19.

Viele Menschen hassen den Regen. Den bewölkten grauen Himmel, der die Sonne verdeckt. Die Kühle, die sich daraufhin ausbreitet. Regen ist für viel etwas Negatives. Ich jedoch genieße es die frische Luft einzuatmen, wenn sie durch diesen kühl, feucht und frisch in meine Lungen eindringt. Auf Regen folgt die Sonne, wenn nicht sogar ein Regenbogen. Und wenn ich nicht mit meiner Tasche über dem Kopf versuchen würde zur Bushaltestelle zu kommen, um nicht völlig durchnässt im Bus zu sitzen, würde ich da Wetter wohl nicht so verfluchen wie in diesem Moment. Daher zucke ich erschrocken zusammen, sobald sich plötzlich eine Strickjacke über mir befindet, gefolgt von einem männlichen Körper, der mich statt zur Haltestelle zu den parkenden Autos lenkt. "Du willst mir doch nicht allen Ernstes zu verstehen geben, dass du mit dem Bus fahren wolltest, Valeria?"

"Warum nicht?", antworte ich daraufhin, lasse dennoch zu, dass Benni mich zu seinem Wagen dirigiert und versucht uns so trocken wie möglich zu halten. Während er nach dem Autoschlüssel greift, um das Auto aufzusperren, halte ich die andere Seite seiner Jacke fest, die sich wie ein Schirm über uns befindet. Dann lasse ich mich von ihm ins Innere der Beifahrerseite schieben und schließe schnell die Tür, während er selbst um den Wagen hechtet und sich dann mit einem erleichterten Seufzen auf den Fahrersitz fallen lässt. "Aber danke, dass du mich mitnimmst", füge ich hinzu, während im selben Moment der Bus, den ich eigentlich nehmen wollte, an uns vorbeifährt und an der Haltestelle zum Stehen kommt.

"Hast du Lust auf was warmes zu trinken? Kaffee oder so?"

Ein Lächeln erscheint auf meinen Lippen und wild nicke ich mit dem Kopf. Auch an Bennis Mundwinkeln zupft ein Lächeln, ehe er sich dem Lenkrad widmet und den Motor startet, um uns von hier wegzubringen. Meine Hände schiebe ich zwischen meine Beine und wärme sie so ein wenig auf, die Nässe meiner Bluse versuche ich dabei zu ignorieren. Allerdings ist dies schwieriger, denn der Stoff klebt nicht nur an meiner Brust und sorgt so dafür, dass die Kälte in mich eindringt, auch meine Jeans klebt wie eine zweite Haut an meinem Körper. Und von meinen Haaren will ich gar nicht anfangen, weshalb ich sie grob in einen Zopf flechte.

Unser Weg führt uns zu einem Café in einer eher abgelegeneren Seitenstraße. Nachdem er seinen Wagen geparkt hat, dreht er sich zu mir.  "Wir müssen ungefähr 3 Minuten durch den Regen um zum Café zu kommen."
Ich schaue erst auf meine Kleidung, dann auf seine. "Noch nasser können wir eh nicht werden." Schmunzelnd öffne ich die Tür auf meiner Seite und werde sofort mit einer Anzahl neuer Wassertropfen begrüßt, die sich über unseren Köpfen ergießen. Über das Dach des Wagens schaue ich zu Benni, der ebenfalls ausgestiegen ist und warte, bis er auf meiner Seite steht, bevor wir so schnell wie möglich durch den strömenden Regen auf das Café zu rennen.

Drinnen werden wir erst von der Bedienung gemustert, da die durchnässte Tropfen bereits seine ersten Spuren auf dem Boden hinterlässt, ehe sie kurz verschwindet, um dann mit einem Handtuch zurückzukommen, welches sie uns grinsend reicht. Benni reicht es mir, wodurch ich mich zuerst abtrocknen kann, dann gebe ich es ihm. Danach werden wir an einem Tisch in einer der hinteren Ecken geführt. Das Café scheint momentan nicht sehr besucht zu sein, was ich jedoch begrüße. Sobald wir an unserem Tisch Platz genommen haben, schiebt Benni mir die Karte sofort zu. "Ich habe meine Lieblings Sachen hier und weiß, was ich nehme."

Ich nehme die Karte und überfliege die verschiedenen Angebote, bleibe letztendlich aber an einem klassischen Cappuccino und einem Stück Cheesecake hängen. Die Karte schiebe ich zur Seite und lasse meinen Blick um und schweifen. Auch, wenn die Einrichtung eher zusammengewürfelt wirkt statt einheitlich, vermittelt es einen heimisch gemütlichen Touch, der zum Wohlfühlen einlädt. Und dass es ausgerechnet jemanden wie Benni hierher verschlägt hätte ich nicht erwartet. "Es ist so gemütlich hier", sage ich, sobald sich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtet. "Warst du schon öfter hier?"

Er nickt. "Eliza und ich haben das Café vor ungefähr zwei Jahren aus Zufall entdeckt und sind seit dem mindestens einmal im Monat hier. Unserer Meinung nach haben sie die besten Torten." Mit seinem Kopf nickt er zu dem Thresenbereich, wo sich in dem dort stehenden Kühlschrank einige Kuchen tummeln. "Hier gibt es den besten Carrot Cake in ganz San Francisco." Im selben Moment erscheint die Kellnerin vor uns und schaut mit einem wissenden Lächeln zu ihm. "So wie immer?" Sein Nicken genügt ihr, dass sie sich mir zuwendet. "Und was darfs für dich sein?"

"Für mich einen Cappuccino und ein Stück von dem veganen Cheesecake, bitte", antworte ich, woraufhin die Bedienung lächelnd nickt. Dass sie ausschließlich vegane Produkte anbieten war auf der Karte nicht zu übersehen, weshalb ich umso gespannter bin wie der Kuchen schmecken wird. Sobald wir wieder allein sind stütze ich mein Kinn auf meinen Händen ab und schaue einen Moment aus dem Fenster. Dass der Regen wohl nicht so schnell nachlassen wird, lässt sich durch die unzähligen dunklen Wolken klar erkennen. Andererseits habe ich in diesem Moment nichts dagegen, denn meine Begleitung ist alles andere als unangenehm.

"Kann ich dich was fragen?", hake ich nach einer Weile nach und sobald meine Augen auf seinen abwartenden Blick treffen, beiße ich mir einen Augenblick auf meine Unterlippe. "Ich hab dich die letzte Zeit öfters mit Camille gesehen." Ich zögere einen Moment, denn eigentlich sollte es mich nichts angehen. Andererseits ist der Drang zu wissen, was genau zwischen ihm und diesem Mädchen ist, größer als dieses Wissen. Oder mein Kopf zu benebelt von dem, was er sich immer wieder vorstellt, wenn er an gewisse Nächte denkt. Er lässt sich Zeit mit seiner Antwort, indem er einen Moment schweigt und dann die Karte zurück in die Halterung schiebt. "Ich sehe sie hin und wieder und verbringe Zeit mit ihr, quasi wie ich es auch mit dir tue", beginnt er. "Es ist auch irgendwo eine Art Spiel, zwischen meinen Freunden und mir." 

Ich nicke, auch wenn sich meine Gedanken nun unaufhaltsam um seine Worte drehen. "Quasi wie ich es auch mir dir tue." Sie hinterlassen ein unangenehmes Ziehen in meiner Brust, dem ich jedoch nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken will. Seine Worte geben viel Raum der Interpretation, ich sollte mich nicht in sie zu sehr hineinsteigern. Zu meinem Glück muss ich auch nichts darauf erwidern, denn im selben Moment erscheint die Bedienung vor uns und stellt uns die Getränke auf den Tisch, gefolgt von den Kuchenstücken. Der Anblick der Köstlichkeit ist eine gute Ablenkung und sobald ich den ersten Bissen nehme, sind die trüben Gedanken vergessen. Auch Benni scheint von seinem Kuchen angetan zu sein, was ich vollstes verstehe kann, denn man kann genau erkennen, dass er saftig ist und vor allem selbstgemacht, was für sich spricht.

Für eine Weile essen wir schweigend, bis er seinen Blick hebt. "Was sagen deine Schulfreunde eigentlich dazu, dass du immer wieder bei uns bist? Das entgeht ihnen ja mit Sicherheit nicht."
"Ich lenke ab oder gehe erst gar nicht drauf ein. Sie wissen nicht wie unser Verhältnis ist und das soll ja so bleiben. Und wenn du einer Sache keine Aufmerksamkeit schenkst wird sie auf Dauer langweilig." Ich nehme einen weiteren Bissen meines Kuchens und erwidere die Frage. "Wie sehen es denn deine Freunde?"
"Sie kennen mich und wissen dass ich mich nicht nur auf eine Frau fokussiere, sondern mich gerne ausprobiere", antwortet er und zwinkert mir zu. "Und sie haben nichts gegen dich, du verstehst dich ja auch gut mit ihnen von daher."

Auch wenn das Schmunzeln gering ausfällt, ist es gut zu wissen, dass die Jungs mich akzeptieren. Warum mir das wichtig ist, versuche ich nicht weiter zu ergründen. "Na dann."
Kurz darauf leeren sich unsere Teller endgültig und wir genießen einen weiteren Moment die Atmosphäre sowie das trübe Wetter, dass dennoch entspannend wirkt. Irgendwann greife ich an verschiedene Stellen meiner Kleidung und stelle fest, dass sie größtenteils trocken sind. Auch Benni scheint bereits um einiges trockener zu sein, wobei meine Augen einen Moment länger an seinen Lippen haften.

"Einen Penny für deine Gedanken." Genau diesen legt er vor uns auf den Tisch, ehe sein Blick abwartend auf mir liegt. Meine Mundwinkel heben sich und herausfordernd lege ich meine Hand um seine, die den Penny festhält. "Du siehst viel zu trocken aus." Meine Finger streichen über seine, während ich den Penny in meine nehme, ohne meine Augen von ihm zu nehmen. "Ich glaub du brauchst nochmal eine Regendusche." Daraufhin heben sich seine Brauen fragend. "Und was gedenkst du soll ich draußen in der Regendusche tun, Valeria?"

"Genießen und vergessen." Meine Augen verirren sich ein weiteres Mal nach draußen. "Früher haben wir sowas oft getan. Sobald die ersten Regentropfen vom Himmel fielen sind wir auf die Straßen gerannt, haben getanzt, gelacht. Es klingt vielleicht dumm, aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Regen meine Sorgen von mir spülen würde. Den Schmerz wegen unserer Mutter, die Trauer wegen Vater." Ich lächle, während meine Gedanken sich von einer Erinnerung in die nächste wagen. "Danach habe ich mich irgendwie leichter gefühlt, befreiter."
Er scheint kurz zu überlegen, bevor er nickt und dann sein Portemonnaie zückt, um einen $20 Dollar mit Trinkgeld auf den Tisch zu legen und dann aufzustehen. Seine Hand streckt sich zu mir. "Dann komm."

Ich lasse mich von Benni aus dem Café ziehen, wo sofort der prasselnde Regen auf uns niederfällt und alles Getrocknete wieder befällt. Wir sind umzingelt von Hochhäusern, die die lange Straße zäumen. Ohne seine Hand loszulassen ziehe ich ihn mitten auf die Straße, da der Verkehr gerade nicht existent zu sein scheint, und lasse ihn erst dann los, strecke mein Gesicht Richtung Himmel und genieße die vielen Tropfen, die mein Gesicht treffen und meine Wange entlanglaufen.

Lachend kreische ich auf, als ich seine Hände an meinen Hüften spüre und lasse zu, dass er mich in die Luft hebt und uns im Kreis wirbelt. Sobald ich wieder Boden unter meinen Füßen spüre, muss ich mich dennoch an seinen Armen festhalten, da sich die Welt vor meinen Augen weiterhin dreht. "Hast du dir den Regen so vorgestellt?"

Das Lächeln auf meinen Lippen ist wie festgetackert und wird nur durch eine Wärme in mir verstärkt, welche durch sein eigenes freies Lächeln entfacht wird. "Fast." Ich denke nicht nach, sondern koste den Moment aus.
Dann stelle ich mich auf meine Zehenspitzen, lasse meine Arme zu seinem Nacken wandern und küsse ihn. Selbst, wenn uns andere sehen können. Trotz des Regens, der ununterbrochen auf uns prasselt. Einfach, weil es sich richtig anfühlt. Genauso wie seine Finger auf meiner Haut, sein Körper nah an meinem. Er bei mir, trotz allem, was dagegenspricht.

Seine Finger graben sich in mein Haar, ziehen mich näher zu ihm. Der Moment dauert nicht lange an - viel zu kurz für meinen sich nach ihm sehnenden Körper - aber ich weiß, dass es besser so ist. Seine Lippen lösen sich von meinen, seine Augen treffen auf meine. "Wir sollten zum Auto gehen."
Das Lächeln, das er mir nun schenkt, ist es, das mich zurück in die Wirklichkeit bringt. Denn im Gegensatz zu zuvor liegt nun ein Schleier über seinen Augen, der ihn verrät. Aber ich sollte froh darüber sein, dass wenigstens einer von uns zur Besinnung kommt. "Du hast recht."

Auch wenn ich wünschte, es wäre nicht so.

Ich löse mich von ihm und gehe auf seinen Wagen zu. Benni folgt direkt hinter mir und wir steigen stumm in seinen Wagen ein. Meine Augen verweilen auf dem Himmel über uns, der unaufhörlich seine Pforten geöffnet hält, doch statt dem Glücksgefühl von eben legt sich nun ein drückendes Gefühl auf meine Brust.

"Kannst du mich nach Hause fahren?", frage ich ihn und versuche meine Gesichtszüge normal zu halten. Ich warte darauf, dass er nickt, bevor ich meinen Kopf an die Fensterscheibe lehne und die Augen schließe. Versuche den Moment, der sich viel zu gut um wahr zu sein angefühlt hat, in eine ganz bestimmte Büchse in meinem Kopf zu verstauen. Und vielleicht wäre es besser, wenn ich endlich nach einem Schloss suche, der diese verschließt. 

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