14.
Der nächste Morgen beginnt für mich damit, pechschwarzes Haar nach oben zu halten, während meine beste Freundin sich unter nicht angenehmen Geräuschen den Magen erleichtert, mit Unterbrechungen in Form von Flüchen und Seufzen ihrerseits. Ich spüre kaum Auswirkungen von dem Alkohol, lediglich das leichte Pochen hinter meinen Schläfen beweist, dass sich eine mir unbekannte Substanz in meinem Organismus befunden hat, die mein übernatürlicher Körper zum Glück viel schneller wieder abgebaut hat als der menschliche meiner besten Freundin.
"Gott, wann hört das endlich auf!?", stöhnt sie, nachdem sie sich das dritte Mal übergeben hat und es dieses Mal schafft das Wasser, welches ich ihr hinhalte, zu trinken, ohne es wieder im hohen Bogen auszuspucken. Ich zucke mit den Schultern und werfe ihr ein mitfühlendes Lächeln zu. "Ich denke, das Schlimmste hast du hinter dir. Aber in diesem Zustand wäre es vielleicht besser, wenn wir-"
"Auf gar. keinen. Fall. Hörst du!?"
"Okay okay, schon verstanden." Abwehrend hebe ich meine Hände in die Höhe, die zu meinem Glück auch nicht mehr zum Haare-halten gebraucht werden, lediglich dafür, darauf zu achten, dass Lynn beim Aufstehen nicht plötzlich zusammenklappt. "Ich brauche lediglich noch eins zwei Stunden und Flüssigkeit", fährt sie fort und geht gleichzeitig aus dem Badezimmer auf unser Bett zu, auf das sie sich fallen lässt. "Ganz viel Flüssigkeit. Bitte?"
Ich klopfe ihr verstehend auf den Hintern, bevor ich mir die Schlüsselkarte schnappe und unser Hotelzimmer verlasse, um für sie ein paar Wasserflaschen zu organisieren, da die Minibar bereits ausgeschöpft ist.
Letztendlich komme ich mit einem Sichser kleiner Flaschen wieder sowie einem Flyer mit einer Auflistung aller Sehenswürdigkeiten, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen darf. Da wir bereits morgen Nachmittag zurückfahren und den gestrigen Tag anderweitig verplant hatten, werden wir heute sehr wahrscheinlich viel zu Fuß unterwegs sein, daher widme ich mich, während Lynn sich noch ein wenig erholt, einer Route, in der wir nicht nur über den Walk Of Fame laufen, sondern uns auch das Hollywood-Sign genauer ansehen können und über den Rodeo Drive gehen.
Zwei Stunden wecke ich sanft die Schlafmütze, die nun um einiges mehr Farbe im Gesicht halt als zuvor und die mich mit einem müden Lächeln ansieht. "Wie spät ist es?"
"Spät genug, dass wir uns langsam los machen sollten. Sofern es dir besser geht?"
Vorsichtig setzt sie sich auf, greift direkt nach der Flasche, die ich neben sie gestellt habe, und trinkt die Hälfte aus, bevor sie ihren Kopf hin und her bewegt und zufrieden nickt. "Ja, müsste gehen. Solange du mich nicht hin und her scheuchst."
"Keine Sorge." Schmunzelnd nicke ich auf mein Handy in meiner Hand. "Alles soweit geplant, dass wir uns unnötige Strecken sparen können."
Sie wirft einen Blick auf das Display, als ich es ihr hinhalte, und brummt zustimmend. "Sieht gut aus. Dann mache ich mich schnell frisch, dann kann's losgehen."
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Da Das Hollywood-Sign von unserem Hotel aus am schnellsten zu erreichen ist, führt uns unser Weg zunächst dorthin. Die riesigen Buchstaben, die sich auf der kleinen Bergkette befinden, sehen nicht nur von Weitem erstaunlich aus, sondern auch aus der Nähe flößt mir die Größe der einzelnen Zeichen Respekt ein. Ich mag zwar nicht seekrank werden, was jedoch die Höhe angeht, bleibe ich doch lieber auf dem Boden der Tatsachen. Lynn schießt fleißig Fotos für uns, die sie mir später gesammelt schickt, während ich den Ausblick genieße. Sicher verschlägt es einige hierher, entweder um des Kicks wegen auf die Zeichen zu klettern, oder einfach nur die Aussicht zu genießen. Ich kann mir sogar vorstellen, wie schön dieser sein muss, wenn die Sonne am Horizont untergeht und die Stadt in einem satten Orange eintaucht. Nichts im Vergleich zur Golden Gate, dennoch ein sicherlich wunderschöner Anblick.
Die vielen Touristen, die sich hier sammeln und ebenfalls dabei sind, Fotos zu machen, versuche ich auszublenden, bis Lynn völlig begeistert auf mich zukommt und ihren Arm um meine Schultern legt, uns mit dem Rücken zur Stadt dreht und dann die Kamera auf uns gerichtet hält. "Sag Cheese!"
Nach vielen weiteren Fotos, sowohl normale als auch welche, in denen wir unsere Gesichter zu Fratzen verziehen, beschließen wir unseren Weg fortzusetzen, in Richtung Walk of Fame, auf den Lynn sich am meisten gefreut hat. Auch ich bin gespannt auf die vielen Stars, die sich dort verewigen durften, auch wenn meine persönlichen Idole nicht unbedingt zu diesem Jahrzehnt gehören, geschweige denn Jahrhundert.
"Ich glaube, wenn wir zurück sind, werde ich die Bilder erstmal aussortieren müssen, sondern werden es hunderte von Fotos, die ich dir schicken muss", überlegt Lynn laut, sieht sich dabei aufmerksam um, um ja kein gutes Motiv zu verpassen, was sich gut vor ihrer Linse machen würde. Ich hingegen erwische mich, wie meine Gedanken immer wieder zum gestrigen Abend zurückschweifen. Zu dem Moment, an dem mein Verstand plötzlich kristallklar wurde, als würde sich kein Gramm der Droge in meinem Körper befinden.
Ben.
Es müsste mich erschrecken, dass allein der Gedanke an ihn so eine immense Wirkung auf mich haben konnte, andererseits konnte ich in der Situation mehr als froh darüber sein. Wer weiß, wie weit mein vernebelter Verstand dann gegangen wäre, wenn nicht.
Dennoch macht mir die Weite seines Einflusses auf mich Angst. Wie konnten sich meine Gefühle für den jungen Black innerhalb von Wochen so stark um 180 Grad drehen?
Ich erwische mich sogar dabei, wie meine rechte Hand zu zucken beginnt, um nach meinem Handy zu greifen und ihm zu schreiben. Dabei bin ich froh, dass ich den Kontakt zu ihm beschränken konnte, in der Hoffnung, dass diese Gefühle in mir sich wieder zurückentwickeln.
Tja, dumm gelaufen würde ich sagen. Oder gut, wenn ich an gestern denke.
Schneller als erwartet erreichen wir den Beginn des Walk Of Fame, den wir gefühlt Stern für Stern abklappern. Hier schießt Lynn, wie zu erwarten, die meisten Fotos, von Michael Jackson über Johnny Depp bis hin zu Stevie Wonder. Ich lasse ihr ihren Spaß, merke aber, wie mein Kopf immer wieder abzudriften droht, weshalb ich beschließe, dass wir einen Zwischenstopp in einem der vielen To-Go Shops machen, damit ich wenigstens eine Kleinigkeit zu Essen in den Magen bekomme und was zu Trinken. Auch Lynn scheint offensichtlich diese Pause zu brauchen, da sie ihren Eistee schneller weggetrunken hat als ich gucken kann.
"Ich schwöre dir, nach gestern werde ich erst mal eine Pause vom Alkohol machen." Ihr Körper schüttelt sich, während ich mir ein Grinsen verkneifen muss. Ich habe es für mich behalten, dass sie in einem nicht gerade entscheidungsfähigen Zustand gewesen ist und dass dieser nicht nur vom Alkohol kommt, da ich ihr nicht den Trip vermiesen wollte und die Erinnerungen daran. Denn ich kenne meine beste Freundin gut und weiß, dass sie sich erstens nur Selbstvorwürfe machen würde und zweitens Zweifel daran bekommt, ob ihre Eltern nicht doch Recht hatten, dass sie im Familienbetrieb besser aufgehoben wäre als auf eigenen Füßen - mit ihren eigenen Entscheidungen, die nicht durch ihre Eltern geprägt sind.
"Ich erinnere dich daran, sobald du den nächsten Cocktail in der Hand hast", antworte ich daher grinsend, woraufhin sie mir schnaufend in den Arm kneift. "Wie auch immer. Lass uns lieber weitergehen, sonst kommen wir erst viel später am Drive an."
Auf ihr Geheißen wird unser Tempo auf dem Walk zügiger und nun kategorisiert Lynn die Prioritäten der Sterne, die sich fotografieren will und welche nicht. Nach mehr als drei Stunden schaffen wir es letztendlich, uns auf den Weg zum Rodeo Drive zu machen, unser letztes Ziel, wo wir den Sonnenuntergang auskosten wollen, ehe es für uns zurück zum Hotel geht, um den Abend - dieses Mal - ruhig ausklingen zu lassen.
Die Palmen, die sich auf dem Rodeo Drive tummeln, geben dem Urlaubsfeeling den besonderen Touch, genauso wie die vielen Gemäuer, die auf ihre eigene Weise besonders aussehen und so von den typischen Metallklötzen hervorstechen. Wir finden in einer Seitenstraße auch einen süßen Souvenir-Laden, der nicht wie die klassischen Touri-Shops allerlei Kleinkram verkauft, sondern vieles Selbstgemachtes, was jedes Stück besonders macht.
Ich entdecke ein Fußkettchen, mit kleinen rubinroten Steinchen bestückt, und greife automatisch nach meiner Kette, die im selben Rot-Ton leuchtet. Ohne lange überlegen zu müssen, nehme ich das und bringe es an die Kasse, während Lynn sich noch weiter umsieht. Der ältere Mann lächelt mich freundlich an und scannt den Preis ein, als mein Blick auf ein Lederarmband fällt, das mich sofort an Benni denken lässt. Schnell nehme ich auch dies und lege es dazu, was den Mann vor mir zum Schmunzeln bringt. "Für den Freund?"
Meine Lippen teilen sich, bis ich stumm den Kopf schüttle. "Für einen Freund."
Ohne noch etwas zu sagen zieht er beide Armbänder ab und nachdem ich ihm das Geld gegeben habe, warte ich auf Lynn, die ebenfalls mit einer kleinen Tüte aus dem Laden rauskommt. "Und, was hast du gefunden?" Ich zeige ihr das Kettchen, was ich für mich gekauft habe, verstaue das andere wiederum in meiner kleinen Tasche. Nachdem sie mir ihre Ausbeute - einen selbst gewebten Schlüsselanhänger und eine Kette - gezeigt hat, binde ich mir mein Kettchen um den linken Knöchel, bevor wir weiterschlendern und die restliche Zeit genießen.
Die Sonne beginnt langsam unterzugehen und taucht die Kulisse von dem strahlend blauen Himmel in einen wunderschönen Übergang in sein sattes Orange, der den Abend langsam aber sicher ankündigt. Ich überlege nicht, sondern hole mein Handy aus meiner Tasche und schieße von dem Anblick ein Foto, was ich sowohl Sophia als auch Benni schicke. Wieso ich es ausgerechnet ihm schicke, weiß ich nicht, aber in diesem Moment fühlt es sich richtig an.
Auch Lynn lässt es sich nicht nehmen fleißig drauf los zu klicken, ehe wir weiterziehen, uns noch etwas zu Essen für unterwegs kaufen und die Zeit, bis die Sonne kaum noch zu sehen ist, draußen an der frischen Luft nutzen. Erst dann bestellen wir uns ein Taxi, das uns den ganzen Weg, den wir zu Fuß zurückgelegt haben, zum Hotel zurückbringt.
Die vielen Stunden an der prallen Sonne, zusammen mit den Auswirkungen des gestrigen Abends, zollen nun ihren Tribut und nach nicht einmal der Hälfte der Strecke spüre ich den Kopf meiner besten Freundin auf meiner Schulter, was mich zum Lächeln bringt. Auch hiervon mache ich ein Foto zur Erinnerung und sehe mir die wenigen Bilder, die ich selbst gemacht habe, nochmals an.
Sie so frei, locker und glücklich zu sehen, macht auch mich glücklich. Denn ich kann verstehen, unter welchem Druck sie durch ihr Studium und ihren Eltern steht. Und dass ich ihr da nicht wirklich helfen kann, außer sie ab und an abzulenken, hat mir nicht nur einmal Bauchschmerzen bereitet.
Ich wecke sie erst, sobald wir vor unserem Hotel stehen bleiben und nehme sie an der einen Hand, während die andere die Tüte mit unseren Snacks hält. Kurz darauf kommen wir in unserem Zimmer an, wo ich sie auf direktem Wege zum Bett dirigiere. Ihr protestierendes Brummen ignorierend, stelle ich die Tüte auf dem Tisch ab und helfe ihr dann beim Ausziehen, als sei sie ein Zombie, der nichts selbst bewerkstelligen kann.
"Gib mir ne Minute, dann bin ich wach", murmelt sie zwischen einem Gähnen und ich lache auf, bevor ich den Kopf schüttle und die Decke nehme, um sie über ihren Köper zu legen. "Lass mal. Ruh du dich lieber aus, notfalls stehen wir morgen etwas früher auf, ja?"
Ihre Erwiderung ist nicht mehr als ein Seufzen, dann ist sie wieder eingeschlafen. Kopf schüttelnd, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, ziehe ich mich um und antworte dann Sophia auf ihre Nachricht, dann verschränke ich meine Arme vor der Brust und schaue aus dem bodentiefen Fenster auf LA unter mir.
Es ist erschreckend, wenn ich darüber nachdenke, wie wenig ich doch von der Welt gesehen habe und das, obwohl ich schon über drei Jahrhunderte auf ihr weile. Es würde nichts geben, was mich daran hindern würde sie zu erkunden, und auch, was das Finanzielle angeht, würde ich sicher einen Weg finden, wie ich es regeln könnte. Auch ohne die Unterstützung von Sophia, da bin ich mir sicher.
Aber allein darüber nachzudenken all die Orte allein zu erkunden, die Erfahrungen ohne jemand anderes zu machen, spüre ich wie sich mein Herz so schmerzhaft zusammenzieht, dass eine Hand automatisch zu dieser Stelle wandert und über die Haut reibt, auch wenn es nichts gibt, was es zu lindern gäbe. Denn wie kann etwas weh tun, wenn es längst tot ist?
Ein Schauer überfällt mich und wage mich nicht weiter in diese Gedanken zu fallen. Ich weiß nur zu genau, was letztes Mal passiert ist, als ich dachte, alles wäre besser, als irgendwas empfinden zu müssen, und bereue jede einzelne Sekunde dieser Zeit.
Irgendwann, verspreche ich mir selbst, umgreife den Anhänger meiner Kette und drücke ihn in meine Handflächen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem ich weiß, dass sich dieser Wunsch endlich erfüllen wird. Und solange werde ich warten.
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