Kapitel 16

Sie liefen Schulter an Schulter, er ein Stück hinter ihr, immer wieder nervös zurückblickend. Moores Schritte waren sicher, aber nicht überhastet, und Alexander musste seine Muskeln zwingen, nicht in eine panische Hatz überzugehen.
„Wir befinden uns in einem ehemaligen Bürogebäude", statuierte die Agentin knapp, ohne sich umzudrehen, „Vier Ausgänge. Eine Feuertreppe, von der wir nicht wissen, wo sie mündet, keine Option für uns. Die Kellerzufahrt für Fahrzeuge ist zu weit unten. Neben- und Haupteingang befinden sich nur einen Stock unter uns, wir nehmen den, der uns als erstes im Weg liegt."

Alexander verschwendete seinen wertvollen Atem nicht darauf, nachzuhaken, woher sie diese Vermutungen nahm. Vermutlich hatte sie doch irgendwo ein Fenster gesehen, als die Mafiosi sie abgeführt hatten, oder sie spürte einen Luftzug, den der Journalist in seinem leicht dehydrierten Zustand einfach nicht wahrnahm.
Er scannte den Gang hinter ihm erneut mit den Augen ab, bevor er eine kurze Antwort gab: „Wir nehmen die Fahrzeugauffahrt."

Moore verlangsamte ihren Schritt, als sie um die Ecke am Ende des Flures Bogen, und heftete ihren Blick auf das Treppenhaus wenige Meter vor ihnen. „Sicher nicht."
Alexander war noch zu erleichtert, dass sie wieder in Aktion getreten war, als jetzt Zorn in sich hochkochen zu lassen. „Mein Mantel muss noch im Taxi sein. Ich verlasse dieses Gebäude ohne ihn nicht."

Diese Aussage war es ihr wert, um ihm einen kurzen ungläubigen Blick über die Schulter zuzuwerfen. „Manchmal bist du wirklich dämlicher, als du aussiehst. Sicher nicht." Ihre Aufmerksamkeit hatte sich längst wieder auf die steinernen Stufen gerichtet, die sie so leise wie möglich heruntereilte. „Und wenn ich dich bewusstlos schlagen muss und am Fuß rausschleife. Wir nehmen den erstmöglichen Ausgang."
Alexander verdrehte die Augen – er wusste zwar, dass sie das sehr wohl ernstmeinte, aber mit der Zeit hatte er sich einen inneren Schild aus Gelassenheit gegenüber ihrer Aussagen aufgebaut. „Dieser Mantel, Moore, bedeutet mehr als nur-"
Er verstummte mitten im Satz.

Es gab nur wenig, was ihn unterbrechen konnte, aber zwei entsicherte Pistolen, die auf ihn zielten, gehörten definitiv dazu.
Der Muskelprotz – Santino, hatte Cougar ihn genannt – stand in einer Art kleinem Atrium, eine Tür in seinem Rücken, unter deren Rand helles Tageslicht hervorleuchtete. Die Gesichtslosen flankierten ihn, beide völlig in Schwarz gekleidet, mit ausdruckslosen Mienen.

„Hat Mummy euch nicht gelehrt, dass es unhöflich ist, zu gehen, ohne sich zu verabschieden?" Alexander fuhr herum, stolperte beinahe auf den schmalen Stufen. Cougar schlich lächelnd die Treppe hinunter, lässig lächelnd, die linke Hand auf dem rostigen Eisengeländer.
Der Journalist tat einen tiefen Atemzug, zuckte nur leicht zusammen, als Moore hinter ihm eine plötzliche Bewegung machte und ihre Körperwärme aus seinem Kreuz verschwand. Er drehte nicht einmal den Kopf, blendete den Schuss aus, der die Luft zerfetzte. „Keinen Schritt weiter", sagte er langsam und deutlich über die Geräuschfetzen in seinem Rücken hinweg.

Der Berglöwe war bereits stehen geblieben, zog aber mit abfällig-amüsiert gehobenem Mundwinkel eine Augenflamme hoch. „Dir ist bewusst, dass ich dich innerhalb von Sekunden aus dem Weg räumen werde?"
„Natürlich." Alexander neigte leicht seinen Kopf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Und dann? Was dann? Sie wird nicht erneut gegen dich kämpfen. Was tust du, wenn sie sich nicht wehrt? Wenn sie dich nicht aufhält, sie zu töten?" Er kannte den blonden Mafiosi nicht, hatte kaum Informationen zu seiner Vorgeschichte. Aber er kannte Moore.

Die Augen seines Gegenübers verengten sich kaum merklich, bevor er seine Stimme wieder betont fest erklingen ließ. „Sobald ich dich getötet habe, gibt es nichts, was sie noch hier hält. Wenn es keinen Klienten mehr gibt, den sie schützen muss, wird sie sich selbst in Sicherheit bringen." Beinahe hätte der Journalist geschmunzelt. Das klang, als würde Cougar davon ausgehen, Moore hätte Angst vor seiner Mafiatruppe... Das war lächerlich.
„Du kennst sie besser als ich", sagte er schlicht, „Du weißt, dass ich mehr bin als ein Klient. Ein Köder, der zum Kumpan geworden ist. Meine Eloquenz und ihre Eleganz ziehen einander an wie Magnete."

Der Mafioso zögerte. Scheinbar unbewusst schlichen sich seine Finger wieder an das klapprige Geländer, und Alexander bemerkte, wie sich die ohnehin schon gebräunte Haut seiner Handfläche durch den Rost noch dunkler verfärbte. „Es geht hier nicht um Fox", sagte er langsam, suchte den Blick des Journalisten wie von selbst. „Sie steht nicht zwischen mir und dir, Peyton."

Alexander lehnte den Kopf leicht zurück, schloss mit freudlos erhobenen Mundwinkeln kurz die Augen. Er zeigte seine Kehle offen und wehrlos dem Berglöwen, der keine Anstalten machte, seine Beute zu erlegen. „Es geht immer um sie." Er sah zu Cougar auf, der noch immer zwei Stufen über ihm stand – auch wenn er keine Agentenausbildung gehabt hätte, wäre er in einem Kampf noch um Weiten übervorteilt gewesen.
„Um Fox dreht sich im Hier und Jetzt unsere Welt. Oder kannst du mir da widersprechen, Lev?"

Für einen Moment sah es so aus, als hätte Alexanders Taktik funktioniert. Er hatte den ehemaligen Namen Cougars so flüssig, so selbstverständlich hervorgebracht, dass sein Gegenüber nicht einmal überrascht schien. Für einen Moment verschwanden die Grenzen zwischen CIA-Agent und Mafioso.
Der Blick der hellen braunen Augen war abwesend, ging über Alexanders Schulter hinweg, wo sich dumpfe Schreie und harte Schläge zu einer seltsam abstrakten Hintergrundmusik mischten.
„Fox ist tot", brachte Cougar langsam hervor, „Schon seit Jahren."

Innerlich lächelte der Journalist. Seine Augen leuchteten und er atmete tief durch, ruhig, entspannt. Äußerlich legte er bloß die Stirn in Falten und schüttelte sachte den Kopf. „Eiskalte CIA-Agenten bringen verräterische Mafiosi um", formulierte er mit kaum merklich bebender Stimme, „Sie ist keine kalte Agentin. Irgendwo unter diesen Masken aus Eis und Stein und Metall versteckt sie sich noch, wartet darauf, hervorgelockt zu werden."
Alexander war es gewohnt, zu lügen, um seinen eigenen Hals zu retten. Aber über diese abstrusen Worte wäre er beinahe gestolpert. Es hatte eine Weile gedauert, bis er begriffen hatte, wer Moore war – dass sie weder die war, als die sie geboren wurde, noch die, zu der sie sich entwickelt hatte. An irgendeiner Stelle ihres Lebens hatte sie sich in den falschen Identitäten verloren.
Aber das hieß nicht, dass sie verloren war.

Wenn es nichts gab, was eine Maske verbergen konnte, dann gab es auch die Maske nicht.
Die Agentin war die, die sie vorgab zu sein, in jeder Sekunde ihres Lebens. Gegenüber Alpin war sie eine zuverlässige Waffe, der keine Emotionen in den Weg kamen. Gegenüber Moretti eine wunderschöne junge Frau, die sorglos inmitten von Verbrechern ein Abendmahl genießen konnte. Und gegenüber Alexander war sie Moore.

„Verräterische Mafiosi bringen wehrlose Unschuldige um", setzte er zu seinem finalen Schlag an, und Cougars Blick fokussierte sich wieder. Sein Arm auf dem Handlauf zitterte.
„Genauso wenig, wie Moore eine skrupellose Spionin ist, bist du ein Verräter. Und ich bin kein Unschuldiger." Alexander breitete die Hände halb aus, nahm den Kopf zurück, als wöllte er über seine Schulter schauen. „Ich stehe zwischen dir und ihr. Das ist nicht richtig."
Für seine letzten Worte wandte er sich Cougar vollständig zu, ließ die Hände sinken. „Sie hat erzählt, was du ihr bedeutest."
Der Kampflärm war leiser geworden, aber Alexander bezweifelte, dass der Mafioso das mitbekommen hatten. Dessen Augen klebten auf dem Journalisten, suchten hungrig nach einem Zeichen, das er allein finden konnte.

Langsam, vorsichtig, setzte Alexander einen Fuß zurück. Er bewegte sich völlig kontrolliert, mit flachem Atem – verletzte Raubtiere waren gefährlich. Der Berglöwe ließ seine verengten Augen nur kurz auf ihm verweilen, bevor er eilig den Raum absuchte. Nur einen winzigen Moment, bevor er sich ruckartig umdrehte und die Treppe hochstürmte, verzogen sich die Lippen des Journalisten zu einem Lächeln.
Auch Alexander fuhr herum, nach Luft schnappend, als er endlich sein Schauspiel fallen lassen konnte.

Einer der Gesichtslosen lag bewegungslos auf der linken Seite des Raumes am Boden, und überall auf den zersprungenen Fliesen fanden sich verwischte Blutspuren.
Der Journalist stockte, blieb mit dem Blick an dem niedergestreckten Mafioso hängen. Er konnte nicht erkennen, ob der Mann noch atmete, doch allein der Gedanke, dass Moore fähig war-...
Alexander schloss die Augen, lauschte seinen eigenen Atemzügen und dem rauschenden Blut in seinen Ohren. Sie hatte ihm den Weg geebnet.

Eilig trat er auf den Haupteingang zu, wäre auf dem feuchten Boden beinahe ausgerutscht. Seine Augen waren fest auf die Tür gerichtet, ließen sich nicht von den Spuren des Todes um ihn herum ablenken. Doch einige Meter, bevor er das rettende Tageslicht erreichen konnte, nahm er die Schatten wahr – an der Türschwelle flackerte etwas, was die Sonnenstrahlen blockte.
Alexander resignierte. Seine Angst war erschöpft, seine Energie beinahe aufgebraucht. Langsamer als zuvor wandte er sich nach links, wo eine schmalere Tür in die Wand eingelassen war.

Seine Wahl war zufällig gewesen, er hatte nicht gewusst, dass hinter dem Raum, in den seine Schritte ihn führten, der Seiteneingang lag. Er fühlte sich seltsam taub, als er mit dem Fuß die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen ließ, sich abriegelte von den Gefahren in seinem Rücken.
Nur die Gefahr vor ihm konnte er nicht blocken.

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