Kapitel 27

Álvaro

Sie war so nah. Unendlich zart strichen ihre schmalen Finger über meine Flanken. Ihre großen, grasgrünen Augen strahlten mich unschuldig an.

Die Farben um uns herum verblassten langsam, inzwischen war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden und der Mond hatte seine Reise über das Himmelszelt angetreten. Der Vollmond, wohlgemerkt. Vereinzelt konnte man schon den ein oder anderen Stern entdecken. Ein weicher Wind tanzte durch die Gräser an den Dünen und wirbelte verspielt die feinen Sandkörner auf.

Ich konnte Lucindas Atem auf meinem Mund spüren. Gott, ihre Lippen waren so weich. Erneut streifte ich sie mit den Meinen. Das Mädchen bebte. Ihre Finger glitten wieder zu meiner Brust und hinterließen auf ihrem Weg prickelnde Spuren, die sie zwar nicht sehen konnte, ich aber dafür umso mehr spürte.

Zischend sog ich die Luft ein.

Die Spannung, welche in zwischen uns knisterte, war zum Greifen nah. Und es kostete mich meine ganze Kraft, genau diese Spannung zu erhalten und nicht einfach über die Kleine herzufallen. Es wäre ein Leichtes. Ich müsste sie nur küssen und den Dingen ihren Lauf lassen.

Aber dann würde es zu schnell gehen.

Und ich wollte das alles auskosten. Jede einzelne Sekunde. Jede einzelne Berührung.

Ich löste meine Hand aus ihren Haaren, allerdings nur, um Lucinda eine ihrer silbernen Strähnen hinters Ohr zu streichen.

»Deine Augen sind so unglaublich«, murmelte sie fasziniert, dennoch zuckte ihr Blick kurz hinunter zu meinen Lippen. »So blau. Wie das Meer.«

Ich musste grinsen. Bis jetzt kannte das Mädchen mich ja nur mit dunkelbraunen Augen. Es war dem Vollmondlicht geschuldet, dass sie jetzt blau waren. Azurblau.

»Sie können nicht nur blau werden, das weißt du doch«, antwortete ich leise. Quälend langsam fuhr ich mit dem Daumen über ihre Unterlippe.

Lucinda blinzelte. »Wie meinst du das?«

»Naja, du weißt doch, wenn ich trinke ...« Jäh erlosch mein Lächeln. Mir wurde klar, dass sie mir noch nie beim Trinken in die Augen gesehen hatte. Immer hatte ihr Kopf an meiner Schulter oder meinem Schlüsselbein gelegen. Wenn die Kleine mich dann wieder angeschaut hatte, hatte sich die rote Farbe schon wieder verflüchtigt. »Ich dachte, ich hätte es dir schon erzählt. Wenn ich Blut trinke, werden sie rot.«

»Oh.« Mit großen Augen schaute sie mich an. »Und was passiert, wenn du bei Vollmond trinkst?«

»Das, meine Süße, kann ich dir nachher gern zeigen.« Ich grinste Lucinda an. »Wenn du möchtest.«

Schlagartig breitete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht aus. »Ja, bitte!«

»Wenn du willst.«

Unendlich zart streichelten ihre Finger über meine Brust. Schon die ganze Zeit tat sie das, und bis jetzt hatte ich es so gut es ging ausblenden können.

Allerdings gab es auch bei mir eine Grenze.

Und die war nun überschritten.

Ich knurrte. »Du machst mich wahnsinnig.«

»Wieso?« Sie begann diebisch zu grinsen und kratzte zart mit ihren Fingernägeln über meine Brust. »Deshalb?«

Sofort wurde meine Atmung unregelmäßig, ich stockte und zog das Mädchen mit einem Ruck an mich. Meine Ketten und ihre Hände waren jetzt zwischen unseren Körpern eingeklemmt. »Deshalb. Und weil du so unglaublich süß bist.«

»Und was willst du dagegen tun?« Geradezu herausfordernd musterte die Kleine mich von Unten.

»Das.« Noch einmal strich ich sanft mit meinem Mund über ihre Lippen, ohne Lucinda dabei wirklich zu küssen - sie schloss schon ihre Augen und seufzte leise - nur um mich dann ruckartig von ihr zu lösen.

Die Kleine taumelte kurz und öffnete dann traurig ihre grünen Augen. »Hey.«

Alleine schon für den niedlichen Flutsch, den sie zog, hätte ich sie abknutschen können. Aber ich wollte mir Zeit lassen.

Denn, was lange währt, wird gut.

Außerdem liebte ich es, mit diesem kleinen Gefühl von Macht zu spielen - mit dem Verlangen zu spielen. Sowohl dem Meinen, als auch dem Ihren. Eine Sache, die ich auch immer gern bei Lorenzo ausgekostet hatte.

Aber an ihn wollte ich jetzt überhaupt nicht denken.

Schneller und wesentlich eleganter als ein Mensch wandte ich mich um, hob mein Hemd auf und zog es an. Anschließend nahm ich mir sowohl ihre als auch meine Schuhe. »Wir gehen zu mir. Jetzt. Komm.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte ich mir ihre feine Hand und zog sie bestimmt hinten mir her.

»Álvaro, warte.« Die Kleine stolperte. Süß. Hatte ich ihr wirklich den hübschen Kopf so sehr verdreht? »Das ist gemein.«

»Was ist gemein?«, erkundigte ich mich grinsend, ging aber etwas langsamer.

»Du ... Du kannst mich nicht einfach fast küssen und dann ...« Das Mädchen wurde rot.

Mein Grinsen wurde breiter. »Doch, das kann ich.«

»Hmpf.« Wieso, in Gottes Namen, war Lucinda noch hinreißender, wenn sie bockig war?

Unwillkürlich musste ich lachen. »Möchtest du nicht etwas fragen?«, wechselte ich das Thema.

»Nein.« Beleidigt und mit hochrotem Kopf stapfte die Kleine durch den Sand neben mir her, meine Hand jedoch hielt sie ganz fest.

Als ob ich sie loslassen könnte.

Ich zuckte mit den Schultern - wissend, dass Lucinda nicht ernst meinte. Schweigend gingen wir durch den Sand, passierten die Düne und hatten kurze Zeit später wieder den harten, kühlen Asphalt unter den Füßen.

Ich hielt an, um ihr die Schuhe zu reichen. »Warte. Hier.«

Wortlos schlüpfte sie in ihre Chucks. Ich zog ebenfalls meine Schuhe an. Kaum waren wir fertig schob die Kleine ihre Finger in meine Hand.

Ich hätte dahinschmelzen können.

»Komm.« Rasch zog ich das Mädchen weiter.

Lucinda folgte mir schweigend.
Es dauerte nicht lange, bis sich das änderte. Sage und schreibe zweimal Abbiegen später räusperte sie sich. »Was kannst du eigentlich alles, wenn Vollmond ist?«

Nur sehr schwer konnte ich mir ein triumphierendes Grinsen verkneifen. »Nicht besonders viel. Ich bin lediglich etwas schneller, habe mehr Kraft und meine Sinne sind geschärfter. Und ich bin vielleicht etwas überzeugender.«

»Heißt das, du kannst mich manipulieren?« Mit einem Mal klang ihre glockenklare Stimme etwas argwöhnisch.

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich etwas will, klingt es für dich etwas logischer und du bist eher gewillt, nach meinen Vorstellungen zu handeln. Aber du entscheidest immer noch selbst. Du hast immer noch die Wahl. Das ist das Wichtigste.«

»Ach so.«

Wir bogen in die nächste Straße ab. Es war nicht mehr weit. In mir prickelte alles. Erregung und Verlangen pulsierten glänzend in mir. Ja, mir war sogar irgendwie schwindelig. Meine Bewegungen waren fahriger als sonst, und das obwohl gerade der Vollmond schien und meine Runen leuchteten.

Hunger hatte ich auch.

Aber das konnte warten. Ich wollte ihr zeigen, wie meine Augen sich bei Blut veränderten. Lucinda hatte ein Recht dazu, zumal ich immer noch nicht ganz sicher war, ob die Kleine es inzwischen wirklich mochte, wenn ich sie biss. Ich meine, es war durchaus normal, dass das Gebissenwerden erregend wirken konnte - ich selbst war dahingeschmolzen, wenn Lorenzo seine Fänge in meinem Hals hatte - aber ihr tat es zudem auch psychisch weh. Zwar beteuerte das Mädchen nach wie vor, dass es viel besser geworden war und sie es inzwischen gut durchhielt, aber wusste nicht genau, wie ich dazu stand.

Ein paar Minuten später standen wir vor meiner Haustür. Mit zittrigen Fingern kramte ich den Schlüssel aus meiner Hosentasche und öffnete die Tür. Lucinda quietschte auf, weil ich sie so hastig hinter mir her die Stufen hoch bis zu meiner Wohnung zerrte.

Zugegeben, ich hätte etwas sanfter sein können. Aber das Verlangen brannte so lichterloh in mir, dass ich einfach nicht anders konnte.

Ich fluchte, weil mir der Schlüssel aus der Hand fiel. Wieso hatte ich meine Erregung nur nicht unter Kontrolle? Die Dame neben mir musste lachen.

»Nicht lustig«, murmelte ich, während ich mich bückte. Beim zweiten Anlauf klappte die Sache mit dem Aufschließen und kurz drauf öffnete sich die Tür mit einem leisen Klick.

Lucinda kicherte. »Doch.«

Statt einer Antwort stieß ich die Tür auf. Mit einer raschen Bewegung zog ich das Mädchen in den Flur und schloss die Wohnungstür hinter uns. Meinen Schlüssel warf ich wahlos auf den Boden und hoffe inständig, dass er nicht unter die Kommode gerutscht war.

Aber selbst wenn.

Im Moment war es mir egal.

Instinktiv packte ich die Kleine an den Oberarmen und drückte sie plötzlich an die Wand. Für einen Menschen war diese Bewegung zu schnell und zu elegant: sie keuchte, wehrlos zwischen mir und der Wand.

»Jetzt gehörst du mir.« Meine Stimme war rau und schwer, das merkte ich selbst.

Ihr Blick traf den Meinen.

Azurblau auf Grasgrün.

»Das tue ich.« Sie sah mich aufrichtig an. Inzwischen konnte ich auch in ihren Augen das Verlangen aufkeimen sehen, bis ihr Blick förmlich davor triefte. Nach ein paar Sekunden glitten ihre zarten Hände zu meinem Hemd, fanden den obersten Knopf und öffneten ihn quälend langsam.

Zu sagen, meine Atmung ginge unregelmäßig, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen.

Ich löste mich von ihren Oberarmen und stürzte mich links und rechts neben ihrem Kopf an der Wand ab - die Hände zu Fäusten geballt, um das Mädchen nicht einfach an mich zu reißen. Zu groß war das Verlangen, ihre weichen Lippen zu kosten.

Um mich etwas abzulenken, beugte ich mich etwas vor und strich mit den Lippen über ihr Haar. Jäh stieg mir ihr süßer, blumiger Duft in die Nase. Ein Zischen entwich mir. Mein Herz überschlug sich fast und ich schloss die Augen. Nie wieder würde ich an einer Blume riechen können, ohne an Lucinda denken zu müssen.

Doch nach welcher Blume genau roch sie?

Während die Kleine gerade den Knopf an meinem Bauchnabel aufmachte, atmte ich erneut tief ein.

Hyazinthe.

Flieder.

Ein Hauch Pfingstrose.

Ja gut, Álvaro. Flieder war jetzt nicht wirklich eine Blume, dennoch kristallisierten sich diese Blütendüfte heraus. Und etwas Fruchtiges, das ich nicht genau definieren konnte. Mein Kiefer verhärtete sich. Warum war mir nicht aufgefallen, wie betörend dieses Mädchen duftete?

Lucinda löste den letzten Knopf. Mein Hemd öffnete sich und nur Sekundenbruchteile später fuhren ihre weichen Hände suchend über meine bloße Brust.

Ich bebte. Meine Selbstbeherrschung baumelte am seidenen Faden. Zitternd legte ich meine rechte Hand an ihr hübsches Gesicht und hob ihren Kopf.

Und dann ... dann konnte ich nicht mehr.

In einer fließenden Bewegungen beugte ich mich zu ihr hinunter und küsste sie.

Glänzende Liebe und prickelnde Erregung explodierten in mir. Das Verlangen, dass sich seit einer gefühlten Ewigkeit in mir angestaut hatte, brach mit einem Mal aus mir hervor. Mein Gott, ihre Lippen fühlten sich so gut an. Ich hob sie ein Stück hoch, sodass Lucinda ihre Beine um meine Hüfte schlingen konnte, drücke sie aber dann sofort wieder gegen die Wand.

Die Kleine gehörte mir.

Nur mir.

Meine linke Hand fand rasch ihre Taille, die andere lag an ihrem Hals. Eine ihrer silbernen Strähnen kitzelte mich. Glücklich hatte Lucinda ihre Arme um meinen Hals geschlungen und schmiegte sich seelig an mich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit löste ich mich von ihr. Alles drehte sich. »Das musste jetzt sein«, keuchte ich.

»Definitiv.« Auch sie war außer Atem.
»Zeigst du mir das mit deinen Augen?«

»Jetzt?«

»Ja.«

Meine Lippen fanden ihren Hals und ich hauchte einen zarten Kuss auf deine weiche Haut. »Später«, murmelte ich.

Denn auch wenn es komisch war, selbst wenn ich Hunger hatte, im Moment wollte ich sie. Nicht ihr Blut.
Lucinda schnappte nach Luft. »Jetzt. Bitte.«

Statt zu antworten, knurrte ich. Dann packte ich sie vorsichtig fester, löste die Kleine von der Wand und trug sie eilig durch meine Wohnung bis in mein Schlafzimmer. Da ich beim Laufen leider nicht ihren Hals küssen konnte, was ich sehr bereute, fanden ihre Lippen die empfindliche Stelle unter meinem Ohr. Gott, ich hätte Lucinda fast fallen gelassen, so nahe ging mir ihre federleichte Berührung.

Im Schlafzimmer angekommen, schmiss ich das Mädchen auf’s Bett. Mit dem Rücken landete sie in den weichen Kissen. Wir streiften beide unsere Schuhe ab. Achtlos fielen sie auf den Boden.

Nur Sekunden später war ich wieder über ihr. Vorsichtig legte ich mich auf die Kleine, immer darauf bedacht, ihr auf keinen Fall wehzutun. Meine Unterarme stützten mich neben ihrem Kopf ab, sodass ich sie nicht erdrückte.

»Ich liebe dich, Álvaro«, hauchte Lucinda, während ihre Fingernägel über meinen Rücken kratzten, was mich fast wahnsinnig machte.

Ich bebte unter ihren Berührungen. »Yo también te amo, Mireyna«, flüsterte ich und senkte meine Lippen wieder auf ihre.

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