Bernstein

Ich stand jetzt seit einer geschlagenen halben Stunde in diesem Juwelier und fand einfach nichts, dass Jack gut stehen würde. Ich hatte mir überlegt ihm vielleicht ein Armband zu schenken, aber die aus Leder gefielen mir nicht und auch sonst war einfach nichts Passendes zu finden. Ich verließ den Laden und pendelte zum Nächsten. Das war schon der vierte wo ich nichts gefunden hatte. Es war Samstag und auf den Straßen liefen eilig einige Familien oder eng aneinander geschlungene Pärchen umher. Während ich die Straße hinunter ging, sah ich mir die verschiedenen Seelen an. Ich huschte mit meinem Blick von Augen zu Augen und die bunten Farben flogen an mir vorbei. Hell, froh und aufgeweckt, ruhiges dunkelblau mit grün, strenges eisblau, deprimiertes grau, tiefes schwarz mit blutigem Rot... Moment! Was?!

Augenblicklich blieb ich stehen und versuchte hektisch die Seele, welche ich gerade gesehen hatte, wiederzufinden.

Waren es etwa wieder diese Männer, die schon mal im Blumenladen waren?

Was wollten die von mir?

Krampfhaft versuchte ich meinen Herzschlag zu beruhigen. Wenn sie mich tatsächlich verfolgten, durfte ich mir nichts anmerken lassen. Auf etwas wackeligen Beinen setzte ich einen Fuß vor den anderen. Dabei suchte ich in dem Menschen Gewimmel eine der blutigen Seelen zu finden. Als der nächste Juwelier in Sicht kam, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Wie von selbst bewegte sich mein Körper und ich rannte in den Laden. Drinnen angekommen brauchte ich einen Moment, um mich wieder zu fassen. Mit zittrigen Händen umschloss ich den Opal an meiner Kette. Meine Gedanken wanderten zu Jack und mein Herzschlag beruhigte sich etwas. Es war alles in Ordnung.

"Verzeihung, kann ich ihnen behilflich sein?" Erschrocken fuhr ich zusammen und hob ruckartig meinen Kopf. Giftgrün mit einem kräftigen lila. Der Verkäufer des Ladens war um seinen Tresen herumgegangen und stand nun mit gerunzelter Stirn vor mir. "Geht es ihnen nicht gut? Soll ich ihnen etwas zu trinken bringen?" fragte er erneut und legte den Kopf schief. Das grelle grün seiner Seele pulsierte und wand sich, wie eine Schlange in seiner Seele. Schleimer.

"Nein danke. Es geht mir gut. Ich war nur etwas in Eile." erklärte ich ihm.

"Verstehe." meinte er und straffte etwas seine Schultern. "Wonach genau suchen sie denn?"

Mir kam meine eigentliche Mission wieder in den Sinn. Ich hatte sie draußen in der Aufregung total vergessen.

"Ich suche etwas für meinen Freund." erklärte ich ihm, woraufhin er nur wissend nickte und zu einer der Vitrinen ging.

"Wie wäre es mit einer dieser Pärchenketten oder Armbänder?"

Ich starrte ihn an.

P-pärchen...?

Mein Gesicht wurde heiß. Warum verstand ich nicht. "Wir sind kein Pärchen." beeilte ich mich zu sagen, woraufhin der Verkäufer nur eine Augenbraue hochzog. "Ich glaube, ich werde mich einfach etwas umschauen und sie ansprechen, wenn ich Hilfe brauche, ja?" sagte ich, da ich ihn nicht leiden konnte und das Gefühl hatte, dass er meinen eigentlichen Sinn hinter diesem Kauf nicht verstand.

Mit einem leicht irritierten Blick zog er sich wieder hinter seiner Kasse zurück und ich schritt langsam an den Vitrinen entlang.

Das meiste war zu feminim oder zu Macho.

Noch dazu spürte ich ständig den misstrauischen Blick von diesem Verkäufer im Nacken. Also beschloss ich weiterzusuchen.

Als ich vor dem Laden stand, überprüfte ich kurz, ob meine blutigen Freunde wieder da waren. Sobald ich mir sicher war, eilte ich mit schnellen Schritten die Straße hinab.

Ein kleines Geschäft erregte meine Aufmerksamkeit. Es war ein Antiquitätenladen.

Könnte ja nicht schaden mal reinzuschauen.

Ich drückte die Tür auf, die mit einer glockenkette aufmerksam machte, dass jemand den Laden betreten hat. Dieses Geschäft gefiel mir auf Anhieb. Überall standen alte Möbel, Bücher und viele Schatullen mit Perlenschmuck.

"Kann ich ihnen helfen?" fragte eine leise und freundlich klingende Stimme. Ich drehte mich um und sah in die sanfte Orange und Gelbe Seele einer alten Dame. Ihr Haar war hellgrau und trotz ihres hohen Alters noch sehr dicht. Ihr faltiges Gesicht lächelte mich Freundlich und interessiert an. Bei meinem Anblick zog sie überrascht ihre Augenbrauen nach oben und strahlte mich freundlich an.

"Oh. Was für ein hübsches Mädchen hat sich denn da in meine Bruchbude verirrt?" fragte sie und ihre warmen Augen musterten mich neugierig.

"Ach was." winkte ich kichernd ab. "Ich suche ein Geschenk für meinen Freund. Hätten sie da vielleicht etwas?" Auf ihren Gehstock gestützt ging sie auf mich zu. "Möglicherweise... Aber würdest du mir die Frage erlauben, für welchen Anlass das Geschenk denn sein soll?"

"Er hat mir diese Kette hier Geschenkt und ich würde ihm gerne etwas zurückgeben." erklärte ich und zog dabei meinen Anhänger unter meiner Bluse hervor, um sie zu zeigen. Erstaunt beugte sich die alte Dame etwas nach vorne.

"Was für ein schönes Geschenk. Der junge muss sie aber sehr gern haben." meinte sie und zeigt mir grinsend ihre schiefen Zähne.

"Meinen sie?" Dieser Gedanke war mir vorher noch gar nicht gekommen. Er hatte gemeint, sie sei ein Dankeschön dafür, dass er bei mir leben durfte. Ob er mir in Wahrheit einfach etwas schenken wollte, weil er mich...gern hatte? Schon wieder flatterte es in meinem Bauch. Was zur Hölle war nur los mit mir?

"Ich glaube ich habe da genau das richtige für dich." murmelte sie und brachte mich wieder zurück ins hier und jetzt.

Langsam schlurfte sie durch den Laden, während ich hinter ihr her dackelte. Aus einem großem Schrank holte sie eine kleine Kiste hervor, auf dessen hölzernen Wände und Deckel dutzende Vögel eingraviert waren. Es schienen alle möglichen Arten zu sein. Ich erhaschte einen Blick auf einen Kranich, ein Rotkehlchen und eine Elster. Noch während ich die Kiste bewunderte, zog die alte Dame einen Schlüssel an einer Kette, die um ihren Hals gehangen hat hervor und steckte ihn in das matt glänzende Schloss, welches mir bisher noch nicht aufgefallen war. Mit einem leisen klicken schnappte der Riegel zurück und sie öffnete den Deckel. Gespannt hielt ich die Luft an. Lächelnd drehte sie mir die Kiste zu, so dass ich sehen konnte, was sie behütet hat. Das innere der Kiste war mit dunkelrotem Samt ausgefüllt. In der Mitte lag ein ovaler etwa 4 cm großer Bernstein. Golden schimmerte er geheimnisvoll im schwachen Licht des Ladens. Dieser Farbton erinnerte mich an Jacks Augen. Diese glänzten und glitzerten in derselben warmen Farbe. Sachte nahm ich ihn aus seinem Weichen Bett und hob ihn vorsichtig hoch. Während ich ihn mit großen Augen bewunderte fiel mir auf, das sich etwas in dem Bernstein befand. Ich schaute genauer hin und sah eine kleine zarte Kirschblüte. In voller Blüte war sie in diesem herrlichen Bernstein eingeschlossen. Wie alt sie wohl war? "Er ist... wundervoll..." flüsterte ich.

"Nicht wahr?" stimmte mir die alte Frau zu. "Er wird schon seit Generationen von unserer Familie behütet. Ich bekam ihn von meiner Mutter und sie ihn von ihrer. Er behütet seinen Träger und bring Glück. Sowohl im Leben, als auch in der Liebe." erzählte sie mir und sah an mich vorbei in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Ich betrachtete wieder den goldenen Stein und die zarte Blüte, den er seit all den Jahren behütet hatte.

"Ich schenke ihn dir." sagte die Dame plötzlich, woraufhin ich sie verblüff ansah. Sie wollte mir ihr Familienerbstück schenken?!

"Tut mir leid, aber dieses Angebot kann ich nicht annehmen." sagte ich schnell und wollte die Kette wieder in die Kiste legen. Bevor es dazu kam, schlug sie den Deckel zu und stellte sie zurück.

"Und ob du das kannst. Ich war leider nicht in der Lage Kinder zu kriegen und bevor das schöne Stück hier im Gerümpel verloren und vergessen wird, schenke ich es dir." sagte sie und umschloss meine Hand. "Es würde mich sehr glücklich machen zu wissen, dass so ein hübsches Kind wie du diesen Anhänger der Person schenkt, die ihr am Herzen liegt."

Wie sollte man dazu nein sagen?

"Vielen, vielen Dank." sagte ich und drückte die Kette fest an mich und lief schon Richtung Ausgang.

"Moment!" pfiff mich die alte Dame zurück. Ich blieb stehen und sah zu ihr zurück.

"Ein so wichtiges und hübsches Geschenk braucht doch eine passende Verpackung." meinte sie lachend und hielt das mit Vögeln verzierte Kistchen hoch.

Während ich die Kiste mit dem Bernsteinanhänger fest an meine Brust drückte, lief ich schnell die Straße lang, direkt nach Hause. Ich konnte es gar nicht abwarten Jack die Kette zu geben. Hoffentlich fand er sie nicht zu kitschig oder mädchenhaft. Es fing schon an zu Dämmern und auf den Straßen trieben sich nur eine Hand voll Menschen auf. Glücklich vor mich hin lächelnd und in Gedanken versunken, achtete ich nicht mehr darauf, wohin ich ging und lief schnurstracks in eine Frau mit einem strengen Bürokostüm hinein. Noch während ich eine Entschuldigung stammelte traf mein Blick ihren und ich sah ihre dunkle Seele. Erschrocken schnappte ich nach Luft, wollte mich umdrehen und wegrennen, doch packte sie fluchend meinen Arm und zog mich in eine dunkle Gasse. Dort angekommen drückte sie mich grob an die Wand. Wie einen Schraubstock umklammerten ihre Hände schmerzhaft meine Oberarme.

"Wie zur Hölle erkennst du uns du Miststück?" zischte sie und fixierte mich mit ihrem kalten, hasserfüllten Blick.

Ich brachte keinen Ton heraus. Mir schlug das Herz bis zum Hals und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was wollten diese Leute nur von Jack?

"Sag schon, du kleine Schlampe!" fuhr sie mich erneut an und verstärkte ihren sowieso schon viel zu festen griff um meine Arme. Ich konnte schon ein Kribbeln aufgrund der geringen Blutzufuhr spüren.

Meine Hände, welche immer noch die Vogelkiste festhielten, fingen an zu zittern. Ich schluckte und versuchte den Kloß in meinem Hals loszuwerden, aber ich konnte einfach kein Wort sagen. Offensichtlich sah die Bürokostümtussi das als Provokation, da sie zähnefletschend weit mit ihrer Faust ausholte und mir eine verpasste. Stechender Schmerz zuckte wie ein Stromschlag durch meinen Körper. Ich schmeckte Blut.

"Rede endlich!" rief sie und holte ein weiteres Mal aus.

"Aber, aber. Was waren nochmal deine Anweisungen?" erklang plötzlich eine tiefe Stimme aus dem dunklen der Gasse. Augenblicklich ließ sie mich los, als wenn sie gerade erfahren hätte, dass ich eine hochansteckende Krankheit hätte. Immer noch von Schock und Schmerz gelähmt rutschte ich auf den kalten Boden. Die Kiste immer noch an mich gedrückt atmete ich zitternd die Luft ein und aus. Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor.

"I-ich wollte ihr gerade folgen, a-aber dann ist sie plötzlich direkt gegen mich gerannt. Sie hat mich sofort er-erkannt. I-ich musste schnell handeln." stotterte die Bürotussi und fuchtelte hektisch mit ihren Händen umher.

Langsam schritt der Besitzer der Stimme aus seinem dunklen Schutz. Er trug einen dieser schwarzen Anzüge, allerdings hatte er seine Sonnenbrille abgenommen und diese in seiner Brusttasche verstaut. Grob stieß er die Kostümtrulla beiseite und ging vor mir in die Hocke.

Er streckte seine Hand aus, packte mich nahezu zärtlich am Kinn und hob meinen Kopf, sodass ich geradewegs in seine vor Bosheit triefende Seele schauen konnte.

"Musstest du ausgerechnet ihr hübschen Gesicht treffen?" maulte er und drehte meine wunde Wange etwas ins Licht. Nun erkannte ich, wen ich vor mir hatte. Es war dieser widerliche Typ, der seine Zunge nicht in seinem schmutzigen Maul hatte lassen können. Ich spürte ein unangenehmes kribbeln an den Stellen, wo er mich damals abgeleckt hatte. "Der alte Knacker hatte Recht. Du siehst wirklich wie ein Püppchen aus." sagte er erstaunt und drehte mein Gesicht hin und her. Unwillkürlich rutschte ich von ihm weg und spürte sie kalte Hausfasade in meinem Rücken, die mich daran erinnerte, dass ich keine Chance zur Flucht hatte. Der Mann mit seiner losen Zunge fing auf meine Reaktion hin an zu grinsen und beugte sich vor, sodass nur noch ein paar Zentimeter unsere Nasenspitzen voneinander trennten.

"Aber du musst doch keine Angst haben." säuselte er und ich konnte spüren, wie sein Atem über mein Gesicht strich. "Wir haben nur eine Frage. Mehr wollen wir doch gar nicht." Er packte mein Kinn fester und seine Gesichtszüge wurden hart.

"Wo ist der Junge mit den goldenen Augen?"

Er spuckte mir diese Worte nahezu ins Gesicht und seine Seele flatterte und brodelte hasserfüllt hinter seiner Iris. Ich versuchte die in mir aufkeimende Panik zu unterdrücken, doch konnte ich nicht verhindern, dass ich am ganzen Körper zu zittern anfing.

"Ich... ich kenne diesen Jungen nicht." brachte ich endlich über die Lippen und umklammerte angsterfüllt die Holzkiste. Die Gesichtszüge des Mannes erstarrten für einen Moment, bevor sie sich vor Zorn zu einer hässlichen Fratze verzogen. Mit voller Wucht schlug er mir in den Magen. Laut keuchte ich auf und krümmte mich vor Schmerz zusammen.

"Du darfst deine Opfer nicht ins Gesicht schlagen, da man dort sofort alles sieht. Du musst sie an Stellen treffen, die den anderen nicht sofort ins Augen springen." erklärte er an die Bürotante gerichtet. Ich hatte Mühe Luft zu bekommen und mir wurde übel. Der Zungenmann drehte sich wieder zu mir um.

"Ich wiederhole mich nur ungern: Wo ist der Junge mit den goldenen Augen?" knurrte er.

Ich hatte keine Luft zum Reden und schüttelte deshalb einfach nur den Kopf. In Erwartung einen weiteren Schlag einzukassieren kniff ich meine Augen fest zusammen. Für einen Moment passierte nichts. Ich wollte gerade meine Augen wieder öffnen, als der Mann mich mit einem abfälligen schnauben wegstieß.

"Wir werden schon noch herausfinden, wo du ihn versteckst." sagte er drohend, bevor er aufstand und mit der Bürokostümtussi im Dunkeln verschwand.

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