48. Engel
"Was machen wir jetzt?", flüsterte Keeva an Rian gewandt, als wir ein Stockwerk weiter unten ankamen und am Ende des langen, düsteren Ganges eine breite Tür aus Glas erkannten. Es war wohl der Ausgang aus dieser Hölle und sofort drehte Rian sich herum, um seine freie Hand an Keevas Wange zu legen.
"Du wirst gehen", meinte er, doch Keeva sah ihn nur entsetzt an und schüttelte heftig mit ihrem Kopf.
"Auf gar keinen Fall!", zischte sie und löste sich aus seiner Berührung. "Meine Tochter ist hier irgendwo! Ich gehe nirgends hin!"
"Doch!", mahnte Rian und bekam wieder diesen Ausdruck, der keine Widerworte zuließ... Zumindest von niemanden, außer seiner Ehefrau.
"Ich habe nein gesagt!", betonte Keeva ihre Aussage und verschränkte dabei ihre Arme. "Ich werde nicht wieder irgendwo sitzen und hoffen, dass alles gut ausgehen wird! Das kannst du vergessen!"
"Du verstehst es nicht!", wurde Rian lauter und stellte sich dabei genau vor sie. "Ich kann nicht klar denken, wenn du in meiner Nähe bist! Wenn dir etwas passiert.... Ich ertrage allein diesen Gedanken nicht!"
"Aber du-"
Während die beiden weiter und weiter diskutierten, lief ich die Treppen hinter uns wieder nach oben und sah mich nochmals in dem Flur um, aus dem ich die Schreie gehört hatte. Es war ein unglaublich niederschmetterndes Gefühl, zu wissen, dass mein Vater einige Türen weiter lag, doch ich hatte keine Zeit jetzt zu trauern... Dafür waren andere Personen mir zu wichtig, die immer noch in Gefahr waren.
Zielstrebig öffnete ich die vordersten Türen, doch in jedem Raum befanden sich nur Büromöbel und kleine Fenster...
Bis auf den Raum, gegenüber meines Vaters.
Ich spähte hinein, sah mir den breiten Schreibtisch an und schaute flüchtig der Sonne entgegen, die sehr schwach durchs Fenster schien. Gerade wollte ich auch diese Tür wieder schließen, da hörte ich ein Schmatzen, welches mich meine Augen überwältigt aufreißen ließ.
"Esme", hauchte ich und trat über den knirschnenden Holzboden in das Zimmer hinein, wo ich um den Schreibtisch herumlief und sie eingewickelt in einer weißen Decke auf dem Stuhl liegen sah.
Als meine Augen auf ihre trafen, lächelte sie so zuckersüß, dass mir trotz allem mein Herz aufging. Ihre wunderschönen Augen, die diese besondere Mischung hatten, glänzten unheimlich hübsch und dazu die süße Stupsnase, die sie Gott sei Dank nicht von Rian hatte.
"Du hast keine Ahnung, sie sehr ich dich vermisst habe", flüsterte ich und wollte sie gerade auf meine Arme nehmen, da spürte ich eine Aura neben mir und hörte auf das erneute Knirschen des Holzes.
Nur ganz vorsichtig nahm ich meine Hände hoch, während mein Herz wieder rasend schnell schlug und drehte mich zur Seite, wo ein Mann, ganz in schwarz bekleidet stand, der mir vollkommen unbekannt war.
Seine blonden Haare hatte er zurückgegelt, während sein Bart fast schon grau wirkte und dann schweifte mein Blick zu der Waffe in seiner Hand, die genau auf mich gerichtet war.
"Stop, bitte", hauchte ich sofort und stellte mich schützend vor Esme, um meine Hände weiterhin ergebend in die Luft zu halten, was aber anscheinend gar nicht nötig gewesen wäre.
Ich dachte ich würde sterben, doch als ich dem Typ tief in seine Augen sah, weiteten sich seine plötzlich und ich beobachtete noch, wie er seine Lippen leicht öffnete, einen letzten Atemzug nahm und einfach vorneüber kippte.
"Können wir bitte zusammenbleiben!", warnte Rian mich und zog das Messer aus der Brust des Typen, um es neben seinen Körper zu legen und sich die Waffe zu nehmen.
"Entschuldige", gab ich ihm schweratmend zurück und nahm meine Hände dabei wieder herunter, um mich erneut zu Esme zu wenden. "Aber ich habe jemanden gefunden."
Ich spürte Rians Blicke auf mir und beugte mich herunter zu seiner Tochter, um diese vorsichtig auf meine Arme zu heben, während meine Augen die von Rian suchten.
"Oh Gott", hauchte er beinahe fassungslos und kam sofort mit Tränen in den Augen auf mich zu, um Esme fest in seine Arme zu schließen. "Mein Engel", flüsterte er gegen ihre Wange und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, um dann, genau wie ich, mit großen Augen zur Tür zu sehen.
Keeva saß auf dem Po des am Boden liegenden und rammte das Messer wie eine Irre immer wieder in seinen Rücken, wodurch dieses ekelhafte Geräusch entstand, das mir einen Schauer über den Rücken jagte.
"Keeva!", sprach Rian sie an und übergab mir vorsichtig Esme, um auf unsere kleine Zigeuner in zuzugehen, die anscheinend einen Nervenzusammenbruch hatte. "Er ist tot, du kannst aufhören!"
Er legte seine Hand behutsam auf ihre Schulter und erst, als sie ihn ansah, ließ sie das Messer los und atmete mehrmals tief durch.
"In Horrorfilmen stehen die auch immer wieder auf. Ich dachte so sind wir auf der sicheren Seite. Außerdem hat er vieleicht Cathan umgebracht", erklärte sie und wischte sich das Blut von ihren Händen an ihrem hellen Oberteil ab. "Dafür sollte er büßen..."
"Ich weiß", meinte Rian nachdenklich und sah dann flüchtig zu mir, was Keeva ihm gleichtat und anscheinend begriff sie jetzt erst, wen ich da in meinen Armen hielt.
Mit großen Augen sprang sie auf und kam sofort rasend schnell auf mich zu, um ihre Tochter überglücklich zu betrachten.
"Meine Prinzessin", schluchzte sie und nahm Esme an sich, um sie mit geschlossenen Augen an ihren Körper zu halten, während ich sie mit einem Lächeln auf den Lippen musterte, bis mein Blick auf Rians traf, der die Waffe in seinen Händen nachlud und mir erst wieder bewusst wurde, dass hier noch nichts vorbei war.
Als er bemerkte, dass ich ihn anstarrte, nickte er kaum merklich zu dem Messer hinunter und nachdem mein Blick nochmals flüchtig auf Keeva fiel, wandte ich mich an ihr vorbei und lief zu Rian und dem leblosen Körper am Boden, um mir das Messer aus seinem Rücken zu schnappen.
"Keeva", sprach Rian sie an und wartete darauf, dass sie sich zu uns herumdrehte, um sie streng zu mustern. "Jetzt gibt es einen Grund, warum du sofort gehen solltest."
Sie nickte, obwohl man ihr förmlich ansah, dass sie uns nicht im Stich lassen wollte, doch Esme war für die Beiden wichtiger als alles andere, also kam sie mit ihr auf ihren Armen zu uns herüber und lief uns voraus zurück in den Flur, wo wir zu dritt die Treppen aufsuchten.
"Geh raus und egal was passiert, du kommst nicht wieder zurück! Ruf die Polizei! Ruf um Hilfe und bleib nicht eine Sekunde stehen!"
Keeva nickte erneut und war vor Aufregung beinahe sprachlos, doch sie gab Rian noch einen Kuss, sagte ihm, dass sie ihn liebte und verschwand das Treppenhaus nach unten, um ihre Tochter in die ersehnte Freiheit zu führen.
"Und was machen wir jetzt?", fragte ich an Rian gewandt und drehte mich nochmals zum Flur herum. "Hier ist einfach niemand! Ich hab alle Räume durchsucht... Und oben gibt es die Bewegungsmelder... Das macht alles keinen Sinn!"
"Es ergibt keinen Sinn, weil dieser Fiore ein absoluter Vollidiot ist", gab Rian mir zurück und drehte sich dabei zu mir herum. "Ich versuch die ganze Zeit darüber nachzudenken, was ich machen würde. Aber Fiore ist kein kluger Mann. Er ist impulsiv und dumm. Eine Mischung, sie tödlich enden kann. Aber sieh dir an, was er mit Papa gemacht hat... Er ist Sadist! Das mit Esme, dass sie einfach in einem Zimmer alleine liegt, zeigt aber wieder wie dämlich er ist."
"Und was soll das heißen?"
"Dass er sicher nicht damit gerechnet hat, dass wir sie Bewegungsmelder bemerken... Sonst wäre es nicht so einfach gewesen, dass wir einfach unten die Haustür vorfinden. Sonst wäre Esme nicht unbewacht gewesen! Und Cathan... Er sollte nicht von uns gefunden werden. Ich glaube eher, dass er Mandy und Chiara zusehen lassen hat, um ihnen Angst zu machen."
Ich dachte über seine Worte nach, doch ich konnte mir wirklich kein klares Bild über Fiore machen. Irgendwie war er für mich immer noch der Halbtote Zombie mit Sonnenbrille und Hut...
"Er wird oben sein. Auf der Etage, wo auch Odran ist und wo wir jetzt hingehen werden."
"Aber die Bewegungsmelder!", protestierte ich und sofort legte Rian ein eiskaltes Lächeln auf und hielt seine Pistole hoch. "Er weiß nicht, dass wir frei und bewaffnet sind."
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