Kapitel 8
Lucinda
Es war immer wieder auf’s Neue beeindruckend, wie Mr Collins es schaffte, sowohl die Mädchen als auch die Jungs parallel zu koordinieren. Während ich mit den anderen Mädchen nun schon die vierte Runde auf der Laufbahn lief, faltete er die Jungs zusammen, weil sie bei den Liegestützen nicht weit genug runter gingen.
Das Gute am Ausdauerlauf war, dass man ziemlich gut die Typen dabei beobachten konnte. Wobei ich natürlich sagen musste, dass bei uns die Meisten ziemlich gut trainiert waren. Natürlich gab es auch einige von den Superhirne, die mehr Lauch als Schrank waren, weil sie den Tag damit verbrachten, irgendwelche Programme zu schreiben und zu zocken; aber die Mehrzahl waren doch ganz gut anzusehen.
Logan lächelte mir zu. Ich winkte zurück und unterdrückte ein Gähnen.
Luca hatte uns eine Dreiviertelstunde vor dem Wecker rausgeholt, den wir uns ja schon dreißig Minuten eher als sonst gestellt hatten. Zwar war Logan aufgestanden und hatte sich um den Hund gekümmert, aber ich hatte nicht mehr schlafen können. Also war ich auch aus dem Bett gestiegen und hatte uns Frühstück gemacht. Da wir eher auf waren, hatten wir auch früh mehr Zeit und es war auch nicht so gestresst. Wir konnten sogar mit Luca eine etwas größere Runde gehen, als wir ihn zu Logan nach Hause brachten.
Kaum hatte mein bester Freund seine Haustür aufgeschlossen, war der Hund reingerannt. Keine zehn Sekunden später kam Logans kleiner Bruder rausgeflitzt und warf sich in meine Arme. Aden Eskil Andersson. Er war so süß. Eigentlich sah er eins zu eins so aus wie Logan, nur in klein als laufender Meter und mit Löckchen. Und er liebte mich wie eine große Schwester.
Während mein bester Freund seine Sachen holte und sich umzog, erzählte mir der Kleine stolz, dass er beim Fußball im Kindergarten gewonnen hatte und sie diesen Freitag ins Kino gehen würde. Linnea, Logans Mom, hatte mich entschuldigend angelächelt, als sie von der Küche ins Badezimmer lief, um sich die Haare zu föhnen.
Aden war traurig, als sein großer Bruder fertig war und wir beide uns zur Schule losmachen. Logan wuschelte ihm, ebenso wie ich, noch einmal durch seine dunklen Löckchen, ehe wir gingen.
Doch auch wenn ich heute morgen relativ wach war, jetzt kam die Müdigkeit wieder heraus. Verdammt, ich war einfach kein Morgenmensch. Und ich brauchte meinen Schlaf.
»Hey, warte mal.«
Erstaunt sah ich mich um. »Hi.«
Shira Suzuki schloss zu mir auf. »Ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken; wegen gestern, das war echt lieb von euch.«
»Ist doch kein Problem gewesen.« Ich lächelte. »Claire ist eine Bitch, sie macht das nur, weil ihr gerade langweilig ist. Du hast das nicht verdient.«
Shira strich sich eine ihrer dunkelbraunen, glatten Strähnen hinters Ohr, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte und ihr ins Gesicht gefallen war. »Ja, mag sein, aber ihr hättet mir nicht helfen müssen.«
»Sie hat dich bloßgestellt, vor allen. Und jeder hat von dem anderen erwartet, die zu helfen. Ich konnte dir das nicht antun. Ash, Logan und Gael sicher auch nicht.«
Shira lächelte. »Wie gesagt, danke euch nochmals.«
»Kein Ding.«
Schweigend liefen wir nebeneinander her.
In Sport war ich es eher gewohnt, alleine zu sein. Ich hatte keine weiblichen Freunde und war mehr oder minder auch ziemlich froh darüber, weil Mädchen oftmals viel Stress bedeuteten. Jungs waren eigentlich ziemlich unkompliziert, zumindest, wenn sie nicht gerade verliebt waren.
Als Ash damals begonnen hatte, sich für mich zu interessieren, war er an manchen Tagen ganz schön schräg drauf gewesen. Er war sogar manchmal verlegen geworden oder hatte ertappt gegrinst. Nur zu gut erinnerte ich mich an den Tag, wo ich ihn zum allerersten und wahrscheinlich auch einzigen Mal erröten gesehen hatte.
Mein Ex war eigentlich eher der Typ Mann, der einem bis in die Seele blickte und seine Gefühle so verdammt gut unter Kontrolle hatte, dass man sich manchmal fragte, ob er überhaupt welche hatte. Wie bereits gesagt, war Ash sehr aufmerksam, ihm entging kein einziges Detail und er konnte sich nahezu jedes Wort merken, dass man jemals zu ihm gesagt hatte. Eigentlich unglaublich.
Aber wir beide hatten irgendwie einfach nicht gepasst, auch wenn ich ihn sehr mochte.
Das Mädchen, welches ihn später einmal für’s Leben bekommen würde, würde solches verdammtes Glück haben. Denn Ash war als Freund so wundervoll.
Jedoch war er bei mir inzwischen in der Friendzone.
»Dein Shirt gebe ich dir nachher wieder, okay? Ich hab’s gewaschen«, fügte Shira hinzu und riss mich somit aus meinen Gedanken.
»Ja, danke, mach in Ruhe, das ist nur mein Notfallshirt, für genau solche Fälle. Leider muss man bei Claire auf alles gefasst sein, ich hatte auch schon mal den Nachtisch auf meinem Pulli.«
Sie lachte mitfühlend. »Oje, du Arme. Ich glaube, ich sollte mir ein Beispiel an dir nehmen und mir auch Notfallsachen ins Schließfach tun.«
»Vielleicht, ich hoffe ja, dass sie das bei dir nicht nochmal abzieht, aber wie gesagt, keine Garantie.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Du glaubst doch nicht, dass die mich plötzlich in Ruhe lässt, nur weil ihr mir geholfen habt? Also nichts gegen euch, aber es ist Claire«, ergänzte sie hastig.
Seufzend streiften meine Augen möglichst unauffällig die Jungs, inzwischen waren sie zu Sit-ups übergegangen. »Nein, aber ich hoffe es.«
»Ich auch, aber meine Augenfarbe und mein Nachname schreien ja förmlich nach blöden Sprüchen.« Shira verdrehte die Augen.
»Claire ist jeder Makel recht, ich weiß genau, was du meinst«, stimmte ich ihr zu. »Meine grauen Haare lässt sie selten unkommentiert. Aber ich finde deine Augen voll cool.«
Tatsächlich lächelte das Mädchen. »Danke, aber ich glaube, da bist du die Einzige. Ich finde sie komisch. Zwar habe ich es mal mit Kontaktlinsen versucht, aber ich vertrage die nicht.«
»Ich finde, du solltest auch keine tragen, deine Augen machen dich besonders, und wenn der Richtige kommt, wird er das auch wertschätzen. Oder die Richtige.«
Shira hob eine Augenbraue. »Du weißt, dass ich bi bin?«
»Klar, ist doch nichts dabei.« Ich zuckte mit den Schultern. »Warst du nicht mit Marie Jeanie McMullan zusammen?«
»Jap, sieben Monate«, seufzte das Mädchen. »Ich hab dann Schluss gemacht. Keine Ahnung, es hat einfach nicht mehr so gefunkt. Seitdem geht sie mir aus dem Weg.«
»Das tut mir leid.« Ich konnte den Blick nicht von den Jungs losreißen, inzwischen war aus dem unauffälligen Mustern hemmungsloses Starren geworden. Würde mir nicht so sehr gefallen, was ich da sehen würde, hätte ich schon lange verlegen den Blick abgewandt. Aber es war so verdammt heiß, wie Álvaro Liegestütze machte, ich war froh, dass ich meine Brille aufgelassen hatte. Jedes Mal berührte seine Nasenspitze den Boden. Eine seiner leicht gelockten Strähnen war aus seinem tiefen Zopf gefallen und kitzelte ihn an der Wange. Fasziniert beobachte ich das Muskelspiel seiner Arme. Wie auch die anderen trug er nur ein dunkles Sportshirt, das sich perfekt an seinen zart definierten Oberkörper schmiegte. Auch seine lange, schwarze Hose saß angenehm eng. Anscheinend hatte seinen ganzen Schmuck abgenommen, denn ich konnte weder seine Ringe, noch seine Ketten sehen.
»Ist schon okay, war ja meine Entscheidung.« Shira folgte meinem Blick. »Hast du eigentlich einen Freund? Ich meine, deine Freunde sind ja ziemlich hübsch.«
Ertappt zuckte ich zusammen. »Was? Ach so, nein, im Moment nicht.« Langsam begangen meine Rippen zu schmerzen. »Können wir etwas langsamer laufen? Ich bekomme Seitenstechen.«
»Klar, kein Problem.« Sie passte sich meinem Tempo an. »Aber warst du nicht mal mit Asher Gray zusammen?«
»Ja, aber irgendwie hat es bei uns nicht so gepasst.«
»Und ihr seid jetzt trotzdem noch befreundet?«, fragte Shira.
»Klar, wir kennen uns schon lange, und naja, es wäre komisch in unserer Clique geworden, wenn wir einander nur aus dem Weg gehen würden.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Stimmt. Und mal so unter uns, Ash ist echt heiß.« Plötzlich musste sie kichern.
Ich stimmte mit ein. »Ja, da hast du wohl Recht. Wenn du magst, kannst du in der Mittagspause mit zu uns, du bist echt nett.«
»Oh, cool, danke, das ist lieb von dir«, freute Shira sich.
»Kein Problem.«
Wir schwiegen eine Weile; als Mr Collins und zusammenschiss, weil wir zu langsam waren, begannen wir wieder zu rennen. Inzwischen waren meine Beine schwer, wir joggten seit fast einer Dreiviertelstunde. Zwar trug ich nur ein Top und eine kurze Hose, trotzdem war mir verdammt warm. Shira schien es ähnlich wie mir zu gehen, auch wenn sie ihr hellen Top mit einem sehr kurzen Minirock kombinierte.
Claire überholte uns in der letzten Runde. »Du scheinst auch langsam alt zu werden, hast ja schon mehr als ein graues Haar, vielleicht solltest du sie mal nachfärben gehen«, spottete sie.
Shira und ich verdrehten nur die Augen.
Ich war dankbar, als wir über die Ziellinie liefen und endlich still stehen durfte. Inständig hoffte ich, dass ich mein Deo eingepackt hatte, während ich nach Luft rang. Wieso mussten die Jungs eigentlich nicht rennen? Naja, Liegestütze würde ich zwar auch nicht präferieren, aber trotzdem. Es ging um das Prinzip.
Während ich noch viel zu schnell atmete, machten sich die Jungs auf den Weg in die Umkleide. Ash und Logan zogen sich ihre Shirts über den Kopf und wischten sich den Schweiß aus dem Gesicht. Beide konnte sich das leisten, ich wusste - dass die Jungs ein- bis zweimal die Woche im Fitness-Studio waren, und das zahlte sich aus. Gael folgte den beiden, aber er war sich auch seiner schmalen Figur bewusst und behielt sein Shirt an. Dazu fehlte sein Selbstbewusstsein noch etwas; vor allem, da Claire in der Nähe war, die garantiert noch einen dummen Spruch loslassen würde.
Doch heute interessierte die Schlampe sich erstaunlich wenig für Gael, stattdessen stolzierte sie auf Álvaro zu. Die Eifersucht fuhr wie ein grellgrüner Pfeil durch mein Herz und etwas in mir zog sich schmerzhaft zusammen.
Claire redete auf ihn ein, klimperte dabei immer mit ihren viel zu stark geschminkten Augen.
Álvaro hingegen schien wenig beeindruckt. Während das Mädchen sprach, löste er unbeteiligt den Zopfgummi aus seinen Haare und streifte ihn sich übers Handgelenk. Mit allen zehn Fingern fuhr er sich durch seine schokoladenbrauen Strähnen, die sich sanft bis zu seiner Brust lockten. Sie tanzten in der zarten Briese.
Ich war froh, dass mein Mund geschlossen war, sonst hätte durchaus die Gefahr bestanden, dass ich gesabbert hätte. Leider.
Unwillkürlich drängte sich mir der Gedanke auf, wie lang seine Haare wohl wären, würde man sie glätten. Das würde mich wirklich mal interessieren. Ich schrieb gedanklich auf die Liste der Dinge, die ich machen würde, falls ein Wunder geschehen und ich tatsächlich mit ihm zusammenkommen würde.
Claire textete Álvaro unterdessen immer noch ununterbrochen zu. Wovon sie sprach, konnte ich nicht sagen, dafür redete sie zu schnell und zu aufgeregt. Nach dem ganzen Rennen konnte ich mich beim besten Willen nicht auf ihre Worte konzentrieren.
»Warum suchst du dir nicht jemand anderen, den du mit deiner Anwesenheit beglücken kannst?«, schnitt Álvaro ihr urplötzlich das Wort ab.
Ohne sie einen weiteren Blick zu würdigen, ließ er das Mädchen einfach stehen und folgte den anderen Jungs in Richtung Umkleide. Nur nach wenigen Schritten zog er sich das dunkle T-Shirt in einer einzigen verdammt eleganten Bewegung über den Kopf und knüllte es in einer Hand zusammen.
Mir stockte der Atem und mein Inneres krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich die Runen sah, die sich bis über seinen linken Rücken zogen.
Bis jetzt hatte sich ein wirklich sehr kleiner Teil in mir strikt gegen die Tatsache gewehrt, dass er der Álvaro aus meinem Roman war - immer mit der Begründung, dass ich ja nicht wusste, ob er auch die Runen hatte.
Genau dieser Teil verabschiedet sich genau in diesem Moment, als mir die Ruhe für Musik auf seinem Schulterblatt ins Auge stach.
Sie war eine meiner Lieblingsrunen. Stundenlang hatte ich an den Runen gesessen, mir jede einzelne davon selbst ausgedacht und in meinen Hefter geschrieben.
Álvaro war es wirklich.
Er war die Hauptfigur aus dem Buch, das ich selbst geschrieben hatte.
Fuck.
»Der Neue hat echt Stil«, murmelte Shira und bezog sich dabei auf seinen aalglatten, trockenen Umgang mit Claire.
Sie hatte Recht. Aber ich brachte keine Antwort zustande.
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