Kapitel 06

In einem fahrendem Bus aufzuwachen ist mehr als nur ungewöhnlich. Durch das Rütteln werde ich wach und fühle mich direkt miserabel. Meine Augen fühlen sich an, als ob das Sandmännchen beschlossen hätte ein Arschloch zu sein und mir die halbe Sahara reinzukippen.
Die Nacht war mies und erst jetzt ist mir bewusst, was Alex mit „Du sollst es nicht bereuen..." meinte. Sean schnarcht wie ein Walross mit Asthma, weswegen ich, wenn's hochkommt, vier Stunden geschlafen habe.

Müde tapse ich in das kleine Badezimmer des Nightliners und blicke in den Spiegel: Abschminken war nach meinem kleinem Rondevouz mit Alex irrelevant gewesen. Um meine Augen ist eine fette Schicht Mascara verschmiert und meine Haare sehen aus wie das verknotete Fell von meinem Kater A, der Bürsten über alles hasst.

Kurzerhand schlüpfe ich also unter die kleine Dusche und shampooniere mir die Haare mit meinem geliebtem Macadamia-Shampoo (im Ernst, das Zeug ist der Wahnsinn!) ein, während ich über die gestrigen Ereignisse nachdenke.

Ich muss schon zugeben, ich hatte Spaß. Und das obwohl Alex—wie ich mir schon gedacht habe—gleich mehrere Frauen ‚abgeschleppt' hat. Schlagartig erinnere ich mich an das, was nach der Party passiert ist. Er an meinen Lippen, seine Hände an meiner Haut..verdammt, das sollte so nicht sein!

Und dann stelle ich mir zwei Fragen: War er nur mit mir aus dem Club gegangen, weil er mir an die Wäsche wollte? Hatte ich ihn zurecht abblitzen lassen?

Ich steige aus der Dusche und mache mich schnell fertig—nicht zu viel, nur ein wenig Mascara, Labello und einen hohen Zopf—bevor ich runter ins ‚Wohnzimmer' der Jungs tapse.
                                  *     *     *
„Guten Morgen, Prinzessin. Gut geschlafen?", trällert Alex mit viel zu fröhlicher Stimme, als ich mich brummend an dem Kaffeebecher auf dem Tresen zu schaffen mache. „Ha.Ha. Wirklich lustig.", jetzt wende ich mich an Sean: „Du solltest dir Hilfe suchen! Ich meins Ernst, du hast ein Problem! Du klingst wie eine sterbende Ziege. Mit Atemproblemen."

Die Jungs scheinen das allerdings als ziemlich amüsant zu empfinden. Sie lachen drauf los und Adam murmelt ein „Man gewöhnt sich dran.", ehe er wieder jauchzend nach Luft schnappt. Augenrollend greife ich nach einem Apfel und schmeiße mich auf einen der Ledersitze. Ich möchte wirklich nicht so schlecht gelaunt sein, aber nach dieser Nacht kann ich einfach nicht anders.

„Wohin gehts heute?", ich beiße in meinen Apfel und kaue noch halb, als ich losspreche.
„Coos Bay. Ist echt mega schön dort, liegt direkt am Strand. Und nur 45 Meilen von Roseburg entfernt.", antwortet mir Sean, der zusammen mit Joan vor der PlayStation hockt und sich irgendein Killer Spiel reinzieht.
„Na wenigstens hast du dich gut informiert, wenn du schon nicht Atmen kannst.", ich lächele ihn unschuldig an und die Jungs brechen erneut in schallendes Gelächter aus.
*     *     *
Anderthalb Stunden später trotte ich mit den Jungs den Kieselweg zum Strand hinab. Da wir bis heute Abend zum Auftritt nichts zutun haben, sind wir auf Seans Vorschlag, zum Strand zu gehen, eingegangen.

Spoiler: Hätte ich gewusst was mich dort erwartet, hätte ich nie im Leben zugestimmt.

„Hey Blake, kommst du mit ins Wasser?", nehme ich Adams Stimme wahr, während ich auf meinem Handtuch liege und versuche mich in der mickrigen Sonne zu bräunen. Für Oktober ist es mit 20 Grad zwar noch ziemlich warm, ich vermisse allerdings die 30+ Temperaturen jetzt schon.
„Nein, ich liege lieber weiterhin hier rum und bemitleide mich selbst." Er zuckt nur schnell die Schultern und springt in das kühle Nass.

Ziemlich sicher, dass ich kurz vor mich hingedöst habe—das habe ich nach dieser Nacht aber auch wirklich gebraucht!—richte ich mich murrend auf, als ein großer Schatten über mich kommt.
„Hey was soll das?", Alex grinst mich nur schadenfroh an, ehe er erwidert: „Soll ich dir den Rücken eincremen?" „Ich glaube kaum, dass ich bei solchen Temperaturen verbrennen kann.", ich ziehe eine Augenbraue hoch und verliere mich kurz in seinen Augen, bevor ich mich räuspere und auf sein „Die Sonne ist im Moment ziemlich radioaktiv, man sollte aufpassen." nickend eingehe.

Seine warmen Hände berühren meine nackte Haut und sofort verspüre ich ein merkwürdiges Kribbeln, was ich in der High School vermutlich als Schmetterlinge bezeichnet hätte, in meinem Bauch. Pff, Schmetterlinge—so ein Blödsinn. Dieses Kribbeln verstärkt sich um das tausendfache, als er an meinem Po lang fährt und ich jauchze kurz auf, als er mir einen leichten Klaps auf diesen gibt und lachend aufsteht. „Auf gehts schwimmen, Stone. Und knackiger Hintern übrigens." Mit hochrotem Kopf stehe ich schnell auf und laufe auf das Wasser zu, den lachenden Alex im Rücken.
                                  *     *     *
Das Wasser ist wirklich eisig kalt und ich kann nicht anders, als wehmütig zu meinem Badetuch in der warmen Sonne zu blicken. „Nun stell dich schon nicht so an, es ist nur Wasser!" „Kein Scheiß jetzt? Ich dachte ich springe gleich in ätzende Säure.", genervt verdrehe ich die Augen und tapse mit meinem Zeh ins Wasser, bevor ich in dieses geschubst werde und aufschreie. Ächzend und vor Kälte zitternd tauche ich auf, während ich Alex ins Wasser springen sehe. „Du..du.." „Ich was?", er reckt bedrohlich das Kinn und kommt langsam auf mich zu. „Du Idiot!" Er lacht und ich bebe vor Wut: „Lach nur weiter, dann kastriere ich dich heute Nacht und wann du aufwachst fragst du dich, wo deine Eier geblieben sind.", jetzt recke ich zickig das Kinn in die Höhe und er lacht nur noch mehr. „Ohhhh da ist jemand heute aber besonders schlagfertig, meine kleine Shiva."
Verwirrt ziehe ich eine Augenbraue hoch: „Shiva ist männlich." „Passt trotzdem zu dir."

Ich schnaube und tauche noch einmal in das kalte Wasser, ehe ich mich umdrehe und ein lachendes Pärchen fixiere. Der Mann hat die eine Hand auf die Hüfte der blonden Frau gelegt. Mit der Anderen streicht er ihr eine Strähne hinters Ohr und sie kichert, als er sich vorbeugt um sie langsam und zärtlich zu küssen. Ich seufze und muss widerwärtig an Ethan und mich denken...Ethan!

Eine unglaubliche Wut schäumt in mir auf, als der Mann sich umdreht und ich ihn als Ethan identifizieren kann. Meinen Ethan! Der Ethan, der mir immer noch Nachrichten schickt, in denen er klar macht, dass er mich ja so vermisst. Dieser Ethan in Coos Bay!

„Alles okay?", besorgt schaut Alex mich an und ich deute schnaubend auf das Pärchen. Alex Mimik verwandelt sich in Sekundenschnelle von besorgt zu verwirrt und dann entsetzt. „Komm mit.", ich schnappe mir seine Hand und steuere aus dem Wasser zurück auf mein Badetuch zu, schnappe mir mein Handy, schalte es an und ignoriere die ganzen Nachrichten, die ich von Penn, meiner Mum und meinem Dad bekommen habe. Nur auf Ethans Chat stürze ich mich und lese laut vor:

„Hey Blake...Bee, ich darf dich doch noch so nennen, oder? Hör zu, ich habe von Penn gehört, dass du mit den Jungs auf Tour bist. Um genauer zu sein hat sie mich angekeift, dass ich dich in Ruhe lassen soll und na ja, trotzdem schreibe ich jetzt das.
Ich bin das Wochenende geschäftlich in Coos Bay und habe gehofft, dass wir uns vielleicht mal treffen und... reden können?
Schreib mir zurück, wann es dir passt.
Immer noch in Liebe, Ethan"

„Ja klar geschäftlich.", ich lache laut auf und Alex schnaubt. „Soll ich ihn umbringen? Ihm die Eier abschneiden? Jetzt sofort?" „So sehr er es auch verdient hätte, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er sie aus Versehen schwängert und dann ein großes Problem hat.", Alex schmunzelt und entlockt mir damit auch schon fast ein Grinsen. Stattdessen seufze ich und sage: „Nein, ich werde ihn die Woche mal anrufen und ihm eine Abfuhr erteilen. Endgültig." „Hast du das nicht schon längst? Er hat dich betrogen verdammt nochmal!" „Vier Jahre Beziehung, Alex. Vier Jahre lassen sich nicht so einfach wegwerfen."
                                  *     *     *
Nach diesem doch recht unangenehmen Vorfall haben wir schnell unsere Sachen gepackt und sind gegangen, was dazu geführt hat, dass ich jetzt mit meinem Laptop auf dem Schoß in meiner Schlafkoje sitze und über der Tastatur grübele.

Auch wenn erst Sonntag ist und ich somit noch eine Woche für meinen Aufsatz habe, versuche ich jetzt schon das Beste aus meiner Langeweile zu machen.

Meine Finger schweben über die Tastatur,
'In zehn Jahren sitze ich in dem kleinen Garten vor meinem Haus', und gelöscht.
'In zehn Jahren bin ich weltberühmte Autorin und', gelöscht.

„Hey, alles gut?", ein Klopfen am Türrahmen reißt mich aus meiner Verzweiflung und ich blicke auf. Alex kommt auf mich zu und setzt sich neben mir auf meine Koje. „Ich habe Kaffee und Tacos.", er wedelt mit der Tüte in seiner Hand und ich nehme sie ihm dankbar ab. „Gott, ich bin am verhungern." „Harte Aufgabe?" „Harter Tag. Ich komme einfach nicht voran, alles was ich schreibe hört sich total leblos an.", seufzend klappe ich den Laptop zu und drehe mich zu Alex, nehme einen großen Schluck von meinem Kaffee.
„Jetzt mach dich nicht fertig, Shiva. Du hast noch eine Woche Zeit und wir werden es schon noch schaffen dich zum Leben zu erwecken.", ich lache und beiße gierig in meinen Taco, ehe ich nicke.

Vielleicht brauche ich wirklich mehr Leben in meinem Leben. Mehr Leben, als Ethan mir gegeben hat, mehr als ich im Moment habe.

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