Trügerische Blume
"Und du bist dir sicher, dass auch alles in Ordnung ist?" fragte mich Lizzy heute schon zum tausensten mal.
"Ja doch." antwortete ich ihr, genau wie alle vorherigen male und wie sie es auch davor schon tat, legte sie wieder nur zweifelnd ihre Stirn in Falten. Seufzend fing ich an einen neuen Strauß zu machen. "Sag mal Lizzy, bist du dir ganz sicher, dass da niemand war, als ich bewusstlos im Laden lag?" lenkte ich stattdessen vom Thema ab.
Lizzy nickte. "Ich hörte das Klirren der Vase und sah dich auf dem Boden liegen. Aber da war sonst niemand." erzählte sie mir und raffte ungeschickt ein paar Blumen zu einem Strauß. Ich ignoriert diese etwas schlampige Arbeit von ihr und dachte nach.
Jack meinte ja, dass es in der Organisation auch Leute gibt, die übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Ich erinnerte mich, dass ich damals, als der Zungenmann hier war, plötzlich stechende Kopfschmerzen hatte. Hatte der Typ etwa versucht mit irgendeiner telepathischen Fähigkeit in meinen Kopf einzudringen? Soweit ich mich erinnern kann, habe ich ihn mit der Vase nicht bewusstlos geschlagen. Vermutlich hat Lizzy ihn deshalb nicht gesehen, weil er schnell abgehauen ist. Mir kam plötzlich ein Gedanke, der mir jegliche Körperwärme entzog. Was ist, falls der Mann tatsächlich etwas in meinem Hirn gesucht hat, es gefunden hat? Was ist, wenn das der Aufenthaltsort von Jack war? Aber nein. Dann hätten sie mich letztens nicht angefallen.
"Hallo? Erde an Nanami!" riss mich Lizzys Stimme aus den Gedanken. Fragend und etwas verwirrt sah ich sie an. "Was?" "Ich hab gefragt, ob du die neue Lieferung rein bringen kannst." erneut musterte sie mich besorgt. "Bist du dir ganz sicher, das alles in Ordnung ist?" "Zum letzten Mal: Ja." rief ich ihn noch zu, bevor ich mich seufzend auf den Weg zum Hintereingang, wo die Laster mit den neuen Blumen meistens warteten. Ich unterschrieb die Liferungspapiere und der Fahrer öffnete mir den Laderaum. Es waren viele neue Blumen dabei und ich freute mich schon darauf mit ihnen neue Sträuße zu kreieren. Ich nahm den ersten Blumenkasten auf den Arm und schleppte ihn hinein. Diesen Vorgang wiederholte ich solange, bis nur noch eine einzige Blume im Laster auf mich wartete. Anders als die Anderen war sie ein Einzelexemplar. Sie hatte ihren eigenen Blumentopf und stand in der hintersten Ecke der Ladefläche. Ich kletterte in den Laster und ging zu der Blume. Vorsichtig hob ich die auf und schaute sie mir etwas genauer an. Sie war außergewöhnlich schön. An ihrem langen dunkelgrünen Stiel mit den breiten Blättern thronte ihr Violett bis dunkelblaue Blüte. Dabei wurde die Intensivität der Farbe nach außen hin immer heller, sodass die Spitzen der Blütenblätter in einem hübschen Rosa strahlten. Tatsächlich hatte es den Anschein, als würde die Blume leuchten, aber das war vermutlich nur eine Einbildung. Während ich die herrliche Blüte der Blume betrachtete, hob ich sie noch ein Stück höher und schnupperte an ihr. Sie hatte einen betörenden Duft. Süß und schwer umwarb er mich und meine Gedanken wurden immer langsamer. Noch bevor ich verstand, was hier passierte knickten meine Beine unter meinem Gewicht weg und ich stürzte zu Boden. Die Blume fiel mir aus der Hand und der Topf zerbrach mit einem lauten klirren, welches durch den Laster hallte. Ich hatte Mühe meine Augen offen zu halten und stützte mich mit meinen Händen vornübergebeugt ab, um nicht ganz umzufallen. Ich spürte die Erde und ein paar Wurzeln der Blume unter meinen Fingern und eine der Scherben drückte sich unangenehm in meinen Handteller. Was ging hier vor? Mein Blick blieb an der Blume hängen. Unschuldig schimmerte sie vor sich hin. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, was für eine Blumenart das überhaupt war. Ich kannte jede einzelne, aber diese habe ich noch nie gesehen. Plötzlich begann die Blume sich vor meinen Augen in Erde aufzulösen. Noch während mein Gehirn zu verstehen versuchte, was hier passierte schloss jemand die großen Türen des Lasters und nahm mir damit jegliche Lichtquelle. Als der Wagen plötzlich ruckartig losfuhr verlor ich mein Gleichgewicht und stürzte auf die mit Scherben gespickte Erde. Ich konnte noch spüren, wie sich einige Stücke des Zersprungenen Topfes in meine Wange, Arme und Seite bohrten, als ich auch schon das Bewusstsein verlor.
"Wenn ich es dir doch sage. Ich bin mir zu 100% sicher, dass sie weiß, wo sich unser Goldi versteckt." drang eine dumpfe Stimmen zu mir durch und ich öffnete meine Augen für einen kleinen Spalt. Ich saß auf einem Stuhl und dem Druck an meinen Hand-und Fußgelenken nach zu urteilen, war ich wohl gefesselt. Mühselig versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen, mein Kopf schmerzte so sehr, dass schon die kleinste Bewegung wehtat.
"Das will ich für dich hoffen." erklang nun eine etwas ältere und tiefere Stimme. Langsam hob ich meinen Blick und sah zwischen meinen langen, schwarzen Haarsträhnen, welche mir ins Gesicht fielen, mehrere paare schwarzer Lackschuhe. Was genau das zu bedeuten hatte konnte ich mir aufgrund des zähen Gangs meiner Gedanken nicht sofort erschließen. Als dann schließlich die Erkenntnis, dass es die Männer in Schwarz waren, durch mein Bewusstsein sickerte, kroch augenblicklich Angst in mir hoch und lähmte nicht nur meinen langsam aufklarenden Verstand, sondern auch meine Atmung. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt, die Luft wurde stickig und der Raum, in dem ich saß, wurde immer kleiner. Mein Herz schlug so schnell, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen und mein Atem wurde flach und hektisch.
Ich musste hier weg! Ich musste so schnell wie möglich hier weg!
Das war das einzige, an das ich in diesem Moment denken konnte. Ich dachte an meine kleine Wohnung mit Jack und Nemesis. Ich musste sofort von hier verschwinden!
"Na sieh mal einer an, wer da endlich aufgewacht ist." hörte eine der Stimmen, die jüngere erschreckend nah.
Unwillkürlich hielt ich den Atem an und wagte es nicht meinen Kopf zu heben. Doch übernahm das der Mann vor mir, indem er mein Gesicht am Kinn packte und nach oben hob. Widerlich grinsend schaute mich die blutige Seele des Zungenmannes an. Mein Herz schien buchstäblich aus meiner Brust zu springen. Angsterfüllt starrte ich ihn einfach nur an und ich fing an am gesamten Körper zu zittern.
"Aber nicht doch Püppchen. Du musst keine Angst haben." sagte der Zungenmann in einem bestürzt wirkendem Ton, doch sein Lächeln sagte mir etwas anderes. "Vorausgesetzt, du tust das, was wir wollen." Ich schluckte schwer. Als er dann auch noch mit der Zunge über seine Lippen fuhr konnte ich einen kleinen Angstschrei nicht unterdrücken. Ich versuchte seine Hand abzuschütteln und drehte meinen Kopf zur Seite. Er verstärkte daraufhin seinen Griff und hielt mein Gesicht an Ort und Stelle. "Hast du etwa nicht gehört, was ich gerade gesagt habe?" knurrte er und kam noch näher. Ängstlich kniff ich meine Augen zu und erwartete einen Schlag oder wieder seine widerwärtige Zunge.
"Alex!" bellte plötzlich die ältere Stimme und ich öffnete vorsichtig eines meiner Augen. Die Stimme kam von einem etwas älteren Herrn, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte. Auch ihn erkannte ich sofort wieder. Er war einer der Männer, die damals als erstes in den Blumenladen spaziert sind. Er hatte mir ein Foto von Jack gezeigt und mich gefragt, ob ich ihn gesehen hätte. Könnte es möglich sein, das der zweite Mann, der damals nicht gesagt hatte der Zungenmann oder Alex, was wohl sein eigentlicher Name ist, war?
"Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du nicht gleich am Anfang Gewalt benutzen sollst?" tadelte der ältere Mann und kam ein paar Schritte nach vorne.
"Aber ich erkläre ihr doch nur die Regeln." maulte Alex, richtete sich wieder auf und ließ dabei endlich mein Gesicht los.
"Du weißt ganz genau, was ich meine." antwortete der Mann nur und strafte Alex mit einem strengen Blick. Als er sich dann plötzlich zu mir herunter beugte und mir damit nicht nur grinsend seine überraschend weißen Zähne, sondern auch seine dunkle Seele zeigte. Erschrocken wich ich etwas zurück und starrte gebannt in das schwarz rot wabernde Ungetüm hinter seiner Iris.
"Bitte entschuldige seine Aufmüpfigkeit mein Püppchen. Er ist noch in der Ausbildung musst du wissen." sagte er und legte seinen Kopf etwas schief. "Wir haben nur ein paar kleine Fragen an dich. Wenn du artig bist und uns die richtigen Antworten gibst darfst du auch wieder gehen."
Eine Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass das wohl die größte Lüge des Jahrhunderts war.
"Also dann fangen wir mal an." Er richtete sich wieder auf. Sein Blick wurde hart und jede Spur eines Lächelns verschwand. "Wo ist der Junge mit den goldenen Augen?" fragte er und die Kälte seiner Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich brachte kein Wort über die Lippen und starrte einfach nur in seine dunklen Augen.
"Wo ist der Junge mit den goldenen Augen?" wiederholte er sich mit einem drohenden Unterton.
"I-ich...ich..." stammelte ich zitternd. Der Mann streckte seine Hand aus und strich mir die Strähnen meiner Haare aus dem Gesicht.
"Ganz ruhig mein Püppchen. Erst denken, dann sprechen." sagte er freundlich lächelnd und fuhr mit seinen Fingern zärtlich über meine Wange.
Mit größter Anstrengung unterdrückte ich meinen Würgreflex und wagte es nicht mich zu bewegen.
"I-ich ha-habe kein Ahnung, wo... wo e-er ist." brachte ich schließlich leise über die Lippen. Das Lächeln des Mannes war wie weggewischt und seine Seele bäumte sich vor Wut auf. Langsam stand er wieder auf, griff in seine Tasche und zog ein Klappmesser hervor. Den Blick starr auf mich gerichtet ließ er die Klinge mit einem leisen klicken hervorschnappen. Das Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut und alle Muskeln in meinem Körper spannten sich augenblicklich an. Immer noch den Blick auf mich gerichtet fuhr der Mann mit seinen Fingerspitzen über die Schneide des Messers.
"Weißt du mein Püppchen." fing er an und klopfte nun mit dem Messer auf seinen Handteller. "Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man mich anlügt. Noch hast du die Wahl. Wir können das ganze friedlich klären, indem du uns sagst, wo wir ihn finden oder..." Er packte das Messer fester. "Oder wir machen das auf die harte Tour." Er setzte die Klinge unter mein Kinn und dirigierte mein Gesicht damit nach oben, um mir in die Augen sehen zu können.
"Ich frage dich jetzt ein letztes Mal. Wo ist der Junge mit den goldenen Augen?" Seine Seele blitzte mich gefährlich an und wieder brachte ich keinen Ton über die Lippen. Ich spürte wie sich das kalte Metall der Klinge in meine Haut bohrte und biss mir auf die zitternde Unterlippe. Nach einer gefühlten Ewigkeit zog der Mann mit einem abfälligem schnauben das Messer weg und ging ein paar Schritte zurück. Ängstlich beobachtete ich ihn dabei. Als dann der Zungenmann Alex mit einem widerlichen grinsen zu mir trat und sich vor mir aufbaute, rutschte mir mein Herz in die Hose... oder besser gesagt in den Rock.
"Dann bin ich jetzt wohl dran." murmelte er, an niemanden bestimmtes gerichtet, und streckte seine Hand nach mir aus. Ich versuchte ihr auszuweichen, aber die Stuhllehne, welche sich hart gegen meinen Rücken drückte, führte mir vor Augen, das ich hier festsaß und diesen Leutenhilflos ausgeliefert war "Keine Sorge. Es tut nur sehr weh." sagte er und lachte über seinen dummen Spruch. Als seine Fingerspitzen meine Stirn berührte zuckte ich erschrocken zurück und kniff meine Augen zusammen. Ich spürte, wie mit Alex seine Hand auf den Kopf legte und versuchte mich so klein wie möglich zu machen. Sein Daumen strich etwas hin und her und ich hätte nichts lieber getan, als ihn den ganzen Arm abzuhacken.
Plötzlich durchzuckte ein stechender Schmerz meinen Kopf und ich konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. Meine Schläfen pochten im Takt meines viel zu schnell schlagenden Herzens und alles bewegte sich wie in Zeitlupe. Meine Gedanken waren schwer und der Schmerz war unerträglich. In kurzen Stößen stieß ich immer wieder die Luft aus und wimmerte etwas. Wie durch Watte drang das Kichern von Alex zu mir durch. Ich spürte ein heißes brodeln in mir und hob meinen Blick. Mit einem verrückten grinsen auf den Lippen sah er mich an und schien sich an meinem Leiden zu erfreuen. Die Wut in meinem inneren fing an Funken zu schlagen und entfachte ein unkontrollierbares Feuer, welches heiß in mir brannte. All diese Wut richtete ich nun gegen den Zungenmann und brüllte sie ihm laut entgegen. Wie von der Tarantel gestochen schrie er auf und zog seine Hand von meinem Kopf weg. Überrascht sah ich, dass diese etwas dampfte und die Innenseite der Handfläche rot und voller Brandblasen war.
Was war hier gerade passiert?
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