Kapitel 5
Alexander hatte die Hände tief in den Taschen seines offenstehenden Mantels vergraben, spürte an seinen Fingern das vertraute, weiche Material. Er war froh um die kleinen marineblauen Höhlen, die seine zusammengeballten Fäuste vor feindlichen Augen versteckten. Doch ihm war nur zu klar, dass sie seine Wut schon am verkrampften Kiefer erkennen konnte, und den steifen Schritten, die langsam hinter ihr die Treppe hinaufstapften. Oder schlicht daran, dass sie seinen Zorn offensichtlich provozierte.
Tamara Moore bedachte ihn keines Blickes, als sie an der weiß gestrichenen Tür am Treppenabsatz des zweiten Stockes innehielt. Auf ihrer blonden Mähne schimmerten die Lichtstreifen, die durch die großen Fenster des hellen, offenen Treppenhauses hereinfielen, bevor sie von der dunklen Kampfkleidung verschluckt wurden. Diese Frau war ein Teufel in Gestalt des Engels, der sich in die Farben der Hölle gekleidet hatte, um zwischen den Kreaturen der Erde nicht aufzufallen – und Alexander war ihr Opfer.
Er war nicht überrascht, als sie einen leise klirrenden Schlüsselbund aus einer Tasche ihres Gürtels zog und damit selbstbewusst die Tür aufschloss, als würde sie jeden Tag hier ein- und ausgehen. Als wäre es nicht Alexanders Wohnung, sie sie jetzt mit ihren Straßenschuhen betrat. Sein Auto, in dem sie hergekommen waren, Moore am Steuer.
Leise schnaubend folgte ihr der Journalist, einfach, weil er keine Wahl hatte, und er streifte seine Boots ab, sobald er die grauen Holzplanken des Flurs betreten hatte. Denn obwohl sich die Blondine vor ihm verhielt, als wäre sie die Hauseigentümerin, war er sich sehr sicher, dass sie das Putzen nicht übernehmen würde. Innerlich fluchend stützte er die Hände auf die hellbraune Kommode direkt neben dem Eingang und stierte sich selbst im Spiegel an. Sein schwarzes Hemd, dessen Bund in der dunkel karierten Chinohose verschwand, unterstrich seinen vor Wut blitzenden Blick nur. Alexanders Nasenflügel blähten sich, als er einen entschlossenen Atemzug nahm – er war gutaussehend, hatte Charisma, und würde sich ganz sicher nicht von einer Agentin fremdbestimmen lassen.
Er sah auf, als er ein Knarren weiter hinten im Appartement hörte. In seiner Wohnung gab es nur eine Tür, die sich nicht lautlos öffnen ließ, weshalb er sich jetzt mit einem kurzen Kopfrucken von dem niedrigen Schrank abstieß und mit festen Tritten den Weg zum Wohnzimmer einschlug. Seinen Mantel schüttelte er sich nebenbei von den Schultern, aber nur, um ihn in einer dramatischen Geste auf den Ledersessel rechts neben der knarzenden Tür zu werfen, sobald er Moore gefolgt war. Die Blondine stand seitlich zu ihm auf der linken Seite des Raums, scheinbar interessiert das Regal mit den Whiskeyflaschen betrachtend, aber Alexander wusste, dass sie ihn genau im Blick hatte.
Mit schnellen Schritten durchmaß er den Raum, sah aus dem linken Augenwinkel sein eigenes Spiegelbild im der schwarzen Fläche des Fernsehers vorbeirauschen, und hatte dann den Abstand zwischen sich und Moore überbrückt. Seine Arme stieß er nach oben, spürte die harten Kanten des Regals in seinen Handflächen und eine der kühlen Glasflaschen an den Fingerspitzen. Die Agentin blinzelte ungerührt zu ihm hoch, wich nicht um Millimeter zurück, und seine funkensprühenden Augen hielten ihre für einen Moment fest. Er atmete flach, spürte seine eigenen Muskeln zittern und heiße Wut in sich aufkochen, während die Blondine kalt blieb. Ihre Wimpern flatterten regelmäßig, gingen nicht auf die Herausforderung ein, und Alexander hielt ihren intensiven Blickkontakt nur für wenige Sekunden aufrecht. Er wusste, dass sie ihm körperlich überlegen war, binnen Sekunden wieder angemessenen Abstand herstellen könnte. Doch er hatte sie nicht bedrohen wollen, sondern nur auf ihre ungeteilte Aufmerksamkeit abgezielt, und er wandte sich ruckartig wieder von ihr ab.
„Ich weiß seit einer halben Stunde von Ihrer Existenz", machte er laut deutlich, den Rücken zu ihr gewandt, während er rasch auf das Fenster schräg gegenüber des Fernsehers zuging, wo der Rollladen von gestern früh noch heruntergelassen war. Das vertraute schabende Geräusch ertönte, als Alexander mit betont ruhigen Bewegungen das Tageslicht ins Zimmer ließ, in dem die vom Fensterbrett aufgewirbelten Staubpartikel fröhlich tanzten. „In dieser Zeit haben Sie bereits Hausfriedensbruch begangen, mich meiner Freiheit beraubt und mein Eigentum entwendet", machte er weiter, als die Stille seinen Worten wieder genug Raum gab. Sein Blick glitt kurz prüfend durch das Zimmer, doch er vermied es bewusst, Moore auch nur an den Rand seines Sichtfeldes zu bekommen.
Ohne zu zögern strebte er das graue Sofa gegenüber von ihr an, wo grüne Kissen passend zu den Zimmerpflanzen links und rechts des Fernsehers drapiert waren. Und seine Ledertasche, die er im Vorbeilaufen ergriff und in das Regal neben der Wohnzimmertür beförderte. Dann drehte er sich ruckartig wieder um, stützte seine linke Hand auf die Rückenlehne des Sessels, wo sein fester Griff den sowieso schon lädierten Mantel zerknitterte.
„Aber natürlich, ich vergaß... verzeihen Sie mir." Seine Stimme wurde leiser, und sein Blick verhakte sich wieder mit ihrem. Sie stand nach wie vor gegen die Wand gelehnt, direkt über ihrem Kopf das Regal, dessen Flaschen genau auf seiner Augenhöhe waren. Dieser Größenunterschied würde ihm im Ernstfall nicht helfen, aber Alexander fand darin doch die Bestätigung für das falsche Lächeln, das er um seine Lippen kräuseln ließ. „Wie war das mit dem Folterskandal, der nie angeklagt werden konnte? Menschenrechte gelten für die CIA natürlich nicht." Er senkte sein Kinn leicht, starrte ihr raubtierhaft entgegen, lauernd und herausfordernd – doch Moore ließ sich nicht zur Beute machen.
„Wenn Sie einen Folterskandal wollen, nur zu", meinte sie in dieser leicht rauchigen Stimme, die für ihren kleinen Körper etwas zu tief wirkte. Offensichtlich wusste sie sehr wohl, wie sie ihre Worte zu wählen hatte, aber mit dieser Klangfarbe hätte sie noch viel intensiver arbeiten können. Alexander kippte seinen Kopf leicht auf die Seite, noch immer in schlechter Stimmung, aber auch ehrlich interessiert an dem Gespräch. Er fühlte sich wie im Interview mit dem Psychopathen im letzten Jahr... und vielleicht war Moore auch genau das.
„Sie brauchen mich nur hier rauszuschmeißen." Diese Stimme... Alexanders Hand rutschte von der glatten Oberfläche des Ledersessels, als er unbewusst einen Schritt nach vorn machte. Er hätte sie als Waffe verwendet, wie andere mit Messer und Pistole kämpften, genauso schneidend, genauso zerfetzend. Aber Moore, die sich ihres Tons wohl bewusst wahr, schien diese Möglichkeit willentlich nicht zu wählen, ganz, als hätte sie es nicht nötig.
„Wieso sollte ich darauf vertrauen, dass Sie mich auch schützen können, wenn ich Sie nicht rausschmeiße?", gab Alexander zurück, sich mit leicht verengten Augen wieder fangend. Er verschränkte die Arme, um abwehrend zu wirken, und zielte darauf ab, sie aus ihrer Reserve zu locken. „Selbst im Vergleich zu mir, der ich meine Kämpfe ohne körperliche Kraft austrage, wirken Sie schwach. Ein schwindendes Lämpchen im Theaterspiel, das sich auf die wahren Protagonisten ausrichten lässt, um Andere ins Scheinwerferlicht zu rücken." Wie ein Spiegel trat auch die Agentin etwas vor, legte ihren Kopf schief, aber an der Art, wie sie sich bewegte, wurde deutlicher, dass sie jeden Fuß bewusst setzte. Ihr Körper schien nie unsicher zu stehen, sie war genauso fest mit dem Boden verankert wie Alexander sich rasch in Fantasiebilder erheben konnte.
„In den Schatten kämpft es sich besser", war das Einzige, was ihre vollen Lippen formten, und er schnaubte leise.
„Gut genug, um denjenigen zu schützen, der mit den Schatten wandelt?" In einer raschen Bewegung ließ er sich zurückfallen, in die willkommenheißende Umarmung des Ledersessels, und ein Anflug von Genugtuung schlich sich auf sein Gesicht. Es war ihm nicht entgangen, wie Moores Hand bei dieser plötzlichen Regung zu ihrem Gürtel gefahren war. Seine Oberlippe kräuselte sich spöttisch, und er lehnte sich entspannt zurück, den rechten Fuß auf seinem linken Knie ablegend. „Ich brauche Sie nicht."
Moore antwortete ihm nicht, sondern steuerte mit unveränderter Miene die Tür an, und Alexanders Blick folgte ihr wie ein Magnet. Sie schien immun zu sein gegen jegliche Provokation, aber das war definitiv nicht das Einzige, was sein Wortschatz zu bieten hatte. Auch diese Nuss würde er knacken – wie den Waffenhändler im letzten Monat. Wie den Drogendealer davor. Wie jeden seiner Protagonisten.
„Sie schlafen heute im Gästezimmer, das ist das einzige ohne Fenster", erklang die melodische Stimme aus dem Flur, und Alexander verdrehte die Augen.
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