16
Regungslos blieb Hope auf dem kalten Boden des Balkons liegen. Sie nahm von ihrer Umgebung exakt gar nichts wahr. Nicht einmal, dass die Türe offen stand merkte sie. Auch den Brief, der an die offene Türe geklebt worden war, übersah sie. Sie spürte nur die Erschöpfung, die sich überall in ihrem Körper ausbreitete. Sie schloss für einen Moment die Augen. Sie wollte nicht mehr. All ihre Willenskraft hatte sich in Luft aufgelöst. Auch wenn sie nicht verstehen konnte, warum oder wie, aber sie schlief für einen Moment ein. Oder zu mindestens fing sie an zu träumen. Das Bild ihres Vaters erschien vor ihrem inneren Auge. Verwirrt und zugleich erleichtert sah sie ihren Vater an. „Dad?" flüsterte sie. Sie wagte es eigentlich gar nicht, sich zu fragen warum ihr Vater ausgerechnet jetzt kommen musste. „Hope, go to Rea's Bedroom. It's for your both best. Trust me. Please." Sagte er ruhig und bestimmt. Hope sah ihrem Vater ins Gesicht. Es sprach mehr als tausend Worte. „But Dad, Rea hates me." Sagte sie. Wenn Rea ihr unterstellte seine Gitarre zerstört zu haben, dann musste er sie ja hassen. Doch ihr Vater schüttelte den Kopf. „No, he doesn't hate you. Trust me, he loves you." Hope verschluckte sich an ihrem eigenen Atem. „He?! Me?!" Rief sie. „Never." Der Gedanke, dass Rea mehr als Hass für sie empfand, dass er mehr als nur ein nerviges kleines Mädchen in ihr sah, war schlicht und ergreifend absurd. „Hope look. Just open your eyes. Than you'll see how much he loves you. You'll see his true self." Sprach ihr Vater auf das Mädchen ein. Doch sie konnte und wollte ihm nicht so richtig glauben. „But Dad..." Doch ihr Vater schien Wiederrede nicht gelten zu lassen. „Do it. For me." Murmelte er noch. Dann löste sich das Gesicht ihres Vaters langsam auf. Als es ganz verschwunden war, saß Hope wieder alleine in der Dunkelheit.
Unter größter Anstrengung öffnete Hope ihre Augen. Alles schmerzte und am liebsten wollte sie einfach liegen bleiben und bis zum nächsten Morgen schlafen. Ihr war schwindelig bis ins geht nicht mehr, und doch tat sie es nicht. Sie öffnete ihre Augen, auch wenn alles in ihr sich dagegen sträubte. Ihre Umgebung war noch sehr verschwommen und beinahe kippte sie wieder weg. Doch wieder einmal kam ihr Kampfgeist zum Vorschein. Mit zitternden Knien erhob sie sich und fiel fast wieder hin. Gerade rechtzeitig konnte sie das Geländer neben sich ergreifen und wurde so vor einem weiteren Sturz bewahrt. Während um sie herum langsam alles anfing eine Form zu bekommen, wankte sie zur Tür. Jetzt erkannte sie auch den Zettel, der mit Klebeband an die Scheibe geklebt wurde. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie riss das Papier ab und faltete es auseinander. Darauf stand mit fein säuberlicher Schrift ein einziger Satz. Nichts Besonderes, sondern nur ein einziger, kleiner, nichtssagender Satz:
If you want to eat something, come in.
Und doch musste Hope grinsen. Um eine Sache brauchte sie sich offenbar keine Sorgen zu machen. Um Essen. Und damit war es eine Sorge weniger, die ihr das Leben schwer machte. Und das war schon einmal gut.
Langsam verschwand der Schwindel wieder und sie konnte weiter als bis zur Nasenspitze gucken. Sie stupste die Glastüre an und diese ging mit einem leisen Quetschen auf. Eine Gänsehaut überzog ihren Rücken. Mit zitternden Knien betrat sie ihr Zimmer. Es sah aus wie immer und doch war es ganz anders. Irgendwie leerer, angsteinflößender. Sie wollte keine Zeit verlieren und durchquerte schnell den Raum. Nicht einmal Zeit ihren Rucksack abzuziehen nahm sie sich. Ihre Zimmertüre war glücklicherweise aufgeschlossen und Hope konnte den stillen Flur betreten. Es war gruselig. Das ganze Haus war dunkel. Eigentlich wäre das auch nicht sonderlich verwunderlich gewesen, schließlich war es gerade einmal 1:28 Uhr, aber trotzdem beunruhigte es sie ungemein. So leise es eben ging, auf den quietschenden Holzdielen, schlich sie den Flur hinab und zur Treppe hin. Reas und Doreens Schlafzimmer war eigentlich nur in der ersten Etage. Und doch schien ihr der Weg unendlich lang und qualvoll.
Nervös hielt Hope vor der Zimmertüre an. Tausende Gedanken und Fragen flogen wie wild durch ihren Kopf. Klopfen oder nicht klopfen? – Was machen, wenn er da ist? – Und wenn nur Doreen da ist? – Was willst du denn machen, wenn Rea weg ist? Sie atmete einmal tief aus und verbannte alle Fragen aus ihrem Kopf. Mit zitternden Fingern drückte sie die Klinke des Raumes herunter. Der Raum dahinter war schwarz. Kein Licht, welches von einem Handy oder einer Lampe kam oder durch das Fenster herein fiel. Einfach nur schwarz. Hope schauderte erneut. Aber sie musste wissen, ob es ihrem Onkel gut ging. Auf einmal kam ihr der Gedanke doch ziemlich absurd vor. Immerhin war es nur ein Traum gewesen, oder? Mit vorsichtigen Schritten näherte sie sich dem Bett. Es sah für ihren Geschmack viel zu leer aus.
Immer näher ging sie auf das Bett zu bis sie schließlich davor stand. Ob sie überrascht war, wusste sie selber nicht so genau. Das Bett war leer. Sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite.
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