Kapitel 22
Lucinda
Es war so schön warm. Und geborgen.
Verschlafen schlug ich die Augen auf, vermutlich war ich eingenickt. Noch immer lehnte ich an ihn gekuschelt, mein Kopf ruhte an seinem linken Schlüsselbein. Unendlich zart glitten Álvaros Finger über meinen Rücken. Eine feine Gänsehaut bescherte mir das. Er roch nach verregneter, vollmondklarer Winternacht. Kalt. Ein bisschen scharf. Mit einem Hauch Thymian.
Die eisblauen Schmetterlinge mit den blutroten Tupfen flatternden wild in meinem Bauch auf.
»Hey, na, wieder wach?«, erkundigte Álvaro sich leise, seine Brust vibrierte unter meinem Ohr. Die Schmetterlinge spielten verrückt.
Ich krallte meine Hände fester in sein Hemd und nickte leicht. »Ja, wie lange habe ich geschlafen?«
»Nicht lange, vielleicht eine halbe Stunde oder so.« Seiner Stimme war anzuhören, dass er dieses zarte Lächeln auf den Lippen hatte, das ich so sehr liebte. »Allerdings war ich schon erstaunt genug, dass du überhaupt geschlafen hast.«
Wie auf Knopfdruck musste ich plötzlich herzlich gähnen. »Hmja, bin müde.«
Er lachte, fast unmerklich zog er mich ein Stück näher an sich. Es war ein schönes Gefühl. »Trotzdem. Normalerweise sind Menschen immer sehr aufgewühlt, nachdem wir von ihnen getrunken haben.«
»Wieso?«
»Nun ja, viele leisten nicht gern Blutzoll. Sie sehen keinen Sinn darin. Und es tut weh.«
Ich schmiegte mich enger an ihn. »Warum braucht ihr denn Blut? Außer natürlich zum Überleben.«
Der Vampir dachte kurz nach. »Wir haben Zugriff auf Magie. Sie ist ein Teil von uns. Der Preis dafür ist das Blut. Wir schätzen die Menschen. Abgaben und Steuern halten wir so gering wie möglich. Des Weiteren leben wir nicht in Saus und Braus. Unsere Familie achtete die Menschen, erwartet dies jedoch auch im Gegenzug.«
»Ach so, okay.« Einen Moment schwieg ich. »Dein Vater wirkte aber nicht sehr respektvoll. Ich meine, wenn er dich umbringen würde, nur weil du auf Männer stehst«, rutschte es mir heraus. »'Tschuldigung.«
Sanft strich Álvaro mir über mein graues Haar. »Alles gut. Mein Vater ist sehr streng. Und er mag mich nicht. Obwohl das noch gelinde ausgedrückt ist. Hassen trifft es besser. Aber das ist Aquila. In seinen Augen bin ich einfach nicht der Erbe, den er sich wünscht, ein Nichtsnutz. Würde er mich mögen, würde es mich vielleicht nur das Erbe und nicht gleich den Kopf kosten, wenn er davon wüsste. Aber naja, was soll man da machen? Vermutlich übernimmt mein Bruder jetzt den Thron.«
»Das tut mir sehr leid«, murmelte ich, während mir das Blut in die Wangen stieg. Und ich meinte es auch genauso. Unendlich schuldig fühlte ich mich.
Er zuckte nur mit den Schultern. »Muss es nicht. Jetzt bin ich ja hier. Und keiner schlägt mich dafür, dass ich Männer attraktiv finde.«
»Hm, ja, stimmt, trotzdem.«
»Ich weiß, trotzdem«, meinte er. »Lass uns jetzt aber über etwas anderes reden. Über dich zum Beispiel. Wie geht es dir?«
Irritiert hob ich den Kopf und sah ihn an. »Wie soll es mir gehen?«
Seine dunklen Augen musterten mich. Im Sternenlicht wirkten sie fast schwarz. »Wegen dem hier.« Ganz vorsichtig fuhr Álvaro mit seinen weichen Finger über meinen Hals.
Es brannte etwas und prickelte unangenehm. »Was hab ich da gemacht?«, fragte ich verwirrt und meine Hand zuckte zu meiner Kehle.
Unsicher musterte er mich. »Ähm, ich habe ... dich gebissen?«
Ich ließ die Hand sinken. »Oh. Stimmt.« Wie hatte ich das vergessen können? Wahrscheinlich, weil ich gerade so wohl fühlte. Bei ihm. Seufzend legte ich meinen Kopf wieder an seine Schulter und schmiegte mich an ihn. Der Vampir war so schön warm, Balsam für meine sonst so kalten Hände.
Ich war ganz froh, dass ich mir da für meinen Roman und die darin vorkommenden Vampire nicht solche Standlampen aus Twilight als Vorbild genommen hatte. Denn dann wäre Álvaros Haut jetzt nicht so schön warm und weich und seine Brust wäre nicht ansatzweise so unverschämt bequem. Nicht zu vergessen würde er bei Sonnenlicht leuchten als hätte jemand eine Vorteilspackung Supereinhornglitzer über ihm ausgekippt. Männlicher ging es ja kaum (an dieser Stelle wird empfohlen, ein Sarkasmusschild hochzuhalten).
»Schläfst du wieder?«, erkundigte Álvaro sich besorgt und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, keine Angst.« Plötzlich fiel mir etwas ein, das, wohlgemerkt, rein gar nichts mit dem Thema zu tun hatte. Ruckartig setzte ich mich gerade hin. »Oh Mist, ich habe deinen Pulli noch, den wollte ich dir eigentlich gestern wiedergeben.«
Seine blassen Lippen verzogen sich zu einem feinen Lächeln. »Behalte ihn, dir steht er besser als mir.«
»Aber das kann ich nicht, er gehört dir.«
»Jetzt nicht mehr. Sie es als Dank für dein Blut an.«
Ich schwieg kurz. »Du musst mir nichts schenken, nur weil ich dich an meine Vene lasse.«
»Doch, weil ich weiß, wie schwer dir das fällt. Aber du machst es trotzdem.«
Ich schluckte. »Ich mache es, weil ich möchte, dass du lebst.«
»Das weiß und schätze ich sehr«, antwortete Álvaro. »Und den Pulli schenke ich dir ja auch, weil du süß darin aussiehst. Soviel sei an dieser Stelle bitte gesagt. Außerdem hast du es nicht verdient, diese Panik zu verspüren, nur weil ich Hunger habe.«
Ich hob den Kopf und starrte ihn mit großen Augen an. Dass mir dabei das ganze Blut vor Scham in die Wangen stieg, nahm ich kaum wahr.
Er hatte gesagt, dass ich süß aussah.
Ich.
Die eisblauen Schmetterlinge mit den roten Tupfen tanzten in mir. Ich wollte, dass dieser Moment ewig andauert, malte mir aus, wie er sich jetzt zu mir hinunterbeugen und mich küssen würde.
Gott, wie gern ich seine blassen Lippen kosten würde.
Jäh fiel mir wieder ein, dass ich ihn schwul gemacht hatte und der Vampir mich vermutlich nicht mehr mochte als Logan oder Ash. Die Schmetterlinge erstarrten in ihrer Bewegung und fielen zu Boden. Ich konnte das klirrende Splittern ihrer eingefroren Körper förmlich hören. Und die Scherben waren spitz und scharf.
Ich blinzelte und löste mich von seinen dunklen Augen. »Ähm, ja.« Was hatte er gerade gesagt? Ach ja. »Ich nehme den Pulli, aber nur, wenn du mir versprichst, immer zu sagen, wenn du Hunger hast. Das mit meiner Panik wird schon etwas besser.«
Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, ob sie sich weich waren, wie ich es mir ausmalte? »Abgemacht. Und es freut mich zu hören, das es dich weniger quält.«
Ich bettete meinen Kopf wieder an seiner Schulter. Wenn ich schon Mal die Möglichkeit hatte und es ihn nicht störte, wieso dann nicht. Ich war gern in seiner Nähe. Zu oft hatte ich mir beim Schreiben genau diese Situation ausgemalt - abends, vorm Schlafengehen. Es war ein schöner Gedanke gewesen. Geschlafen hatte ich dann auch gut.
Jedoch hatte Álvaro in seinen Fantasien immer mich geliebt.
Das traf jetzt leider eher nicht zu.
Vermutlich war der einzige Grund für seine Zärtlichkeit die Tatsache, dass ich sein wandelnder Blutbeutel war. Und er mich zum Leben brauchte.
Frustriert krallte ich meine Finger wieder in sein Hemd und schloss bockig meine Augen. Hätte ich ihn doch nur nicht schwul gemacht.
Álvaro schlang seine Arme sanft um mich und legte seine Wange auf meinen Scheitel. »Wir sollten eigentlich langsam nach Hause.«
»Ich will aber nicht. Es ist gerade so schön warm«, murmelte ich beleidigt. Ich wollte hier nicht weg, dafür war das hier zu schön. Und er roch so gut.
»Logan bringt mich um«, lachte er leise.
»Nicht, wenn er es nicht weiß«, hielt ich trotzig gegen.
Seine starken Hände glitten nach unten zu meinen Oberschenkeln. Mit einem Rück packte er mich fest und stand schlagartig auf.
Quietschend schlang ich meine Arme um seinen Hals, um nicht runterzufallen. »Hey, was wird das?«
»Es ist schon sehr spät. Ich bringe dich jetzt nach Hause«, bestimmte er.
Ich wand mich in seinem Griff, nicht, weil es mir nicht gefiel, eher, weil mir die ganze Situation unangenehm war. Schließlich war ich nur sein Blutbeutel. »Na gut, aber lass mich runter, ich kann selbst laufen.«
»Wie du meinst.« Unendlich langsam ließ er mich an seinem Körper entlang gleiten, bis ich wieder auf meinen eigenen Beinen stand.
Ich biss mir auf die Unterlippe und zwang mich meine Arme von seinem Hals zu lösen. »Dann lass uns gehen.« Abrupt drehte ich mich um, schulterte meinen Beutel und ging in Richtung Dünenaufgang.
»Hey, warte.« Mit wenigen Schritten war er wieder neben mir, seine Muschel verstaute der Vampir gerade in seiner Hosentasche.
Ich war froh, vorhin schon meine Schuhe angezogen zu haben, sonst hätte ich sie sicherlich vergessen. Álvaro schien das Gleiche gedacht zu haben, denn auch er lief nicht mehr barfuß. Auf eine Art und Weise bereute ich schon, dass der schöne Moment vorbei war, dennoch war ich dankbar, es überhaupt erlebt zu haben.
»Darf ich dich etwas fragen?« Ich konnte förmlich seinen Blick auf mir spüren.
Ich zuckte mit den Schultern. »Klar.«
»Warum tust du dir das alles hier an? Ich meine, eigentlich müsstest du dich nicht um meinen Kram scheren.«
Einen Moment sagte ich nichts. Wir hatten die Düne erreicht, sanft strich uns der frische Wind durch die Haare. »Ich mag dich«, versuchte ich es mit der Wahrheit.
»Das ist der einzige Grund?«, wollte Álvaro erstaunt wissen.
Ich sah ihn an. »Reicht der Grund nicht?«
»Doch.«
Ich sah wieder auf den Boden vor mir, inzwischen hatte ich Sand in den Schuhen. »Gut.«
Er schwieg. Auch ich sagte nichts. Seine Nähe hielt mich vom Denken ab. Unwillkürlich kam mir in den Sinn, dass Jean heute Abend, oder eher morgen Vormittag, noch die Bilder in die Gruppe schicken würde. Etwas in mir freute sich darüber wie ein kleines Kind zu Weihnachten.
Denn ich wusste, dass Jean sehr gut fotografieren konnte. Er wusste, welche Farben zusammen passten, setzte Landschaft und Person perfekt in Szene. Und wenn das Model dann auch noch so verdammt gut aussah wie Álvaro, mussten die Bilder einfach umwerfend sein. Innerlich begann ich schon zu sabbern.
Inzwischen hatten wir festen Boden erreicht und bogen in eine Gasse ab.
In Richtung von meinem Zuhause.
»Musst du nicht woanders lang?«, erkundigte ich mich verwirrt.
Álvaro zuckte mit den Schultern. »Als ich sagte, ich bringe dich nach Hause, meinte ich das ernst.«
Und genau das tat er auch. Die meiste Zeit gingen wir schweigend nebeneinander her. Ab und an konnte ich seinen dunklen Blick auf mir spüren.
Einmal kam uns eine Clique aus drei Jungs entgehen, die etwas zu tief ins Glas geschaut hatten und demzufolge auch kurvig liefen. Ja, sie lallten regelrecht. Álvaro versteifte sich und lief näher bei mir. Erst als die Kerle vorüber waren, lockerten sich seine definierte Muskulatur wieder und er nahm ein wenig Abstand.
Ich fand es süß, wie er sich um mich kümmerte. Jedoch hielt er nur sein Wort. Nicht mehr und nicht weniger. Das durfte ich nicht vergessen.
Außerdem war er schwul.
Auch, wenn er nicht mit Jean zusammen war, wie er uns vorhin mitgeteilt hatte. Auf einer Seite freute ich mich sogar. Aber andererseits waren die beiden auch einfach zu verschieden. Er hätte mit Álvaros Schmerz und Vergangenheit nicht so gut umgehen können, dazu war Jean einfach zu quirlig und fröhlich.
Ein kleines Fünkchen Hoffnung keimte in mir. Hoffnung, dass ich Álvaro bekommen könnte. Doch ich erstickte den Gedanken im Keim. Es war so unrealistisch.
Wir erreichen das Haus, in dem ich wohnte. Wortlos hielt ich an. »Wir sind da«, erklärte ich gähnend und lehnte mich an den Türrahmen, meine rechte Schulter berührte das Holz der Tür.
Álvaro kam näher. »Okay.« Als er nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt war, hielt er inne.
Meine Finger zuckten, so stark war das Verlangen, ihm durch seine dunklen Haare zu fahren. Unbewusst biss ich mir auf die Unterlippe. »Ja.«
»Dein Hals sieht schon besser aus. Morgen früh sollte nichts mehr zu sehen sein.« Mit diesen Worten beugte er sich vor. Zärtlich leckte er über meine Wunde.
Sofort breitete sich eine heftige Gänsehaut über meinen ganzen Körper aus und nur schwer konnte ich ein Stöhnen unterdrücken. Mein Kopf sank nach hinten gegen den Türrahmen.
Langsam löste er sich von mir. »Schlaf gut, Lucinda. Wir sehen uns morgen. Gute Nacht.« Álvaro schenkte mir sein bezauberndes Lächeln, dann drehte er sich um und ging, ohne dich nach mir umzudrehen.
»Gute Nacht, du auch«, murmelte ich, obwohl er es nicht mehr hören konnte.
Das Herz schlug mir bis zum Hals und die eisblauen Schmetterlinge mit den blutroten Tupfen tanzten wild und chaotisch durch meinen Bauch.
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