41 - Ein Abend mit 'TITANIC'
Cathrin. Cathrin o'Blair. C A T H R I N.
In letzter Zeit hatte ich mir den Kopf über sie zerbrochen, fragte mich, weshalb sie wohl so geworden war, wie sie nun einmal war? Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Clique, geschweige denn Oliver, sie verdorben hatten.
Zu ihrer familiären Situation hatte sie sich bereits mehr als deutlich geäußert, als sie sich als meine beste Freundin ausgegeben hatte. Beschäftigter Bürgermeister, beschäftigte Mutter...trotzdem konnte man doch nicht nur deswegen zu so einem bösartigen Menschen von Natur aus werden, oder?
Je mehr ich darüber nachdachte, während ich in den Himmel über der Glaskuppel starte, desto weniger Gründe fielen mir dazu ein, weshalb Cathrin so auf die falsche Spur geraten war.
Ob sie sich wohl nun an Oliver ranschmeißen würde, jetzt wo ich abgetreten war? Schließlich war sie ganz sicher eifersüchtig auf mich gewesen. Das kam mir alles so lächerlich vor.
So oder so. Sie gehörte der Vergangenheit längst an. Ich wollte gar nicht länger über sie nachdenken müssen, aber irgendwie ließ mein Kopf das nicht zu.
Luke schlief noch neben mir auf dem Sofa. Ich war mir darüber bewusst, dass wohl nun bald die Bücherei öffnen würde und ich wollte nur ungern erwischt werden, aber irgendeine unsichtbare Kraft ließ mich auf dem Bett gefesselt.
Plötzlich hörte ich zwei Schritte in der Nähe der Treppe. Sofort ließ diese Kraft nach, mein eben noch ruhig schlagendes Herz pochte nun so schnell, dass zu explodieren drohte. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Ich streckte die Hand nach Lukes Rücken aus und weckte ihn mit leichten Berührungen auf die nackte Haut. Laut schnaufte er auf. Seine Augen sahen verschlafen aus, als er sie einen Spalt öffnete. Er hatte anscheinend noch nichts von dem unerwünschten Gast mitbekommen.
"Pssst", machte ich, stieg leise aus dem Bett und schnappte mir meine Sachen, um sie wieder anzuziehen. Leise balancierte ich dabei mithilfe meiner Hände ungeschickt über den Fließboden.
Erst als die Person die erste Stufe beschlagnahmte, schreckte auch Luke hoch und schaute verwirrt um sich.
Mit einer Handbewegung holte ich ihn vom Bett in seine Klamotten. Kaum hatte er sich Shirt und Hose übergestreift, stand die Person im Raum. Wie eingefroren mischten sich zwei grüne Augenpaare mit einem blauen. Kurz taten wir drei so, als würden wir uns nicht kennen. Als wären wir Gestalten aus einer anderen Dimension. Man, es war so peinlich, Marilyn diesen Anblick von uns zu bieten.
Luke erhob als erstes von uns das Wort. - "Morgen."
"Habt ihr etwa die ganze Nacht hier verbracht?", fragte Marilyn ungläubig mit großen Augen.
"Ja, haben wir. Aber wir wollten gerade gehen", sagte ich hektisch und schüttelte die Kissen schnell auf, bevor sie wieder auf dem blauen Sofa landeten.
"War es schön?"
"Was?" - Ich wünschte, ich würde auf der Stelle im Erdboden versinken. Es war mir so unglaublich unangenehm. Jeder anderen Person wäre es erlaubt gewesen, hier zu stehen, aber Lukes kleine Schwester sollte das echt nicht mitbekommen.
"Die Glaskuppel. Man kann den Nachthimmel richtig gut sehen." - Sie deutete in die Sonne, die den Raum in helles Licht tauchte.
"Ähm - Ja. Ist wunderschön." - Ich lächelte ihr kurz zu, bevor ich auch noch die letzten Sachen vom Boden aufhob und ich mich zu Luke wandte.
Er lächelte entspannt, seine Hände waren in seinen Hosentaschen vergraben. Wie konnte er so ruhig sein? Schämte er sich denn nicht? Nicht, dass Marilyn längst wusste, dass wir des Öfteren lauter werden konnten.
"Ich denke, Frühstück wäre nett", meinte er und ging an mir, dem Sofa und Marilyn vorbei, um nach unten zu gelangen.
"Ja, super Idee", reagierte ich schnell und ging dann einige Schritte weiter auf Lukes kleine Schwester zu.
"Das bleibt unter uns, okay", flüsterte ich.
Nickend mit einem breiten Grinsen im Gesicht antwortete sie: "Keine Sorge. Mein Mund ist verschlossen."
"Danke."
Wir folgten Luke aus der Bücherei hinaus bis zum Pick-up.
Unterwegs musste ich noch eine kleine Sache loswerden. - "Wer hat dich hereingelassen?"
Ich konnte niemanden sehen, der ihr die Tür hätte aufschließen können.
"Mir wurde das Privileg zugesprochen, selbst zu entscheiden, wann ich kommen möchte." - Sie holte einen großen Schlüsselbund hervor und hielt ihn mir vor die Nase. Sie hatte tatsächlich einen eigenen, privaten Schlüssel für die Bücherei bekommen! Aber wen wunderte es, bei der ganzen Zeit, die sie hier mit ihren heißgeliebten Büchern verbrachte?
"Sagt einfach Bescheid, wenn ihr den mal brauchen solltet", erklärte sie und hielt zusammen mit mir vor dem Wagen.
Ich lief knallrot an. Wie konnte ich ihr dieses scheußliche Bild nur jemals wieder aus dem Kopf verbannen?
Wir verabschiedeten uns von Marilyn, die sich kurz darauf wieder auf den Weg in die Bibliothek machte. Danach fuhren Luke und ich nach Hause.
***
Im Haus der Brittons angelangt, musste ich aufpassen, dass mir nicht bei dem Anblick von heißem Speck und Rührei die Spucke aus dem Mund lief. Das schien es hier jeden Morgen zu geben. Fraglich war, wer das alles tagtäglich besorgte.
Wie an meinem ersten Morgen hier, direkt nach der Party, saß ich an der Kücheninsel gegenüber des Herdes, der unter dem Pfannenwender nur so qualmte. Der Geruch stieg mir in die Nase.
"Als wir das letzte Mal hier saßen", erinnerte mich Luke: "Sahst du echt sexy in meinem Pullover aus."
"Haha", lachte ich: "Und jetzt sehe ich nicht mehr so aus, weil ich nur mein Top trage und du mich nicht mehr von Partys mit nach Hause schleppen kannst?"
Am liebsten hätte ich die Worte zurück in meinen Mund geschoben oder sie zumindest überhörbar klingen lassen. Allerdings änderte sich dieser Wunsch, als er nicht wieder damit anfing, mir einen Vortrag über die Gefahr des Betrunkenseins zu halten.
"Ja, so ungefähr."
Ich stand auf, ging um die Insel herum und im nächsten Moment hatte er einen ordentlichen, spaßig gemeinten Schlag in die Seite von mir abbekommen. Doch ehe ich wieder auf meinen Platz schlendern konnte, hielt Luke mich an der Hüfte fest und zog mich zurück an sich.
"Du siehst immer sexy aus", flüsterte er leise und gab mir einen ernstgemeinten Kuss auf die Stirn. Zufrieden schloss ich die Augen.
Schon zum zweiten Mal an diesem Tag wurde unser kleiner, perfekter Moment von Personen gestört, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befanden.
"Mh, das riecht aber lecker", strahlte Tava übers ganze Gesicht, als sie mit Einkaufstüten die Küche betrat, dicht gefolgt von John, der seinen Autoschlüssel schnell in der Tasche verschwinden ließ.
"Morgen ihr zwei", sagte er freundlich, was ich sofort zurückgab. Luke wollte mich bei sich lassen, doch ich wollte nicht bei seinem Vater und seiner Tante punkten, in dem ich ihnen zeigte, wie sehr ich ihren Sohn, beziehungsweise Neffen, vergötterte. Deshalb trennte ich mich einen guten Schritt von ihm. Er schien etwas enttäuscht darüber, doch schnell berappelte er sich wieder, als seine Tante ihm neugierig über die Schultern schaute.
"Die sehen schon gut aus", stellte sie fest und holte bereits Teller aus dem Schrank, obwohl der Einkauf noch nicht im Kühlschrank verstaut war. Ich bot meine Hilfe dabei an, die Sachen auf ihre Plätze zu stellen, doch Tava ließ es nicht zu und setzte mich stattdessen an den Tisch.
"Nun bin ich aber gespannt. Was habt ihr zwei denn heute schon so gemacht? Als wir nach Hause gekommen sind, war niemand hier."
"Wo ihr wart, haben wir uns aber auch gefragt", schaltete sich Luke ein, immer noch mit gewissenhaftem Blick auf den Speck.
"Wir waren geschäftlich unterwegs", nuschelte sie und fuhr dann wieder zu mir: "Also, meine Liebe. Ich will jedes Detail wissen."
Ich schluckte angespannt. Ganz sicher wollte sie das nicht wissen. Sie hatte auch absichtlich vom Thema abgelenkt. Außerdem fiel mir sofort ihr verschmiertes Make-up im Gesicht auf. War es Zufall, dass sie gestern anscheinend keine Zeit mehr hatte, sich nach der geschäftlichen Beschäftigung etwas zurechtzumachen?
"Wir haben noch nichts Besonderes gemacht. Wir haben lediglich Marilyn in der Bücherei besucht."
"Ach, dieses Mädchen. Ich habe Sorge, dass sie niemals enge Bindungen mit Menschen aufbauen wird, wenn sie ihre Nase immer nur in Büchern steckt. Na ja, aber jedem das seine. Sie hat ihre Vorliebe und ihr habt eure, nicht wahr?"
Gab es einen Weg zu flüchten? Es klang schon viel mehr nach einem Verhör, als nach einer einfachen Frage nach Dingen, die wir unternommen hatten. Als wüsste sie längst, was vorgefallen war und wollte es jetzt nur noch als Geständnis aus mir herausholen. Aber ich blieb bei meinen Worten und nickte bloß auf ihre Aussage hin.
***
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von Tava und John und stiegen in Lukes Wagen ein. Ich hatte zwar keine Ahnung, wohin Luke fahren wollte, aber ich ließ auch gerne Überraschungen zu. Ich fragte auch gar nicht nach einem Ziel. Ich tat einfach so, als wüsste ich es, legte meine Hand auf seine und unterhielt mich mit ihm über alltägliche Dinge, wie beispielsweise Football. Das Thema Marilyn hat uns erwischt, deine Tante könnte darüber was wissen ließ ich vom Tisch fallen.
Ich fuhr langsame Kreise auf seiner Haut entlang. Es schien immer noch so unwirklich, dass mich diese Hände in der letzten Nacht um den Verstand gebracht hatten. Ich fühlte mich ihm näher denn je in dieser Beziehung. Es war ein Beweis dafür gewesen, dass wir es beide ernst miteinander meinten. Daran konnte ich mit gutem Gewissen festhalten.
Nach einiger Zeit hielt Luke auf einem Parkplatz an. Ich versuchte nicht loszuschreien, als ich die Küste vor uns erblickte. Sie war herrlich mit so wunderschönem, klaren, blauen Wasser. Die Sonne spiegelte sich auf ihm.
"Der Ort ist nur einige Kilometer vom Hafen entfernt, falls du Interesse hast, einen Spaziergang dorthin zu machen", erklärte er während des Aussteigens und legte schließlich meine Hand wieder in seine.
"Das ist atemberaubend, danke." - Ich lächelte ihn an und schaute dann auf den endlosen Horizont. Dann gingen wir gemeinsam zur Promenade hinunter, die mit einem schmalen Pfad aus Sand mit dem Parkplatz verbunden war.
Ich zögerte nicht länger und zog meine Schuhe aus. Es fühlte sich an wie unser allererstes Date, das eigentlich noch gar nicht so lange her war, nur mit dem Unterschied, dass Luke diesmal nicht zögerte und es mir gleich tat.
Mit den Schuhen in den Händen berührten unsere Zehen zum ersten Mal das kühle Nass. Luke wimmerte bei dem Schock kurz auf, verursacht durch die Kälte. Ich lachte kurz und erhielt als Antwort eine handvoll Wasser ins Gesicht. Nun hatte er auch wieder etwas zu lachen.
Die Möwen kreisten kreischend über unseren Köpfen umher oder setzten sich auf das Wasser. Ich fühlte die Wärme der Sonne, die mich wie eine Batterie mit Energie auflud.
Für einen kurzen Moment kam der Gedanke an Quantum wieder hoch. Trotz dieses schönen Lebens hier in dieser kleinen Stadt, sehnte ich mich ebenso nach dem Leben auf dem Wasser. Es war schon so lange her, seit ich Quantum das letzte Mal gesehen hatte, bevor ein reicher Kerl mein zu Hause vor meinen Augen entführt hatte.
***
"Ich vermisse Quantum", murmelte ich, als Luke und ich am Steg saßen, der normalerweise immer nur für mich reserviert gewesen war, als wir noch hier mit Quantum den Anker gesetzt hatten. Nun stand hier ein anderes Boot an Quantums Stelle, doch die Besitzer schienen nicht da zu sein, zum Glück.
"Es fühlt sich immer noch so an, als würde etwas in mir fehlen, das mir einfach so weggenommen wurde."
Luke nahm mich schweigend in den Arm. Ich lehnte meinen Kopf an seiner Schulter an und schloss die Augen. Das Geräusch des fließenden Wassers und die Sonne auf meinem Gesicht ließen den Schmerz und die Sehnsucht nur noch weiter wachsen.
"Verstehe ich", versuchte er mir beizustehen.
"Kommt man irgendwann darüber hinweg?"
"Weiß nicht. Vielleicht." - Er schaute zu mir hinunter und biss sich etwas auf die Lippe.
"Ich hoffe es. So kann ich nämlich nicht mehr weiterleben, mit diesem Loch im Herzen."
Ich schaute wieder hinaus aufs offene Meer und griff gleichzeitig nach seiner Hand.
Die andere streckte ich über dem Wasser aus, mit dem Handrücken zum Himmel gerichtet.
"Hier habe ich vor einigen Wochen noch gesessen und überlegt, Cathrins Päckchen Cannabis, das sie mir gegeben hat, ins Wasser fallen zu lassen."
Ich atmete tief durch.
"Wie konnte ich mich bloß so lange nach dieser Situation im Chatter mit der Clique, insbesondere mit Cathrin, abgegeben haben?"
Luke drückte meine Hand und schien wenig überrascht über das Cannabis zu sein.
"Es ist übrigens hier." - Ich deutete unter die Brücke. Ich hatte es dorthin geschoben, bis ich mir hätte sicher sein können, was ich damit anstellen sollte. Es Cathrin zurückzugeben oder es ins Wasser zu werfen, schienen mir nicht die allerbesten Lösungen zu sein.
"Was wirst du damit machen?", fragte Luke ruhig, als wäre es einfach nur ein Päckchen mit Gummibärchen oder Schokolade.
"Weiß nicht. Ich dachte, ich wüsste nach wenigen Tagen, wie ich weiter verfahren sollte, aber es stellte sich heraus, dass ich es immer noch nicht weiß."
Ich lächelte belustigt über mich selbst. Es war so absurd, dieses Problem.
"Uns wird schon etwas einfallen", meinte er bloß. Sicherlich hatte er meinen Gedankenweg durchschaut. Würde ich es zur Polizei bringen, würden die Beamten gleich denken, ich wäre in Drogengeschäfte verwickelt, schließlich fand man Suchtmittel normalerweise nicht einfach offen rumliegend auf der Straße.
"Hast du noch etwas geplant, von dem ich wissen sollte?", fragte ich und hob den Kopf von seiner Schulter.
"Eigentlich nicht, aber ich denke, ich hätte doch noch etwas im Petto, das dich ganz sicher aufheitern wird."
Ich schaute ihn fragend an und wollte die Sache jetzt schon erfahren, die er mit mir vorhatte. Luke stand auf und half mir dann hoch. Zuerst gingen wir zurück zu seinem Pick-up. Die Sonne stand schon ziemlich tief.
Bei Luke zu Hause angekommen, befahl er mir, mich auf die rote Couch zu setzen und es mir gemütlich zu machen. Tava und John schienen schon wieder nicht da zu sein und wo Marilyn war, konnte ich mir denken.
Luke spielte am TV herum und stellte irgendetwas ein. Dann setzte er sich neben mich und schlang die Arme entspannt um meine Schultern.
"Was hast du vor?", lachte ich und versank etwas weiter im Leder.
"Da du TITANIC ja noch nicht kennst - was echt peinlich ist - schauen wir den Film jetzt. Und damit du hier bleibst und nicht in den über drei Stunden wegrennst, habe ich hier noch etwas Popcorn."
Er zog eine Packung mit dem weißen Zeug aus einer der Tischschubladen und öffnete sie. Ich nahm mir etwas davon und schob es mir in den Mund.
"Find ich klasse", meinte ich nur und kuschelte mich erneut an ihn.
Die nächsten Stunden verbrauchten wir mit dem Film. Über Rose Melancholie, zu ihrer schönen Romanze mit Jack, bis hin zum bitteren Untergang des Schiffes und ihren Verlust.
Zum Ende hin musste Luke mir einige Packungen Taschentücher besorgen, da ich heulte, sodass mein Sichtfeld ganz verschwommen war.
Filme brachten mich normalerweise nie zum Weinen, aber heute gelang es diesem Film schon. Ein Beweis dafür, dass er wirklich ein Meisterwerk sein musste.
Mit feuchten Augen schlief ich nach dem Ende des Films friedlich in Lukes Arm ein.
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