5 (Lavandula)

Das Spielen gestaltet sich sehr schwierig.

Wir sitzen auf dem Balkon, der zu meinen Räumlichkeiten gehört. Er ist vollgestopft mit Topfpflanzen aller Art. Kleine und große. Sie verwandeln ihn in einen Urwald.
Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen findet dennoch am Rande des Balkons Platz und offenbart einen herrlichen Blick über die Anlage.
Das gläserne Schachbrett ist direkt in die Tischplatte eingelassen. Die zugehörigen Figuren bewahre ich in einer kleinen Kiste auf, die ich unter einer Palme lagere.

Mein Blick schweift in die Ferne, während ich mir die nächsten Züge überlege.
Von hier aus hat man eine wunderbare Sicht auf die Gartenlandschaft. Auf einer Seite glitzert ein See im Licht der Sonne. Dieser ragt zum Teil in den Wald hinein. Dort ist auch die schattige Bucht, wo Ivy mich vorhin abgeholt hat. Die Bäume setzen sich an den Grenzen des Gartens fort und rahmen meine kleine Welt somit vollständig ein.
Auf der anderen Seite ist der Obsthain von dem ich mich im Spätsommer immer bediene. Und Blumenbeete finden auch noch Platz. Dort hat meine Mutter ihr persönliches Reich erschaffen. Ihren bevorzugten Rückzugsort. Umgeben von Rosen, Lavendel und Holunder übt sie ihre tägliche Meditation aus.

Ivy ist abgelenkt und unkonzentriert wie nie.

Sie war im Schach zwar noch nie eine großartige Gegnerin für mich. Aber ich habe es trotzdem noch nie geschafft, sie innerhalb von drei Zügen matt zu setzen. Wenigstens so viel Einsatz hat sie bisher gezeigt.

Heute hingegen bemerkt sie kaum, welche Figur, sie wohin setzt. Scheinbar wahllos nimmt sie Figuren auf und stellt sie irgendwo anders wieder ab. Zumeist hat sie dabei kaum die Gangart der einzelnen Figuren im Kopf. Immer wieder muss ich sie darauf hinweisen, was welche Figur darf und was nicht.
Jetzt gerade versucht sie ihren Turm diagonal über das Feld zu führen.
Seufzend nehme ich ihr den Turm aus der Hand und stelle ihn auf seinen angestammten Platz zurück.

Ich würde sie am liebsten durchschütteln bis sie mit mir redet. "Was ist heute bloß los mit dir?"

Sie zuckt zusammen. Für einen kurzen Moment scheint es, als wolle sie etwas sagen, dann presst sie aber wieder fest die Lippen aufeinander und starrt weiter auf das Spielfeld.
Auch das ist heute anders. Nicht viele wagen den offenen Blick in meine Augen. Aber sie hat ihre Scheu vor meiner Person eigentlich schon vor Jahren verloren.

Ich stehe auf und hocke mich neben sie. Sie rührt sich nicht, schaut weiter stur auf das Feld. Ihre Hände hat sie zur Faust geballt, als würde sie sich von irgendetwas abhalten wollen.
Vielleicht würde sie sonst aufspringen und wegrennen?
Vielleicht hat sie wieder Angst vor mir?
Vielleicht habe ich einen schwerwiegenden Fehler begangen und sie will nicht mehr länger mit mir Zeit verbringen.
Um ehrlich zu sein, plagen mich diese Ängste seitdem ich sie kenne.
Sie hat mir das Gefühl genommen, allein zu sein. Und dieses Gefühl will ich nie wieder haben.

Ich nehme eine ihrer verkrampften Hände in meine.
"Was ist los?", versuche ich es nochmal. Diesmal ist meine Stimme viel sanfter, nur ein leiser Hauch. Den Vorwurf der vorhin mitklang, habe ich nun völlig aus meiner Stimme verbannt.

Sie schaut auf. Für einen kurzen Moment schaut sie mir in die Augen. Und obwohl ich sie fast so gut kenne, wie mich selbst, kann ich ihren Blick nicht deuten. Ich habe keine Ahnung, welche Gedanken und Gefühle sich in ihren Augen widerspiegeln.

Fast tonlos flüstert sie:"Ich werde wahrscheinlich bald nicht mehr wiederkommen."
Ihre Augen glänzen. Dann schaut sie wieder weg. Aber ich sehe dennoch die Träne, die sich aus dem mir abgewandten Auge stiehlt.
Schnell wischt sie diese weg.

Mit dieser blitzschnellen Bewegung wischt sie meine Taubheit mit fort. Und etwas in mir zerbricht.

Ich werde wieder allein sein.

Der Himmel über uns verdunkelt sich. Ivy packt mich plötzlich fest an der Schulter und sieht mir fest in die Augen. Sie lächelt.

"Es ist in Ordnung.", sagt sie mit zitternder Stimme. "Ich werde bald heiraten."
Dann nimmt sie mich in den Arm und streicht mir beruhigend über den Rücken.
Es dauert eine halbe Ewigkeit. Aber dann habe ich mich wieder gefangen. Kein Gewitter bricht los, kein einziger Regentropfen fällt.

Ich hatte mich unter Kontrolle.

~

"Du hast mir gar nicht gesagt, dass es da jemanden gibt."

Sie spielt unsicher mit ihrem langen Haar, während sie es vermeidet, mir in die Augen zu sehen. "Weil ich ihn noch nicht kenne."
Eine Strähne lässt sie wieder und wieder durch ihre Finger wandern. "Ich habe erst gestern von dem Antrag erfahren."

"Eine arrangierte Ehe?!"
Für mich ist das etwas relativ normales. Liebe gehört bei mir nicht dazu. Sie ist wandelbar und gefährlich. Lässt sie einen doch in einem Moment in den höchsten Höhen schweben, nur um einem im nächsten die Flügel zu rauben.
Den meisten "Herzen" wurde eine Ehe arrangiert. Sie haben geheiratet, wer gut zu ihnen passte und sich seiner Rolle immer bewusst sein würde. Der Charakter war entscheidend.

Diese Eheschließungen fanden dann meist erst in höherem Alter statt, damit sie ihre Aufgaben lange Zeit ausüben können, bevor jemand kommt und diese Kontrolle erst mühsam neu erlernen muss.

Meine Mutter hat mich im Alter von fünfunddreißig Jahren empfangen.

Zudem bedeutet eine Geburt auch immer einen Tod. Das neue "Herz" kommt und das Alte muss gehen. Deswegen habe ich meine Großmutter niemals kennengelernt. Sie ist vor meiner Geburt verstorben. Und meine Mutter wird vor der Geburt meiner Tochter sterben.

Aber ich habe niemals darüber nachgedacht, dass auch andere arrangierte Ehen schließen.
Ich dachte immer, das wäre allein meine Pflicht.
Ich dachte immer, alle anderen hätten ein freies Leben voller Entscheidungsmöglichkeiten.

"Ja.", sagt sie leise. Dann etwas lauter: "Ich freue mich sehr darüber."

"Wirklich?"

Sie lächelt sanft. "Ich weiß, dass du keine Eitelkeit kennst. Du bist nicht nur innerlich wunderschön, sondern auch äußerlich." Sie holt tief Luft. "Ich gelte da draußen nicht unbedingt als Schönheit. Und da ich kaum an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilgenommen habe, konnte ich niemanden kennenlernen..."

Ich schaue weg. Es ist war. Das Streben nach Schönheit macht Menschen kaputt. Es schürt Eitelkeiten. Und der ewige Vergleich mit anderen macht nur unglücklich. Ich kenne mein Gesicht nicht. Hier gibt es keinen einzigen Spiegel. Meine einzige Möglichkeit mich zu betrachten, ist das verschwommene Bild auf der Oberfläche meines Sees. Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich schön bin.
Oder ob Ivy schön ist.
Es spielt immerhin keine Rolle in unserer Beziehung. Für mich war sie immer perfekt.

"Dann können wir uns nicht mehr sehen."

"Ja.", sagt sie. Mehr nicht.

Ein Schweigen breitet sich aus, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhängt.

Irgendwann lässt sie ihre Strähne in Ruhe und schaut zu mir. "Bald wirst du hier rauskommen. Dann treffen wir uns, erkunden gemeinsam die Stadt.
Du kannst mich besuchen kommen, wann immer du willst." Hoffnung steht in ihrem Blick. Gepaart mit etwas Verzweiflung. Auch sie will mich nicht allein lassen.

Und ich erinnere mich in diesem Moment an das Versprechen meiner Eltern: "Ivy wird bei dir bleiben, bis du der Öffentlichkeit vorgestellt werden kannst."

Meine Zeit ist gekommen. "Ja.", sage ich. Mehr nicht.

~

So Leute,
Ich weiß, dass noch nicht so super krass viel passiert ist.
Aber das wird noch.
Denkt an den nächsten Luna-Teil. Ich halte mein Versprechen. Schließlich will ich ja niemanden enttäuschen.

Vergesst bitte nicht zu kommentieren. Das motiviert mich ungemein. Und votet, wenn es euch gefallen hat. Das ist nämlich immer ein extra Motivationsschub für mich.

Übrigens habe ich nächste Woche nicht weniger als 4 Prüfungen!
Wer hat sich diesen Mist bitte ausgedacht?!

Tja dann, ich schreibe euch.

Bye

17.06.18

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