Kapitel 9: Wegen Vergesslichkeit und Sorge

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Oben wie versprochen die Aesthetic zu Tyke. Ich hoffe euch gefällt die Story soweit und ich würde mich mega über Rückmeldung freuen. Ich wünsche euch einen schönen Freitag und ein sonniges Wochenende.

Lg CoolerBenutzername
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Ich versuche die Haustüre möglichst leise hinter mir ins Schloss zu ziehen, während Tyke bereits mit lauten Schritten die Treppe hochsteigt. Seine Bewegungen hinterlassen ein verräterisches lautes Knarren, dass im leeren Gang nachhallt. Mein Vater sollte schon längst von der Arbeit zurück sein und da ich fünf Stunden zu spät von der Schule heimkomme, wird er sich Sorgen machen. Ich möchte nicht mit ihm diskutieren und erklären, wo ich den Nachmittag verbracht habe. Es würde in einem Streit enden. Mein imaginärer Freund ist bereits am Ende der Treppe angekommen. Während ich aus meinen Schuhen schlüpfe, kann ich aus dem Augenwinkel sehen, wie er ungeduldig auf mich wartet. Er wippt mit dem Körper leicht nach vorne, während sein Blick aufmerksam über die Wand schweift. Seine Augen streifen die wenigen Familienbilder und kurz erwarte ich, dass er mich dazu ausfragt. Doch gerade als er seinen Blick wieder auf mich richtet, ertönen Schritte und ich gebe dem Jungen ein deutliches Zeichen zu Schweigen.

„Erin?"
Die fragende Stimme meines Vaters hallt durch den Gang und tief durchatmend schließe ich die Augen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und halte für wenige Sekunden die Luft an. Ich hoffe, dass mein Vater nicht näherkommt, wenn die Geräusche verstummen. Doch natürlich taucht er im Durchbruch zum Wohnzimmer auf und seufzend öffne ich meine Augenlieder. Schon jetzt kann ich die Sorge in seinen Gesichtszügen sehen und wären meine Gedanken nicht noch immer bei den geheimnisvollen Schattenkriegern, würde ich mich in diesem Moment wohl schuldig fühlen. Ich hätte ihm wenigstens eine kurze SMS schreiben können. „Wo warst du?" Natürlich, ist das die erste Frage die er mir stellt.

„Unterwegs," ich halte meine Antwort so wage wie möglich und mache Anstalten, nach oben in mein Zimmer verschwinden zu wollen. Ich möchte der bevorstehenden Diskussion aus dem Weg gehen. Doch mein Vater stellt sich vor mich. Er blockiert mit seinem Körper die Treppe und genervt werfe ich ihm einen Blick zu. Ich möchte doch nur meine Ruhe. „Unterwegs?" In seinem Unterton schwingt nicht mehr nur Sorge mit. Er hat die Augenbrauen kritisch nach oben gezogen und ich glaube erkennen zu können, dass er meinen Worten keinen Glauben schenken mag. Ich frage mich, was ich ihm am besten Antworten sollte – um weiteren Nachfragen oder Vorwürfen aus dem Weg zu gehen. Doch nach dem Brand in der Schule und meiner Vorgeschichte mit Pok, wird er wohl immer nachfragen. „Ja," ich versuche überzeugend zu klingen, „Ich war mit einem Freund unterwegs."

Ich hoffe er fragt nicht genauer nach.
„Einem Freund?"
Natürlich fragt er genauer nach.
„Ja einem Freund."
Er zieht die Augenbrauen zusammen.
„Meinst du damit Pok?"

Ich bin überrascht, dass er den Namen meines imaginären Freundes laut ausspricht. Dabei versucht er doch schon seit Jahren seine Existenz zu ignorieren und vergessen. „Nein," ich bin erleichtert, dass ich ihn wenigstens in diesem Punkt nicht anlügen muss. Er mustert mich kurz. Scheint zu überlegen, ob er meinen Worten vertrauen kann. Ich werde nervös und zupfe unruhig an dem Kragen meiner Jacke. Aus Vorsicht habe ich den Reisverschluss bis zum Kinn hochgezogen, sodass die rötlichen Flecken an meinem Hals von dem rauen Stoff versteckt werden. Ich möchte nicht, dass mein Vater die Würgemale sieht. Es würde zu noch unangenehmeren Fragen führen.

„Du hast den Termin mit Dr. Mykon vergessen," wendet mein Vater anschließend ein und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder panisch reagieren soll. Erst in diesem Moment fällt mir der Termin mit meiner Therapeutin wieder ein. Ich hätte direkt nach der Schule zu ihr gehen sollen. Dann hätte sie mich eine Stunde lang gefragt wie es mir geht und so getan, als würde sie mich verstehen. Sie hätte mich nach meinen Tabletten gefragt und ich hätte ihr erzählt, dass ich Pok schon lange nicht mehr gesehen habe und Tyke hätte ich ihr natürlich auch verschwiegen. Anschließend hätte sie mich mit einem strahlenden Lächeln entlassen und behauptet, dass ich Fortschritte mache. Daraufhin hätte ich nichts erwidert.

„Erin?"

„Ich...äh...," stammele ich überfordert vor mich hin und versuche den abwartenden Blick meines Vaters zu ignorieren. Doch seine Augen bohren sich unausweichlich in meine und die Hitze der Panik steigt in mir auf. Ich kann ihm schlecht erzählen, dass ich mit Tyke einen imaginären Wald besucht habe und dann von geheimnisvollen Gestalten auf offener Straße angegriffen wurde. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich wegen einem imaginären Jungen in der Schule Ärger bekommen und die letzte Schulstunde geschwänzt habe. Ja. Das wäre ganz sicher ein tolles Gespräch.   

„Erin," mein Vater seufzt auf und seine Arme entschränken sich. Er wischt sich mit einer Hand über das Gesicht und ich bemerke die dunklen Schatten unter seinen Augen. Die Falten in seiner Haut scheinen tiefer als sonst und langsam entweicht die angespannte Hitze meinem Körper. Mein Vater ist nicht sauer auf mich. Er ist enttäuscht und besorgt. Super. Jetzt fühle ich mich auch noch schlecht deswegen. Ich hatte nie wirklich vor Dr. Mykon zu sehen, aber dass ich den heutigen Termin vergessen habe, war zur Abwechslung tatsächlich nur ein Versehen. „Die Sitzungen mit Dr. Mykon sind wichtig," ich hasse es, dass er mir versucht das einzureden, „Sie hilft dir dabei, dass es dir bessergeht. Schon vergessen?" Ich schüttele leicht mit dem Kopf und beiße mir auf die Unterlippe. Ich möchte einwenden, dass es mir bessergeht. Dass es mir schon immer gut ging und das Pok's Auftauchen nichts Schlechtes ist. Doch mein Vater würde das nicht verstehen. Niemand tut das. Außer Pok selbst.

„Sie hat vorher angerufen und dir einen Termin für morgen angeboten," er schenkt mir ein schwaches Lächeln, „Du wirst morgen nach der Schule zu ihr gehen, okay?" Ich sehe das trübe Glänzen in seinen Augen und den bittenden Blick. Seine braunen Haare wirken dunkler als sonst und hängen ihm leblos in die Stirn. Er muss sich vergessen haben zu rasieren. Auf seiner Wange zeichnen sich bereits Bartstoppeln ab und die Sonnensprossen auf seiner Haut stechen im Licht der untergehenden Sonne besonders deutlich hervor. Sein Hemd ist aufgeknöpft. Darunter trägt er das weiße V-Shirt, das meine Mom so an ihm geliebt hatte. Aus irgendeinem Grund hatte sie es damals hiergelassen und er hatte es trotz gebrochenen Herzens behalten. Mein Blick schweift zurück zu seinem Gesicht und ich sehe, dass er auf eine Antwort wartet. Er möchte, dass ich ihm zustimme. Dass ich ihm versichere, dass ich den morgigen Termin nicht wieder vergesse. Oder das ich wenigstens nicke. Doch ich antworte nichts darauf.

Denn es ist nicht okay.
Das ist es nie.

Stattdessen schiebe ich mich an ihm vorbei und laufe mit schnellen Schritten die Treppe hinauf. Dabei spüre ich das Gewicht meines Schulrucksacks auf meinen Schultern und meine Haare, die durch die Stufen wild auf und ab hüpfen. Die Strähnen fahren kitzelnd über meine Haut und ich widerstehe dem Drang, einen Blick über meine Schultern zurückzuwerfen. Der Blick meines Vaters bohrt sich in meinen Rücken. Ich weiß, dass er sich in diesem Moment nachdenklich durch die Haare fährt oder sich am Kinn kratzt. Ich weiß, dass er sich fragt, was er falsch macht. Was mit mir falsch ist. Er denkt Dr. Mykon würde ihm diese Antwort irgendwann einmal geben. Ich dagegen glaube, dass er mir einfach besser zuhören müsste. So wie Pok. Er hört mir immer zu. Einer der vielen Gründe, warum ich lieber Zeit mit dem grauen Monster verbringe als mit Menschen.

Denn diese hören nicht zu. Das tun sie nie.
Stattdessen haben sie Erwartungen. Eigene Meinungen.
Menschen sind egoistisch und rücksichtslos.
Manchmal glaube ich, dass ich mir deshalb Pok erschaffen habe.
Um endlich jemanden zu haben, der mich versteht.

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