfen mir die verschiedensten Blicke zu.
Keeva lächelte milde, Rian schien irgendwie enttäuscht und Cathan hatte als stolzer Opa Esme auf dem Schoß und schien es nichtmals für nötig zu halten, mich überhaupt eines Blickes zu würdigen.
"Was ist los?", wollte ich sofort wissen und es war Odran, der mir plötzlich sein Handy in die Hand drückte.
Ich drückte bei einem Video auf Play und sah dann nur mich und den unbekannten Russen, dem ich dann in den Kopf schoss. Dann war das Video vorbei und es wunderte mich, dass von allem was davor passiert war, nichts zu sehen war. Nichtmals Irina oder Padraig waren auf den Bildern zu sehen, nur ich.
"Du zettelst einen erneuten Krieg mit den Russen an und ben-"
"Das stimmt nicht!", unterbach ich Odran sofort und wollte noch hinzufügen, wie es wirklich war, da stand aber Rian auf und schlug so laut auf den Tisch, dass Esme sofort anfing zu weinen.
"Rian!", mahnte Keeva ihn und stand ebenfalls auf, doch Rian drehte sich zu ihr und ließ ihr auch keine Chance mehr auszureden.
"Nimm Esme und geh nach oben!", wies er sie kalt an und nachdem sie enttäuscht an ihm vorbei zu Cathan lief und ihre Tochter behutsam auf den Arm nahm, verschwand sie schnellen Schrittes an mir vorbei nach oben.
"Du baust nur scheiße, Senan. Ich ertrage dein »ich bin so, weil ich ein Opfer meiner Vergangenheit bin« Getue nicht mehr", ließ Rian mich dann wissen und verzweifelt suchte ich den Blick meines Vaters, der es aber immer noch nicht für nötig hielt mich anzuschauen.
"Der Typ hat eine Frau misshandelt", kam es dann aus mir, doch Rian hielt seine Hand hoch. Ein Zeichen dafür, dass er nichts mehr hören wollte.
"Odran fährt dich jetzt zu einer Therapie. Wir haben den Platz bekommen, weil ich im Gegensatz zu dir etwas im Leben erreicht habe. Du wirst jeden Tag dort eine Stunde hingehen, ansonsten dulde ich dich hier nicht länger. Du hast meine Familie in Gefahr gebracht und Odran ist jetzt derjenige, der schauen muss, ob die Russen etwas gegen uns planen, während du dir von einer Nutte hier einen blasen lässt und dir alles scheißegal ist."
Ich spürte die Wut bei seinen Worten, die Verzweiflung in meinem Verstand und die Enttäuschung in meinem Herzen, doch wenn ich eins gelernt hatte, dann, dass meine Brüder mir sowieso nie wirklich zuhören wollten.
Also ab zur Therapie...
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