Kapitel 13

Etwa eine Stunde später steige ich aus dem stickigen Auto und strecke meine Arme, während ich tief durchatme-dankbar für die frische Luft.
„Riechst du das?" „Was?", fragend sehe ich Alex an, der die Arme ausgestreckt und die Augen geschlossen hat. Ein bisschen sieht er dabei aus wie ein Vogelbaby bei seinen ersten Flugversuchen. „Es riecht nach Freiheit!", schreit er und ich blicke mich hastig um, aus Angst, jemand könnte uns gehört haben.
„Na komm schon, Bee. Was macht dir Angst? Dich kennt hier doch gar niemand!", ruft er, läuft auf mich zu und zieht mich an der Hand neben ihm her. Ziemlich schnell. Um ehrlich zu sein rennt er mit mir davon und ich kann nicht anders als ebenfalls in glückliches Gelächter auszubrechen und das Gefühlt vom Wind, der meine Haare aus meinem Gesicht bläst, zu genießen. Ja, genauso riecht Freiheit.
                                   *   *   *
Wir bleiben vor einer gut gefüllten Gastronomie stehen. Eat and Drink ziert das knallrote Schild. „Was willst du essen?" „Bestell mir einfach das gleiche wie dir.", lächele ich ihn an und schiebe mir eine braune Locke hinters Ohr, während ich mich umschaue. Es sieht aus wie in einer typischen Netflix Serie: braune, lange Tische umringt von roten Stoffbänken und Sitznischen. Auf jedem Tisch steht eine Menü Karte, die Alex gerade inspiziert, und Salz sowie Pfeffer, außerdem eine einzige Pfingstrose in einer kleinen süßen Vase. Meine Lieblingsblumen. Grinsend über diesen Gedanken, schaue ich Alex an. Seine Stirn ist in leichte Falten gezogen, während er über der Karte grübelt und sich nicht entscheiden zu können scheint. Und trotzdem sieht er wunderschön aus. Als er aufblickt, schenkt er mir einen kurzen, lächelnden Blick und erhebt sich dann, um zu bestellen.

Seattle. Schon mein Leben lang träume ich davon Journalismus zu studieren und als unabhängige, starke Autorin für die Seattle Times zu schreiben. Eine völlig andere Vorstellung als Alex sie hat, wenn ich so darüber nachdenke; er würde am liebsten nie damit aufhören durch die Welt zu reisen und Musik zu machen. Ein kleines bisschen seufze ich über diesen Gedanken und wende meinen Blick von dem grünen Ortsschild draußen ab. Was kümmert es mich? Wir sind doch eh nur beste Freunde.
„Alles gut?", mit einem besorgten Blick lässt sich Alex zurück auf seine Sitzbank gleiten und schaut mir in die Augen.
„Ja, alles super. Was hast du bestellt?"
*   *   *
„Vorsicht, die Blu-", gleichzeitig versuchen wir nach der umfallenden Vase zu schnappen und- schaffen es nicht. „Verdammt."
Ich ziehe meine letzte Spaghetti Gabel den Mund hoch und versuche mit meiner mickrigen Serviette das Wasser aufzuputzen. Die arme Pfingstrose.
„Jetzt hilf mir doch und lach nicht nur so blöd!", gifte ich Alex an, der noch mehr zu lachen beginnt. „Tschuldigung" murmelt er. „Du hast da Tomatensauce.", er zeigt auf seinen Mundwinkel und ich versuche beschämt meinen Mundwinkel sauber zu wischen. „Nein, nein immer noch.", lacht er. „Warte" Er steht auf und setzt sich auf meine Sitzbank, bevor er beginnt mit seiner Serviette meinen Mundwinkel zu säubern. „So, perfekt."
Seine Bewegungen werden langsamer und er blickt mir in die Augen; durchdringt fast schon meine Seele mit seinem starrenden Blick. Ganz plötzlich wird mir warm und eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Mundwinkel, wo er mich vor kurzer Zeit noch berührt hat. Aus irgendeinem mir völlig unerklärlichen Grund verspüre ich das dringende Bedürfnis ihn zu küssen...als er aufsteht und die ganze Wärme mit sich nimmt.
„Lass einfach liegen, ich habe mehr Trinkgeld hingelegt."

Gut genährt treten wir aus dem Diner, als ich spüre wie Alex sich meine Hand schnappt und unsere Finger verkreuzt. Einfach so, in der Öffentlichkeit. Tausende von Schmetterlingen breiten sich in meinem Bauch aus, die ich allesamt zu ignorieren versuche, während ich ihn einfach nur verwirrt anstarre.
„Hand in Hand zum Dönnerstand... oder ins Märchenland. Oder so.", grinst er mich breit an und läuft dann einfach gerade weiter, als wäre nichts dabei, dass wir gerade wie ein verdammtes Pärchen aussehen, während ich innerlich komplett ausraste und mich nicht traue auch nur ein Wort zu sagen, um mich nicht wie ein pubertierendes Teenager Mädchen anzuhören.
Seattle ist wirklich wunderschön. Hunderte Meter hohe Gebäude stapeln sich in Reihen, Wolkenkratzer verdecken deinen Körper vor der prallen Sommersonne und die Bäume in dem Park, an dem wir gerade vorbei spazieren, sind leuchtend grün. Alles scheint wie in einem Märchen-wie Alex sagte: Hand in Hand ins Märchenland eben-man selbst ist nur ein kleiner, unbedeutender Körper zwischen all diesen hohen Gebäuden, mit wichtigen Leuten im Inneren und noch viel mehr kleinen, unbedeutenden Körpern. Und doch fühlt man sich wichtig, fühlt man sich lebendig. So als drehe sich die Welt in diesem Moment nur um einen selbst.
„Anhalten, Süße." Ich stolpere über meine eigenen Füße und wäre fast auf den Boden gekracht und dramatisch verreckt (okay vielleicht übertreibe ich jetzt ein kleines bisschen), als Alex mich zum stehenbleiben zwingt. „Was ist los?", fragend schaue ich ihn an. Ich muss wohl wie der dümmste Mensch auf Erden wirken, wie ich ihn immerzu mit Fragen bombardiere und neugierig anblicke, während er nur zu gut zu wissen scheint, was wir hier heute überhaupt tun. Macht Sinn, schließlich war der Roadtrip auch einzig und alleine seine Idee. Er nickt nach oben, so als wolle er mir etwas zeigen und erst jetzt bemerke ich, dass wir vor einem von den hohen Gebäuden stehen.
The Seattle Times
steht groß auf dem Gebäude und mir fallen fast die Augen aus dem Kopf. Die Seattle Times. Das ist das Gebäude, das mich seit ich ein kleines Kind bin fasziniert und durch meine ganze Schulzeit begleitet hat. Dieses Gebäude war der Ansporn für jede gute Note, jede Kurs- und Studiumwahl, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Schon immer habe ich davon geträumt mit einem Becher voll Kaffee hastig in dieses Gebäude zu stürmen und mich auf dem Weg zu meinem Schreibtisch mit unzähligen Informationen zur neuen Druckauflage der Zeitung auszutauschen; seit zwei/drei Jahren nerve ich Ethan damit, wenigstens einen Tag mit mir in Seattle zu verbringen, um das Gebäude all meiner Träume und Hoffnungen wenigstens einmal von außen oder der Lobby aus zu betrachten-zumindest habe ich ihn damit genervt.
Sofort beginne ich mich wie in kleines Kind zu freuen und auf und ab zu hüpfen, was Alex zum Lachen bringt. Ich liebe es, wenn er lacht.
„Ich habe mir gedacht", fängt er an, wobei er das ich in die Länge zieht und mit seinen Fingern Trommeln nachahmt, „dass wir den Nachmittag heute einfach mal im Büro des Chefredakteurs der Seattle Times verbringen und du dir deine Zukunft anschaust. „DU HAST WAS?! Ich- OH MEIN GOTT!", hastig werfe ich mich ihm an den Hals, wobei mir vollkommen egal ist, dass er am umfallen ist und sich nur grade noch so retten kann. „Alex das ist unglaublich! Wie hast du das gemacht? Ich meine danke, danke, danke!"
Er lacht und erklärt mir, dass er als Musiker seine Kontakte ja auch mal ausnutzen könnte, während ich immer noch nach Luft hechele und ihn an der Hand in das große Gebäude ziehe. Das ist unglaublich. Er ist unglaublich.

„Alex! Schön dich zu sehen." „Die Freude ist ganz meinerseits, Mr. Archer.", Alex schüttelte die Hand eines ungefähr Mitte 30-Jährigen mit vollem, schwarzem Haar und einem, muss ich zugeben, ziemlich attraktiven drei-Tage-Bart, der danach einen Blick auf mich wirft und auch mir die Hand hinhält. „Und du musst Blake sein, nicht wahr?" „Ja. Genau. Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mr. Archer. Ich bin sozusagen ein riesen Fan, wissen Sie? Seit ich denken kann ist die Seattle Times meine Traumredaktion und Sie sind ja der Chefredakteur und-" Alex pickst mich leicht in die Seite, worauf ich scharf die Luft einziehe, meinen Rede Anfall allerdings tatsächlich beende. Mr. Archer lacht nur.
„Na dann, zeigen wir dir mal die Redaktion. Du wirst sie lieben." Ich nicke eifrig und folge ihm durch die Lobby nach oben in die ersten Büros. Generell ist alles hier total edel eingerichtet. Schwarz scheint die Grundfarbe der Einrichtung zu sein, die einzelne, rote Details zieren. Ledersessel in der Lobby, Bürostühle oben; alles elegant schwarz gehalten.
„Hier sind die Büros unserer Redakteure. Es ist ziemlich eng, aber lass dich davon nicht einschüchtern, die Menschen hier sind die herzallerliebsten, die ich je kennen lernen durfte. Die Arbeit hier macht wirklich total Spaß und ich kann mir nichts schöneres mehr vorstellen, als jeden Morgen an diesen Ort zurück zu kehren und die Menschen da draußen in Seattle mit Informationen zu beliefern.", informiert mich Mr. Archer, während wir die Gänge lang laufen und ich aus dem Staunen nicht mehr rauskomme. Er hat recht, es ist wirklich ziemlich eng hier, doch wenn ich den Geruch von Leder, frischem Kaffee und Zeitung rieche, kann ich mir auch nichts schöneres mehr vorstellen, als eines Tages hier angestellt zu sein. Sofort erwärmt sich mein Herz bei dem Gedanken und ich seufze wehmütig. Hier reinzukommen ist so unfassbar schwer, ich könnte weinen.
„Was sagst du?" „Zu was?", erst jetzt bemerke ich, dass mich Alex und Mr. Archer beide neugierig anblicken und beginne zu schwitzen. Wie ich solche Situationen hasse.
„Wie findest du es hier? Gefällt es dir?", richtet sich Mr. Archer erneut an mich. Seine Stimme klingt schon fast so, als würde er sich tatsächlich Gedanken machen, was ich zu seiner Redaktion sagen würde, als wäre es auch nur irgendwie wichtig. Dass ich nicht lache.
„Es ist wirklich wunderbar hier. Ich kann es garnicht so richtig in Worte fassen, das ist alles was ich mir je gewünscht habe.", schwärmend umklammere ich Alex Arm, der mich mit einem glücklichen Lächeln anschaut. Zu gern würde ich mich jetzt in seinem Blick verlieren. Ihn in die Arme nehmen und küssen, meine Freude mit ihm teilen und ihm für alles danken, was er für mich getan hat. Schon seit einem Jahr, aber vor allem seit meiner Trennung von Ethan. Doch das geht nicht. Nicht hier, in der Öffentlichkeit, und auch nicht zuhause oder in dem Bus. Nicht in diesem Leben, da ich noch ein gebrochenes Herz einfach nicht ertragen würde.

„Ich würde mich wirklich unfassbar freuen-", lenkt Mr. Archer meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn, „Wenn du ein Praktikum bei uns antreten würdest." „Bitte was?", meine Augen fallen mir fast aus dem Kopf und ich bekomme erneut keine Luft. Vielleicht sollte ich mich mal auf Asthma testen lassen. „Ich soll hier arbeiten? Ich meine ein Praktikum machen? Ich? Hier? In der Seattle Times? Aber wieso? Ich meine natürlich! Natürlich sofort, ich verstehe nur nicht wieso."
Mr. Archer nickt: „Du wirkst so unfassbar motiviert und aufgeschlossen, solche Mitarbeiter können wir immer gebrauchen. Zudem hast du das Privileg Alex zu kennen, wodurch wir natürlich auch dich kennen und ich habe wirklich großes Interesse daran, deine journalistischen Fähigkeiten kennen zu lernen, wenn sie wirklich so gut sind wie Alex sie beschrieben hat." Er zwinkert Alex zu und ich schaue ihn ungläubig an. Alex hat sich um meine Zukunft bemüht?
„Hör zu, ich weiß von deinem Zuhause ist es nicht ganz so nah nach Seattle, also müsstest du hier kurzzeitig wohnen. Das Praktikum würde ein Semester lang gehen, mit deiner Uni werde ich mich persönlich in Kontakt setzen, die werden damit kein Problem haben. Überlege es dir, bis kurz vor deinem nächsten Semester und setzte dich danach mit mir in Kontakt.", er hält mir eine Visitenkarte hin und schlägt Alex freundschaftlich auf die Schulter, bevor er sich auch von mir verabschiedet und mich staunend, vollkommen ohne Worte zurück lässt.
* * *
„Alex verdamm, wie stehst du zu diesem Mann in Verbindung?!", schreie ich, nachdem wir die Redaktion verlassen haben. „Tschuldigung, das klang harscher, als ich wollte."
„Er ist ein guter Freund von Sean's Vater. Du weißt schon, Rechtsanwalt und so. Hatte mal einen Fall, bei dem er ihn unterstützt hat oder so, nichts besonderes.", fast schon schämend drückt Alex seine Zigarette an einem Mülleimer aus und lächelt mich dann an, meine Hand ganz schnell wieder in seiner.
„Nichts besonderes? Du hast mir damit gerade einen Traum erfüllt! Und du sagst es wäre nichts besonderes? Alex!", hysterisch fuchtele ich mit meinen Armen um mich, worauf Alex sie über meinem Kopf zusammenhält und mir tief in die Augen sieht: „Nein, nur du erfüllst dir deine Träume. Und jetzt lass uns weiter gehen."

So schön es auch ist mit Alex Hand in Hand durch die Straßen Seattles zu spazieren und die atemberaubenden Neuigkeiten sacken zu lassen, der Tag neigt sich langsam dem Ende zu, was mich um ehrlich zu sein ziemlich traurig stimmt. Ich habe den Tag genossen. Sehr sogar. Ein ganzer Tag mit Alex alleine, ohne die Jungs, die - so sehr ich sie auch mag - ziemlich laut sein können; ein Tag, an dem ich Alex von seiner intimeren Seite kennenlernen konnte. Und ich will einfach nicht, dass er schon vorbei ist.
„Müssen wir nicht schon zurück? Ich meine, wir müssen morgen ziemlich früh weiter." Alex schmunzelt. „Willst du mich so sehr loswerden, Stone?" „Alex", ich boxe ihm sanft gegen die Schulter „du weißt genau, dass ich das hier liebe. Diesen Tag mit dir." „Ach ist das so, ja?" Ich nicke.
„Wieso sollen wir dann schon gehen? Komm mit."

Wir kommen vor einem großen See wieder zum stehen, wo ich mich erstmal auf meinen Knien abstützen muss. Scheiße, bin ich unsportlich.
„Was wollen wir hier bitteschön? Es ist schon fast dunkel, Alex." „Ich weiß, Prinzessin.", er zwinkert mir zu und beginnt sich auszuziehen. Warte was? „Woah, Woah, Alex. Ich werde mich jetzt nicht ausziehen und mit dir baden gehen!" „Wieso denn nicht? Das Wasser ist so warm! Komm her."
Ich blicke auf ihn, in dem von der untergehenden Sonne glitzernden Wasser, und auf seine Klamotten auf dem Boden. Nein, das kann ich doch nicht wirklich machen.
„Komm schon Bee, wäre ja nicht so als hätte ich dich noch nie nackt gesehen." Ich schmunzele über diesen Gedanken und beginne mich schließlich seufzend auszuziehen, was von Alex mit dröhnendem Applaus quittiert wird. Fuck, was mache ich hier? Nacktbaden mit meinem besten Freund stand wirklich noch nie auf meiner Todo-Liste.
„Fuuuckkk es ist kalt, du Arsch!", quietsche ich, nachdem ich mich einfach so in das-arschkalte-Wasser gestürzt habe, um mich schneller zu bedecken. Auch wenn Alex mich tatsächlich schon nackt gesehen hat, es war nie geplant das zu wiederholen.
„Komm zu mir.", lacht er und breitet seine Arme aus, in die ich mich mit Vergnügen bewege. Sein Körper schmiegt sich an mich, ich wickele die Beine um ihn und genieße einfach nur den Moment. Der inzwischen sanfte Mondschein, der seinen nassen Körper nur noch attraktiver macht, seine Arme um mich, sein Geruch in meiner Nase, aber vor allem seine Nähe. Meinen Kopf habe ich auf seiner Brust abgelegt, lauschend nach seinem regelmäßigen Herzschlag. „Du bist wunderschön, weißt du das?" „Man sagt, Kerzen- und Mondlicht schmeicheln uns Frauen am meisten." „Nein, du verstehst nicht. Du bist immer wunderschön, Blake Maria Stone. Du bist immer wunderschön, für mich."
Sanft umfasst er mit seinen Händen mein Gesicht, zwingt mich damit ihn anzuschauen und streicht mit einem Daumen über meine nassen Lippen, bevor er genau dort seine eigenen platziert. Und in mir tausende Gefühle explodieren.

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