4| Zu viel Wein getrunken


Wie lange wir gefahren waren, wusste ich nicht, da ich die ganze Fahrt über geschlafen hatte. Am Schloss angekommen, wurde ich unsanft geweckt. Aus der Kutsche ausgestiegen, bestaunte ich als erstes den schönen Vorgarten des Schlosses. In der Mitte befand sich ein Springbrunnen, der in den Boden eingelassen war und am Weg entlang wuchsen wunderschöne Rosen. In den verschiedensten Farben.

Als der Fahrer gerade dabei war, meinen Koffer zu holen, pflückte ich mir eine Rosen und steckte sie mir ins Haar. Dann fiel mir ein, dass das wohl ziemlich auffällig wäre und ich ließ sie rasch in meiner Manteltasche verschwinden.

Der Kutscher brachte mich ins Schloss. Es war einfach unglaublich. Überall hingen Bilder in Goldrahmen, die Decken waren mit aufwendigen Malereien bedeckt und ein dicker Teppich dämpfte meine Schritte. Ich konnte mich kaum satt sehen. Als ich mich umschaute, war ich plötzlich ganz alleine. Dieser überaus nette Kutscher hatte mich einfach stehen lassen! Der Palast war monströs und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Planlos und verunsichert, stapfte ich durch die Gegend. Ohne Koffer, versteht sich. Den hatte er ja natürlich behalten.

Auf einmal lief jemand in mich hinein. Doch anstatt sich zu entschuldigen, sagte er nur: „Pass auf wo du hinläufst, nicht, dass es noch Verletzte gibt. "

Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Wachmänner nett waren, doch ich antwortete nicht.

Ich drehte mich von ihm weg und lief in die entgegengesetzte Richtung davon. Nachdem ich drei oder vier mal rechts und zwei Mal, waren es nicht drei?-egal, links abgebogen war, kam ich am Schlossgarten an.

Ich trat hinaus in den Schnee und ließ mich auf eine Bank in der Sonne fallen. Als ich gerade die Augen schließen wollte, hörte ich diese vertraute Stimme: „Hallo, so schnell sieht man sich wieder."

Langsam öffnete ich eines meiner Augen. Er hatte sich über mich gebeugt, rechts und links neben ihm erblickte noch zwei andere, unbekannte Gesichter. Aber ich musste zugeben, der in der Mitte hatte echt schöne Augen. Ein helles blau mit grauen Sprenkeln.

„Sorry, kennen wir uns ?"

Er legte den Kopf schief und lachte.

"Was?" fragte ich und öffnete noch mein anderes Auge.

„Ich bin Lean und das sind meine besten Freunde Avan und Cameron."

„Oaky? Ähm, ich bin Kimberly."

Verwirrt und etwas überfordert mit der Situation schüttelte ich den dreien die Hand. Ich stand auf und klopfte mir imaginären Staub vom Kleid, als ich mit meinem Schuh an einem kleinen Kieselstein hängen blieb und der Länge nach in den Dreck fiel. Mit dem Gesicht voran.

Ich konnte mir ausmalen, wie sich die drei nun ein Lächeln verkniffen. Langsam, aber bestimmt, stemmte ich mich hoch und stellte mich wieder auf die Füße. Dann klopfte ich , diesmal echten, Dreck von meinem Kleid.

Als ich in die belustigten Gesichter aufschaute, wurde mein Kopf so rot, dass er im Straßenverkehr locker als Ampel durchgehen würde. Doch bevor ich irgendetwas zu meiner Verteidigung sagen konnte, erlöste mich ein kleines, brünettes Mädchen aus der unangenehmen Situation, das auf uns zu kam.

Sie wirkte fröhlich und hüpfte durch die Gegend. Bei uns angekommen, fragte sie an mich gewandt: „Hallo, sind Sie Miss Kimberly Rose?"

Verwirrt, dass ich schon wieder jemanden traf, der mich anscheinend kannte, antwortete ich mit einem : „Ähm ... ja. Und Sie?"

Sie machte einen Knicks und teilte mir euphorisch mit: "Ich bin Claire, ihre Zofe. Maya und Jen sind oben auf ihrem Zimmer. Sie richten gerade Ihr Ballkleid für den Fernsehauftritt heute Abend, bei dem übrigens die drei potenziellen Prinzen bekannt gegeben werden." Sie warf den Wachen einen komischen Blick zu.

„Wir haben nichts verraten." Sie machten eine Handbewegung, bei der sie ihren Mund mit einem unsichtbaren Schlüssel verriegelten. Claire zog eine Augenbraue hoch und drehte sich dann zu mir.

„Kommen Sie, es gibt in zwei Stunden Essen, wir müssen Sie noch zurecht machen."

***

Eine Stunde später stieg ich entspannt aus der warmen Badewanne. Ein Handtuch um meinen Körper gewickelt, holte ich mir die Haarbürste aus dem Schrank und ging ins Schlafzimmer zum Spiegel.

Gerade hatte ich meine Haare fertig gekämmt, da klopfte es an der Tür. Ich erwartete die Zofen und rief ein schlichtes „Herein."

Doch es war weder Maya, Jen noch Claire. Nein. Es war Lean.
Vor Schreck machte ich einen Satz nach hinten, wobei sich das Handtuch löste und ein Stückchen -bis zum Bauchnabel- herunterrutschte. Sofort griff ich nach dem lila Stoff und riss ihn wieder hoch, um meine nackte Haut zu verstecken.

Lean stand da, starrte mich an, sagte kein Wort. Dann schien er zu realisieren, was gerade passiert war und seine Augen wurden groß.

„Entschuldige, ich wusste nicht.... -ich wollte nicht stören,... Ähm....ich geh dann mal..."
Er trat aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Geschockt starrte ich auf die geschlossene Tür.

***

Ein wenig später lief ich in einem rosa Tageskleid, was meiner Meinung nach schon als Abendkleid durchginge, die Treppe zum Speisesaal hinunter. Ich hatte darauf bestanden, meine Turnschuhe anzubehalten, da ich mit hohen Schuhen womöglich die Treppe hinunter gerollt und nicht elegant gestiegen wäre. Der Vorfall von vorhin war mir so unendlich peinlich, dass ich niemandem davon erzählt hatte.

Auf dem Weg traf ich keine andere Erwählte, was wahrscheinlich daran lag, dass ich zehn Minuten zu spät war. Claire hatte darauf bestanden, meine Haare hochzustecken und als ich mir mein Glas nehmen wollte, hatte ich die ganze Schachtel mit den Haarklammern herunter geworfen.

Vor dem Speisesaal hörte man schon die angeregten Unterhaltungen der anderen 34 Erwählten. Vor der Tür holte ich noch einmal tief Luft. Ich hatte bis jetzt nie viel Aufmerksamkeit bekommen, war dies auch nicht gewohnt. Ehrlich gesagt hatte sich nie wirklich jemand -außer meiner Familie- großartig für mich interessiert.

Ich nahm die goldene Klinke in die Hand und öffnete die große Flügeltür. Es dauerte nicht mal drei Sekunden, bis alle mich ansahen. Manche Gesichter spiegelten Verwirrung, andere zeigten Neugier.

Langsam schritt ich zu dem einzigen freien Platz, etwa in der Mitte der langen Tafel. Ein unangenehmes Getuschel breitete sich aus. Ich nahm Platz und sah mir meine beiden Nachbarinnen mal genauer an. Links von mir saß ein blondes, großes Mädchen, welches ein knielanges pinkes Tageskleid trug. Sie warf mir immer wieder abschätzige Blicke zu.

Zu meiner Rechten schaufelte sich ein etwas fülligeres, kurzhaariges Mädchen ihr Essen in den Mund. Sie wirkte nicht sehr königlich. Ehrlich gesagt aß sie schlimmer als so mancher Bauer in unserem Dorf.

Etwas angewidert wollte ich mich meinem Essen widmen, als mir das Mädchen in pink ihren Glitzerschuh ins Bein rammte. Autsch! Fragend sah ich sie an.

Sie vergewisserte sich, dass niemand schaute und zischte:" Ich bin Vanessa. Das müsstest du eigentlich wissen bin ja in jeder Zeitschrift. Ach ne, stimmt, du bist ja diese kleine, arme Sechs, die nur aus Mitleid genommen wurde, da ließt man ja sowieso nicht. Traurig, dass dir mein Anblick vorbehalten wurde. Naja, lieber später als nie. Was ich eigentlich sagen wollte; ich mache hier die großen Auftritte, ja? Also halte dich schön im Hintergrund oder ich mache dir und deiner kleinen Familie, das Leben zur Hölle."

Ich zog lediglich eine Augenbraue hoch.

"Ich fange bei deinem Vater an, er wird seinen Job verlieren und..."

"Mein Vater lebt nicht mehr.." ich murmelte das nur ganz leise, doch sie schien es gehört zu haben.

"Tja, Glück für ihn. Dann ist er dich los."

Entsetzt starrte ich sie an.

Auf einmal war mir der Appetit vergangen. Ich stocherte noch ein wenig in meinem Essen herum, konnte mich aber nicht dazu durchringen, etwas zu mir zu nehmen. Schließlich stand ich einfach auf, wobei ich einem Kellner hinter mir ausversehen das Tablett aus der Hand schlug. Ich murmelte ein "Tschuldigung" und verschwand aus dem Saal.

Auf meinem Zimmer angekommen wurde ich von vier verwirrten Zofen empfangen. Beziehungsweise drei, ich glaube ich hatte zu viel Wein getrunken, da ich auf einmal doppelt sah.

Maya erklärte: „Darf ich vorstellen? Das ist Lou, meine Zwillingsschwester. Wir sind identisch, bis auf mein Muttermal am Hals." Sie deutete auf eine Stelle an ihrem Nacken, doch dann schien ihr etwas aufzufallen und sie ließ ihre Hand langsam wieder sinken.

"Miss, Warum sind Sie schon so schnell fertig mit essen? Es hätte doch bestimmt noch seine Zeit gedauert, wenn sie sich mit den anderen austauschen."

"Es gab ein paar Komplikationen mit Vanessa. Ich möchte jetzt nicht unfreundlich klingen, aber ich wäre jetzt gern ein wenig allein. Ich bin sehr müde und würde mich gern kurz hinlegen."

Die vier nickten verständnisvoll und verschwanden im Handumdrehen. Seufzend ließ ich mich auf das Bett fallen. Das war nicht so gelaufen, wie ich mir das erhofft hatte. Erst blamierte ich mich zweimal zu tiefst vor einem Wachmann, dann sah er mich auch noch nackt. Und obendrauf hatte ich auch noch das Glück gehabt, gleich bei unserer ersten Begegnung auf Vanessas schwarzen Liste zu landen. Glückspilz würde ich das nicht gerade nennen.

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