Kapitel 12
Alexander und Moore standen Schulter an Schulter, und ihre federleichte Berührung an seinem Oberarm wirkte auf ihn wie ein Anker im stürmischen Ozean. Oder vielmehr, wie das Boot, das ihn von den Haien trennte, die bereits ihre Kreise um ihn zogen.
Der Mann, der sie aus dem dunklen Raum hinausgeführt hatte, war verhüllt gewesen, seine Wesenszüge unkenntlich gemacht. Für den Journalisten, der seine Geschichten am liebsten in Menschen las, war das das einschüchterndste Auftreten, das ein Fremder haben konnte. Sie waren einen fensterlosen Flur hinuntergegangen, mit unverkleidetem Betonboden und kühlen, schmutzig-weißen Wänden. Der Raum, in dem die Haie gewartet hatten, war schlicht – kaum zehn Quadratmeter groß und ohne jegliche Innenausstattung abgesehen von Kameras hoch oben in den Ecken.
Gegenüber des Eingangs, durch den sie gekommen waren, befand sich eine weitere Tür, ebenso an der Wand auf der linken Seite. Aber Alexander bezweifelte, dass sich dahinter mögliche Fluchtwege befanden, denn obwohl sie nicht einmal gefesselt waren, war das keineswegs ein gutes Zeichen. Das hieß nur, dass die Mafiosi es nicht einmal für nötig hielten, ihre Gefangenen sicherzustellen. Es war eine schiere Machtdemonstration...
Aber für Alexander machte es keinen Unterschied, ob er gefesselt war oder nicht. Solang er noch die Chance hatte, den Mund zu öffnen, sollten die Männer vor ihm vor Angst schlottern.
Sie waren zu viert, nicht wesentlich mehr als Morettis Truppe, die Moore ohne mit der Wimper zu zucken im Alleingang erledigt hatte. Aber zwei von ihnen, der Gesichtslose, der sie hierhergebracht hatte, und ein weiterer Mann in schwarzer Kampfkleidung, hielten ihre Pistolen auf Anschlag.
Die beiden anderen waren klar die Wortführer in ihrem Verhör: Einer der beiden hatte einen Vollbart, aber abrasierte Haare, und trug am Oberkörper nichts als eine lederne Weste – was seine gewaltigen Muskeln perfekt präsentierte. Seine kleinen Augen blickten geradezu hungrig auf Alexander und Moore herab, und sein Bizeps schien immer wieder zu zucken – als gierte er förmlich auf einen Fehltritt, wünschte sich einen Kampf herbei.
Der letzte ihrer Entführer war der einzige, der in keinster Weise bedrohlich auf Alexander wirkte. Er wirkte etwas verloren in seiner weiten Bomberjacke, und die zurückgegelten blonden Haare machten zusätzlich den Eindruck eines Grünschnabels, der verzweifelt nach Coolness suchte.
Der Journalist mahnte sich selbst zur Vorsicht, denn Moore hatte ihren Blick eindeutig auf dem Sunnyboy liegen – das machte ihn wohl zum gefährlichsten ihrer Gegner.
Er öffnete seine sichtbar rissigen Lippen und ließ seine schleppende Stimme durch den kalten Raum dringen, dessen Wände ein leichtes Echo warfen: „Ihr wisst, warum ihr hier seid?"
Alexander schnaubte leise, und an seinem Oberschenkel spürte er deutlich, wie Moore warnend ihre Finger spreizte. Das gekonnt ignorierend antwortete er selbstbewusst: „Natürlich. Ihr habt uns hierher entführt." Er sah dem Mafioso offen in die Augen und nahm die Schultern um wenige Millimeter zurück. „Ihr seid es, die nicht wissen, warum wir hier sind."
Der Fremde ließ ein leises Lachen hören, und Alexanders Aufmerksamkeit schoss in die Höhe – das sanfte Grollen tief aus der Kehle des Mafiosos war beinahe animalisch gewesen. „Deine Spielchen werden dich hier nicht weiterbringen, Peyton", brachte er amüsiert hervor, und der Glatzkopf neben ihm ballte die Hände kurz zu Fäusten. „Du hast zu wenig Angst. Damit ich die Furcht in euer beider Augen auskosten kann, erlaube mir, mich kurz vorzustellen..." Er machte eine übertriebene Verbeugung, bewegte die Finger in einer dramatischen Geste durch die Luft, und blickte von unten zu Alexander hoch. „Sie nennen mich Cougar, den Berglöwen. Und mir ist es egal, ob ich mit meinem Essen spiele oder nicht."
Der Journalist musste sich zusammenreißen, um nur die Mundwinkel zu heben und nicht etwa in ein Schmunzeln auszubrechen. Der intensive Blick des Mannes war nicht manisch genug, die braunen Augen zu matt – und der Spitzname lächerlich. Viel zu offensichtlich bei den sandfarbenen Haaren und der gebräunten Haut.
Was ihm fehlte, war Charisma. Er sollte froh sein, dass Alexander davon genug für sie beide hatte.
„Du bist der letzte deiner Art, Cougar", sagte der Journalist, und sein Timbre vibrierte förmlich. Seine Stimme war tief und die Worte langsam, nur halblaut, sodass sie sich konzentrieren mussten, um ihn wahrzunehmen. „Der Berglöwe der Ostküste ist seit vielen Jahren ausgestorben. Wenn du nicht auch diesen Pfad gehen willst, dann höre."
Er schloss seinen Mund, ließ diese Worte nachhallen – aber nicht so lang, dass Cougar sich erholen könnte, der mitten in der Bewegung erstarrt war.
„Du hast Angst davor, Cougar, und das zu Recht." Alexander sah deutlich, wie etwas im Blick seines Gegenübers aufblitzte, und er schob rasch hinterher: „Nicht vor mir. Innerhalb von Sekunden wäre ich Staub unter deinen Stiefeln. Aber vor deinem Boss, dessen Identität ich nicht kenne." Er sah dem Blonden direkt in die Augen und schüttelte sacht den Kopf. „Die Informationen, die ihr bei mir in Gefahr gewägt habt, sind für mich unwiederbringlich verloren. Und du weißt das. Aber die Informationen, die ich hier erfahre..." Er schloss seine Augen, nur wenige Millisekunden zu lang, um als Blinzeln durchzugehen. „Die Informationen, die ihr mir Tag für Tag zukommen lasst, an die erinnere ich mich. Der Hirsch, den der Puma erlegt, erkennt die Identität seines Jägers. Und wenn es nur die letzten Sekunden seines Lebens sind... der Hirsch wird schreien, in Panik, und dieser Schrei wird seine Brüder und Schwestern warnen. Die Informationen werden sich verbreiten, ob ihre Quelle nun lebt oder stirbt... Der Jäger selbst hat die Jagd umgekehrt."
In seiner dramatischen Pause war ein leises Grunzen des Muskelprotzes zu hören, aber Alexander wandte seine Augen für keine Sekunde von seinem Opfer ab. Denn anders, als er ihn glauben ließ, war nicht der Cougar die lauernde Raubkatze von ihnen.
Doch Alexander ebenso wenig.
„Feuer", sagte er, und er ließ seine Zunge um das Wort tanzen, kostete jeden Buchstaben aus – ein Aufflackern seiner flammenden Stimme. „Das ist, was-"
Und sie sprang vor, die Löwin, kam wie die angekündigte Feuersbrunst über ihr Opfer.
Alexander zuckte zurück, erschrocken von der plötzlichen Eskalation, aber der Wirbel aus Schreien und Sprüngen war genauso schnell vorbei, wie er gekommen war. Der Glatzkopf war zur Seite gehastet, stand nun links von Alexander, vermutlich, um ihn im Ernstfall schnell überrumpeln zu können. Die beiden Wachen an den hinteren Türen hatten ihre Trigger entsichert und auf Moore gerichtet, die am Boden lag, die Beine fest um den Oberkörper Cougars geschlungen. Sein rechter Arm hing aus dieser Umklammerung hinaus, aber sie hatte ihn mit ihrem Ellenbogen abgeklemmt, um ihn in einem Hebel zu halten, bereitete ihm derartige Schmerzen, dass jegliche Bewegung unmöglich war.
Und ihre Finger hatten sich unterhalb seiner Nase festgekrallt, überstreckten sein Genick nach hinten – bereit, es bei jedem Anzeichen von Widerstand zu brechen.
„Schießt, und ich nehme ihn mit in den Tod." Ihre Klangfarbe hatte diesen vertrauten, rauen Ton, und ihr Atem ging ruhig. Sie wandte ihre Augen nicht von Cougar ab, aber sie sprach ganz klar die bewaffneten Mafiosi an. „Senkt die Pistolen und wir können verhandeln. Wir wollen leben, und ihr ebenso."
Alexander kräuselte die Oberlippe, spürte sein Herz wieder in einem stetigen Rhythmus schlagen – er erholte sich von seinem Schreck und wusste sofort wieder, warum er zuvor das Reden übernommen hatte.
Die schwarzgekleideten Mafiosi an den Türen zeigten keine sichtbare Reaktion, und Moore zog den Kopf ihres Gegners weiter zurück – die letzten Millimeter, bevor es gefährlich für ihn wurde. Am überdehnten Hals des wehrlosen Mannes flatterte die Halsschlagader deutlich, und sein Adamsapfel hüpfte leicht, als er die Lippen spaltete.
Alexander brauchte einen Moment, das Geräusch einzuordnen, das aus dem Cougar hervorbrach – es war rau und leicht schrill, dreckig, roh. Er lachte.
„Töte mich", brachte er hervor, etwas dumpf, weil seine Mundpartie von ihrem festen Griff eingeschränkt wurde. „Komm schon, Tori... Mit Santino wirst du vielleicht fertig, und die Marionetten sollte dein Papagei unter Kontrolle bekommen." Er hustete halb unterdrückt, versuchte offensichtlich, seine Kehle stillzuhalten. „Isaac hätte es getan."
Moore gab keinen Ton von sich, zeigte durch nichts, wie sehr sie diese Worte trafen. Aber Alexander wusste, dass sie – auch wenn sie plump gewählt waren – einen größeren Einfluss auf sie nahmen, als es seine Sätze je gekonnt hatten. Ihr Kiefer spannte sich an und ihre Augen weiteten sich, aber vor allem zögerte sie.
Diesen einen Moment, kaum einen Wimpernschlag lang, nutzte der Gesichtslose, um seine Pistole auf ein neues Ziel auszurichten. Und natürlich war das Alexander.
Er biss die Zähne zusammen und starrte geradewegs auf den schwarzen Lauf, dahinter die Gestalt, die für ihn ebensolche Dunkelheit war. Nur aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass Moore aufgab, spürte das Ausstoßen ihres Atems mehr, als dass er es hörte. Sie lockerte ihren Griff, und der Berglöwe blieb für einige Sekunden noch in derselben Position liegen, gelähmt von den überstandenen Schmerzen.
Alexander stand still, drehte sich nicht um, als hinter ihm Schritte ertönten. Er rührte sich nicht, als der Muskelprotz ihm die Arme auf den Rücken bog, metallene Schellen um seine Handgelenke gelegt wurden. Nur sein Blick fokussierte sich neu, auf Moore, die ihren Kopf zu Boden hatte sinken lassen. Sie war ebenfalls gefesselt, aber nur an den Daumen, deren Knöchel Cougar zusammengepresst hatte – die zuverlässigste Methode des Sicherstellens.
Er stolperte beinahe blind los, als der Glatzkopf ihn vorwärtsstieß, realisierte im ersten Moment nicht einmal, dass er ihm von hinten Panzerband als Knebel über den Mund zog.
Dann schloss er die Augen, ergeben, erstickt – entwaffnet.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top