52. Koma

Mandy;

Nachdem Senan mich bei meiner Schwester herausgelassen hatte, fuhr er direkt weiter mit Keeva zum Krankenhaus und ich stand nun vor dem kleinen Einfamilienhaus und wusste überhaupt nicht, wie ich Tina das alles möglichst schonend beibringen sollte.

Vermutlich würde sie sich Vorwürfe machen... Vorwürfe darüber, Fiore nicht mehrfach den Schädel eingeschlagen zu haben, denn so war sie nunmal... Aber vermutlich hatte eben keiner von uns gedacht, zu was Fiore noch alles im Stande gewesen war.

Ich am wenigsten...

Die Frage, wieso ich es überhaupt so lange an seiner Seite ausgehalten hatte, konnte ich mir auch nicht mehr beantworten. Klar, war er gutaussehend und am Anfang der Beziehung auch wirklich charmant, aber beim ersten Anzeichen seiner Bereitwilligkeit zu körperlicher Gewalt, hätte ich mich trennen sollen. Hatte ich aber nicht, was ich an diesem Tag mehr als je zuvor bereute...

"Hey, Süße", begrüßte mich meine Schwester fröhlich, als sie nach meinem Klopfen die Tür öffnete und zog mich auch sofort in eine sehr innige Umarmung, während ihre keinen Kleffer hinter ihr laut bellten und ich über ihre Schulter hinweg Padraig anstarrte, der gerade dabei war sich ein weißes Unterhemd überzuziehen. "Ich habe dir so viel zu erzählen! Die Hochzeit! Sie war traumhaft schön und-"

"Ich muss euch etwas sagen", unterbrach ich sie direkt und löste mich dabei widerwillig aus ihrer so wohltuenden Umarmung, um schnellen Schrittes an ihr vorbei ins Wohnzimmer einzutreten. Ich spürte, wie die beiden meinen Rücken mit ihren Blicken durchbohrten, doch ich holte erstmal tief Luft und drehte mich nur langsam zu ihnen herum, wonach sie mich beide gleichzeitig neugierig, doch auch besorgt musterten.
"Rian liegt im Koma."

"Was?!", platzte es sofort laut aus Padraig heraus, der sich dabei mit großen Augen ans Herz fasste und sich mit der anderen Hand an dem Sessel vor sich abstützte.

"Was ist denn passiert?", wollte Tina bestürzt wissen und stellte sich dabei nah an ihren Zigeuner heran, um ihm ihre Hand unterstützend auf den Rücken zu legen.

"Fiore", hauchte ich leise und wich ihren Blicken dabei kurzzeitig aus, denn mir wurde wieder Mal bewusst, dass alles mit mir zusammenhing und egal was Senan und die anderen sagen würden... Es war alles meine Schuld. Ich hatte diesen Irren in ihr Leben gebracht, wenn auch nicht freiwillig, doch so war es nunmal und ich musste diese Schuld für immer mit mir tragen.

"Er hat auf ihn geschossen, mehrfach", fügte ich mit brüchiger Stimme hinzu und fing dabei an, nervös mit meinen Fingern zu spielen. "Er hat auch auf Senan und Odran geschossen, doch die Beiden haben keine Folgeschäden."

"Ich bringe ihn um und verfüttere ihn an die Hunde!", schrie Padraig plötzlich wütend und stütze sich so kraftvoll von der Lehne des Sessels ab, dass dieser leicht ins Wanken geriet und selbst Tina einen Schritt von ihm zurückwich.

"Aber doch nicht an meine Hunde!?", fragte sie ungläubig und sofort kassierte sie von Padraig dafür einen ernsten Blick, auf den sie als Reaktion nur ihr Arme abwehrend verschränkte. Bevor es hier auch noch eskalieren konnte, entschied ich mich, die Geschichte schnell zu Ende zu bringen.

"Darum brauchst du dir keine Gedanken machen, Padraig. Deine Cousine hat ihm ein riesiges Messer mitten durch seinen Hals gerammt."

Ich erinnerte mich flüchtig an Fiores letzten Atemzug und bekam davon einen kalten, unangenehmen Schauer über den Rücken gejagt, während Padraig stolzer denn je über meine Aussage wirkte.

"Und die nennen sich Mafia", grinste er dämlich und spannte dabei seine gesamte Brust an. "Ohne uns Zigeuner wäre diese Familie schon sowas von im Arsch."

"Jetzt Mal ganz bodenständig bleiben, Liebster", wandte sich Tina an ihn und legte ihm anschließend ihre Hand auf seine Wange, um ihn mit einem bedrückten Ausdruck zu mustern. "Du solltest ins Krankenhaus. Keeva braucht jemanden an ihrer Seite. Sobald Rian wach und alles wieder beim alten ist, geben wir ein großes Fest. Natürlich auf euch Zigeuner."

Sie lächelte ihn mitfühlend an und bekam sofort einen dankbaren Kuss von ihm, sodass ich ihnen ihre Privatsphäre gönnte und mich auf das Fenster neben mir konzentrierte.

"Kommst du mit?", riss Padraig mich nach einer Weile aus meiner Starre und sofort suchte ich Tinas Blick, die nur lächelnd nickte.

"Fahrt ruhig. Ich muss hier einiges erledigen und die Koffer noch auspacken."

Eigentlich hätte ich zu gerne mehr Zeit bei ihr verbracht. Immerhin hatte ich sie die letzte Zeit kaum gesehen und dazu war sie meine einzige Familie, aber die Sehnsucht nach Senan und seiner Nähe trieb mich sofort dazu, ihr dankbar zuzunicken und Padraig nach draußen zu folgen.

"Und wie geht es dir damit?", wollte der Zigeuner wissen, doch ich hatte keine Lust mehr, immer nur als Schwäche angesehen zu werden. Ich wollte kein Mitleid mehr und auch nicht das Gefühl, dass alle sich Sorgen machen müssten. Immerhin war ich nicht schwanger und mein Mann lag auch nicht im Koma.

"Es geht mir gut", log ich also und versuchte ihn dabei nicht anzusehen.

"Sicher?", hakte er nochmals nach, während er sein Cabrio aufschloss und wir beide einstiegen.

"Ja, sicher. Ich will einfach nur dass Rian wach wird und Keeva wieder glücklich sein kann", gab ich ihm zu verstehen und als er plötzlich meine Hand nahm, sah ich ihm tief in seine Augen und erwiderte sein aufmunterndes Lächeln. In dem Moment sah ich zum ersten Mal eine andere Seite in ihm, denn eigentlich war er für mich vorher nur der verrückte der Leuten mit dem Messer im Gesicht herumritzte. Doch nun, verstand ich meine Schwester, denn dieser Mann hier konnte einem wirklich alleine mit seinem Lächeln das Gefühl geben, dass alles wieder gut werden würde.

"Ich weiß, dass du dir sicher die Schuld gibst, aber das musst du nicht. Keeva hat sich vor einiger Zeit auch die Schuld dafür gegeben, dass einige Russen Odran angeschossen und Nero betäubt hatten, aber dass sind einfach abgefuckte Leute. Da kann niemand was dafür, außer sie selbst", erklärte er ruhig und ließ meine Hand anschließend wieder los, um den Motor zu starten und loszufahren. "Außerdem wird Rian wieder aufwachen, wenn er meine zuckersüße Stimme gleich hört. Dieser verdammte Lackaffe braucht gar nicht zu meinen, er könnte jetzt einen auf Dornröschen machen."

Padraig grinste mir dämlich entgegen und nachdem ich alleine von seiner Art das Leben so leicht zu nehmen auch lächeln musste, stellte er das Radio lauter und gemeinsam fuhren wir unter der Sonne die Straßen Irlands entlang, bis wir nach einiger Zeit an dem großen Parkplatz des Krankenhauses ankamen und ausstiegen.

"Ich finde den Weg schon alleine", meinte er plötzlich und sah an mir vorbei.

"Wieso alleine?", wollte ich irritiert wissen und folgte seinem Blick, wo ich auf einer abgelegenen Bank am Rand des Krankenhauses Senan erkannte, der gerade dabei war, eine Zigarette zu rauchen, während er geistesabwesend zu Boden starrte.

"Deswegen", hörte ich Padraig noch hinter mir sagen, der daraufhin gleich zum Haupteingang vor uns verschwand, während ich tief durchatmete und langsam auf die Liebe meines Lebens zulief, bei dem ich aber keine Ahnung mehr hatte, ob wir uns je von dem allen erholen würde.

Er war vor mir schon sehr tief am Boden und kaum hatte er sich gefangen, passierte eine Katastrophe nach der nächsten...

Das hatte er nicht verdient und ich... Ich war nicht mehr im Stande, ihm da herauszuhelfen, denn ich konnte meine eigenen Dämonen kaum bändigen und verstand sogar mittlerweile, dass er sich vor kurzer Zeit noch Drogen hingegeben hatte...

Eine bittere Versuchung, für wenigstens einen Moment der Stille im Kopf ....

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