27 - Cathrin als Freundin
Nachdem ich mir wieder einmal eine Dose Ravioli als Mittag warm und diese alleine am Esstisch aufgegessen hatte, nahm ich eine angenehme Dusche. Das heiße Wasser ergoss sich über meinen Rücken, prickelte beruhigend auf der Haut und löste die Kälte in mir auf.
Lukes Worte schalten lange noch in meinem Kopf wider. Wie konnte jemand bloß gleichzeitig verständnisvoll und doch so unergründlich sein und einem die Tränen hervorlocken?
Keine Stunde später klingelte es auch schon an der Tür. Mom kam mir zuvor und riss die Tür als erste auf.
Leider war ich zu langsam, um rechtzeitig an der Tür zu sein und ihren Gesichtsausdruck zu sehen, wie sie auf das Blondchen vor unserer Tür traf. Sicherlich war das nicht die Vorstellung von Freundin gewesen, die sie sich für mich vorgestellt hatte. Sie trug einen rosafarbenen Regenmantel, weiße High Heels, die seltsamerweise immer noch komplett intakt waren und eine kleine Tasche, in der man eigentlich diese Chihuahuas steckte.
"Willkommen!", sagte Mom so optimistisch, dass ich meine Hoffnung, meine Eltern würden mich nicht blamieren, aufgab.
"Hallo Misses...", sie hielt inne und dachte vermutlich gerade darüber nach, wie ich mit Nachnamen hieß. Ich ließ sie noch ein Weilchen an der Schnur zappeln.
"Ähm. Es freut mich hier zu sein." - Cathrin verzog das Gesicht zu einem freundlich erzwungenen Lächeln. Sie schien das weniger zu merken, doch ich sah ihr an, dass es für sie Folter war. Es war sowieso ein Wunder, dass sie überhaupt hergekommen war.
Hauptsache sie verpetzte mich nicht bei meinen Eltern. Wenn sie herausfinden würden, dass ich die Nacht betrunken bei einem Jungen in einem Haus verbracht hatte, in dem es Morgens keine Eltern gab...das wäre eine Katastrophe.
"Komm doch gerne rein", sagte Mom, woraufhin Cathrin tat, worum sie gebeten wurde - ein Wunder.
"Magst du Saft? Wir haben auch Tee, aber leider nur Hagebutte."
Ich schaute von meiner erfreuten Mom, die auf eine Antwort hoffte, zu einer kämpfenden Cathrin mit ihren perfekt weißen Schuhen.
Ich schluckte schwer und versuchte zu begreifen, wie schlimm der Nachmittag wohl werden würde. Doch konnte ich etwas aufatmen, als mir klar wurde, dass es nicht noch schlimmer kommen konnte. Jedenfalls nicht schlimmer als der bitterliche Streit mit Luke.
"Mom, ich denke, sie nimmt Saft. Ich kenne sie inzwischen sehr gut", meinte ich, um unsere vorgetäuschte Freundschaft etwas realer wirken zu lassen.
"Danke Jennifer, aber ich nehme Tee. Scheint so, als kennst du mich doch nicht so gut, wie du dachtest", antwortete Cathrin wiedermal gespielt nett in der Gegenwart meiner Mom.
Wenigstens hatte sie den Kampf gegen ihre Schuhe gewonnen und warf mir angewiderte Blicke zu.
Ich schluckte schwer. Danach betraten wir das Esszimmer, deren Tisch mit dem besten Geschirr und jeder Menge an Süßigkeiten geschmückt war.
"Entschuldige, wenn das zu viel ist", deutete Mom auf den Tisch: "Jennifer hatte lange keinen Besuch mehr von Freunden."
"Das kann ich mir vorstellen", nuschelte das Übel selbst und setzte sich an den Tisch: "Keine Sorge. Ich bin die Menge von zu Hause gewöhnt."
Das dürfte ja niemanden wundern.
Mom fragte trotzdem nach: "Wie ist es denn bei dir zu Hause?"
"Oh, wirklich toll. Mein Dad ist der Bürgermeister von Elisabeth City. Sie haben sicherlich schon von ihm gehört. Richard o'Blair?"
"Oh ja. Natürlich. Dann ist er ja ein ziemlich angesehener Mann, nicht wahr?"
Aus Moms Augen las ich ab, dass sie sich noch nicht genügend über Elizabeth City informiert hatte, beziehungsweise sie keinen Wert auf den Bürgermeister der kleinen Stadt gelegt hatte.
"Nur wenn man angesehen in der Stadt, aber nicht in der eigenen Familie meint. Daddy ist sehr beschäftigt. Oft sehe ich ihn über Tage nicht, weil er einfach zu beschäftigt ist. Und Mom ist einfach Mom. Eine gefühlskalte, leere, einsame Ehefrau, die ein Kind aufzieht, soweit man das von der Bürgermeisterfrau erwarten kann."
"Scheint ja, als seist du nicht sehr glücklich in deiner Familie", sagte ich.
"Oh doch. Sie ist großartig! Meine Familie lebt schon seit Generationen hier und war immer eine Bürgermeisterfamilie, deshalb können wir auch nicht über Geldprobleme klagen. Ich bekomme alles, was ich zum Leben brauche, was braucht es mehr?"
In diesem Moment kam Dad aus seinem Arbeitszimmer und setzte sich gegenüber von Cathrin und mir hin, wofür ich sehr dankbar war.
Cathrin machte mich einfach wahnsinnig mit ihrem Getue und ihrem besseren Stand in der Gesellschaft. Ich hasste sie abgrundtief.
"Übrigens, danke, dass Jennifer bei dir übernachten durfte."
Mein Magen drehte sich um. Dieser eine Satz von Cathrin hatte ich befürchtet. Dass sie mich vor den Augen meiner Eltern verraten würde.
Angespannt wartete ich ihre Antwort ab. Das Thema zu wechseln war bereits zu spät. Es lag allein in ihren Händen.
"Natürlich. Jennifer ist immer bei mir willkommen. Ich habe schließlich Platz ohne Ende in der Villa meiner Eltern. Die ist ungefähr viermal so groß wie Ihre."
Ich atmete auf. Gleichzeitig war ich fast, durch ihre besserwisserische Art und die Weise, wie sie bei meinen Eltern mit dem Geld ihrer Eltern prallte, am Durchdrehen. Doch was sollte ich von ihr erwarten?
Nach einem unangenehmen Kaffeekränzchen mit engstirnigen Gesprächsthemen, stand ich als Erstes auf und räusperte mich.
"Ich möchte Cathrin noch mein neues Zimmer zeigen."
"Super Idee! Sie hat es gerade neu gestrichen", erwähnte Mom gegenüber Cathrin, die daraufhin die Augenbrauen hochzog und mir folgte. Ich wollte am liebsten im Erdboden versinken, als mit Cathrin o'Blair allein in meinem Territorium zu sein. Doch die Atmosphäre mit ihr und meinen Eltern war noch ein ganzes Stück schlimmer.
"Blau. Interessante Farbe", äußerte Cathrin ekelerregend als sie an meinen Wänden empor sah.
"Ja, ich mag die Farbe sehr", versuchte ich zu argumentieren, doch natürlich ließ sie das nicht einfach so stehen.
"Wenn man drauf steht. Ich meine, es wirkt wie ein 6-jähriges-Mädchenzimmer, aber das hab ich schon von dir erwartet."
Ich lächelte freundlich, mein Inneres sagte etwas ganz anderes.
Cathrin begab sich ans Fenster, zog die Vorhänge auf, die ich extra zugezogen hatte, um Luke auszusperren, öffnete das Fenster und setzte sich aufs Fensterbrett ohne zu fragen.
Kurzerhand holte sie eine kleine Dose und ein Feuerzeug heraus. Das, was sie aus der Dose zog, entpuppte sich als Zigarette, die sie sich in den Mund steckte und anzündete.
"Auch eine?", fragte sie und hielt sie mir hin. Kopfschüttelnd lehnte ich ab.
"Pech. Hät' auch nicht erwartet, dass du zugreifst, schließlich bist du ja das Goodgirl in der Geschichte, in das sich der Badboy verliebt, nicht wahr?"
Sie zog an ihrer Zigarette und pustete den entstandenen Rauch nach draußen. Jedoch krabbelten einige Teile aus ihrem Genuss in meine Nase und reizten meine Schleimhäute. Ich hustete auf und machte einen Schritt zurück.
"Ich gib' dir jetzt Mal einen gutgemeinten Tipp. Wenn du Oliver wirklich gefallen willst und weiterhin mit ihm zusammen sein willst, solltest du dringend anfangen zu rauchen und zu trinken. Daraus entsteht praktisch sein Leben."
Sie sah an mir herab, wie ich so still und starr da stand, verunsichert, wie ich auf diese Aussage reagieren sollte. Ich würde nicht das Wort eingeschüchtert verwenden, denn Cathrin war definitiv nicht die, für die man sie hielt. Innerlich musste sie in tausend Glassplitter zerbrochen sein.
"Nein danke. Ich brauche keine Drogen oder Alkohol, um Oliver zu gefallen. Er mag mich schließlich so wie ich bin."
"Jetzt hör Mal zu", sagte Cathrin mit bitterer Stimme. Sie stand vom Fensterbrett auf, in der einen Hand immer noch die Kippe haltend und kam mir auf Augenhöhe nah.
"Du wirst dich von Oliver fern halten, hast du verstanden? Er gehört dir nicht! Ist mir egal, dass du diese Wette gewonnen hast! Du hältst dich von ihm fern oder ich mach dir dein erbärmliches, kleines Leben zur Hölle, wenn du ihn weiterhin so um den Finger wickelst, hast du verstanden?"
Ich lächelte sie frech an. Nun wurde mir so einiges bewusst. Kein Wunder, dass Cathrin so einen Beschützerinstinkt hatte, wenn es um ihren besten Freund ging.
"Du bist eifersüchtig."
"Was? Nein, was redest du für ein Schwachsinn?! Ich bin doch nicht eifersüchtig!", widersprach Cathrin.
"Doch bist du. Du bist eifersüchtig, weil er mich liebt und nicht dich. Er schenkt mir mehr Beachtung als dir und das stört dich."
Dass sich dieser Nachmittag so wenden würde, hätte ich mir in meinen schönsten Albträumen nicht vorstellen können.
"Was redest du?! Oliver und ich sind nur Freunde und du bist einfach nur eine weitere Eroberung von ihm und eine leichte noch dazu."
"Red' was du willst, aber wir beide wissen wohl ganz genau, dass du eifersüchtig auf mich bist."
Oh, wie egoistisch sich das anhörte. Doch ich dachte wirklich, dass Cathrin die ganze Zeit über eifersüchtig auf mich gewesen war, dass Oliver mir seine ganze Zeit schenkte und nicht seiner besten Freundin.
"Es wird sich noch zeigen, wie viel du ihm bedeutest."
Was meinte sie bloß wieder damit? Ich schüttelte den Kopf und gab mich mit dem Motto Der Klügere gibt nach zufrieden.
Doch was, wenn ich wirklich nur eine weitere von seinen vielen Eroberungen war und er nur auf Mädchen stand, die tranken und rauchten? Ich meine, ich hatte schon getrunken, ob's mir geschmeckt hatte, war eine andere Frage. Doch rauchen? Klar wollte ich das irgendwann ausprobieren, aber jetzt?
Ich würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen; ich hatte das Ausprobieren hinter mir und außerdem würde ich Cathrin nur gewinnen lassen, wenn ich es nun nicht tat. Und wann würde ich wieder so eine Chance bekommen?
"Hast du noch eine Zigarette für mich?"
Cathrin verdrehte die Augen, doch reichte mir die kleine Dose. Ich zog mir eine heraus und machte es Cathrin nach.
Zuerst war der Geschmack komisch. Schließlich hatte ich schon immer den Geruch dieses Zeugs verabscheut. Diesen Geschmack nun im Mund zu haben, war um einiges schlimmer.
"Du musst nicht auf cool tun", sagte Cathrin und zog erneut tief ein.
"Das sagt die Richtige."
Kaum hatte ich das gesagt, fing ich auch schon an wie wild zu husten. So laut, dass ich befürchtete, dass Mom und Dad das mitbekommen und uns beim Rauchen erwischen könnten. Erst jetzt wurden mir die Konsequenzen dieser Tat klar. Sicherlich würden sie riechen, dass ich geraucht hatte. Ich versuchte mich wieder einzukriegen, doch meine Kehle fühlte sich schrecklich trocken an.
Auf einmal ging die Tür auf und eine Person stürmte hektisch herein. Sie schlug mir die Zigarette aus der Hand und klopfte mir etwas auf den Rücken, als würde das gegen den Husten helfen.
"Wirst du nun zu Cathrin 2.0 oder was?", beschwerte sich eine bekannte Stimme.
Kauernd schaute ich kurz mit meinem Hustenanfall zu meinem Erlöser dieser miesen Aktion auf.
Luke, klitschnass vom Regen draußen, tropfte den kompletten Boden voll. Seine Haare klebten auf seiner Stirn und sein Shirt ebenfalls auf seiner Brust. Ich stützte mich auf seinem Unterarm auf und versuchte mich wieder einzukriegen.
Kann dieser Typ mich nicht einfach mein Leben alleine leben lassen?!
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