09.
Meine Tasche über die Schulter hängend verlasse ich den Biologie-Raum und mache mich auf direktem Weg durch den Flur zum Ausgang. Die Nachbeben des Wochenende stecken noch immer in meinen Knochen, die guten als auch die schlechten. Auch, wenn Lenn bis zum Morgen geblieben ist, konnte seine Anwesenheit mich nur bedingt von dem ablenken, was sich Freitag Abend im Club abgespielt hat. Und ein gewisser Jemand scheint mich seitdem zu ignorieren.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, was zwischen uns in diesem Club passiert ist - oder eben nicht - aber die kalte Aura, die ihn umgeben hat, habe ich im Englisch-Unterricht genau spüren können. Es war beinahe, als würde er durch mich hindurch sehen und so ungern ich es zugebe, dieses Gefühl ist mies. Selbst, als unsere Beziehung rein platonisch, familiär, war, hat er mich angelächelt, wenn sich unsere Blicke getroffen haben. Jetzt aber scheint es so, dass ihm so viel Abstand wie möglich ganz gelegen käme.
Ich streiche eine der Strähnen, die sich aus meinem Haar gelöst haben, hinter mein Ohr und atme tief durch, sobald sich die Türen vor mir öffnen und ich an die frische Luft gelange. Dadurch, dass es bereits so warm ist, habe ich mich für einen weißen dünnen Pulli entschieden und ihn mit einem karierten Rock kombiniert. Ein eher untypisches Outfit, vor allem in Kombination mit meiner Jacke, aber ich bin froh, dass ich nicht zum Mittelpunkt der CPS gelte und so eher unter dem Radar fliege.
Dass sich aber ein Blick auf mich bohrt, spüre ich sofort und werde recht schnell fündig, als ich Lenn an seinem Wagen lehnend erkenne, dessen Augen unentwandt auf mir liegen und mich verfolgen wie ich stirnrunzelnd auf ihn zukomme. "Hey, was machst du denn hier?", frage ich, während mich seine Arme in eine Umarmung ziehen und ich diese erwidere. Er zuckt mit den Schultern und sieht mich diesem Grinsen an, dass sicher so manches Frauenherz zum Schmelzen bringen kann. "Ich dachte mir ich hole dich heute Mal von der Schule ab und schaue was der Tag so bringt. Alison hat erzählt, dass so gut wie jeder hier zur Schule geht?"
Seine Augen schweifen für einen Moment auf diese riesige Gebäude hinter mir, ehe er mit der Zunge schnalzt. "Deine Schule stinkt vor Geld und sieht aus wie Hogwarts."
"Tja, wem sagst du das." Ich zucke mit den Schultern. "Wie Ally gesagt hat, hier geht so gut wie jeder hin. Und da sie hier die beste Ausbildung anbieten und es zeitlich mit meinem Job vereinbar ist, will ich mich darüber nicht beschweren."
"Würde ich auch nicht, wenn man für mich die Gebühren übernehmen würde."
Sein Blick schweift erneut hinter mich, doch anhand der vielen Stimmen, die zu uns dringen, weiß ich, dass das an dem Ansturm liegt, der aus dem Gebäude kommt. Grinsend hält Lenn mir daraufhin die Beifahrertür auf. "Was ist Val, steigst du ein, oder willst du laufen?"
"Ich wäre dumm so ein Angebot auszuschlagen." Ich lege ihm eine Hand auf die Schulter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, ehe ich in seinen Wagen einsteige und mich anschnalle. Während Lenn um den Wagen rum geht, um selbst einzusteigen, streifen meine Augen über Benni und Eliza, deren Augen ebenfalls in unserer Richtung liegen. Doch was sie denken kann ich von hier aus nicht sagen, daher wende ich mich ab, als gleichzeitig der Motor laut aufheult.
"Also Val, wie war dein Tag bisher?" Er wirft einen schnellen Blick zu mir und lächelt, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentriert. Ich wende mich mit meinem Körper mehr zu ihm bevor ich antworte. "Ganz okay würde ich sagen. Ich hätte gern noch eins zwei Tage länger meine Ruhe gehabt, und wenn ich nicht wüsste, dass ich davon profitiere, würde ich das ganze Schulding eh eher sausen lassen. Aber wenn ich öfter solche Besuche bekomme würde ich mich sicher nicht beschweren."
Mein Grinsen wird größer als ich die letzten Worte betone und auch seine Mundwinkel heben sich, als er mir zuzwinkert. "Das lässt sich bestimmt einrichten. Was würde ich denn dafür bekommen?"
Ich mustere ihn nur, doch das allein genügt, dass er anfängt zu lachen und seine rechte Hand auf meinen Oberschenkel legt, der nicht von meinem Rock bedeckt ist. Sein Daumen, der sanft über meine Haut streicht, hinterlässt ein angenehmes Wohlgefühl in mir, sodass ich mich mehr und mehr entspanne. "Ist dieser Rock nicht etwas zu kurz und das Outfit allgemein zu gewagt für deine Schule?"
"Nein, das fällt noch unter die Kategorie 'brav'. Wir haben zwar einen Dresscode, aber einige biegen sich den zu ihren Gunsten." Ich streiche mit meiner Hand den karierten Stoff glatt. "Aber so ,wie ich das sehe, scheint er dir zu gefallen."
"In der Tat." Wir halten an einer roten Ampel und er wendet sich mir zu. "Hast du Hunger? Ich kenne ein gutes Diner in der Nähe."
"Zu Essen sage ich nie nein."
Mehr muss ich nicht sagen, damit er, sobald die Ampel auf grün schlägt, sein Ziel anvisiert und uns geschickt durch den Verkehr fädelt, bis wir kurze Zeit später vor einem kleinen Diner halten und aussteigen. Seine Hand legt sich auf meinen unteren Rücken, während er uns auf den Eingang führt. Gemeinsam setzen wir uns an einen Tisch in einer etwas ruhigeren Ecke des altamerikanischen Diners. Lenn greift ohne zu zögern nach den Karten, die in einem kleinen Ständer auf dem Tisch stehen, und reicht mir eine von ihnen. Wir beide werden recht schnell fündig und während er sich für Bacon Cheesie und Chillyfries entscheidet, greife ich auf einem klassischen Chesseburger mit Gitterfries und Coleslaw zurück. Dazu bestellen wir eine große Flasche Mineralwasser, was sich die Bedienung eifrig notiert, ehe wir allein gelassen werden und ich mich seufzend in meinem Stuhl zurücklehne. "Danke, dass du mich abgeholt hast. Etwas Ablenkung scheine ich wohl zu gebrauchen, wenn selbst die Schulbank drücken nicht viel zu helfen scheint."
Fragend runzelte sich seine Stirn, bis er sich über den Tisch beugt und mich genauer mustert. "Jetzt rück schon raus mit der Sprache Valeria. Ich kenne dich, seit du ein kleines Mädchen warst und ich merke wenn etwas dich beschäftigt. Also was ist es?"
Ich streiche durch mein Haar und spiele mit einer meiner Haarsträhnen. "Ich habe dir nicht ohne Grund mitten in der Nacht geschrieben, auch wenn ich immer deine Anwesenheit schätze." Sein Schnaufen ist Antwort genug, zusammen mit seinem sich hebenden Mundwinkel. "Ich weiß auch nicht ..." Ich stoppe für einen Moment, atme tief aus. "Es gab da einen ... Moment. Und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll."
Seine Augenbraue heben sich und sein Blick verfinstert sich. "Was für ein Moment?" Ich beiße mir auf meine Unterlippe und brauche einen Moment, bis ich Lenn in die Augen sehen kann. "Zwischen mir und Benni. Wir waren im selben Club und plötzlich stand er hinter mir auf der Tanzfläche."
Ich kann genau sehen wie die Zahnräder in seinem Kopf auf Hochtouren laufen, bis sich Erkenntnis in seinen Augen widerspiegelt. Doch für einen kleinen Moment werde ich durch den Kellner, der unsere Bestellung an den Tisch bringt, gerettet. Sobald der junge Mann jedoch wieder geht und uns allein lässt, platzen die Worte aus seinem Mund. "Benni? Der Benni Black?!"
Ich zucke bei seinem Ton zusammen und das ist Antwort genug. Sein Seufzen verrät mir bereits, was er davon hält, weshalb ich ihm zuvor komme. "Es war nur ein Tanz, Lenn. Zugegeben, einer, bei dem ich definitiv nicht erwartet hätte, dass der Junge, den ich seit seiner Geburt kenne, solch eine Wirkung auf mich haben würde. Aber mehr ist ja nicht passiert und wird es auch nicht."
"Aber du denkst daran und das zeigt, dass es definitiv mehr war als nur ein Tanz." Er ist die Pommes in seinen Händen, bevor er sich von seinem Teller abwendet und seine gesamte Aufmerksamkeit auf mir liegt. "Benni Black ist der Sohn deiner Chefin, unserer Chefin. Ich muss ihn nicht gut kennen, um zu wissen, dass er mit Sicherheit nur Ärger bedeutet."
"Denkst du das ich das selbst nicht wüsste?" Ich zerrupfe die Gitterfries und tunke sie in meine Mischung aus Ketchup und Mayo. "Ich weiß nicht, was das im Club war. Es war ein Moment, mehr nicht. Ich bin also für jede Ablenkung offen, wenn du Zeit hast." Ich lächle, da ich meine Worte nicht nur auf das Eine beziehe. Lenn ist einer meiner engsten Freunde, trotz dessen, dass ich hin und wieder mein Bett mit ihm teile. Und ich schätze seine Meinungen mehr als er vielleicht glauben mag.
"Pass einfach auf dich auf, ja? Ich glaube Benni ist einer der einzigen, den ich nicht verletzen darf, wenn er dich verletzt." Das Lächeln auf seinen Lippen zeigt von dem Zwiespalt, in dem er stecken würde, daher nicke ich und greife über dem Tisch nach seiner Hand. "Danke, Lenn."
Dann widmen wir uns endlich voll und ganz unseren Tellern, die danach schreien endlich von uns verputzt zu werden. Es ist angenehm die Zeit mit jemanden zu verbringen, der dich kennt und weiß, was für dich gut ist. Und anscheinend gehört Benni Black nicht unbedingt dazu.
Gemeinsam essen wir noch auf und reden über Gott und die Welt, bis er mich nach Hause fährt. Ich schätze seine Anwesenheit, manchmal mehr als vielleicht gut für mich wäre, und doch merke ich wie wertvoll Freunde wie Lenn sind. "Ruf mich an, wenn was ist, Val", murmelt er an mein Haar, auf dem er einen Kuss platziert, bevor er in seinen Wagen steigt und sich wieder in den Verkehr einlenkt.
Sobald ich meine Wohnung betrete, schäle ich mich aus Jacke und Schuhe, stelle meine Tasche neben mir an der Garderobe ab und gehe dann geradewegs in meine Küche, wo ich mir ein Glas Wasser hole und es in großen Schlucken austrinke. Meine Kehle fühlt sich dennoch trocken an und ich weiß genau woran es liegt. Da mein Vorrat an Blut sich jedoch schon sehr geneigt hat, muss ich erst Sophia Bescheid geben und vorher versuche ich diesbezüglich auf Sparflamme zu bleiben.
Wir brauchen nicht viel Blut und trotzdem fühlen wir uns mit jedem weiteren Schluck besser, unbesiegbarer. Es muss nicht viel fehlen, um in eine Sucht zu fallen und um dem entgegenzuwirken, versuche ich es in Maßen zu trinken. "Später", murmle ich daher eher zu mir selbst, laufe in mein Schlafzimmer und ziehe mir bequemere Kleidung an, die aus einer Leggins und einem von Matteos alten Shirts besteht. Mein Haar binde ich neu in einen lockeren Dutt, dann mache ich es mir mit meinem Handy auf meiner Couch bequem. Ich bin dabei auf den Chat von Lynn zu gehen, als mir bereits eine ungelesene Nachricht entgegenleuchtet, jedoch nicht von meiner besten Freundin, sondern von Benni.
Warum hat dich ausgerechnet Lenn heute abgeholt und woher kennst du ihn überhaupt?
Okay, mit so einer Nachricht hatte ich nicht gerechnet. Ich kann mich daran erinnern, wie er und seine Schwester zu uns gesehen haben, als Lenn mich abgeholt hatte, doch dass es ihn so sehr zu interessieren scheint ...
Wir kennen uns von früher
Die Antwort ist zwar kurz, allerdings sehe ich auch keinen Grund Benni von Lenn's und meiner Vergangenheit zu erzählen. Während ich darauf warte, dass der Haken hinter der Nachricht blau wird, schreibe ich Lynn, ob sie Lust hätte noch heute vorbei zu kommen. Da sie aber nicht an ihrem Handy zu sein scheint, schweife ich wieder zu Benni's Chat, wo seine Nachricht mir bereits angezeigt wird.
Das hat man definitiv gesehen.
Was machst du gerade?
Bin eben erst nach Hause gekommen und überlege wie ich meinen Abend verbringe. Du?
Ich schalte meine Anlage an, wähle auf meiner Spotify-App eine meiner Playlists und lasse sie im Hintergrund laufen, während ich mich mit meinem Handy in der Hand nach hinten in die Zierkissen fallen lasse. Kurz darauf sehe ich, dass Lynn mir endlich geantwortet hat, verziehe aber meine Lippen bei ihrer Antwort.
Sorry, Süße, aber muss für eine Klausur lernen.
Dazu schickt sie mir ein Bild von sich, ihr Haar total verstrubbelt und mit ihrer Lesebrille auf der Nase. Neben ihr häufen sich mehrere Mappen.
Na gut, dann Hals und Beinbruch beim lernen!
Danke, ich melde mich, wenn ich nicht von der Masse verschlungen worden bin. xx
Seufzend tausche ich erneut die Chats, wo Benni mir im selben Moment ein Foto schickt. Ich erkenne ein Skateboard, au dass vermutlich sein Bein steht und mir sagt, dass er, sicher nicht allein, beim Skaten ist. Mir ist schon aufgefallen, dass seine Freunde hin und wieder mit ihren Skateboards zur Schule kommen, daher wundert es mich nicht einmal.
Nur Deko oder weißt du auch damit umzugehen? ;)
Ich beiße mir auf meine Lippe, während ich die Punkte beobachte, die mir zeigen, dass er mir antwortet.
Ich kann definitiv sehr gut damit umgehen. Komm vorbei und ich zeigs dir, ich bin an der Bridge.
Ich brauche einen Moment, um die Einladung zu verstehen, bis meine Finger innehalten. Meine Gedanken wandern zurück an den Abend im Club und genau diese sind es, die mich daran zweifeln lassen, ob es eine gute Idee ist. Seine Berührungen, das Kribbeln, das sein Körper an meinem ausgelöst hat. Benni Black löst Gefühle in mir aus, die alles andere als gut sind, denn sie dürften nicht bei ihm entstehen. Genau deshalb brauche ich eine ganze Weile, in der ich einfach auf den Chat zwischen uns blicke und innerlich mit mir ringe, ob ich lieber in meiner Wohnung bleiben sollte - oder mich umziehe und zu ihm gehe.
Ich bleibe ihm eine Antwort schuldig, schalte den Bildschirm aus und lege das Handy neben mich. Stumm blicke ich auf meine Zimmerdecke, stehe letztendlich aber doch auf und tausche lediglich die Leggins gegen eine Jeans, stecke das vordere Ende des Shirts in dessen Bund und ziehe mir ein paar Sneaker an, bevor ich mir Handy, Portemonnaie und Schlüssel schnappe und meine Wohnung verlasse.
Ich bin unterwegs.
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Nachdem Benni mir den genauen Standort geschickt hat, habe ich mich in die U-Bahn gesetzt und befinde mich nun wenige hundert Meter von dem auf meinem Bildschirm angezeigten Punkt. Vom weiten kann ich sehen wie Benni auf seinem Board einem besitzerlosen hinterherrollt, bis er dieses eingeholt hat und direkt in meine Richtung sieht. Auf den letzten Metern kommt er mir entgegen, bis er vor mir stehen bleibt und grinst. "Du bist echt gekommen. Hätte ich nicht gedacht."
"Nicht nur du", murmle ich leise, ehe ich lauter antworte: "Tja, ich bin hier. Also, was ist? Zeigst du mir, was du drauf hast oder war das nur Geschwätz?"
Herausfordernd hebt sich eine meiner Augenbrauen, während ich ihn abwartend mustere. "Ganz schön Frech, Valeria Suarez." Zwinkernd deutet er mit seinem Kopf hinter sich, sodass ich ihm folge. Sobald Cyril, Eliza und die anderen uns bemerken, liegen ihre Blicke sofort auf uns, doch Benni gibt seinem Freund ohne einen Kommentar das Board in seiner Hand und wendet sich dann mir zu, steig auf sein eigenes und fährt zu den freien Bänken. "Komm mit!"
Sobald ich mich auf diese habe fallen lassen, blickt er ein letztes Mal zu mir, ehe er mir live vorführt, was er an Tricks drauf hat. Und ich muss zugeben, dass er sich nicht einmal so schlecht anstellt. "Willst du auch mal?" Er deutet auf das Board unter ihm und ich mustere dieses kurz, ehe ich mit den Schultern zucke. "Warum nicht?" Mit diesen Worten stehe ich auf und bleibe unmittelbar vor ihm stehen. "Aber ich warne dich, das ist meine Premiere, also erwarte nicht zu viel."
"Alles klar."
Benni tritt einen Schritt zurück, als ich einen Fuß auf das wacklige Board stelle und dieses sich sofort in Bewegung setzen will. Ruckartig ziehe ich mein Bein wieder zurück, was meinen Gegenüber zu amüsieren scheint. "Möchtest du meine Hand für den Anfang? Dann kannst du ein besseres Gefühl dafür bekommen, wie du dein Gewicht verlagern musst, wenn du auf dem Skateboard stehst."
Sobald ich nicke hält er mir seine Hand entgegen, die ich ergreife, und lasse mir von ihm auf das Board helfen. Da es noch immer sehr wackelig ist, halte ich mich mit meiner anderen Hand automatisch an seinem Arm fest, woraufhin er auch diese in seine noch freie Hand nimmt. Sein Amüsement entgeht mir nicht und ich ziehe meine Lippen zu einem Schmollmund. "Hey, ich ein ein totaler Newbie, also lach mich nicht aus!"
"Das würde ich doch niemals tun, Valeria", widerspricht er, doch sein Grinsen straft seine Worten Lügen. "Jetzt Versuch dich mal mit einem Fuß abzustoßen um zu rollen. Ich halte dich fest." Er drückt meine Hände und wenn auch etwas unsicher, wage ich es mich mit meinem Fuß mit leichtem Druck am Boden wegzustoßen, sodass sich das Board bewegt. Wenn auch langsam, bleibt Benni dennoch an meiner Seite und sorgt dafür, dass ich nicht vom Board stürze, auch wenn sein Druck leichter wird. Über seine Schulter hinweg bemerke ich wie vor allem Cyril uns zu beobachten scheint, und schaue schnell wieder zu Boden. Sein Blick hat nichts verraten, dennoch hinterlässt es ein komisches Gefühl zu wissen, dass wir von seinen Freunden - und seiner Schwester - so beobachtet werden. Als würden sie nur darauf warten, dass wir einen Fehler machen. Aber was ist schon dabei, wenn zwei Freunde miteinander Zeit verbringen? Wobei wir vorrangig eher Familie sind. Und genau dieser Gedanke ist es, der mich plötzlich schaukeln lässt.
"Konzentrier dich", raunt er zu mir und hilft mir meine Balance wiederzufinden, als ich nicke. Er lässt mich kein einziges Mal los, während wir Stück für Stück über den Asphalt fahren. Und ich muss zugeben, dass es gar nicht so übel ist, allerdings nie etwas sein wird, womit ich Stunden verbringen könnte. "Ich glaub ich bleibe lieber bei Inliner", brumme ich, nachdem wir nach einer gefühlten Ewigkeit stoppen und er mich erst loslässt, sobald ich auf festem Boden stehe. Noch skeptisch mustere ich das Board vor uns, schaue dann zu ihm. "Trotzdem war es eine nette Abwechslung, also danke."
"Dann kannst du dich ja beinahe meiner Schwester anschließen." Er fährt sich durch sein Haar und nickt in die Richtung von Eliza, die ebenfalls Probleme zu haben ihren jetzigen Trick richtig auszuführen. "Auch wenn Inliner nicht das gleiche sind wie Rollschuhe." Er setzt sich auf die Bank und klopft neben sich. Sobald ich neben ihm sitze strecke ich meine Beine durch, lehne meine Arme hinter mir ab und genieße die Sonnenstrahlen, die auf uns fallen und meine Haut wärmen. "Ihr habt euch ein schönes Plätzchen ausgesucht." Eine Windböe weht in unsere Richtung und ich merke wie es den lockeren Dutt soweit öffnet, dass sich einzelne Strähnen rauswinden und meine Wange und meinen Hals kitzeln.
"Wir kommen schon seit Jahren zum Skaten her und haben bereits einige neue Leute kennen gelernt. Es lohnt sich definitiv." Er schweigt einen Moment, bis ich erneut seine Stimme höre. "Du und Lenn also?" Ich muss schmunzeln, als ich ein Auge öffne und seinen neugierigen Blick bemerke. Ich beiße mir auf die Lippe, beschließe aber kein großes Ding daraus zu machen. "Ich habe ihn damals auf Jason's Schiff kennengelernt. Es ist ... kompliziert." Ja, so könnte man es zusammenfassen.
"Kompliziert?" Seine Augen wandern von der Golden Gate Bridge nun gänzlich zu mir und da ich merke, dass er mit dieser Antwort nicht zufrieden ist, seufze ich und setze mich auf. Dabei streife ich seinen Arm, bleibe aber so sitzen. "Lenn und ich waren eine Zeit lang ein Paar, aber es war nichts auf Dauer. Nicht so wie bei Soph und Jason. Aber wir haben immer Kontakt gehalten. Und sobald wir uns durch deine Eltern wieder begegnet sind, treffen wir uns hin und wieder." Und haben Sex, wenn einer von uns Ablenkung oder Spaß braucht, füge ich in Gedanken hinzu.
"Also beinahe so wie bei Elaine und mir." Daraufhin steht Benni auf und deutet auf das Skateboard vor ihm. "Wenn das für dich ok ist würde ich mich ein paar Runden drehen, dann können wir fahren. Ich bin mit dem Auto da."
Ich nicke vor mich. "Tu dir keinen Zwang an." Und während Benni seine Runden dreht beobachte ich ihn, wie er geschmeidige Moves ausführt, die ich sicher selbst nach stundenlangem Üben nicht hinbekommen hätte. Dass er dabei kein einziges Mal zu mir sieht, versuche ich nicht falsch zu verstehen. Wieso auch, ich meine, wieso sollte ihn das neue Wissen auch stören? Ich versuche meine Gedanken davon abzuhalten in Richtungen zu gleiten, in denen sie eindeutig nichts zu suchen haben. Zwischenzeitlich schreibe ich kurz mit Lynn, die sich bei mir über ihren Lernstoff ausheult, wenn ich nicht Benni und den anderen Skatern zusehe.
Irgendwann steht Benni schwer atmend vor mir und lächelt zufrieden. "Wenn du willst können wir los." Er tritt so auf sein Skateboard, sodass es nach oben fliegt und er es problemlos auffangen kann. Nickend stehe ich auf und folge ihm, als er fragt: "Hast du Lust noch was trinken zu gehen, oder willst du nachhause?"
"Willst du denn so was trinken gehen?", hake ich nach und mustere ihn von oben bis unten.
"Warum nicht? Es ist noch früh und das Wetter ist schön. Also warum sollen wir nicht noch etwas trinken gehen?"
"Na dann." Ich folge ihm zu seinem Wagen, wo er das Skateboard im Kofferraum verstaut, bevor wir einsteigen und er den Motor startet. Ich schaue aus dem Fenster und bemerke wie Eliza und Cyril uns hinterhersehen. "Hast du den anderen Bescheid gesagt? Nicht, dass ich dich jetzt einfach rausgerissen habe oder so."
"Es ist mein Ding was ich mache und da Eliza von Sawyer gefahren wurde muss ich nicht auf sie warten." Daraufhin legt sich Schweigen auf uns, bis Benni seine Anlage anschaltet. Irgendwann beginnt er auf das Lenkrad zu klopfen und mitzusummen, was ich schmunzelnd beobachte. Und es klingt nicht einmal schlecht. Sobald das Lied endet und ein neues startet, wo er jedoch verstummt, drehe ich mich mehr in seine Richtung. "Du hast eine schöne Stimme. Zumindest von dem, was man eben hören konnte."
Meine Worte entlocken ihm ein Lächeln. "Danke. Eliza und ich haben früher oft zusammen gesungen und Musik gemacht. Du musst sie mal hören." Dabei heben sich seine Mundwinkel noch weiter. "Kannst du singen?", fügt er hinzu und wirft mir einen Seitenblick zu. Ich nicke, merke dann aber, dass seine Aufmerksamkeit auf der Straße vor uns liegt, weshalb ich ein "Ab und an, ja", antworte. Zumindest kommt es auf meinen Zustand an, denn alkoholisiert würde ich mich wahrscheinlich nicht vor ein Mikrofon stellen. "Wenn es etwas gibt, was ich besser kann als meine Schwester, dann zählt das dazu." Dennoch war es immer ihre Stimme, die mich als Kind zu beruhigen vermochte, wenn ich Angst hatte oder unsere Mutter vermisste.
"Das ist schön." Er sieht kurz zu mir und lächelt, dann biegt er in der nächsten Straße ein und sucht offensichtlich nach einem freien Parkplatz. Gemeinsam steigen wir aus und mit einer Hand auf meinem Rücken dirigiert Benni mich zum Eingang der Bar, die sich vor uns befindet. Es dauert nicht lange, bis der Barkeeper zu uns sieht und dann beginnt zu grinsen. "Benni Black! Einer meiner liebsten Gäste!" Er umrundet die Theke. "Und du hast eine Freundin dabei!"
Ich hebe die Hand und lächle, doch das scheint ihm nicht zu genügen, da er mich in eine Umarmung zieht, die mich überrascht zusammenzucken lässt.
"Meine Güte, Martin! Lass sie los, wir wollen etwas trinken." Ich atme erleichtert auf, sobald sich seine Arme wieder von mir löst, rechne aber nicht mit seiner Hand, die noch auf meine Schulter klopft. Dann deutet er auf die Plätze unmittelbar vor sich an der Bar, woraufhin wir uns auf die Hocker setzen. "Was möchtest du trinken, Señorita?", hakt Martin noch immer grinsend nach und ich brauche einen Moment, bevor ich mit "Ich nehme einen Absinth und eine Cola", antworte. Dann wendet er sich Benni zu, der ebenfalls seine Bestellung abgibt. Hin und wieder wirft Martin uns einen Blick zu, bis Benni meine Aufmerksamkeit beansprucht. "Also Valeria, warum hat Lenn dich heute Mittag abgeholt?"
Ich verdrehe die Augen, kann aber nicht verhindern, dass ich grinsen muss. "Weil wir Freunde sind und Freunde ab und an Zeit miteinander verbringen." Ich stütze mich mit einem Arm am Tresen ab und schwinge das eine Bein über das andere. "Warum interessiert es dich so?"
"Es war überraschend, ausgerechnet ihn vor der Schule zu sehen. Immerhin arbeitet er für meine Eltern auf unserem Anwesen in den Bergen." Er zuckt mit den Schultern und im selben Moment werden uns unsere Getränke vor die Nasen gestellt. Benni hebt sein Glas, genauso wie ich und wir stoßen an. Der Absinth landet in meinem Mund und ich verziehe mein Gesicht, denn es ist eine ganze Weile her, dass ich solche spanischen Spirituosen getrunken habe.
Automatisch greift meine Hand nach meiner Cola und ich trinke zwei Schlucke hinterher, bevor ich wieder zu Benni schaue, der mich beobachtet. "Für dich ist Lenn vielleicht nur ein Angestellter, aber für mich ein enger Freund. Von daher solltest du dich vielleicht daran gewöhnen ihn ab und an am Campus zu sehen." Ich zwinkere, dann folgt ein weiterer Schluck. Ich kann seinen Blick nicht deuten, doch seine darauf folgenden Worte genügen mir. Und einem kleinen hinterhältigen Teil von mir gefällt Benni's Reaktion auf Lenn. Mehr, als es sollte.
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