Kapitel 13
Alejandro
Bei Gott, war ich dankbar, als endlich die Pausenklingel schnellte und mich vom Mr Davis’ Geschichtsunterricht befreite. Gestern hatte ich seinen Worten noch lauschen können, ohne dabei gedanklich über die fachliche Richtigkeit zu wüten. Der Mann schien komplett überzeugt von seinem Fach und erklärte zugegebenermaßen recht gut, was wann vorgefallen war. Auch die Zusammenhänge zwischen verschiedensten Ereignissen und Vorfällen konnte er erstaunlich logisch darbieten.
Aber als Mr Davis doch tatsächlich schilderte, wie die ersten Ländern in Europa von dem diktatorischen Gedanken immer mehr zu Republiken abschweifen, riss mein Geduldsfaden und ich musste mich strengstens zügeln, nicht aufzuspringen und den Tölpel einen Dummkopf zu schelten. Selbst heute war es bei uns zu Hause noch Gang und Gäbe, dass die mächtigsten Vampire über ihr Herrschaftsgebiet wachten und die nutzlosen Menschen kein Wort mitreden zu hatten. Diese autoritäre Denkweise war in Spanien weit verbreitet und sich die Nachbarländern verfolgten dieses Konzept.
Wie Mr Davis also auf solch skurrile Gedanken kam, wunderte mich dann doch.
Die einzig logisch Erklärung dafür war, dass es hier in der Regel keinen von meiner Gattung gab. Die Fürsten und Könige trugen allesamt wunderliche Namen ohne Bedeutung, auf keinem der Bilder waren sie durch den feinen Schwung der magischen Runen gezeichnet und das Wort Blutzoll fiel kein einziges Mal. Stattdessen sprach Mr Davis von Kriegen, Hungersnöten und schrecklich hohen Abgaben. Menschen bekämpften sich selbst, fanden mit der Zeit immer grausame Methoden, ganze Landstriche zu vernichten.
So waren wir Vampire nicht. Die Macht unserer Herrscher war mit körperlicher Kraft gleichzusetzen und somit kein einfacher Rang, in den man hineingeboren wurde, aber eigentlich war wie jeder anderer. Selbstverständlich kam es auch ab und an bei uns zu Unruhen, doch nur selten arteten diese aus. Das war der Vorteil, wenn sich die Spezies in verschiedene Gattungeen gliederte. Denn bei Mensch gegen Mensch war es schwer abzuschätzen, wer den Kürzeren zog. Doch wenn sich Mensch und Vampir gegenüberstanden, waren die Fronten deutlich.
Zumindest, wenn man mit ehrenvollen Waffen kämpfte. Solche, die mir mein Leben lang geläufig gewesen waren. Hier hatten die machen viel feigere Methoden entwickelt, um sich gegenseitig aus dem Leben zu befördern. Gewehre, Panzer und Bomben. Hätte bei uns jemand so eine Karte gespielt, wäre dieser alleine schon wegen Feigheit verbrannt worden. Es galt verpönter als mit einem Menschen Beischlaf zu leisten. Zumindest, wenn dies auf romantischer Natur basierte.
Ich selbst hatte ab und an die Vorzüge der menschlichen Weiblichkeit genutzt, allerdings stand die Befriedung meiner Lust an erster Stelle. So, wie es sich für einen Vampir gehörte. Eine Beziehung oder gar eine Ehe war unter aller Würde.
Gerade das machte die Tatsache nun auch so interessant, dass mein weiter Bruder eine Beziehung mit dem silberhaarigen Mädchen geführt haben soll. Zu gern wüsste ich, ob das der Wahrheit entsprach. Leider hatte ich ihn noch nicht persönlich fragen können, da Claire wie eine lästige Klette an mir klebte. Allerdings konnte ich dem Weib schlecht sagen, dass sie ihre Krallen von mir lassen soll, da sie immer noch als meine Nahrungsquelle fungierte.
Wenn ich dann doch einmal Ruhe vor dem Biest hatte, war Álvaro unauffindbar. Dem Knutschfleck nach zu urteilen, von denen er in den letzten beiden Tagen drei dazugewonnen hatte, schien er in solchen Pausen mehr als nur beschäftigt gewesen zu sein.
Mit Lorenzo.
Noch immer faszinierte mich dieser Gedanke. Denn trotz meiner, ich mag behaupten, exzellenten Sinne und Beobachtungsgabe war mir diese Tatsache größtenteils entgangen. Fast ein halbes Jahr mussten die beiden es miteinander getrieben haben. Zwar war mir aufgefallen, dass mein Bruder wenig Interesse an Rosana gezeigt hatte und auch Soleas Zuneigung ihrem zukünftigen Mann ein wenig einseitig gehalten war. Meine Schwester war zu blind gewesen, um dies zu erkennen, vermutlich weil sie Lorenzo wirklich geliebt hatte und er relativ gut schauspielern konnte.
Álvaro jedoch machte nun weiß Gott keine Hehl daraus, dass er nichts von einer Waisen wollte. Tatsächlich hatte mich das gewundert, da ich wusste, dass er nicht auf den Rang achtete, sondern stattdessen die Person für ihn Wert an sich hatte. Allerdings war mir dieses Verhalten mehr als nur recht gewesen. Denn ich wusste, dass es mein Bruder war, der entschied, ob er den Bund der Ehe mit Rosana einging. Somit hielt ich mich weitestgehend aus deren Beziehung raus.
Nur an jenem Tag, wo ich diese atemberaubende Frau das erste Mal gesehen - halb entblößt und unsagbar schön - und mein Bruder sie so brüsk verschmäht hatte, hatte mein Instinkt die Kontrolle von meinen Körper übernommen und Álvaro dafür bestrafen wollen, dass er ihr so etwas antat.
Hätte ich nur geahnt, dass er schwul war, hätte ich diese wertvolle Informationen meinen Vater mitgeteilt und mein Bruder wäre bestenfalls am Galgen gelandet, wenn Aquila ihm vorher nicht beim lebendigen Leibe gehäutet und verbrannt hätte.
Sowohl Rosana als auch der Thron wäre mein gewesen.
Allerdings musste ich auch zugeben, dass ich etwas gewittert hatte, als Lorenzo gestorben war. Denn Álvaros Zustand war den Verlust eines guten Freundes nicht gerecht gewesen. Denn alle hatte wir gedacht, dass die beiden schlichtweg eine Freundschaft führten, da sie sich ausgezeichnet miteinander verstanden.
Dass dem nicht so war, wusste ich nun auch.
Lorenzos Tod war auch für mich schmerzhaft gewesen. Jedoch weniger, weil mir etwas an dem Vampir lag, sondern viel mehr, weil mein Bruder mit einem Schlag so ruhig und gebrochen war, dass ich fürchtete, Vater könnte nun seinen Willen durchbringen und die Heirat zwischen Álvaro und meiner Geliebten herbeiführen.
Doch glücklicherweise war mein werter Bruder wenige Wochen nach Lorenzos nicht, mehr da. Das Bedauern war groß, meine Mutter und meine Schwester weinten viel. Die Zwillinge verstanden es kaum. Ich selbst hatte kaum etwas für meinen Bruder übrig. Wie Vater war ich gefasst und gerade zu froh.
Und wie erhofft fragte mich Aquila nur wenige Tage danach, ob ich Interesse an Rosana hatte.
Einer der schönsten Momente meines Lebens.
Ich verdrängte die Erinnerung und raffte mein Heft und die Stifte zusammen. Nur schwer hatte ich mich in den letzten Tage daran gewöhnen können, statt Feder und Tinte einen Stift zum Schreiben zu verwenden. Und noch immer fühlte es sich falsch an, die Buchstaben wirklte platter, stumpfer. Jede Linie war ebenso dick wie die nächste. Da war keine fließende Dynamik, welche das Schreiben mit einer Feder charakterisierte.
Inzwischen war ich fast der Letzte im Raum, so beeilte ich mich, meinen zerfledderten Rucksack zu Schulter und endlich aus diesem Gebäude zu verschwinden. Raus aus dieser Zusammenpferchung von jungen Menschen, welche von Natur und Gesellschaft keine Ahnung hatten.
Denn ich den wenigen Tagen, welche ich nun schon hier in dieser grauen Welt leben musste, hatte ich schnell gelernt, dass die Wesen hier mehr auf Technik und virtuelle Vernetzung setzten, als auf die strömende Harmonie mit Mutter Natur und ihren Bewohnern.
Kopfschüttelnd verließ ich den Raum und wollte den Gang hinter zu meinem Spind laufen, als sich jäh ein Schatten in meinem Weg stellte. »Alejandro.«
Ein falsches Grinsen schlich sich auf meine Lippen, als in dunkelbraune Augen blickte, welche die meinem hätten sein können, wären sie schmaler gewesen. »Álvaro, wie schön, den Herren auch einmal alleine anzutreffen.«
»Was tust du hier?«, knurrte mein Bruder. Vermutlich hatte er hier auf mich gewartet.
Teilnahmslos zuckte ich mit den Schultern. »Ich wüsste nicht, in welchem Belangen es dich kümmern sollte.«
»Spiel dich nicht so auf.« Álvaro entblößte seine Fänge.
Ich lachte leise. »Weshalb sind wir heute so gereizt? Ist etwas nicht in deinem Sinne?«
»Was tust du hier?«, wiederholte er kalt. »Und was willst du von mir?«
»Selbst hab ich doch keine Ahnung, was der Grund ist, hier in einer falschen Welt zu stecken.« Ich schnaubte. »Nicht immer dreht sich alles nur um deine Wenigkeit, Bruderherz.«
Schnell hatte ich beschlossen, dass es besser wäre, keine Art der Schwäche oder Verwirrung zu zeigen, obwohl ich ahnte, dass mehr wusste, als er vorgab. Dass er nützliche Informationen hatte. Doch ich würde mich nicht auf ein Niveau hinabbegeben, ihn um Rat zu fragen. Zumal auch er sichtlich unwissend schien, was mein Erscheinen betraf.
In diesem Punkt wusste ich vermutlich auch einen Tick mehr, was die Tatsache betraf, wie wir hier her gekommen waren.
Doch ich würde einen Teufel tun und diesen klitzekleinen aber dennoch wichtigen Fakt preiszugeben.
»Was willst du hier?« Sein Blick funkelten wie dunkler Edelstein.
Sichtlich gelangweilt rollte ich mit meinen Augen. »Viel spannender ist doch die Tatsache, dass du so krank bist und mit einem Mann etwas anfängst. Nicht sehr edel, Brüderchen.«
Tatsächlich sah er kurz betreten zu Boden, fing sich leider rasch. »Es ist nichts falsch daran.«
»Geistesgestörte Vampire wie du gehören verbrannt. Sowas ist gegen die Natur«, spottete ich verächtlich.
Álvaro schlug zu. Ich sah es nicht kommen, so traf mich seine Faust frontal im Gesicht. »Sag das noch einmal.«
Mein Kopf flog zurück und knallte gegen meine Schulter. »Du bist krank.« Kurz darauf spürte ich schon, wie das Blut aus meiner Nase rann und der Wangenknochen unter dem einen Auge zu pulsieren begann. Das würde ein Veilchen der feinsten Sorte geben. »Und dann noch mit einem Menschenweib etwas anfangen. Nicht sehr chevaleresk. Gott, Bruderherz, das ist doch etwas unter deinem Niveau, meinst du nicht? Sie ist noch nicht einmal eine Schönheit.«
»Sprich nicht so von ihr«, fauchte er und schlug erneut zu, doch ich konnte mich diesmal geschickt ausweichen.
Ich lachte kalt. »Wieso? Ich dachte, du liebst Lorenzo, krank wie du bist, was kümmert dich dann so ein dummes Menschenweib?«
Sein Kiefer war verkrampft und die Augen zusammengekniffen. Ich wusste, wie gern mein Bruder wieder und wieder zuschlagen wollte, aber sein weiches Herz stand ihn wie immer im Weg. Einer der Gründe, warum ich dee wahre Erbe war.
Die Rune des Erben hätte die meine sein müssen.
»Ál?« Lorenzos Stimme ertönte im Gang, Schritte kamen immer näher. »Wo bist du?«
Ich zog die Nase hoch, sodass mir das Blut auf widerlichste Weise den Rachen hinunter rann. »Denk über meine Worte nach, Bruderherz.«
Damit drägte ich mich an ihm vorbei. Álvaro machte keine Anstalten, mich aufzuhalten oder mir gar zu folgen. Weshalb auch? Tief drin war ihn vermutlich klar, dass ich im Recht war.
Allerdings hatte diese kleine Unterhaltung mir ebenfalls wertvolle Informationen geliefert. Denn scheinbar schien ihm etwas an diesem silberhaarigen Menschenmädchen zu liegen.
Wieso also sollte ich da ein wenig die Fäden hinter seinem Rücken ziehen?
Zugegebenermaßen, das Mädchen war keine Schönheit, wie Rosana es war. Zwar besaßen beide eine außergewöhnliche Haarfarbe, doch die fuchsroten Strähnen der Vampirin baten zumindest noch etwas Natürlichkeit. Des Weiteren sprich ich Lucinda viel weniger Selbstbewusstsein zu. Würde sie mir kontra geben? Oder wäre sie ein schüchternes Ding, mit dem ich nichts anfangen konnte?
Ein stechender Schmerz mache sich in meiner Brust breit, als mir vollends klar wurde, dass Rosana wirklich weg war. Nie wieder würde ich sie in den Arm nehmen können. Ihren feinen Duft nach Rosmarin würde ich niemals vergessen. Ebenso wie ihre zarte Haut, wenn sie sich an mich schmiegte.
Denn wie mein Bruder hatte ich mich nicht daran gehalten, wer wem versprochen war. Zumal das Weib vor Lust triefte; Álvaro hatte sie ja nie davon befreit und zumindest ihre Lippen befriedigt. Selbstverständlich war das voll in meinem Interesse.
Dennoch war das stechende Verlustgefühl in meiner Brust fremd und abartig. Noch nie hatte ich so etwas gespürt. Und würde es sich nie wieder empfinden. Mit diesen Gedanke schon ich das Stechen beiseite und widmete mich gedanklich wieder dem Silberhaar.
Inzwischen fragte ich mich, ob ihre Haarfarbe nicht doch irgendwie einzigartig und besonders war. Die Harmonie mit ihren wiesengrünen Augen war ohne Zweifel geradezu köstlich. Zu gern würde ich ihr Blut kosten, es musste ja geradezu delikat sein, wenn sogar mein schwuler Bruder ein bestimmtes Interesse an dem Mädchen hegte.
Denn das war in meinen Augen der einzige Grund, weswegen er etwas für das dumme Ding empfand. Ihr Blut. Gewiss hatte Álvaro davon gekostet. Und bestimmt hatte er nicht mehr von ihr ablassen können.
Bis Lorenzo kam.
Doch eine war sicher. Das Weib bedeutete meinem werten Bruderherz etwas. Wieso sollte ich das nicht ausnutzen?
»Oh Gott, du blutest ja«, riss mich die zarte Stimme eines Mädchens aus den Gedanken.
Ich stoppte und wandte mich zu ihr um. Es war das kleine wirklich winzige Ding, welchen gestern Mittag schon bei mir am Tisch gesessen hatte. Man könnte fast sagen, sie war am Boden geblieben. Unsicher stand sie an ihrem Spind und sortiere ihre Bücher ein.
»Das ist nichts«, wehrte ich ab.
Doch ihre zweifarbigen Augen bohrten sich von unten in die meinem und sie schloss das Schließfach. »So sieht es aber nicht aus. Das schaut schlimm aus. Komm, ich bringe dich zur Schulkrankenschwester.«
Einen Moment wollte ich das kleine Biest abwimmeln, doch dann schoss mir ein geradezu exzellentet Gedanke in den Kopf.
Ein breites, diebisches Grinsen stahl sich auf meine weichen Lippen.
Wieso den Freundeskreis um das Silberhaar nicht etwas aufmischen? Das Mädchen hier schmeckte bestimmt auch.
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