36. Familie

Völlig überfordert drehte ich mich auf dem knackenden Waldboden auf den Rücken und sah durch die Äste über mir hindurch zum Himmel, der in seinem hellen blau von hier aus wunderschön wirkte.

Mein Herz schlug langsam, während auch meine Atmung ganz ruhig und ausgeglichen wirkte, doch tief in in mir drohte das Adrenalin mich komplett zu zereißen.

Ich hatte sie getötet... Ich... und das sozusagen mit meinen bloßen Händen, denn ich hatte die Klinge geführt und ihrem Leben ein Ende gesetzt.

Ungeduldig wartete ich darauf, dass ich vielleicht weinen würde. Darauf, dass ich mich übergeben würde, doch nichts passierte... Ich lag einfach nur da und sah den Wolken zu, wie sie wie in Zeitlupe über mir vorbeischwebten.

War das ein Schock? Falls ja, dann wäre ich lieber ausgerastet oder zusammengebrochen, denn dieser Zustand des Nichtstuns machte mir zunehmend immer mehr Panik, bis ein lautes Klingeln mich aus meiner Starre befreite und ich erschrocken darüber meinen Oberkörper erhob.

Schwermütig fand ich den Weg zurück auf meine Beine und sah sofort zu Irinas Leiche, die seitlich an dem Baum lag und mit riesigen, leeren Augen ins Nichts starrte.

Sogar tot machte sie einem noch eine scheiß Angst!

Ganz vorsichtig griff ich in ihre Jacke und nahm ein schwarzes Aufklapphandy heraus, wo gerade eine Unbekannte Nummer anrief, doch ich ging nicht ran. Viel zu groß war meine Panik davor, von jemandem erwischt zu werden und mir wurde dann auch schnell klar, dass ich die Sauerei hier nicht alleine beseitigen konnte...

Ich musste meinen Brüdern die Wahrheit sagen...

Mit rasendem Herzen und leichtem Schwindel wischte ich das Blut des Messers an meinem dunklen Shirt ab und lief anschließend wie in einer Trance gefangen aus dem kleinen Waldstück, um schnell an unseren Wachmännern vorbei ins Haus zu stürmen, wo Keeva und Rian zu streiten schienen.

Während Odran mit der mir immer noch Unbekannten auf der Terrasse stand und sich amüsiert zu unterhalten schien, schrien Rian und Keeva sich lauthals an, verstummten jedoch augenblicklich, als sie mich in der Tür stehen sahen.

"Was ist passiert?", wollte Keeva mit großen Augen wissen und kam sofort auf mich zu, um mich an meinem Arm behutsam zum Tisch zu führen, wo ich schweratmend auf einem der Stühle Platz nahm. "Ganz ruhig. Ich bringe dir ein Glas Wasser", hörte ich sie durch das Rauschen meiner Ohren nur leise flüstern und blickte dabei stur auf den Tisch, auf welchen ich auch kurz darauf das immer noch leicht Blut überzogene Messer ablegte.

Ich bekam nebenbei mit, wie Rian zur Trassentür lief und Odran bat, Chiara nach draußen zu begleiten, während Keeva mit einem großen Glas Wasser zurückkam, dass sie genau vor mich stellte, während sie neben mir verharrte und mir sanft über den Rücken streichelte.

Dann entstand ein Moment der absoluten Stille.

Meine Brüder nahmen beide genau vor mir Platz, musterten mich schweigend und ich ließ meine Iriden immer wieder zwischen ihnen hin und herschweifen, bis ich seitlich hoch zu Keeva schaute, und sie mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte.

"Ich bin da", flüsterte sie beruhigend und streichelte weiterhin über meinen Rücken.

"Ich...", fing ich an und spielte nervös mit meinen Händen. Die Vorstellung ihnen die ganze Wahrheit zu sagen, breitete in mir ein großes Unwohlsein aus. Die Scham machte es mir beinahe unmöglich ihre Blicke zu erwidern und doch wusste ich tief im Inneren, dass sie sofort für mich da wären, egal wie viel schon immer zwischen uns stand.

"Ich habe Irina in einem Club kennengelernt und am selben Abend wollte sie mich schon mit zu sich nach Hause nehmen. Natürlich bin ich mit ihr gegangen, denn ich hatte für sie einem Russen mitten auf der Straße in den Kopf geschossen", fing ich an und bemerkte dabei, dass Rian und Odran beide sehr konzentriert auf meine Worte waren.

"Jedenfalls wusste ich nicht, dass sie Juris Schwester ist, sonst wäre ich nie mit ihr mitgegangen. Bei der Therapie habe ich dann Mandy kennengelernt und durch Padraig ihre Schwester Valentina. Als ich dann bei Valentina war und Fiore auftauchte, schlug Tina ihm mit einem Baseballschläger so schwer gegen den Kopf, dass dieser bewusstlos wurde. Wir dachten er wäre tot und sind nochmal kurz ins Haus. Als wir zurückkamen, war er einfach weg und wir wollten das alles für uns behalten."

Ich atmete tief durch, um nun zu dem Teil zu kommen, der mir wirklich schwer fiel. Ich wich ihren Blicken erneut aus und starrte einfach nur herunter auf meine Hände, die ganz ruhig auf meinen Beinen lagen...

"Als ich bei Irina mein Handy holen wollte, dass ich zuvor dort vergessen hatte, sah ich ein Foto und erkannte die Verbindung zu Juri. Ich wollte natürlich sofort abhauen, doch plötzlich stand sie mit diesem Bastard Fiore in der Tür und erpresste mich mit der Aufnahme von Tina, auf der man sehen konnte, wie sie Fiore niederschlug. Sie meinte, wenn ich nicht das tue, was sie sagt, würde sie Tina in den Knast bringen und Fiore würde Mandy das Leben zur Hölle machen."

Ich unterdrückte meine Wut auf das alles und fuhr mir verzweifelt durch meine Haare, bis ich plötzlich spürte, wie Rian nach meiner Hand griff. Mein Blick fiel fragend zu ihm und mit einem hasserfüllten Ausdruck musterte er mich aufgebracht.

"Was hat sie verlangt?", wollte er wissen und ich nahm allen Mut zusammen, weil es mir mittlerweile wichtiger war die Wahrheit zu sagen, als in meinem Selbstmitleid zu versinken.

"Sie hat mir Handschellen angelegt, mir eine Viagra gegeben und mich gegen meinen Willen gefickt", sagte ich geradeheraus und schaute dabei nur Rian genau in die Augen, weil es mir bei ihm schon immer am wichtigsten war, wie er mich ansah, doch sein Blick auf mich veränderte sich nicht. Er schaute weder verachtend, noch als würde er mich bemitleiden, eher, als würde er gerade mit sich selbst kämpfen müssen, um nicht vollkommen auszurasten.

Ich schaute auf seine Hand, die immer noch auf meiner lag und spürte plötzlich ein Zittern seinerseits. Es war absolute Stille im ganzen Raum, bis Odran plötzlich so laut auf den Tisch schlug, dass selbst Rian erschrocken zusammenzuckte und den Riesen mit großen Augen ansah.

"Ich bringe sie um!!!", brüllte er und holte seine Waffe dabei hervor, um diese zu entsichern und wütend zur Haustür zu stürmen.

"Odran, warte!", rief ich und stand eilig auf, um ihm schnell hinterherzulaufen, während auch Rian und Keeva mir folgten.

"Wo ist sie?", meinte er immer noch vollkommen von seiner Wut eingenommen und blieb erst unten an der Einfahrt stehen, wo immer noch Irinas Mercedes stand. Odran fackelte gar nicht lange und trat mehrere Male so feste gegen das Auto, dass die komplette Seite sich verbeulte und die Alarmanlage anging.

"Odran!", ermahnte ihn nun auch Rian und riss den Großen von dem Auto weg, der genau wie Keeva unkontrollierbar in seinen Emotionen schien.

"Wo ist Irina?", fragte Rian dann an mich gewandt und hatte sichtlich Probleme dabei Odran in Zaum zu halten. Ich zeigte zum Wald und bevor die beiden dahin verschwanden, kam Rian nochmals auf mich und Keeva zu.

"Wer weiß alles von Fiore?", wollte er wissen und sah zwischen uns beiden hin und her.

"Tina, Mandy, Padraig und Irina meinte, sie hätte das Video einigen Bekannten geschickt, die es der Polizei übergeben würden wenn ihr was passiert", erklärte ich und schluckte bei diesem Gedanken fest.

"Was genau ist auf dem Video zu sehen?"

"Das Tina ihn umhaut", antwortete ich und er nickte nachdenklich, um anschließend sein Handy aus seiner Tasche zu holen.

"Ich habe jemanden bei der Polizei, der dieses Video verschwinden lassen wird, sobald es dort auftaucht. Odran und ich kümmern uns um Irina und den Wagen. Keeva, du gehst einfach nur rein, kümmerst dich um Esme und sagst John bescheid, dass niemand heute aufs Grundstück darf. Kein scheiß Gärtner oder sonst was! Und du", wandte er sich an mich und reichte mir den Schlüssel seines heißgeliebten BMWs, was mich ihn erstaunt anstarren ließ. "Du fährst zu Valentina und kümmerst dich mit Padraig darum, dass dieser Fiore nicht auftaucht und falls doch, dann weiß Padraig sicher was zu tun ist."

Ich nickte und wollte gerade die Schlüssel entgegennehmen, da zog er mich plötzlich an meinem Arm fest an seine Brust.

"Es tut mir so, so leid", hauchte er und fuhr mir einmal durch meine Haare, um sich dann schnell wieder von mir zu lösen. "Du glaubst gar nicht, wie leid es mir tut, dass ich dir nicht das Vertrauen vermittelt habe, dass du dich sofort mir hättest öffnen können."

Er sah mir noch einen kurzen Moment tief in meine Augen, wandte sich dann Keeva, um ihren einen Kuss auf die Stirn zu hauchen und drehte sich anschließend wieder zu Odran, der mittlerweile schon dabei war, den Auspuff des Autos mit bloßen Händen abzureißen vor lauter Zorn.

"Grüß Mandy von mir", lächelte Keeva milde und auch sie umarmte mich nochmals herzlich, um sich anschließend auf den Weg nach drinnen zu machen, während ich zu Rians BMW lief und einfach nur dankbar darüber war, mich ihnen geöffnet zu haben.

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