46. Risiko
Während ich krampfhaft versuchte mich zu beruhigen und die kleine Nachttischlampe in meiner zitternden Hand zu behalten, sah ich immer wieder auf zu Rian, der in völliger Ruhe einfach nur dastand und zu überlegen schien, wie es nun weitergehen sollte.
Die Chancen standen wohl wirklich nicht gut für uns, denn wer wusste schon, was hier passieren würde, wenn einer von uns ausversehen die Bewegungsmelder auslösen würde.
"Jetzt wissen wir wenigstens, wieso niemand vor der Tür Wache gehalten hat", meinte mein großer Bruder leise und sah sich dabei konzentriert in dem dunklen Flur um, während Keeva immernoch meine freie Hand streichelte.
"Geht's wieder?", wollte sie besorgt wissen und als ich meinen verschleierten Blick nur langsam zu ihr gleiten ließ, mein Herz unaufhörlich gegen meine Rippen schlug und meine Atmung immer noch unkontrolliert ging, sah ich sie einfach nur hilfesuchend an. Doch sie konnte mir nicht helfen, sie konnte uns nicht helfen und der Gedanke, dass wir hier bald alle drauf gehen würden, machte mir immer mehr und mehr Panik.
"Reiß dich jetzt gefälligst zusammen!", zischte Rian mich plötzlich von der Seite an und griff dabei um den Kragen meines Shirts, um mich böse anzufunkeln. "Du kannst von mir aus nachher in Panik ausbrechen! Aber jetzt brauche ich dich! Und nicht nur ich! Auch Esme und Mandy verlassen sich auf dich! Also hör auf mit dem Scheiß!"
"Rian!", wollte Keeva ihn unterbrechen, doch als er sie mit so einem eiskalten Blick fixierte, dass einem das Blut in den Adern gefror, verstummte sie augenblicklich und sah mich nur wehmütig an.
"Wir sind hier nicht auf einer scheiß Seelsorge Teatime! Diese dämlichen Muffins und das ständige Windeln wechseln macht uns weich und jetzt reißt euch einfach zusammen und tut nur das, was ich euch sage!"
"Meine Muffins sind nicht dämlich", murmelte Keeva verteidigend und ließ meine Hand dabei los, um protestierend ihre Arme zu verschränken, doch Rian beachtete sie nicht weiter und löste seine Hand ebenfalls von meinem Shirt, um langsam in die Hocke zu gehen und sich umzusehen.
"Ich gehe voraus und erst, wenn ich dort hinten bin und die Lage unter Kontrolle habe, kommt ihr nach! Wehe ihr bewegt euch vorher", erklärte er ruhig und sah sich ein letztes Mal diese dünnen, grünen Laserfäden an, um sich anschließend ganz vorsichtig wieder zu erheben. "Verstanden?", wollte er dann noch wissen und sah uns beide solange abwartend an, bis wir zustimmend nickten.
Als ich mich aufgrund seiner Ansage dann allmählich zum Beruhigen zwang, sah ich ihm unter angehaltenem Atem hinterher, wie er ganz vorsichtig zwischen den grünen Fäden hindurch bis zum Ende des Flur liefs und dort angekommen um die Ecke spähte.
"Du gehst als nächster", meinte Keeva plötzlich neben mir und sofort schüttelte ich verneinend meinen Kopf.
"Wenn jemand von hinten kommt wäre es sicher nicht gut, wenn du hier alleine stehst", gab ich ihr zurück und nachdem sie ihre Augen kurz hinter sich in die Dunkelheit wandte, starrten wir beide wieder zu Rian, der mit seiner Hand ein Zeichen gab, dass wir folgen sollten.
"Dann Mal los", lächelte Keeva gequält und trat ganz behutsam mit ihren Zehenspitzen umher, um kurze Zeit später bei Rian anzukommen.
Und nun war ich an der Reihe.
Mit weichen Knien umfasste ich die Lampe mit beiden Händen und hielt den Atem an, um mit dem Blick auf meine schwarzen Schuhe gerichtet, zwischen den Lasern hindurch zu steigen.
"Warte!", meinte Rian plötzlich und ich erstarrte sofort in meiner Bewegung, um dabei aufzusehen und zu beobachten, wie Rian sich erschrocken umsah und Keeva sich eng an seinen Rücken klammerte.
Und dann hörte ich es auch ...
Schreie...
Schreie, die sich so gequält anhörten, dass sie sich vermutlich auf ewig in mich und meinen Verstand einbrennen würden...
"Das ist Mandy... oder Chiara", gab Keeva mit bebender Stimme von sich und sofort spürte ich diesen Hass bis in jede Faser meines Körpers und konzentrierte mich weiter darauf, aus diesem beschissenen Laserlabyrinth herauszukommen, was mir auch einige Zeit später gelang.
"Und jetzt?", meinte ich bereit diesem Fiore den Kopf aufzuschlagen und sah unter Hochspannung Rian an, der zu einer Treppe hinter uns zeigte. Ein kleines Fenster gab uns genügend Licht, um über das enge Geländer hinab zu sehen.
"Und was, wenn dort schon Wachleute auf uns warten?", wollte Keeva wissen und nahm ihren Blick dabei nicht von der Treppe, während ich Rian ansah und mir bewusst wurde, dass er, im Gegensatz zu mir, Frau und Kinder hatte.
"Ich gehe vor", erklärte ich entschieden und wollte mich schon zu den Stufen wenden, da umgriff aber Rian meinen Arm und drehte mich zu sich herum.
"Du wurdest angeschossen!", erinnerte er mich und erst da wurde mir bewusst, dass ich immer noch diese Wunde an meiner Seite hatte, die aber aufgehört hatte zu bluten. Es war wohl nur ein Streifschuss, also zumindest verspürte ich keinen Schmerz.
"Und du hast eine Frau und eine Tochter", gab ich ihm zurück und nun wandte Keeva ihr traurig wirkendes Gesicht doch wieder von der Treppe ab, um zwischen mir und Rian hin und herzusehen. Ich erkannte ihren Ausdruck. Sie würde es nie offen aussprechen, doch sie war unfassbar dankbar dafür, dass ich Rian zuvor kam.
Auch Rian ließ meinen Arm los und sah mich entgeistert an, denn zum ersten Mal in seinem Leben, hatte er in solch einer Situation wirklich etwas zu verlieren.
"Keine Sorge", grinste ich beide dämlich an und hielt diese hässliche Lampe dabei hoch. "Ich bin schwer bewaffnet!"
"Du bist ein Idiot", meinte Keeva mit Tränen in ihren Augen und kam dabei vorsichtig auf mich zu, um mich flüchtig in ihre Arme zu nehmen.
"Hört auf Abschied zu nehmen. Alles wird gut", zwinkerte ich und spürte Rians Hand auf meiner Schulter. Unsere Blicke kreuzten sich und nachdem er mir dankbar zunickte, kehrte ich ihnen den Rücken zu und nahm ganz langsam die ersten Stufen nach unten in die Dunkelheit.
"Ruf uns, wenn die Luft rein ist", meinte Rian und ich sah mich nochmals kurz um.
"Oder wenn du Hilfe brauchst. Wir sind sofort da", fügte Keeva noch hinzu.
"Wird schon werden", gab ich ihnen zurück und verschwand unter ihnen in einen weiteren dunklen Flur.
Mittlerweile wusste ich, dass es kein gewöhnliches Haus war. Die Stockwerke waren identisch und auch hier ging es noch weiter herunter, sodass ich mir vorstellen konnte, dass dieses Gebäude sicher viele weiter Etagen hatte.
Ich warf einen Blick in den Flur. Erkannte durch das kleine Fenster hinter mir nur die ersten Türen, doch unter keiner brannte Licht...
Gerade, als ich dann noch weiter im Gebäude nach unten vordringen wollte, die Lampe fest mit beiden Händen hielt, hörte ich plötzlich nochmals diese lauten Hilfeschreie und drehte mich blitzschnell zum Flur herum.
"Mandy..."
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