24 (Lava)
Tage und Wochen vergehen in denen ich genau das tue, was man von mir erwartet.
Jeder falsche oder auch nur zögerliche Schritt wird kritisch betrachtet. Jeden Morgen gehe ich zum Palast und jeden Abend kehre ich zu meinen Eltern zurück. Diese sind so übervorsichtig und fürsorglich wie nie zuvor und bewachen mich nahezu die ganze Zeit über. Wenn sie nicht da sind, ist Dahlia da. Sie lassen mir keinerlei Gelegenheit, mit Sol allein zu sein.
Aber sobald ich Zuhause bin, breche die unausgesprochene Regel. Jede Nacht treffe ich mich mit ihm in unserem Ort. Er ist inzwischen ein so fester Bestandteil dessen geworden, dass ich ihn automatisch mit dazu zähle. Er gehört für mich inzwischen einfach dorthin. Oftmals wartet er schon auf mich, wenn ich ankomme.
Ich habe ihn in den letzten Wochen gelehrt, mit meinem letzten "Geschenk" umzugehen. Er ist definitiv kein guter Schüler, da er sich einfach kein Stück konzentrieren kann. Ich habe ihm die Macht verliehen - wie ich - Seelen sehen zu können. Nun muss er nur noch lernen, ihre Farben, Formen, ihr Strahlen lesen zu können. Generell ist es niemals richtig möglich, eine Seele vollständig zu erfassen, dennoch gibt es Faktoren, an denen man bewstimmte Dinge ablesen kann.
Auch gestern war ich mit ihm in unserer kleinen Welt. "Heirate mich.", sagte er. Wie inzwischen jedes Mal, wenn wir allein sind. Und mit jedem Mal, wenn ich diese Worte höre, verschwinden ein paar meiner Zweifel, überkommt mich ein immer wohligeres Gefühl, stehe ich immer knapper davor, einfach "Ja" zu sagen. Zwei kleine Buchstaben könnten pures Glück bedeuten. Warum sollte mir dies verwert bleiben?
Und genau deswegen stehe ich heute morgen vor der Tür, die mich von meinen Eltern trennt, welche gerade frühstücken. Unsicher trete ich von einem Bein auf das andere, als ich überlege, wie ich meinen Eltern am besten mitteilen kann, was mir auf dem Herzen liegt. Ich kenne alle Gründe, die dagegen sprechen. Aber ich bin inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem es mir egal ist. Ich möchte einfach nur an einem Punkt in meinem Leben nicht zurückstecken müssen und so sein können, wie alle anderen. Ist das zu viel verlangt?
Ich balle die Hände, bis sich meine Nägel in meine Haut graben. Der leichte Schmerz hilft mir, den Mut aufzubringen, den ich brauche, um die Tür zu öffnen und vor meine Eltern zu treten. Ich laufe schnell, da ich fürchte sonst einfach auf dem Absatz wieder kehrt zu machen.
"Ich möchte König Sol heiraten.", sage ich rundheraus in die überraschten Gesichter meiner Eltern. Beide erstarren in der Bewegung. Ein klares Klirren zersplitternden Glases, reißt meine Eltern jedoch sofort wieder in die Realität zurück. Meine Mutter hat ihr Glas fallen lassen.
Beide stehen mechanisch auf. Für einen Moment sehen sie ängstlich aus, dann jedoch gewinnt die erwartete Wut. Ruhig bitten sich mich, mich zu ihnen zu setzen. Dann erklären sie mir nochmal die Gründe, die gegen die Verbindung von uns beiden sprechen: Ein Herz darf nicht aus Liebe heiraten. Das Königshaus braucht Söhne zum Herrschen und Töchter für Zweckehen. Ich kann jedoch nur eine Tochter gebären. Sie erinnern mich daran, wie jung ich noch bin. Niemals hat ein Herz so jung geheiratet. Die wichtigste Aussage kommt jedoch zum Schluss: Niemals dürfen die beiden Mächte im Reich eins werden!
Ihre Worte verletzen mich. Nie gekannte Trauer macht sich in mir breit, doch ich muss sie niederringen. Die Verständnis meiner Eltern für mich überrascht mich. Eigentlich habe ich mit einem Ausbruch gerechnet. Stattdessen waren sie jedoch total ruhig.
In dieser Nacht verkünde ich Sol meine endgültige Entscheidung, dass er aufgeben soll, da ich seinen Antrag niemals annehmen kann. Er bleibt jedoch nicht so ruhig, wie meine Eltern. Er brüllt mich an, bis ich ihn einfach hinauswerfe, da ich das nicht ertragen kann. Ich muss die Ruhe bewahren. Von diesem Tag an geht es dann bergab. Ich schließe ihn aus meiner Welt aus, weil ich glaube, dass es so am besten ist. Welchen Sinn sollte es haben, so viel Zeit miteinander zu verbringen, immer tiefere Gefühle entstehen zu lassen, um schließlich doch nur darunter zu leiden. Sol ist in der daraffolgenden Zeit fahrig und launisch, wodurch die Beratungen immer schwieriger werden.
~
Dahlia begleitet mich nach der Beratung nach draußen, um mit mir dort auf meine Eltern zu warten. Aber sie kommen nicht.
Schließlich besorgt sie uns eine Kutsche und begleitet mich nach Hause. Auch zu ihr wird das Verhältnis schwieriger, da sie mich zwar jeden Tag begleitet, jedoch immer schweigsamer wird.
Zuhause angekommen wirkt das Haus seltsam still und verlassen auf mich. Es ist spät in der Nacht und Licht dringt nach draußen, aber Geräusche höre ich so wenig, wie ich Schatten sehe. Auch Dahlia findet das seltsam und geht vor mir ins Haus. Niemand begegnet uns, als wir beide nach meinen Eltern suchen.
Als ich gerade in die Bibliothek sehe, öffnet Dahlia die Tür zum Esszimmer. Krachend fällt die Tür hinter ihr zu. Erschrocken drehe ich mich zu ihr um, um zu erkennen, dass sie vor ihr geschlossen ist. Dahlia schaut mit weit aufgerissenen Augen, kreidebleich auf das dunkle Holz der Tür. Langsam schlägt sie eine Hand vor den Mund, als hätte sie etwas unfassbares gesehen.
"Was ist los?", frage ich sie und gehe zu ihr zurück.
Aber sie schüttelt nur den Kopf und meint, wir sollten gehen. Misstrauisch gehe ich zum Esszimmer und will die Tür öffnen, als Dahlia dagegen drückt. "Tu das nicht.", flüstert sie. "Das wills du nicht sehen."
Und in dem Moment weiß ich, dass ich es sehen muss.
Ich wende meine ganze Kraft auf, um in den Raum zu gelangen. Eine Pfütze ist auf dem Boden. Der Farbe nach zu urteilen tippe ich erst auf Wein, bis mir einfällt, dass meine Eltern niemals Alkohol trinken. Und in diesem Moment sehe ich die Körper, meiner Eltern, die in blutgetränkter Kleidung am Boden liegen. "Nein.", hauche ich. Blitzschnell drehe ich mich zu Dahlia um und kralle mich in ihre Schultern. "Wer war das?", frage ich.
"Ich habe dir gesagt, du sollst nicht hinein gehen.", antwortet sie abwesend.
Ich schüttele sie heftig, bis sie mich endlich ansieht. "Wer war das?", fauche ich.
Sie beißt sich einen Moment auf die Lippe, als sie überlegt, dann antwortet sie zögerlich. "Mir fällt da nur einer ein, der das getan haben könnte..." Sie bricht ab.
Ich schüttele sie wieder. "WER?"
"Sol.", haucht sie.
Ruckartig lasse ich sie los und drehe mich weg. "Nein, das kann nicht sein. Das würde er nie tun."
Sanft berührt sie mich am Arm. "Denk doch mal darüber nach. Wer hätte denn etwas davon, wenn dir keiner mehr sagt, was du tun sollst?"
Ich schüttele nur mechanisch den Kopf.
"Er ist Schuld am Tod seiner eigenen Familie. Glaubst du wirklich, er würde vor deiner Halt machen?"
Ein komisches Geräusch entfährt mir. War das etwa ein Schluchzen? "Ich will in den Palast.", verkünde ich, als die erste Träne rollt. Ich glaube nicht, dass wahr ist, was sie sagt. Aber allein Sol kann mir das Gegenteil beweisen. Ich muss mit ihm sprechen.
Dahlia nickt nur und bringt mich dorthin, während ich krampfhaft um Kontrolle ringe.
~
Im Palast angekommen stürme ich vor und finde den König auf Anhieb im Thronsaal. "Was soll das?", frage ich ihn atemlos vom rennen.
Er sitzt stolz auf seinem Thron, während vor ihm ein Mädchen kniet. "Du bist da.", stellt er fest.
Das Mädchen wendet den Kopf zu mir und mir gefriert das Blut in den Adern, als ich sie sehe. Sie hat blaue Flecken und leichte Schnittwunden. Ihr langes Haar ist wesentlich kürzer als es bei unserem letzten Treffen war und ihr Gesicht eingefallen. Generell ist sie wesentlich dünner. Ihre Seele ist verschattet. Es ist Ivy.
"Was hast du mit ihr gemacht?", brülle ich fassungslos.
"Nichts.", meint er. "Noch nicht zumindest. Diese Wunden hier wurden ihr alle von ihrem Ehemann zugefügt."
Während er redet schaue ich nur sie an und erkenne in ihren Augen, dass er Recht hat. Eine Träne rinnt meine Wange hinunter und ich spüre, wie alle Mauern um mich zu beben beginnen. Es ist einfach zu viel.
Ich bemerke Sol erst, als er direkt hinter ihr steht und ihren Kopf zurück reißt, um ihre Kehle zu entblößen. Mit der anderen Hand zieht er ein Messer hervor.
"Versprich mir, dass die die Bindung mit mir eingehen wirst, dann wird es ihr gut gehen. Deine Eltern waren nur die erste Warnung.", sagt er kalt.
Und in diesem Moment weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass die Antwort nur "Nein" sein kann. Niemand sollte jemals vor eine solche Wahl gestellt werden. Von einer Sekunde auf die andere ist alles Schöne verschwunden. Lodernde Wut macht sich in mir breit, Liebe weicht ... Hass.
"Das kann ich nicht.", sage ich müde. "Das kannst du nicht von mir verlangen."
Bedächtig nickt er. Dann zieht er eiskalt durch, was er angedroht hat. Und als der Körper meiner besten Freundin zu Boden sackt, zerbricht etwas in mir und alle Gefühle strömen heraus. Alles, was sich bisher angestaut hat, bricht plötzlich heraus und zerreißt die ganze Welt. Aber das interessiert mich nicht. Ich kann es sowieso nicht mehr aufhalten.
Schnellen Schrittes gehe ich auf ihn zu. Panik flackert in seinen Augen auf, als er vor mir zurückweicht. "Du sollst wissen, was es heißt, allein zu sein.", flüstere ich, gerade laut genug, um die Schreie zu übertönen, die von draußen herein schallen. "Du sollst wissen, was es wahrlich heißt zu lieben, ohne jemals Erfüllung zu finden. Ich wünsche dir eine Ewigkeit allein. Und sollte ich dir jemals verzeihen, bist du frei." In diesem Moment stehe ich direkt vor ihm und berühre ihn, wodurch er von jetzt auf gleich verschwindet. Er wird einfach herausgerissen aus dieser Welt.
Doch bevor er ganz verschwunden ist, höre ich einen Schrei und sehe, wie etwas an mir vorbei flitzt und im selben Augenblick verschwindet.
Aber mein Kopf ist zu voll, um das zu erfassen. Ich weiß nicht, was mit Sol passiert und wohin ich ihn geschickt habe. Es ist mir auch egal.
Ich lasse mich nicht beirren, drehe mich um und gehe zu meiner besten Freundin. Langsam sinke ich neben ihr nieder und streiche ihr über das Haar.
"Wie konnte das nur passieren.", flüstere ich. Aber sie kann mich nicht mehr hören.
Die Schreie von draußen werden immer intensiver, lauter.
Mein Kopf scheint zu explodieren, da ich jeden Menschen auf dieser Welt wahrnehme. Tränen strömen mir ungehemmt über das Gesicht und ich vernehme jeden einzelnen Todesschrei, aber ich weiß, dass ich nichts mehr tun kann. Diese Welt wird zerfallen und nur Trümmer übrig lassen. Und das wird ganz allein meine Schuld sein, denn ich war zu schwach.
Und dann ist alles vorbei. Der letzte Mensch hat seinen letzten Atemzug getan. Nur noch ich bin übrig, als das letzte bisschen vergeht. Endlich ist es ruhig und still für einen Moment.
Und in diesem Moment erkenne ich, dass diese Welt erneut auferstehen wird. Es wird Zeit brauchen. Vielleicht Jahrhunderte, Jahrtausende oder länger. Aber schließlich wird sie neu entstehen, einen neuen Kreislauf in Gang setzen. Und vielleicht wird sie es nächstes Mal besser machen und nicht einer Person, die gesamte Verantwortung aufbürden.
In meinem letzten Augenblick empfinde ich fast so etwas wie Freiheit.
~
So Leute,
....
Ich hatte ehrlich gesagt richtig Angst diesen Teil zu schreiben.
Und noch mehr davor in zu veröffentlichen.
Sagt mir, was ihr denkt. Solche Szenen empfinde ich immer als Gratwanderung.
Mir kam während des Schreibens sogar eine Träne. Ich wusste nicht, dass es so wehtun würde, obwohl es von Anfang an so geplant war.
Nächste Woche kommt der letzte Teil.
Normalerweise erzähle ich immer noch von meiner Woche.
Aber heute gibt es nichts zu erzählen.
Mein Leben ist langweilig und ich bin immer noch eine beschissene Arbeitskraft, die gerade innerlich einer selbst erschaffenen Figur hinterher weint.
Write u
28.10.18
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top