Kapitel 28: Zwischen Widersehen und Verwirrung
Verwirrt starre ich die hübsche Frau, die noch immer erwartungsvoll auf meine Antwort wartet. Ich hingegen, bin sprachlos. Ich habe keine Ahnung wer sie ist oder was sie von mir hören
Verwirrt starre ich die hübsche Frau, die noch immer erwartungsvoll auf meine Antwort wartet, an. Ich hingegen bin sprachlos. Ich habe keine Ahnung wer sie ist oder was sie von mir hören möchte. Mit leicht geöffneten Lippen starre ich sie an und grabe meine Finger dabei leicht in die weiche Erde. Ich bin mir nicht sicher wie ich die Königin einordnen soll. Ist sie eine Gefahr? Meine Rettung? Eine Allianz oder ein Feind?
Ich kann hören wie sie leicht aufseufzt, bevor sie den Stoff ihres Kleides umfasst und ihn leicht rafft. Dann stolziert sie mit eleganten Schritten an mir vorbei und ein Geruch von Lavendel schlägt mir entgegen. Er erinnert mich an meine Kindheit und benebelt kurzzeitig meine Gedanken. Erinnerungen an Pok, an meine Mutter und an meinen unbesorgten Vater brechen auf mich ein. Blinzelnd versuche ich die aufsteigenden Erinnerungen zu unterdrücken und meine Aufmerksamkeit zurück auf die Frau zu lenken. Ich folge ihren Bewegungen mit meinem Blick und beobachte sie schweigend dabei, wie sie sich auf den Überresten des Altars niederlässt. Dieser scheint jetzt tatsächlich als Thron zu fungieren. Ich erschrecke mich fast zu Tode, als sich neben ihr zwei Schattenkrieger manifestieren und mit geschwollener Brust neben dem umfunktionierten Altar Stellung beziehen.
„Hallo Erin," begrüßt sie mich jetzt mit einem leichten Lächeln und streicht galant den Stoff ihres weißen Kleides glatt. „Nett Sie endlich mal kennenzulernen," erwidere ich mit einem irritierten Lächeln, „Wer auch immer Sie sind." Die Situation erinnert mich an das erste Treffen mit Tyke. Auch er hatte damals im Krankenhaus meinen Namen gekannt und auch er hatte sich von Anfang an so verhalten, als würden wir uns kennen. Ich habe ihm geglaubt, weil ich dachte, er wäre in meinem Kopf – ein Teil von mir selbst. Diesen Fehler möchte ich dieses Mal nicht machen. Deshalb gehe ich direkt davon aus, dass die Kirchenruine mit den wilden Pflanzen, den Schattenkrieger und dieser seltsamen Frau real sind. Was das jedoch für mich oder meine Beziehung zu der Frau bedeutet, weiß ich nicht.
„Du erkennst mich nicht?" fragt die junge Frau in diesem Moment nach und verzieht ihre roten Lippen zu einem Schmollmund. Ich halte den Moment für eine gute Möglichkeit, um aufzustehen und meinen körperlichen Nachteil wenigstens leicht auszubessern. Also rappele ich mich hektisch auf. Die Frau redet währenddessen nachdenklich weiter: „Ich meine, klar, ich halte mich mit der Fantasie jung, aber dass du mich nicht erkennst verletzt mich schon irgendwie." Sie scheint mit sich selbst zu reden und berührt mit ihrer Hand theatralisch die Brust, als würden meine Worte tatsächlich wie Messerhiebe auf sie einstechen. Wortlos starre ich sie an. Ich mustere sie erneut und ja, auf eine komische Art und Weise kommt sie mir bekannt vor. Mit den langen braunen Haaren, den dunklen Augen und diesem unerklärlich vertrauten Lächeln. Ich erinnere mich an den Geruch von Lavendel, als sie an mir vorbeigeschritten ist. Ich mustere sie gedankenverloren und versuche herauszufinden, warum gerade der frische, beruhigende Geruch dieser Pflanze Erinnerungen losgetreten hat. Er ist ein Teil meiner Kindheit, doch ich kann mich nicht mehr daran erinnern woher genau ich ihn kenne. Von langen Autofahrten. Aus dem Bad, direkt nach dem Aufstehen. In meiner Nase, wenn meine Eltern mir nacheinander einen Kuss auf die Stirn gedrückt haben. Aus dem Garten meines Zuhauses. Von langen Umarmungen.
Von meiner Mutter.
Ich reise überrascht die Augen auf, als sich meine Überlegungen zusammenfügen und sich ein Bild ergibt. „Mom?" frage ich verwirrt nach und starre die junge Frau mit großen Augen an. Ihr Aussehen fügt sich langsam in die Erinnerungen von meine Mutter ein. Früher war sie etwas dicker, ihre Haut war sonnengebräunter und ihre Haare trug sie meist offen. Sie hatte nie Schminke im Gesicht und nie trug sie solche wunderschönen Kleider. Zudem erscheint die Frau vor mir viel zu jung um tatsächlich meine Mutter zu sein. Trotzdem kann ich die plötzlich offensichtliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Frauen nicht mehr übersehen. Was geht hier vor sich?
„Du erkennst mich also doch," freut sich nun die junge Frau und klatscht begeistert in die Hände. Mein Blick schweift von ihr zu den Schattenkriegern, dann wieder zurück zu ihrem Gesicht. Mir fällt es schwer die Erinnerungen von meiner Mutter mit dem Aussehen der Frau vor mir zu vereinen. Es scheint fast so, als wäre sie die letzten elf Jahre kein Stück gealtert. Im Gegenteil. Sie scheint noch jünger geworden zu sein. Die Falten in ihrem Gesicht sind verschwunden und ihre Haut wirkt makellos. Ich reibe mir fassungslos über die Augen. Vielleicht ist das alles doch nur ein Traum. Ein Film in meinem Kopf. Ich nicke mir bei diesem Gedanken selbst zu. Genau. Wahrscheinlich liege ich noch immer ohnmächtig auf dem Fußweg und weil ich meine Mutter vermisse, hat sich mein Unterbewusstsein dieses kleine Treffen ausgedacht. Natürlich nur in meiner Fantasie. Deshalb ist sie auch nicht gealtert, sondern sieht noch immer so jung aus wie an dem Tag, an dem sie mich und meinen Vater verlassen hat.
„Wie geht es dir mein Schatz?"
„Wo ist Pok?"
Ich weiß nicht, warum mir ausgerechnet diese Frage zuerst über die Lippen kommt. Vielleicht, weil Dinge die in meinem Kopf passieren meist mit dem kleinen grauen Monster verbunden sind. Die Tatsache, dass er in diesem Moment nirgends zu sehen ist, macht mich nervös. Ich balle meine Hände zu Fäusten und versuche mein wild pulsierendes Herz zu ignorieren. „Du kannst ihn noch immer nicht kontrollieren?" fragt meine Mutter überrascht nach, „Ich habe deinem Vater ja gesagt, dass das mit seiner Methode nichts wird." Sie verdreht die Augen, bevor sie mir ein leichtes Lächeln schenkt. „Was...über was redest du?" frage ich verwirrt nach, „Und...was ist das hier überhaupt?" Ich zeige durch meine Umgebung und mein Blick bleibt für wenige Sekunden auf den beiden Schattenkrieger links von mir hängen. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. „Und was machen die hier?" Ich zeige auf die Krieger, bevor ich meinen Blick zurück auf meine Mutter richte. „Wie kann es sein, dass du hier bist?" Für wenige Sekunden schnappe ich nach Atem, weil ich in meiner Aufregung vergessen habe Luft zu holen. Ich taumele leicht zur Seite und atme tief durch. Mein Kopf schwirrt voller Fragen und die pochenden Kopfschmerzen meldet sich zurück. Ich kneife für wenige Sekunden die Augen zusammen und presse meine Hand auf meine hitzige Stirn.
„Tut mir leid, dass meine Freunde so fest zugeschlagen haben, aber du hast es ihnen echt nicht einfach gemacht," sagt meine Mutter in diesem Moment und ich brauche wenige Momente um ihre Entschuldigung in Zusammenhang setzen zu können. Mit 'Freunde' sind wohl die Schattenkrieger gemeint, die mir den unsanften Schlag auf den Kopf versetzt haben. Sie müssen mich auch hierhergebracht haben. Wo auch immer 'hier' sein mag. In diesem Moment erhebt sich die junge Frau elegant von dem Thron und macht einige Schritte auf mich zu. Ich möchte zurückweichen, bleibe jedoch wie angewurzelt stehen. Ich kann mein Blut in meinen Ohren rauschen und die verwirrenden Gedanken in meinem Kopf laut schreien hören. Meine Mutter hebt die Hand und schnippst. Das Geräusch hallt leise durch die Ruine und im selben Moment sind die pochenden Schmerzen aus meinem Kopf verschwunden. „Besser?" fragt sie mit einem freundlichen Lächeln nach und verwundert fahre ich mit meinen Fingern über meinen Kopf. Die Haut fühlt sich unter meinen Berührungen nicht länger hitzig und verschwitzt an und als meine Fingerkuppen vorsichtig über die Beule fahren, spüre ich selbst dort keine Schmerzen mehr. Was auch immer meine Mutter gemacht hat – die Schmerzen in meinem Körper sind vollständig verschwunden. Sogar die monotonen Hintergrundschmerzen in meinen Muskeln. „Wie...?" frage ich verwundert nach, doch als Antwort zuck sie lediglich mit den Schultern.
„Wo ist eigentlich dein kleiner Freund?"
„Pok?" frage ich mit zusammengezogenen Augenbrauen nach und meine Mutter schüttelt den Kopf. Obwohl die Kopfschmerzen verschwunden sind, fällt es mir noch immer schwer meine Gedanken zu ordnen. „Nein dieser süße Junge mit den tollen Augen und den Tattoos," während sie Tyke beschreibt, fuchtelt sie mit leicht mit einer Hand in der Luft herum. „Er ist nicht mein Freund," erwidere ich und verschränke die Arme vor der Brust. Noch immer bin ich sauer auf den Teenager, dass er mich angelogen hat. Doch noch wütender macht mich mein Unterbewusstsein, dass sich in diesem Moment nichts lieber wünscht als ihn neben mir zu haben. Er könnte mir in dieser Sekunde sicherlich helfen und er wüsste wahrscheinlich auch, was hier gerade vor sich geht.
Passiert das alles nur in meinem Kopf?
Ist meine Mutter echt?
„Aber er ist ziemlich süß," sagt meine Mutter in diesem Moment lächelnd, „Ich dachte echt er wäre dein Freund. Er hat zumindest für dich gekämpft wie einer." Sie wirft mir ein verschwörerisches Augenzwinkern zu. „Mom," falle ich ihr streng ins Wort, bevor sie weitersprechen kann, „Ich bin nicht hier um mit dir über Jungs zu reden." „Tut mir leid," sie hebt beschwichtigend die Hände vor die Brust, doch das Lächeln verschwindet nicht von ihren Lippen. „Ich meine was mache ich überhaupt hier?" frage ich nach und fahre mir durch die Haare, bevor ich meinen Blick auf sie richte: „Wie kann ich hier sein? Ist das echt oder nur in meinem Kopf? Und wieso bist du nach alldem was damals geschehen hier?" Meine Augen fahren über ihren gut geformten Körper und ihr jüngliches Gesicht: „Und dann auch noch so...jung?
„Das ziemlich viele Fragen auf einmal Schatz," sie kommt mit eleganten Schritten auf mich zu und bleibt wenige Meter von mir entfernt stehen. Aus der Nähe sieht sie noch jünger aus. Sie ist so groß wie ich und in diesem Moment kann ich nicht die Ähnlichkeit zwischen uns verkennen. Ihre Haare. Ihre Augen. Ihre Nase. Mir haben schon immer alle gesagt, dass ich ganz und gar nach ihr komme. Es ist das erste Mal, dass ich es selbst erkenne. „Wenn du willst, kann ich dir alles erklären," sie nickt mir leicht zu, „Von Anfang an." Ich schlucke, bevor ich ihr erleichtert zunicke. Eine Erklärung klingt gut. „Na dann," sie schenkt mir ein freundliches Lächeln, „Lass' uns eine Runde spazieren gehen." Sie macht eine einladende Handbewegung in Richtung Flügeltüre und setzt sich in Bewegung. Sie läuft an mir vorbei und mit einem unsicheren Kribbeln im Bauch folge ich ihr.
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