Kapitel 11
Die Stimmung im Taxi war bestenfalls als angespannt zu beschreiben.
Abgesehen vom stetig brummenden Motor waren kaum Geräusche zu hören, denn zwischen Alexander und seiner Personenschützerin hatte sich eine unangenehme Stille ausgebreitet. Sie zeigte ihm wortwörtlich die kalte Schulter, hatte ihm nur den nackten linken Oberarm zugewandt und ihren Blick aus dem Fenster gerichtet. Ihr bodenlanges Kleid wurde von breiten Trägern gehalten und war lockerer, als es normalerweise Moores Stil zu sein schien – Alexander vermutete stark, dass sie darunter noch immer ihre schwarze Sportkleidung trug.
Unruhig ließ er seinen Blick durch das Taxi schweifen, das abgesehen vom ausgeschalteten Navi unter dem ebenfalls toten Autoradio nicht viel zum Betrachten hergab. Im Rückspiegel konnte er einen Teil seines eigenen Spiegelbilds sehen, den Ausschnitt seines grauen Hemdes und die dunkelgelbe Krawatte. Er schaffte es, selbst dieses lächerliche Kleidungsstück mit Würde zu tragen, immerhin ergänzte sie seine schwarze Hose mit hauchfeinen gelben Karos perfekt.
Am Hinterkopf des Fahrers direkt vor ihm war nur ein brünetter Haaransatz zu erkennen, der in den Rand einer abgetragenen braunen Schiebermütze überging. Deutlicher hörte Alexander den leicht pfeifenden Atem des Manns mittleren Alters, der zwar leise war, ihm aber dennoch seit den ersten fünf Minuten auf die Nerven drückte.
Leise seufzend lehnte sich der Journalist in die steife Lehne der Sitzbank zurück, so gut das eben möglich war, und wischte sich die Hände an seinem Mantel ab. Der dunkelblaue Stoff lag zusammengeknüllt auf dem leeren Zwischensitz, denn mit einer zusätzlichen Schicht Kleidung wäre es im Wagen viel zu warm gewesen. Ein schneller Blick bewies Alexander, dass der Temperaturregler am Armaturenbrett auf 26 Grad gestellt war, und die Klimaanlage war nicht eingeschaltet. Deswegen roch es hier drin so muffig – zwischen den Lamellen der Lüftung klemmte zwar einer dieser Frischestreifen, aber der nützte auch nichts in deaktiviertem Zustand.
Auch im Nacken des Fahrers erkannte Alexander Schweißtropfen, weshalb er jetzt seine ausgetrockneten Lippen öffnete: „Sir, wollen Sie nicht die Klimaanlage einschalten? Es ist sehr warm hier drin."
Der Taxichauffeur reagierte nur mit einem Brummen, aber nachdem er beim Abbiegen einen Gang runtergeschaltet hatte, streckte er seine rechte Hand nach dem silbernen Knopf mit der Aufschrift A/C aus. Zufrieden ließ der Journalist seine Aufmerksamkeit aus dem Fenster schweifen, wo die Mittagssonne sich in den Fenstern einiger Fabriken spiegelte. Die Straßen hier waren erstaunlich wenig befahren, insbesondere für New York zu Tageszeiten, aber sie hatten mittlerweile Bronx erreicht – hier waren die Zustände immer etwas anders als in Manhattan.
Alexander tat einen tiefen Atemzug, zufrieden mit dem kühlen Luftzug, der jetzt seine Lungen erreichte – die Lamellen der Lüftung waren genau auf die Rückbank ausgerichtet. Er war drauf und dran, seinen Kopf entspannt gegen die Fensterscheibe zu lehnen, da stockte er mitten in der Bewegung.
Sein Hals war in einem merkwürdigen Winkel zur Seite verdreht, aber von einer Sekunde auf die andere wagte er keine falsche Bewegung mehr. Seine aufgerissenen Augen hatten sich am silbernen Knopf der Klimaanlage festgesetzt – wo auf dem hellen Material deutlich ein Fingerabdruck zu sehen war. Blutrot.
Mit beschleunigtem Herzschlag wanderte sein Blick nach unten, zum Schalthebel, dessen schwarze Färbung zwar deutliche Abdrücke verhinderte – aber die hellen eingestanzten Zahlen waren ebenfalls dunkelrot verfärbt.
Ihrem Taxifahrer, wenn es denn einer war, klebte Blut an den Fingern.
Für einige Sekunden spürte Alexander nur seinen eigenen Herzschlag in den Ohren rauschen. Er wagte es nicht, seine Augen auch nur für einen Wimpernschlag von den entsetzlichen Spuren am Armaturenbrett abzuwenden.
Der Mann direkt vor ihm, der mit seiner Schiefermütze so normal wirkte, hatte einen Menschen verletzt, getötet, wenn Alexander aufhörte, sich selbst zu belügen. Und er zweifelte nicht daran, dass ihr Entführer seine Tat wiederholen würde.
Zitternd ließ er seinen angehaltenen Atem aus, krampfhaft darum bemüht, keinen Laut von sich zu geben. Was ihm selbstverständlich nicht gelang – seine Spezialität waren Worte, die jede Stille füllten, nicht das Schweigen selbst. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr, und beinahe wäre er zusammengezuckt. Doch es war nur Moore, die ihren Kopf zu ihm umgewandt hatte, und Alexander schnappte nach Luft. Sie würde ihn retten. Musste den falschen Fahrer längst bemerkt haben. Moore würde ihn zur Rechenschaft ziehen, vielleicht sogar den unschuldigen Taxichauffeur, der ihm zum Opfer gefallen war, wieder auffinden können.
Alexander hielt erneut inne, irritierter diesmal – von seinen eigenen Gedanken. Wer war er, dass er sich darauf verließ, andere würden in Aktion treten? Natürlich könnte er genauso gut selbst... mit Worten...
Der Journalist öffnete seinen Mund, obwohl sein Kopf merkwürdig leer war. Doch zum ersten Mal in seinem Leben flossen die Sätze nicht wie von selbst aus ihm heraus, er hatte nicht genügend Material, um ein Sicherheitsnetz zu weben – ja, nicht einmal Fetzen waren übriggeblieben. Er brachte nur ein heiseres Krächzen heraus, das nicht einmal Alexander selbst deutlich hören konnte.
Er schluckte mehrfach im vergeblichen Versuch, den Druck von seinen Ohren nehmen zu können, und spürte überdeutlich die Schweißtropfen auf seiner Stirn. Unendlich langsam hob er die rechte Hand, wollte sich über den Kopf streichen, aber seine eigenen Gliedmaßen waren plötzlich so unendlich schwer...
Seine Augen irrten für einen Moment ziellos umher, bevor sie endlich auf seinem letzten Ausweg landeten. Moore. Moore könnte... sie würde...
Verschwommene blonde Strähnen, die wie ein Heiligenschein um ihren Kopf lagen, waren das letzte, was Alexander wahrnahm, bevor das Gas aus der Klimaanlage ihn in die Bewusstlosigkeit schickte.
~*~
Sein Atem war unregelmäßig und abgehackt. Er fror bitterlich, schützte sein dünnes Hemd seinen Oberkörper doch kaum vor der Kälte hier – wo auch immer hier war. Im Gegenteil, an seinem unteren Rücken klebte es durch erkalteten Schweiß unangenehm klamm an seiner Haut, und Alexander musste sich zwingen, nicht die Beine anzuziehen. Sich zusammenzurollen wie ein Baby im Mutterleib, behütet und von der Außenwelt abgeschnitten – das war er nicht.
Er spürte den Luftzug mit dem Heben und Senken seines Brustkorbs an seinem linken Arm, der in einem unangenehmen Winkel über seinem Kopf lag, doch er wagte es nicht, auch nur eine verdächtige Bewegung zu tun.
Auf der Suche nach einem Schimmer Licht in der Dunkelheit ließ der Journalist seine Lider flattern, aber er konnte nicht einmal einen Unterschied wahrnehmen. Nachdem seine Augen sich kurz geweitet hatten und er die Beschleunigung seines eigenen Herzschlages spüren konnte, zwang er sich wieder zur Ruhe. Wenn niemand bemerkte, dass er wach war, umso besser – dann hatte er genug Zeit, sich einen Ausweg zu suchen. Und dafür galt es, aufzuklären, wie er hier hereingekommen war.
Dass der Fremde im Taxi den eigentlichen Fahrer eliminiert hatte, um Alexander und Moore zu betäuben und der italienischen Mafia zu überbringen, hielt er für offensichtlich. Der Journalist hätte es ähnlich angestellt, wenn er das Kopfgeld hätte einstreichen wollen, aber bei ihm wäre es sicher nicht zu blutigen Fingerabdrücken gekommen.
Arroganz gegenüber seines Entführers half ihm aber nicht weiter, denn er wusste viel zu wenig über die italienische Mafia, um hier ohne Hilfe wieder herauszukommen. Seine einzige Chance lag in seiner Unentbehrlichkeit – sie würden Probleme bekommen, wenn sie ihn umbrachten. Abgesehen davon, dass Alexander überzeugt war, die Welt würde ohne ihn ein ganzes Stück trister sein, war er außerdem noch bei seiner Mutter angekündigt. Und die war paranoid genug, dass sie die Polizei rufen würde, wenn ihr Sohn mehrere Stunden lang nichts von sich hören ließ.
Er würde sich schon irgendwie befreien können, immerhin schaffte er das immer. Moores Unterstützung hatte er schon beinahe abgeschrieben, immerhin hätte sie den falschen Taxifahrer eigentlich sofort entlarven und besiegen sollen. Wieder einmal bestätigte sich, was Alexander schon seit Jahren glaubte – körperliche Kraft war erschöpflich, Worte würden ewig währen.
Mit entschlossen blitzendem Blick riss Alexander wieder seine Augen auf, und diesmal beließ er es nicht dabei. Vorsichtig, als würde der Boden schwanken, stützte er beide Hände auf dem Beton unter ihm ab und schob sich auf seine Knie. Er tat einige tiefe Atemzüge, konnte in der Position zumindest freier atmen, und versuchte noch ein letztes Mal, die Dunkelheit zu durchdringen. Doch die Schwärze war so dicht, als hätten sie ihm eine Decke übergestülpt, und er musste sich blind aufrichten. Sobald er auf beiden Füßen stand, tastete er die Luft um sich herum ab, doch in seiner Reichweite befand sich nicht einmal eine stützende Wand.
Seine Sinne nahmen aber dennoch etwas wahr, obwohl sie zugegebenermaßen schwerlich zu überhören gewesen wäre: „Lebst du also doch noch. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dein hübsches Köpfchen wäre mit dem Gas nicht klargekommen."
Moore. Also doch.
Unwillkürlich hatte Alexander sein Gesicht in ihre Richtung gewandt, obwohl er ihre Anwesenheit bisher nicht einmal gespürt hatte. „Hast du auch etwas Sinnvolles zu unserer Flucht beizutragen?" Sein Ton ihr gegenüber war wesentlich kühler, als er es noch vor wenigen Minuten gewesen war. Er hatte ihr vertraut – im Auto war er für wenige Minuten überzeugt gewesen, sie würde ihn heil herausholen.
Er wusste wieder, warum er sich normalerweise nur auf sich selbst verließ.
„Ich habe nicht vor, zu flüchten", bot ihm Moore mit aalglatter Klangfarbe die Stirn, genauso wenig greifbar wie ihre Gestalt in der Dunkelheit. „Und du tätest gut daran, mir-"
Sie wurde unterbrochen, und für einen Moment lächelte Alexander. Ihre Worte waren nicht annähernd so beeindruckend, dass die Welt stillzustehen schien, wenn sie den Mund öffnete. So, wie er es normalerweise bei sich selbst gewöhnt war.
Doch seine Freude hielt kaum einen Wimpernschlag an, denn das Geräusch, das Moore mitten im Satz dazwischengefahren war, kam eindeutig von einer sich öffnenden Tür.
Sie bekamen Gesellschaft.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top