9 (Lavandula)
"Wie fühlst du dich?", fragt meine Mutter.
Ich hole tief Luft, um mich zu beruhigen. "Gut.", antworte ich mit zittriger Stimme. Das mit dem Beruhigen hat wohl nicht ganz so gut geklappt.
"Schließ die Augen und versuche, dich etwas zu entspannen.", rät sie mir.
Ich folge ihrer Anweisung. Innerlich baue ich meinen Ort am See von Bäumen umgeben um mich herum auf und atme tief ein. Immer in meinen Bauch. Ein. Aus.
Die Ausatemphasen lasse ich dabei doppelt so lange andauern, wie die Einatemphasen.
Nach einer Weile fragt mich meine Mutter wieder, wie es mir geht.
Ich nicke nur leicht, um ihr zu bestätigen, dass ich nun ruhiger bin.
Auf dieses Kommando hat meine Mutter nur gewartet. Sie reißt mit einem schnellen Ruck die Tür auf und lässt die Leute rein.
Plötzlich erfüllt ein unruhiges Stimmengewirr den Raum. Die gewohnte Stille, die ich mein ganzes Leben lang kannte, ist auf einen Schlag weg. Erschrocken reiße ich meine Augen auf.
Es ist das erste Mal, dass ich diese Leute sehe. Genauso ist es das erste Mal, dass sie mich sehen.
Heute findet die Zeremonie statt, die mich offiziell zum "Herz der Welt" machen wird. Demzufolge wird ein gewisses Auftreten in passender Kleidung von mir erwartet. Und das ist auch der Grund aus dem die besten und bekanntesten Designer, Stylisten und Profis in was-weiß-ich-welchen Gebieten geladen sind, um aus mir herauszuholen, was möglich ist.
Sobald die Meute den Raum betreten hat, hat sie angefangen sich zu beraten. Während ich also auf einem Stuhl vor ihnen sitze, schauen sie mich aus einiger Entfernung an und beraten sich über passende Farben, Schnitte und Frisuren.
Noch nie habe ich mich so ungewohnt, so beobachtet, so präsentiert gefühlt.
Und dann endlich, ganz am Ende der Meute taucht eine zierliche Gestalt auf und drängt sich durch die Menge hindurch. Schnell überwindet sie die unsichtbare Grenze, die mich von meinem Volk trennt und tritt an meine Seite. Ivy, ist meine Rettung. So ausgestellt, war ich kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.
Sie hockt sich neben mich und nimmt meine Hand. Dann lenkt sie mich ab, indem sie über Belanglosigkeiten redet. Und ganz plötzlich ist alles still.
Verwundert konzentriere ich mich wieder auf die Meute vor mir. Nur um festzustellen, dass diese verschwunden ist.
"Sie kommen gleich wieder.", erklärt Ivy. "Sie holen nur die Kleider und Accessoires, die sie schon vorbereitet hatten."
Und sie hat recht. Nur wenige Minuten nachdem sie verschwunden waren, sind sie wieder da. Und dieses Mal bringen sie Kisten, Boxen, Taschen, Beutel und ganze Kleiderstangen mit. Der eigentlich recht große Raum ist binnen weniger Augenblicke so zugestellt, dass kaum noch Platz zum Treten bleibt.
Meine Maße kennen sie bereits. Zuvor wurden Kleidungsstücke, die ich normalerweise trage zu ihnen gesandt, damit sie ungefähr wissen, worauf sie sich einstellen müssen.
Und dann beginnt das ganze Chaos.
Zuerst werde ich in die verschiedensten Kleider gesteckt. Schnell wird mir bewusst, dass die Maße das Einzige sind, was sie von mir wissen. Scheinbar haben sie kein Stück auf die Farben meiner Kleidung geachtet.
Statt dunkler und kräftiger Töne, die ich bervorzuge, werde ich in sehr helle, mädchenhafte Farben gepackt. Es gibt zahlreiche kleine Verzierungen. Überall sind Perlen verarbeitet. Gefühlt alles glitzert und schimmert. Und Stickereien in Form von Blumen und Schmetterlingen sind tatsächlich immer vertreten. Mir ist das alles zu bunt, zu hell, zu viel. Aber Ivy schaut mit leuchtenden Augen auf jedes winzige Detail. Und zum ersten Mal in meinem Leben würde ich ihr gerne meinen Platz geben, um sie glücklich zu machen. Aber das kann ich nicht.
Nachdem die Auswahl auf ein leichtes hellblaues Kleid gefallen ist, welches ein feines Muster aus Blumenranken ziert und meine Taille betont, werde ich wieder in normale Kleidung gebracht. Mindestens fünf Leute beschäftigen sich mit meinem Make up un meinen Haaren. Die meiste Zeit über lasse ich die Augen geschlossen und versuche meine Entspannungsübungen zu machen, während an mit gearbeitet wird.
Am Ende dieses Prozederes steige ich wieder in das hellblaue Kleid, welches mir jetzt auch perfekt passt, da es noch einmal angepasst wurde.
Und ganz zum Schluss werden mir Schmuckstücke und Schuhe gereicht. Diese sind hauchzart und zeigen - wie nicht anders zu erwarten - Schmetterlinge und Blüten als Motive. Ich bin sehr erleichtert, so einfache Schmuckstücke tragen zu können. Als ganz am Anfang eine Kiste über und über mit rießigen Klunkern geöffnet wurde, ist mit schon ganz anders geworden.
Schließlich sind sie fertig und enthüllen einen breiten Ganzkörperspiegel.
Faszniniert betrachte ich mein Spiegelbild. Mein Gesicht schimmert. Meine Augen strahlen förmlich. Die Farben stehen mir hervorragend, soweit ich das beurteilen kann. Meine Haare sind zum Teil hochgesteckt, fallen aber auch noch locker nach unten.
Ich glaube, ich bin schön. Vielleicht kann auch jeder schön sein, der so ausstaffiert wird.
Die Meute betrachtet zufrieden ihr Werk. Mein Blick verweilt auf meinem Gesicht. Ich habe es noch nie so klar sehen können. Ich berühre meine Wangen, meine Nase, mein Haar. Wahrscheinlich könnte ich stundenlang so bleiben und mich einfach nur betrachten. Aber das geht nicht.
Die meisten schauen täglich in den Spiegel, teilweise sogar mehrmals. Und das ein ganzes Leben lang. Wahrscheinlich gefällt nicht jedem immer, was er erblickt. Aber in den wenigen Minuten, die ich Zeit habe, mich zu betrachten, kommt mir dieser Gedanke gar nicht auf. Ich empfinde mich nicht als schön oder hässlich. Ich bin nur fasziniert.
Irgendwann kehre ich aus meinen Gedanken zurück und erkenne verwundert, dass außer mir nur noch zwei andere Leute im Raum sind.
Meine Mutter und Ivy.
"Wo sind sie alle hin?", frage ich.
Ivy bringt mich auf den neuesten Stand. "Sie warten draußen auf dich."
"Alle warten draußen auf dich.", fügt meine Mutter ernst hinzu. "Sie warten seit über zwanzig Jahren darauf, dein Gesicht zu sehen."
"Ich gehe schon mal vor.", verkündet Ivy und verschwindet.
Ich muss schwer schlucken.
"Bist du bereit?", fragt meine Mutter, als wir allein sind.
"Ich glaube schon." Meine Stimme ist schwach, zittrig.
Wir beide wissen, dass es keine wirkliche Rolle mehr spielt. Ich werde erwartet. Es wird Zeit zu tun, was ich tun muss.
~
Jemand öffnet von außen die Tür meiner Kutsche. Sie ist direkt aus unserem Hof losgefahren. DIe ganze Zeit hatte ich die Vorhänge vor. Die Jubelrufe von draußen drangen herein und haben die Anspannung in mir drin mit jeder Sekunde wachsen lassen. Die gesamte Fahrt dauerte nicht lange, nur ein paar Minuten.
Langsam steige ich aus und sehe zum ersten Mal in meinem Leben die Menschen, die mich brauchen und auf mich zählen. Die Menschen, für die ich mein Leben leben werde. Mein Volk.
Und ganz plötzlich ist es mucksmäuschenstill. Nur damit eine Sekunde später Lautstärke explodiert.
Mein Herz pocht vor Nervosität. Hilfesuchend schaue ich in den Himmel, von wo die Sonne brennt. Trotz dieser Hitze sind so unglaublich viele Menschen da, die nur mich sehen wollen. Und irgendwo hier ist auch Ivy und steht mir bei.
Dann wende ich mich um und gehe langsam den Weg lang, der für mich seit meiner Geburt vorbestimmt ist. Vorbestimmt, wie meine gesamte Existenz.
Ich gehe auf die Treppe zu, die zum Palast führt. Ganz oben stehen meine Eltern und lächeln mir zu. Daneben steht der König und noch andere wichtige Menschen, die ich bald kennenlernen werde.
Und während ich die Reihen abschreite, verdunkelt sich der Himmel etwas und lässt erste Tropfen fallen.
Für einen Moment halte ich inne blicke zu den dunklen Wolken auf. Schnell wird es immer dunkler und der leichte Nieselregen weicht schweren, großen Tropfen.
Dennoch bleibe ich stehen und schaue nach oben. Dann fange ich an, zu lächeln.
Ich habe den Regen oft gesehen und wollte immer wissen, wie er sich anfühlt. Doch ich habe ihn nie gespürt. Sobald die ersten Anzeichen am Himmel standen, wurde ich ins Haus geholt und konnte mir noch dabei zusehen, wie die Tropfen die Scheibe hinabrinnen.
Heute ist mein erstes Mal. Das erste Mal, dass ich Regen spüre. Das erste Mal, dass ich in einer Kutsche fahre. Das erste Mal, dass ich diesen Weg zum Palast hinaufgehe. Das erste Mal, dass ich mein Volk sehe.
Heute ist der erste Schritt, den ich in mein neues Leben gehe. Und es werden noch viele weitere erste Male folgen.
Der Regen ist der Gruß meines neuen Lebens. Er wäscht das Alte von mir ab und bereitet mich auf das Neue vor.
Was auch immer passiert, nun wird alles anders.
Mein Leben beginnt.
Jetzt.
~
So Leute,
Dies ist Teil 9.
Was haltet ihr von dem Ganzen?
(Regen als Gegenmotiv zum Feuer. Bin ich nicht genial?... Vermutlich nicht. Naja, was solls.)
Wie wird das erste Zusammentreffen mit dem König verlaufen?
Bei der Umfrage letzte Woche haben sich ja die meisten als Eulen bezeichnet. Laut einer Umfrage sind 2/3 der deutschen Bevölkerung Eulen.
Ihr seid zwar nicht alle aus Deutschland, aber ich halte diese Aussage für recht allgemeingültig.
Diese Woche hatte ich noch Praktikum. Und es war einfach mal sooooo cool. Ich bin wirklich mit einem lachenden und einem weinenden Auge gegangen.
Die nächsten zweieinhalb Wochen habe ich jetzt frei, bis ich dann am
1. August mit meiner Arbeit anfange.
Vielleicht schaffe ich dann mehr Teile pro Woche.
15.07.18
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