Bonuskapitel 3
Liv
Die letzten Farben hatten sich schon vor einer Weile vom weiten Himmelszelt verflüchtigt. Dennoch spendete der vage Halbmond genügend Licht, um die Wellen gegen die Küste schlagen zu sehen, angefacht von dem milden Wind, der mit meinen schwarzen Strähnen spielte. Immer, wenn die Brise kurz auffrischte, tanzte eine feine Gänsehaut auf meinen Armen. Inzwischen bereute ich stark, kein Jäckchen mitgenommen zu haben. Ich fröstelte.
»Möchtest du meinen Pulli haben?« Sanft strich Logan mir über's Haar, sein Herz pulsierte unter meinen Kopf. Er schien gemerkt zu haben, dass mir kalt war.
Ich rümpfte meine Nase. »Dazu müsste ich ja aufstehen«, murrte ich grinsend, Sport war schließlich nicht meine Stärke.
»Das ist doch aber immer noch besser, als am Ende krank zu werden, oder?«, fragte Logan und lachte leise.
Widerwillig seufzend setzte ich mich auf. »Na gut, du hast gewonnen. Aber nicht, dass du dann frierst.« Das wäre ja noch die Höhe. Am Ende lag er mit Grippe im Bett. Vorzugsweise mit Männergrippe. Dann könnte ich gleich einen Grabstein bestellen.
Er erhob sich ebenfalls. »Nein, alles gut, ich friere nicht so schnell.« Verboten elegant zog er sich den Hoodie über den Kopf. Dabei rutschte sein graues Muskelshirt ein Stück nach oben und legte seinen Bauch und einen Teil seiner festen Brust frei. Die Schatten, geworfen vom Mondlicht, tanzten im Spiel seiner fein definierten, aber auch nicht übermäßigen Muskeln. Logans Oberkörper war, wie vermutlich auch der Rest, angenehm trainiert und mit einem Mal juckte es mir in den Fingern. Ich wollte auf einen Schlag sofort meine Fingerspitzen über seine vermutlich seidig weiche Haut gleiten lassen. Bildlich konnte ich mir vorstellen, wie er eine feine Gänsehaut bekam und bebte.
Schnell wandte ich dem Blick ab, um nicht anzufangen zu sabbern, und starrte interessiert auf die kleine Ameise, die trotz der späten Tageszeit noch fleißig einen Brotkrümel durch den Sand zerrte. Es war schon erstaunlich, was so ein kleines Tier alles schleppen konnte. Irgendwo hatte ich gelesen, dass diese winzigen Insekten Dinge tragen konnten, die bis zu achtmal so schwer waren wie sie selbst. Oder war es sechsmal gewesen? Naja, war jetzt auch egal. Obwohl ... Was ich wohl so alles unter den Umständen tragen konnte? Das Herz eines Blauwals? Bestimmt. Was wohl noch?
»Hier.« Logan reichte mir seinen Hoodie und riss mich somit aus meinen philosophischen Gedanken über Ameisen.
Dankend nahm ich den dunklen, angewärmten Stoff und streifte mir den Pulli über. Er war so weich und sofort wurde mir wärmer. Natürlich ging ich in dem Ding wie ein Schluck Wasser. Ein sehr kläglicher Schluck Wasser noch dazu. Die Ärmel waren mir deutlich zu lang, reichten bis über meine Fingerspitzen und mein Oberkörper hätte locker noch ein weiteres Mal in das Kleidungsstück reingepasst.
Dennoch war der Hoodie unglaublich bequem und kuschelig. Mir wurde klar, warum so viele Mädchen, unabhängig ob in einer Beziehung oder single, so häufig oversize trugen. Es war einfach der Hammer. Man fühlte sich so unbeschreiblich geborgen. Bis jetzt hatte ich mich immer gegen Pullis aller Art gewehrt, da ich durch meine zierliche Statur immer das Gefühl gehabt hatte, in den Schlabberdingern auszusehen wie ein Nilpferd. Ein klein wenig dachte ich das zwar immer noch, allerdings überwog der Teil, der dieses bequeme Gefühl liebte, nun doch sehr deutlich.
Ich nahm mir vor, meinen knallbunten Kleiderschrank, der hauptsächlich aus Blusen, Röcken und Kleidern bestand, um einige Hoodies zu erweitern. Es war eine Schande, dass ich wirklich keinen einzigen besaß. Vielleicht gab es auch knallbunte Pullis? Oder gepunktete, oder welche mit Blümchen? Oh Gott, Blümchen waren so toll! Oder mit Klecksen, das würde bestimmt hervorragend zu dem rosarot melierten Rock passen, der in meinem linken Kleiderschrank hing ...
»Wird dir wärmer?«, erkundigte sich Logan und holte mich aus meinem virtuellen Kleiderschrank zurück.
Ich strahlte ihn an. »Ja, danke dir.«
Erst jetzt nahm ich den herb würzigen Duft wahr, der von Logans Hoodie ausging. Und sofort musste ich dem Drang widerstehen, wohlig zu seufzen. Ich konnte nicht genau beschreiben, wonach er im Detail roch, doch es erinnerte mich an dieses Aftershave oder dieses betörende Parfum, das Männer so gerne trugen. Das, welches uns Mädchen immer so den Kopf verdrehte. Mein Herzschlag beschleunigte.
Ehrlich gesagt fragte ich mich, wieso mir Logans Duft erst jetzt so auffiel. Schließlich waren wie den ganzen Nachmittag zusammen unterwegs gewesen und die letzte Stunde hatte ich sogar neben ihn gelegen. Wir hatten dem Himmel bei seinem Farbenspiel der Gefühle zugesehen, bis das Licht nach und nach der milden Nacht gewichen waren. Vereinzelte Wolkenfetzen zitterten über das Himmelszelt und verdeckten periodisch das ein oder anderen Sternzeichen. Die kleinen Lichtpunkte schmückten die Nacht wie kleine Laternen. Nur waren sie viel ferner und daher auch viel größer. Gigantische Feuerbälle. Sie waren so weit weg, dass einzelne jetzt zu diesem Zeitpunkt schon tot waren, wir aber durch die Entfernung noch immer ihr Leuchten sahen.
Ein faszinierender Gedanke.
Logan ließ sich wieder auf den Rücken sinken, legte eine Hand unter seinen Kopf und mit der anderen griff er neben sich. »Magst du noch eine Weintraube haben?«
Ich legte mich neben ihn, diesmal auf die Seite, und kuschelte mich an ihn. Sein Herzschlag war wirklich verdammt beruhigend. Unwillkürlich fragte ich mich, wieso er mir nicht früher aufgefallen war. Denn schließlich stach er mit seinen himmelblauen Augen, den dunklen Haaren und dem unglaublich attraktiven Schnitt seines Gesichts deutlich aus der Masse hervor. Dazu war er auch nicht gerade klein.
Jäh fiel mir ein, dass Claire ihn ab und an eben auf jene Augen angesprochen hatte. In einem Kontext, um seine beste Freundin zu beleidigen. Die Kleine mit den grauen Haaren, wenn ich mich nicht täuschte. Wie war nochmal ihr Name? Lucy? Keine Ahnung. So ähnlich.
Jedenfalls hatte ich Logan nie so wahrgenommen, doch letztens auf der Party, als er mich angesprochen hatte, hatte mein Herz höher geschlagen. Mein Selbstbewusstsein war noch nie das beste gewesen, daher war ich auch nie davon ausgegangen, dass ein so hübscher Typ jemals auf mich aufmerksam werden könnte. Umso geehrter fühlte ich mich auch. Wir konnten gut miteinander reden; gestern Abend, einen Tag nach der Party hatte er mich über Instagram nach meiner Nummer gefragt und so hatten wir abends etwas geschrieben. Heute nach der sechsten Stunde hatte Logan mich dann gefragt, ob wir heute etwas zusammen machen wollten.
Getroffen hatten wir uns in einem der hübschen Parks der Stadt, ich hatte meine Picknickdecke mitgenommen, da wir uns mit etwas zu Essen irgednwo gemütlich hinsetzen wollten, Logan hatte Weintrauben und Getränke besorgt. Nach sehr langem Hin und Her hatten wir uns dann dazu entschieden, zum Chinesen zu gehen. Wir hatten beide herzlich lachen müssen, als sich herausgestellt hatte, dass wir dort am liebsten Nudeln mit Hähnchen aßen.
Mit zwei Portionen und zweimal Stäbchen im Schlepptau hatten wir uns anschließend zum Stand aufgemacht. Man sollte vielleicht auch dazu sagen, dass ich die Dinger noch nie verwendet hatte. Gabel for life. Doch als wir dann im weichen Sand saßen, unsere Nudeln öffneten und ich ihn gestand, noch nie mit Stäbchen gegessen zu haben, hatte Logan lachen müssen. Allerdings hatte er mir in den nachfolgenden Minuten geduldig erklärt, wie man mit Stäbchen aß und nach langem Üben und ständigen Fallenlassens meinerseits hatte ich dann die ersten Nudeln im Mund. Nach und nach wurde ich sicherer und mein Nudelbecher leerer und leerer. Logan war natürlich viel früher fertig gewesen als ich, doch als er fragte, ob ich gefüttert werden wollte, lehnte ich ab. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt und ich wollte es unbedingt alleine schaffen. Logan hatte nur gelacht.
Irgendwann danach hatten wir uns dann nebeneinander gelegt und in die Sterne gesehen. Dabei war mit der Zeit dann das typische Gespräch über Gott und die Welt aufgenommen. Wir mussten feststellen, dass wir ausgezeichnet miteinander reden konnten. Nie entstanden diese komischen Pausen, wo keiner wusste, was er sagen sollte.
Ein Vibrieren riss mich zum keine Ahnung wievielten Mal aus den Gedanken. Kurz schien Logan es ignorieren zu wollen, doch dann fummelte er seufzend sein Handy aus der Hosentasche. Von der Seite konnte ich vage den Namen seiner besten Freundin auf dem Display sehen.
Stimmt, Lucinda, nicht Lucy.
»Sie ruft sonst nie an«, murmelte Logan. »Ich muss da rangehen, tut mir leid.«
»Ja, kein Ding«, erwiderte ich missmutiger als beabsichtigt. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie fühlte es sich an, als würde sie den schönen Abend ruinieren.
Er nickte und nahm den Anruf an. »Luz?«
Die Eifersucht durchfuhr mich wie ein glühender Pfeil. Auch wenn ich wusste, dass sie nur befreundet waren, tat es weh. Ich wollte nicht, dass der Junge anderen Mädchen Spitznamen gab.
Da er das Handy am Ohr hatte und beides nicht allzuweit von mir entfernt war, konnte ich hören, was das Mädchen sagte. »Logan«, schluchzte sie.
Mir wurde schlecht, als ich merkte, dass seine beste Freundin total aufgelöst war und weinte.
Er setzte sich ruckartig auf, sodass ich unsanft von seiner Brust rutschte. »Oh mein Gott, ist alles okay?« Seine Stimme klang panisch.
»Du musst kommen. Ich bin auf dem Weg zu mir nach Hause. Bitte«, weinte sie.
»Was ist denn passiert?«, wollte Logan wissen. Die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Ich kann nicht reden«, stieß Lucinda erstickt hervor und legte auf.
Perplex ließ Logan das Handy sinken. Selbst im dem spärlichen Mondlicht konnte ich sehen, wie blass er war. »Liv ... ich ...« Logan fuhr sich frustriert durch die Haare. »Es tut mir leid, aber ich muss zu ihr. Irgendwas ist passiert.«
»Ja, alles gut, kann ich verstehen«, beschwichtigte ich ihn, auch wenn ich es nicht wollte. Es war gerade so schön gewesen.
Er rappelte sich auf und begann hastig, die Weintauben einzupacken. »Danke dir. Wenn du magst, kannst du die Weintrauben mitnehmen, soll ich dir noch mit der Decke helfen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ist schon gut, mach dich los.« Die Sache mit Lucinda hatte sich doch ganz schön dringend angehört, und auch wenn ich eifersüchtig war, war ich nicht herzlos. Sie braucht ihn gerade dringender.
Dankend nickte Logan mir zu. »Du bist ein Schatz«, sanfte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. »Der Abend war schön, vielleicht sieht man sich ja morgen.« Mit diesen Worten sprang der Junge auf und hastete den Strand entlang zum nächsten Aufgang. Kurz darauf war er in der Düne verschwunden.
Da saß ich nun. Alleine in einem übergroßen Pulli spät abends am Strand. Eine Sternschnuppen zuckte plötzlich über das Himmelszelt.
Und ich wünschte mir, Lucinda hätte nie angerufen.
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