Kapitel 27: Über Kopfschmerzen und einen fremden Ort

In meinem Kopf scheint eine ganze Baustelle zu sein. Mit Presslufthammer, Bagger, Kreissäge, Betonmischer...und vielleicht auch noch mit etwas Dynamit. Mit meinen Fingern taste ich nach meiner Stirn, die sich kochend warm unter meinen Berührungen anfühlt. Ich kann das schmerzende Pulsieren unter meinen Fingerspitzen fühlen und ertaste an meinem Haaransatz eine kleine Beule. Was ist passiert? Ich erinnere mich wage an den Kampf mit den Schattenkriegern. An den kalten Wind, der vier von ihnen durch die Luft geschleudert hat und an Pok, der sich genauso über unseren Sieg gefreut hat wie ich. Dann der Schlag auf den Hinterkopf. Ich erinnere mich schlagartig an die Schmerzen und an meinen Fall. Ich habe den Angreifer nicht gesehen, bevor ich ohnmächtig wurde. Jedoch ist es offensichtlich, dass es einer der übrigen Schattenkrieger gewesen sein muss. Wie kann man auch so dumm sein und vergessen, dass es sechs, anstelle von vier Angreifern waren?

Ich atme tief durch. Die Umgebung riecht süßlich und frisch. Wie eine Blumenwiese inmitten eines Waldes. Ein leichter Wind streift über meine warme Haut und mit ihm steigt mir auch der Geruch nach frischem Holz in die Nase. Ich nehme einen tiefen Atemzug und spüre wie die pochenden Kopfschmerzen langsam zu einem monotonen Hintergrundschmerzen werden, die zwar nervtötend aber erträglich sind. Die warme Luft riecht nach Rosenblüten und flatternd öffne ich meine Augenlieder. Grelles Licht fällt auf mein Gesicht und sofort werde ich geblendet. Stechende Schmerzen pulsieren in meinem Kopf auf und leise stöhne ich auf. Instinktiv schließe ich meine Augenlieder und drehe mich leicht zur Seite. Dabei streift etwas Weiches meine Haut und langsam strecke ich meinen Arm aus. Meine Hand fährt vorsichtig über den weichen Boden auf dem ich liege und ich ertaste Grashalme und weiche Erde, die zwischen meinen Fingern zerfällt. Pok. Ich wage es ein weiteres Mal blinzelnd die Augen zu öffnen und dieses Mal werde ich nicht direkt von den hellen Sonnenstrahlen geblendet. Stattdessen erblicke ich das Gras und die grünen Pflanzen, die neben mir aus dem Boden sprießen. Ich habe keine Ahnung wo ich mich befinde, da der letzte Ort an den ich mich erinnern kann, ein dreckiger Fußweg in meiner Nachbarschaft war. Pok ist nirgends zu sehen. 

Ich drehe langsam den Kopf und versuche die stechenden Schmerzen in meiner Stirn zu ignorieren. Lange Grashalme kitzeln auf meiner Haut. Ich lasse meine Augen aufmerksam durch meine Umgebung schweifen, die nichts mehr mit der Straße aus meiner Nachbarschaft gemein hat. Der ganze Boden ist mit Gras, Pflanzen und Unkraut übersäht. Links und rechts von mir erheben sich majestätische Säulen in die Luft. Der graue Marmorstein ist mit grünlichen Ranken bewachsen, als hätte sich schon Jahrelang niemand mehr um sie gekümmert. Mit meinen Augen verfolge ich eine der Säulen, die in einem halboffenen Dach endet. Ein Teil des Daches scheint vor langer Zeit eingestürzt zu sein, weshalb nun weiche Sonnenstrahlen auf mich herabfallen. Der Rest des Daches erinnert an die Überdachung einer kunstvoll gestalteten Kirche. Von hier unten kann ich die Muster erahnen, die die Steine einst in das vollständige Dach gezeichnet haben.

Langsam rappele ich mich zu einer sitzenden Haltung auf und muss für wenige Sekunden die Augen schließen, um die stechenden Schmerzen in meiner Stirn auszublenden. Diese pulsieren noch immer heftig in meinem Kopf und machen das Nachdenken schwierig. Zur selben Zeit habe ich das Gefühl, dass sich meine ganze Umgebung dreht und ich habe Schwierigkeiten die Übelkeit in meinem Magen herunterzuschlucken. Das Letzte, das ich in diesem Moment brauche ist es, mich an diesem unbekannten Ort zu übergeben.  

Als sich mein Körper einigermaßen beruhigt hat, wage ich es erneut meine Augen zu öffnen. Mein Blick ist nach vorne gerichtet, wo sich eine Steinmauer mit einem fensterlosen Rahmen in Form eines gotischen Kirchenfensters erhebt. Vor Jahren muss in diesem einmal ein wunderschönes Fenster eingelassen gewesen sein. Wahrscheinlich ein buntes Bleiglasfenster, wie man es aus Kirchen kennt. Jetzt jedoch fehlt das Glas und hinter dem Rahmen kann ich einen dicht bewachsenen Wald erkennen. Meine Augen schweifen weiter. An den Säulen links von mir vorbei, hinter denen sich hohe Steinwände erstrecken, die einen Teil des unbeschadeten Daches tragen. Die Wand auf der rechten Seite ist in sich zusammengefallen, wodurch ich den wild bewachsenen Garten erkennen kann. Dieser war früher scheinbar Teil des ehemaligen Innenhofes. Jetzt wuchern bunte Blumen, Rosenbüsche und hohes Gras wild durch den quadratischen Garten. Die Steinplatten auf dem Boden sind kaum zu erkennen, während grüne Blumenranken an den noch stehenden Außenwänden heraufklettern.

Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und spüre dabei das unangenehme Ziehen an meinen Knien. Die Schürfwunden auf meiner Haut sind noch immer nicht verheilt und ich vermute, dass der zu vorige Kampf den Schorf an mehreren Stellen wieder aufgerissen hat. Das beweisen auch den dunklen Blutflecken auf dem Stoff meiner Jeanshose. Langsam drehe ich mich um 90° Grad. Dabei drücke ich die Pflanzen um mich herum platt, was ich jedoch kaum bemerke. Stattdessen fühle ich die kalte Erde unter meinen Fingern und die Grashalme, die an manchen Stellen noch feucht sind. Nun ist das Bleiglasfenster in meinem Rücken und vor mir geht der Gang mit den majestätischen Säulen weiter.

Mein Blick schweift erneut an den Säulen entlang, bis sie zu einer steinernen Erhebung schweifen, die in meterweiter Entfernung aus dem Gras zu wachsen scheint. Einst war dies wohl Teil des Altarraums. In der Mitte der Erhebung glaube ich sogar den, in sich zusammengefallenen, Altar erkennen zu können. Auch dieser ist mit wucherndem Unkraut bewachsen und wirkt in seiner Form nahezu wie ein majestätischer Thron. Ich möchte mich weiterumschauen, nehme im selben Moment jedoch rechts von mir eine schnelle Bewegung wahr. Ich zucke zusammen und reise meinen Kopf herum. Dabei durchfährt meinen Körper mehrfach stechenden Schmerzen und die Kopfschmerzen flammen wieder schmerzhaft heftig auf. Dabei hatte ich es doch geschafft, dass sie in ein monotones Hintergrundpulsieren abrutschen. Ich kneife meine Augen für wenige Sekunden zusammen, in der Hoffnung dadurch die Schmerzen ausbalancieren zu können, bevor ich sie wieder ruckartig öffne, um den Ursprung der Bewegung wahrzunehmen.

Ich erstarre, als ich vier Schattenkrieger sehe. Sie manifestieren sich lautlos neben zwei Säulen und bleiben in wachsamer Position stehen. Die schwarze Rüstung glänzt im sanften Schein der Sonne gefährlich auf. Hinter ihnen kann ich eine geschlossene Flügeltüre sehen, die genauso alt wirkt wie der Rest der Kirchenruine. Mein Blick fällt zurück auf die Schattenkrieger, die sich noch immer nicht bewegen. Sie wirken wie Statuen, was mir in diesem Moment noch mehr Angst macht. Ich schlucke schwer und versuche unbemerkt vor ihnen zurück zu weichen. Dabei rutscht meine Hose über das Gras und ich kann spüren wie sich die leichte Feuchtigkeit des Grases in meine Hose gräbt, während die feuchte Erde an dem dicken Stoff kleben bleibt. Auch an meinen Fingern bleibt der Dreck kleben und ich kann spüren wie sich die Erde unter meine Fingernägel gräbt. Im selben Moment werden die Flügeltüren schwungvoll aufgestoßen und scheinbar federleicht öffnen sie sich. Geräuschlos fahren sie über den Boden. Ich erstarre und vergesse für wenige Sekunden mein Vorhaben, vor den Schattenkriegern zu fliehen.

Ein langer Schatten fällt auf den Boden und blinzelnd beobachte ich eine junge Frau dabei, wie sie mit eleganten Schritt die Kirchenruine betritt. Die Schattenkrieger deuten eine untergebene Verbeugung an, als die Frau mit erhobenen Kinn an ihnen vorbeischreitet. Fassungslos mustere ich sie und ihre Schönheit. Sie trägt ein majestätisches weißes Kleid, das sich elegant an ihren schmalen Oberkörper schmiegt und ab der Taille locker um ihre langen Beine fällt. Der blickdichte Stoff reicht ihr bis über die Brust, bevor er von einem leicht durchsichtigen Material ersetzt wird, der sich bis zum Schlüsselbein zieht. Dort wird er von einem Kragen aus silbernen Diamanten abgelöst, der sich sanft um ihre Schultern legt und ihre spitzen Schlüsselbeine betont. An dem Kragen ist ein langer Umhang aus demselben Material angebracht und jetzt bemerke ich auch das feingliedrige Blumenmuster auf dem Stoff. Der Umhang fällt federleicht über ihre Schultern, umrahmt ihre Arme und breitet sich elegant neben und hinter ihr aus wie ein leuchtender Engelschein. Sie hat die Arme leicht angewinkelt und die Hände in einer royalen Pose vor dem Bauch verschränkt. Ihre Haut ist makellos und so blass, dass sie Schneewittchens Tochter sein könnte. Ihre Lippen glänzen in einem verführerischen Rot und ihre braunen Augen sind von einem dichten Wimpernkranz umgeben. Ihre Wangenknochen stechen deutlich hervor und ihre Gesichtszüge wirken feminin und kämpferisch zugleich. Ihre braunen Haare sind ordentlich zu einer Hochsteckfrisur zurückgesteckt und auf dem Kopf trägt sie eine silbern glänzende Prinzessinnenkrone. Die farblosen Diamanten, die in die Krone eingelassen sind, glänzen und funkeln im Schein der Sonne. Erst als die junge Frau mit wenig Abstand vor mir zum Stehen kommt, bemerke ich, dass ich voller Erstaunen die Luft angehalten haben muss.

„Und?"

Die junge Frau posiert mit einem strahlenden Lächeln vor mir und wirkt dabei nahezu lächerlich. Der erste Eindruck der majestätischen Königin wird schlagartig zerstört und fassungslos starre ich die Frau an. „Erster Eindruck?"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top