Nebel
Stumm starrte ich auf die makellos weiße Wand vor mir. Ohne den kleinsten Fleck grinste sie mir ins Gesicht und schien mich mit ihrer Reinheit auszulachen.
Ich hatte die Nacht über nicht schlafen können und stattdessen einfach die Wand angestarrt.
In den letzten Tagen wurde meine Schlaf mehr eine Qual, als Erholung, sodass ich meistens einfach nur stumm vor mich hin starrte und auf die Morgenröte wartete, die Tag für Tag über den Horizont kroch und damit meine Ruhepause von den Experimenten beendete.
Ein Blick zum Fenster bestätigte mir, das die Wachhunde mich bald wieder abholen würden.
Von der Tür her hörte man ein klacken und mein Frühstück flog herein.
Und das meine ich wortwörtlich.
Zuerst segelte ein paar Scheiben trockenes Brot durch eine kleine Metallklappe, welche etwa auf Augenhöhe angebracht war, gefolgt von einem matschigen Apfel, der mit einem widerlichen klatschen auf den Boden fiel. Wenn ich das richtig verstanden hatte, wollten die Leute uns hier auch mit Vitaminen versorgen, allerdings war das Obst, was sie einem gaben immer schon halb vergammelt.
Ruhig wartete ich, bis die Klappe sich wieder geschlossen hatte, stand langsam auf und hob die paar Brote auf, setzte mich wieder aufs Bett und biss in eines hinein.
Das Brot war steinhart, staubtrocken und schmecken tat es auch nicht.
Ich kaute etwas lustlos darauf herum, bevor ich es herunter schluckte und ein weiteres Stück abbiss. Ein paar Krümel vielen auf mein weißen Krankenhaus-Kleid, aber das interessierte mich nicht, weswegen ich einfach weiter das Brot aß. Es war das einzige, was ich für die nächsten Stunden bekommen würde, also aß ich alles auf und wartete dann, wieder auf die weiße Wand starrend, auf die Wachhunde.
Diese ließen nicht lange auf sich warten und traten nach kurzer Zeit schwungvoll die Tür auf. Müde hob ich den Blick und musterte sie. Mit macho-mäßig verschränkten Armen standen sie breitbeinig im Türrahmen und schauten zu mir herüber. "Komm Püppchen. Du weißt doch, was du tun musst." sagte der eine und holte die Handschellen aus seiner Tasche hervor.
Ich wartete noch einen Moment, den Blick auf die beiden Wichtigtuer, bevor ich langsam aufstand und zu ihnen ging.
Grinsend beobachteten sie mich dabei und legten mir, als ich vor ihnen stehen blieb, die kalten Handschellen an. Anschließend gingen sie los, zerrten einmal an den Ketten, woraufhin ich ihnen stolpernd folgte. Wir gingen wieder den langen Gang entlang, zum Fahrstuhl, jedoch drückten sie einen anderen Knopf, als in den vorherigen Malen. Es verwirrte mich und machte mir Angst. Wohin gingen wir? Wohin brachten sie mich?
Mit einem leisen "Pling" kündigte der Fahrstuhl uns an, das wir an der gewünschten Etage angekommen waren. Die Wachhunde stiegen aus und zerrten mich hinterher.
Wir gingen durch einen langen grauen Gang, dessen Seiten mit, wer hätte es gedacht, grauen Metalltüren gespickt war.
Doch war es nicht das dreckige Grau der Wände, welches mir Angst machte, sondern die Stille. Außer unseren Schritten gab es kein einziges Geräusch. Unten, bei den Maschinen hatte man immer das qualvolle Geschrei der anderen Begabten gehört. Dieses war jedoch nicht annähernd so Angsteinflößend, wie diese Totenstille.
Irgendwann hielten wir vor einer der Metalltüren. Einer der Wachmänner hob seine Hand und klopfte kräftig.
Stille.
Der Wachmann warf seinem Kollegen einen kurzen Blick zu und klopfte erneut, diesmal stärker.
"Herein." bellte Arthurs kalte Stimme befehlerisch.
Schnell öffnete das gehorsame Wachhündchen die Tür und stieß mich hinein.
In der Mitte des Raums stand ein schmaler Metalltisch, von dem, ein paar dunkle Lederriemen hinunterhingen. An einem kleinen Kasten am Kopfende des Tisches standen ein paar Eisaugen und drückten an den Knöpfen des Kastens herum. Das A-Duo stand daneben und musterte mich mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck. Jedoch sah ich ihre Seelen schadenfroh hinter ihrer Iris tanzen. Kalte Angst streckte ihre Hand nach meinem Herzen aus und umschloss es fest. Die Luft in diesem Raum schien immer dünner zu werden, woraufhin sich mein Atem anfing zu beschleunigen.
"Bringt sie hier hin." sagte Arthur, bevor er sich zu den Doktoren drehte und leise mit ihnen sprach. Mit einem heftigen Stoß zwischen meine Schulterblätter trieben mich die Wachhunde zum Tisch. Angsterfüllt starrte ich die matt glänzende und von Kratzern übersäte Metallfläche an. Jetzt, wo ich näher dran war, konnte ich auf den Riemen dunkle braun-rote Flecken sehen. Schockiert starrte ich auf das bedrohliche, sich hin und her baumelnde Leder, biss fest die Zähne zusammen und zählte in meinem Kopf langsam bis Zehn, um nicht in Panik zu geraten.
Eins... Zwei... Drei... Vier...
Plötzlich hob mich einer der Wachmänner hoch und setzte mich auf den Tisch. Anschließend drückte er mich an meinen Schultern auf den Rücken, während sein Kollege anfing mich mit den Ledergurten zu fixieren. Er nahm mir die Handschellen ab und tauschte sie durch harte Lederriemen aus, welche meine Hände links und rechts neben mir hielt. Nachdem sie alle Gurte angelegt hatten, kontrollierten sie alle Verschlüsse noch einmal und zogen sie kräftig nach. Das Leder drückte Hart gegen meine Haut und ich verlor langsam das Gefühl in meinen Händen. Als sie der Meinung waren, das alle Gurte fest saßen und ich keine Chance hatte abzuhauen, traten sie ein paar Schritte zurück, verschränkten ihre Hände hinter ihrem Rücken und warteten auf weitere Anweisungen. Aus meinen Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Alex sich mir nährte und unterdrückte das Bedürfnis an den Lederriemen zu zerren und zu hoffen fliehen zu können.
"Freu dich Püppchen. Du bist eine der wenigen, die in diesem Raum untersucht werden." sagte er und beugte sich grinsend zu mir herunter. "Du bist wahrlich etwas ganz besonderes..." flüsterte er mit rauer Stimme und strich mit seinen Fingern über meine Wange. Bei seiner Berührung zog sich alles in mir zusammen und drehte hastig meinen Kopf weg, um nicht länger seine widerliche Seele sehen zu müssen und weiteren Berührungen zu entgehen.
Als ich plötzlich seine raue Hand an meinem Oberschenkel spürte, gab ich einen leisen erschrockenen Schrei von mir und kniff meine Augen zusammen.
Alex kicherte leise und strich meinen Oberschenkel auf und ab.
"Deine Haut ist so weiß wie Porzellan. Du bist tatsächlich ein kleines, zerbrechliches Püppchen." murmelte er vor sich hin, bevor er fest Zugriff und seine Fingernägel in mein Fleisch bohrte. Wieder schrie ich erschrocken auf und verzog schmerzerfüllt mein Gesicht, was dazu führte, das Alex anfing laut zu lachen und noch fester Zugriff.
"Alex!" keifte Arthur und warf ihm einen strengen Blick zu.
Sofort ließ er mich los und trat ein paar Schritte zurück.
Langsam kam nun Arthur zu mir, stellte sich neben den Tisch und musterte mich mit seinen dunklen Augen. Stumm erwiderte ich seinen Blick, nicht fähig woanders hinzuschauen.
"Also gut Püppchen." fing er an. "Wir werden jetzt mal eine andere Behandlung bei dir ausprobieren. Du kannst dem immer noch entgehen, indem du uns sagst, wo Goldie ist und was deine Fähigkeiten sind."
Lauernd waberte seine Seele hinter der Iris. Übelkeit stieg in mir hoch und ich unterdrückte mühsam ein würgen. Stumm starrten wir uns einen Moment an, bevor Arthur genervt ausatmete und sich zu den Eisaugen drehte. "Fangt an."
Sofort sammelten sich etwa fünf der Doktoren um den Tisch und fingen an Elektroden und setzten eine Fusion. Nachdem sie zwei der kalten Metallscheiben an meinen Schläfen befestigt hatten, fing die Maschine an zu tuckern und spuckte irgendwelche bekritzelten Seiten aus.
Nachdem Arthur mit einem sorgfältigen Blick alles gemustert hatte, gab er den Eisaugen nickend das Zeichen, das er zufrieden war und sie weitermachen konnte. Während sich einige wieder bei der Maschine, fummelten die anderen an dem Plastiksack mit der Infusion rum, welche wenige Augenblicke später anfing tröpfchenweise ihren Inhalt durch einen dünnen Schlauch in meinen Körper zu leiten.
Nach wenigen Minuten fing an sich eine schwere Müdigkeit über mich zu legen. Mein Puls wurde immer langsamer und es war unglaublich anstrengend meine Augen offen zu halten. Die Welt um mich herum bewegte sich wie in Zeitlupe. Wie in einem Traum sah ich Arthur an meinen Tisch treten und mich grinsend mustern.
"So mein Püppchen. Willst du uns nicht ein wenig über dich und Goldi erzählen?" fragte er, wobei er sich nicht mal die Mühe machte sein kichern zu unterdrücken.
"Gol...die..." wiederholte ich leise seinen Satz. Dieser Name gefiel mir nicht.
"Ja, genau. Gol-die." sagte Arthur mit Nachdruck und beugte sich näher zu mir herunter. "Der Junge mit den goldenen Augen."
"Goldene...Augen..." Ich sah vor meinem inneren Auge etwas strahlend Goldenes aufleuchten und eine wohlige Wärme umwarb mein Herz. "Sun...ny..."
Ich sah Jacks lächelndes Gesicht vor mir. Ich wollte zu ihm, mich in seinen Armen verkriechen und in seiner Nähe sein, in der ich mich sicher und geborgen fühlte.
"Wo ist er?" durchschnitt Arthurs scharfe Stimme meinen viel zu kurzen Moment der Freude.
"Wo...? Wo ist Sunny...?" Ich ließ meinen benebelten Blick umherschweifen, ignorierte die schwarzen Seelen vom A-Duo und auch die kalten Augen der Doktoren. Wo war Sunny?
"Sunny... wo bist du?" Tränen schossen mir in die Augen.
Arthur packte mein Gesicht am Kinn und drehte es zu sich. "Das wollen wir von dir wissen." knurrte er und seine Seele waberte gereizt hinter seiner Iris umher. Ich wollte mein Gesicht wegdrehen, doch Arthur Griff glich dem einen Schraubstock und hielt mich so an Ort und Stelle.
"Wo ist er?" wiederholte er grimmig.
Angst kroch in mir hoch und der Nebel in meinen Gedanken wirbelte wild umher. Einzelne Bilder blitzten vor meinen Augen auf. Erst Sunny, dann wie er in der Küche steht, mir Frühstück macht, wir auf dem Sofa beim Erdbeeren essen...
"Hause..." murmelte ich leise und eine Träne rollte über meine Wange.
Ich wollte nach Hause... zu Jack... zu Nene... in Sicherheit sein.
"Aha..." gab Arthur leise von sich, ließ mich los und schaute zu Alex. "Schnapp dir Blümchen und mach dich auf den Weg zum Puppenhaus."
Dieser nickte artig und verließ hastig den Raum. Verwirrt schaute ich ihm nach.
"Das hast du wirklich sehr gut gemacht mein Püppchen." sagte Arthur wieder an mich gewandt und strich mir über mein Haar. Benommen und irritiert starrte ich ihn an.
"Du hast es fast hinter dir." sagte er nahezu zärtlich. "Jetzt musst du uns nur noch eine Sache verraten." Erneut beugte er sich zu mir herunter, während sich ein bösartiges Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete. "Was ist deine Gabe?"
Stumm starrte ich ein seine aufgeregt tanzende Seele.
"Ich... sehe..." murmelte ich leise, nicht fähig meinen Blick von seiner teerähnliche Seele abzuwenden. "Ich sehe... Farben..."
"Farben? Was für Farben?"
Meine Lippen formten bereits die nächsten Worte, als der Nebel sich langsam Lichtete und mir klar wurde, dass ich Jack verraten hatte.
Kalte Erkenntnis machte sich in mir breit und ließ meine Kehle trocken werden. Ich schluckte ein paar Mal und ein bitterer Geschmack machte sich in meinem Mund breit.
"Was sind das für Farben?" fragte Arthur erneut und riss mich aus meinen Gedanken.
Einen Moment starrte ich ihn stumm an, bevor ich begriff, das nicht bemerkte, dass er nicht mitbekommen hatte, das die Wirkung dieses scheußlichen Serums nachgelassen hatte.
"Es... es sind..." murmelte ich und überlegte Fieberhaft nach einer Antwort. Ganz sicher würde ich ihm nicht die Wahrheit sagen. Aber was dann?
"Ich... sehe... Leben..." brachte ich schließlich zögernd über die Lippen und hoffte, das sie mir das abkaufen würden.
"Leben?" wiederholte Arthur. "Wie meinst du das?"
"Ich sehe alles was lebt... als Farben..." gab ich als Antwort und beobachtete ängstlich, wie seine Seele sich nachdenklich hinter seiner Iris wand.
"Versteh..." sagte er schließlich, richtete sich auf und sah zu den Eisaugen. "Das reicht für heute. Wir machen morgen weiter."
Gehorsam nickten die Doktoren, kritzeln was auf ihre Klemmbretter und sammeln sich um mich, um mir die Elektroden abzunehmen. Als sie damit fertig ist, fahren sie den Kasten herunter, verstauen alle Kabel und strömen aus dem Raum.
Arthur hatte alles stumm beobachtet und wartete geduldig, bis alle Eisaugen gegangen waren, bevor er wieder an meinen Tisch trat und mich grinsend musterte.
"Du hast das heute wirklich ausgesprochen gut gemacht, mein Püppchen." sagte er und strich mir wieder übers Haar. Ich versuchte meinen Ekel zu verbergen und starrte stumm an die Decke. Arthur nahm eine meiner Strähnen zwischen seine Finger und drehte sie etwas hin und her.
"Wenn du weiterhin so artig bist, können wir womöglich über eine Versetzung reden." Grinsend zog er an der Strähne, bevor er sie los ließ und mir über die Wange strich. "Wir sehen uns morgen wieder. Du bleibst erst mal über Nacht hier. Schlaf ein wenig. Du wirst ihn brauchen."
Mit diesen Worten legte er seine Hand über meine Augen. Als er seine Hand wieder wegnahm, hielt ich meine Augen geschlossen und wartete. Ich hörte, wie er zur Tür ging und das Licht ausknipste. Kurze Zeit später hörte man, wie die Tür abgeschlossen wurde und er den Gang entlang ging. Ich öffnete erst meine Augen, als seine Schritte vollständig verklungen waren.
Es war stockdunkel und ich war Mutterseelen allein in diesem verfluchten Raum eingesperrt und an einem kalten Metalltisch gebunden.
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