23 (Luna)
Nach ziemlich genau einer Woche ist mein Leben noch genauso beschissen.
Wieder sitze ich mit Isa in unserem Lieblingscafe an unserem Stammplatz.
"Oh... schreibst du dir einen Lernzettel?", frage ich Isa überrascht, da mich ihr Fleiß etwas beeindruckt.
Sie lacht unsicher. "Ja... ein Lernzettel."
Misstrauisch ziehe ich die Augenbrauen zusammen. "Das ist ein Spicker, oder?"
Schlagartig werden ihre Augen riesig, während ihr Grinsen verschwindet.
Erwischt!
"Och man.", verteidigt sie sich. "Was kann ich denn dafür? Wer kann sich denn bitteschön den gesamten Ablauf der Zellatmung merken?!"
Ich schmunzele leicht, als sie fortfährt. " Abgesehen von dir natürlich."
Und damit ist mein Lächeln wie weggeblasen, denn sie erinnert mich daran, was ich noch alles lernen muss.
Morgen haben wir eine wichtige Klausur in Biologie und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, kein Stück vorbereitet zu sein. Das ist einfach nur furchtbar.
Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, stattdessen quälen mich Ängste, die ich niemals dachte, haben zu können.
Stimmen rufen in meinen Träumen nach mir und rauben mir den Schlaf. Tagsüber bin ich dann natürlich müde und ausgelaugt.
Isa zeigt sich auch schon total besorgt und will wissen, was los ist. Aber ich kann es ihr einfach nicht sagen. Einerseits will ich nicht allein sein, da ich mich in ihrer Gegenwart sicherer fühle. Aber genauso wenig will ich sie einfach in irgendetwas hineinziehen.
Zuhause verkrieche ich mich sofort. Ich kriege kaum etwas essbares herunter und ignoriere meine fettigen Strähnen völlig. Wie konnte das nur so schnell passieren? Eben noch war ich das blühende Leben und nun bin ich kaum noch ein Schatten meiner selbst.
Ich habe das Gefühl immer mehr zu verblassen. Wer weiß, vielleicht bin ich eines Tages genauso Schatten wie die seltsamen Wesen, die mich verfolgen. Diese scheinen immer mehr zu werden. Außerdem werden sie immer deutlicher. Inzwischen kann ich sie als deutlich dunkle Schatten vor mir sehen und nicht mehr nur als ein kurzes Aufblitzen aus den Augenwinkeln.
Sie scheinen inzwischen zu wissen, dass ich sie sehen kann. Zumindest machen sie nicht mehr auf sich aufmerksam, indem sie irgendwelche Sachen umfallen lassen. Sie sammeln sich nur um mich, als würden sie auf etwas warten. Nur worauf? Und gerade jetzt ist die dunkle Wolken besonders intensiv.
Ruckartig erhebe ich mich, da ich einfach nicht mehr länger sitzen kann.
"Was ist los?", fragt Isa verwundert.
"Ich muss los.", erkläre ich, während ich blitzschnell mein ganzes Zeug zusammenpacke.
"Was hast du denn nun schon wieder?", fragt meine beste Freundin. "Schon letztes Mal bist du einfach so abgehauen."
Aber ich reagiere nicht auf ihre Frage.
"Wiedersehen.", rufe ich noch zu ihr zurück, als ich verschwinde, wobei mir ihr verletzter Blick nicht entgeht. Sie fühlt sich verraten und das kann ich verstehen. Ich habe ihr immer alles sagen können und sie mir auch. Nun habe ich Geheimnisse vor ihr. Und das weiß sie. Und genau das bricht mir das Herz.
Ich fliehe aus dem Raum, versuche den Schatten zu entkommen.
Draußen jedoch pralle ich mit voller Wucht gegen jemanden.
"Entschuldigung.", murmele ich und will weiterfliehen, doch stattdessen hält mich das Gesicht der Person, die vor mir steht, im Bann. Es ist Sol.
Er erkennt sofort die Panik in meinem Gesicht. "Was ist los?"
Ich schüttle nur den Kopf und will weiter, denn ich kann spüren, wie mir die Schatten folgen. Sie gleiten durch die Wände hindurch, scheren sich kein Stück um feste Materie.
Sol schaut an mir vorbei zu ihnen und als sich seine Augen bei ihrem Anblick weiten, weiß ich sicher, dass er sie auch sehen kann.
Sein Blick pendelt zwischen mir und ihnen hin und her. Er scheint abzuwarten. Und genau das tun die Schatten auch. Sie kommen nicht näher heran, sondern behalten den Abstand bei, als gäbe es um Sol eine unsichtbare Mauer, die sie nicht durchschreiten können.
Und diese Erkenntnis vermittelt mir ein unglaubliches Gefühl der Sicherheit.
"Du kannst sie wirklich sehen?", platzt er dann schließlich heraus, als würde der Gedanke in seinem Kopf zu laut sein, um ihn nur leise vor sich zu denken.
Ich nicke bloß.
"Was ist das? Und was wollen sie von mir?"
Sol fährt sich durch das Haar. "Komm mit mir.", sagt er schließlich. Aber es klingt eher, wie eine Frage. Vorsichtig hält er mir eine Hand hin, wartet darauf, dass ich sie ergreife. "Vertraust du mir?"
Alles in mir schreit, dass dies ein Fehler ist. Und das weiß ich. Aber er wirkt irgendwie ehrlich, wie er da so vor mir steht. Im Moment wirkt er genau so fertig, wie ich mich fühle. Auch ihn wühlt der Anblick so vieler Schatten auf. Und deswegen beschließe ich, ihm einfach zu vertrauen. Außerdem hält er mir die Schatten vom Leib.
Ich nicke kurz und kräftig, bevor ich seine Hand nehme und augenblicklich spüre, wie wir wieder an diesen geheimen Ort der Ruhe reisen.
Wieder wache ich plötzlich auf einer Wiese auf. Und zum ersten Mal weiß ich, dass ich nicht allein hier bin. Und zum ersten Mal glaube ich tatsächlich an die Existenz dieses Ortes.
"Wie fühlt sich dieser Ort für dich an?", fragt Sol mit ruhiger Stimme und holt mich so aus meinen Gedanken.
Ich schaue mich um. "Er ist ruhig und friedlich. Er ist einfach ..."
"Tot.", unterbricht er mich.
Blitzschnell drehe ich mich wieder zu ihm. "Was?"
"Dieser Ort ist nur noch ein bloßer Schatten dessen, was er einst war. Hier ist kein Leben mehr."
"Aber das Gras ist grün.", widerspreche ich.
"Aber kein Vogel zwitschert, keine Biene summt, kein Käfer lebt im Gras. Es gibt keine Bäume und Sträucher. Dieser Ort ist nur noch eine Illusion, das was übrig bleibt."
"Was hat das mit den Schatten zu tun?", frage ich geradeheraus.
"Weil es bei ihnen ganz genauso ist." Er hält kurz inne, um Luft zu holen. Aber für mich fühlt es sich wie eine Ewigkeit an, bis er weiter spricht. "Es sind Seelen."
"Was?!", frage ich verwirrt.
"Es sind Seelen ohne Körper. Ihre Körper sind verstorben. Und sie können nicht zurück."
"Was wollen sie dann bei mir? Wieso kann nur ich sie sehen? Und warum erst jetzt?"
"Sie sind Teil der Schuld, die ich auf mich geladen habe. Sie werden dir aber nichts tun."
Ich weiß, dass mich mein nächster Satz wie ein kleines Kind wirken lassen muss, aber das ist mir egal. "Ich will, dass sie wieder weg gehen."
"Ich weiß nicht, ob dass so einfach ist.", sagt er leise, entschuldigend.
"Im Nachhinein wäre es besser gewesen, wäre ich nie mehr wieder in dein Leben zurück getreten. Allein meine Ignoranz und Arroganz haben zu dieser ganzen Situation geführt."
"Du hast mir gesagt, ich soll dir verzeihen.", erkläre ich. "Aber wie soll ich etwas verzeihen können, an das ich mich nicht mehr erinnere. Etwas, das für mich niemals geschehen ist. Das ergibt einfach keinen Sinn."
"Es tut mir Leid. Es ist am besten, wenn ich jetzt gehe und dich nie mehr belästigen werde. Du wirst mich von heute an nicht mehr sehen müssen."
Er dreht sich um.
"Stopp!", rufe ich und greife nach seiner Hand. "Was ist mit den Seelen?" Und in diesem Moment realisiere ich, dass ich ihm glaube. Ich glaube alles, was er mir jemals gesagt hat.
"Sie werden dir nichts tun.", sagt er, entzieht sich mir und verblasst vor meinen Augen.
~
So Leute,
Luna lässt wieder von sich hören.
Seelen? Wärt ihr drauf gekommen?
Meine letzte Woche war irgendwie ganz witzig.
Ich hatte mit Chinesen und Polen zu tun.
Ein chinesisches Ehepaar kam zu mir und hatte ein paar Fragen. Als ich erklärte, dass eigentlich andere dafür verantwortlich wären, meinten sie, die würden kein Englisch können.
Die Geschichte endete damit, dass sie ihren Sohn geholt haben, da er besser Englisch konnte als sie, weil sie selbst nicht so gut Englisch konnten.
Finde den Fehler.
Der Polin sollte ich erklären, dass wir unter bestimmten Bedingungen ihr nicht direkt helfen können, sondern sie weiterleiten würden.
Sie hat nur gelächelt und gesagt, dass diese Ausschlusskriterien nicht bei ihr zutreffen. Mit anderen Worten: Sie hat immer ja gesagt und genickt und als ich meinte, wir können ihr nicht helfen und ich würde ihr zeigen, wo man ihr helfen kann, meinte sie dann, dass Problem beträfe sie doch nicht.
Am nächsten Tag sollte meine Kollegin sich darum kümmern und hat sofort gesehen, dass es sie sehr wohl betrifft.
Letztendlich mussten wir sie also doch wegschicken.
Meine Kollegen freuen sich, dass ich Englisch kann und somit bei manchen Leuten besser helfen kann.
Dummerweise fällt es den Leuten mir gegenüber dann oftmals recht schwer zu kommunizieren.
Aber es ist cool diese skills anzuwenden. Ich mag meine Arbeit, auch wenn ich noch immer ziemlich schlecht darin bin. Aber es wird.
Ich frage mich halt ehrlich, wo diese ganzen Ausländer in der kleinen Ministadt am Arsch von Deutschland alle herkommen.
Write u
21.10.18
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