04.

Mit meiner Handtasche bewaffnet verlasse ich das Firmengebäude von Black Industries, um meinen wohlverdienten Feierabend nach Stunden des Unterrichts und Arbeiten zu genießen. Die Temperaturen scheinen heute schon den ganzen Tag über auf meiner Seite zu sein, denn kein einziges Mal wird der strahlende Himmel durch dunkle Wolke getrübt und kein einziger Tropfen verlässt den Himmel, um auf den Boden unter mir zu treffen. Ich laufe die wenigen Treppen hinunter und schließe dann für einen Moment die Augen, richte mein Gesicht gen Himmel und genieße die warmen Sonnenstrahlen, die meine Haut wärmen. Wenn ich nicht meine Kette mit dem besonderen Rubin tragen würde, ich wäre schon längst zu Asche zerfallen. Doch dieser wunderschöne Stein sorgt seit Jahrhunderten schon dafür, dass ich nicht so schnell das Zeitliche segne. 

Als ich meine Lider wieder öffne und vor mich blicke treffe ich auf die entspannte Statur meines besten Freundes, der sich an die Karosserie seines Wagens lehnt, seine Arme verschränkt vor seinem Brustkorb. Sobald er seinen Kopf schräg legt und ich abwartend mustert verdrehe ich meine Augen, gehe dann aber auf ihn zu und schlinge meine Arme um seinen Nacken. Sobald sich seine Arme um mich legen hebt mein vergleichsweise kleiner Körper in die Höhe und verweilt dort, bis er mich wieder auf meine Füße setzt. 

"Und, nach was begehrt es Ms. Suarez am heutigen Tag?", fragt er, während er die Beifahrertür öffnet und mit seinem Arm hinein deutet. "Wie wäre es heute mit Sushi?" Ich schaue fragend zu ihm auf, sobald ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen habe und sehe wie er zustimmend nickt. Er schließt die Tür und umrandet dann den Wagen, lässt sich auf seinen Sitz fallen und startet den Motor, um aus der Parklücke zu fahren.

Wir lassen Black Industries hinter uns und während Matteo sich auf den Verkehr konzentriert, suche ich in meiner App nach einem Lokal, in dem es einerseits Sushi gibt und das wir bisher noch nicht getestet haben. Irgendwann hatte Matteo die irrwitzige Idee so viele verschiedene Restaurants in San Francisco zu testen, dass sich sogar eine Liste auf unseren Smartphones befindet, auf die wir beide Zugriff haben und auf der alle Namen der Restaurants gelistet sind, wo wir bereits gegessen haben - natürlich mit unserer persönlichen Sternebewertung.

Nach fünf Minuten werde ich fündig, immerhin muss ich nachschauen, ob es sich um ein neues Restaurant handelt, und gebe dann Aiko's Restaurant in Google Maps ein, ehe ich meinem Sitznachbar den Weg weise und wir nach knappen dreißig Minuten an unserem Ziel ankommen. Matteo wirft über meine Schulter einen Blick auf die Fassade und durch die Fenster der Sushi-Bar, ehe er schmunzelt. "Hoffen wir mal, dass das Sushi besser schmeckt als der Schuppen von außen aussieht."

"Hey, er hatte viereinhalb Sterne bei über fünfhundert Bewertungen!", protestiere ich und stupse ihn mit meiner Schulter an, woraufhin er nur brummt und wir dann aussteigen. Auch, nachdem wir das Innere betreten, breitet sich ein gemischtes Gefühl in mir aus und ihm scheint es nicht anders zu gehen. Aber jeder kennt den Spruch, dass das Äußere nicht viel über das Innere auszusagen hat, und daran halte ich mich gerade wie an dem letzten vorhandenen Strohhalm.

In einer der hinteren Sitzgelegenheiten lassen wir uns auf das schwarze Polster fallen und greifen nach den Speisekarten. Diese sind laminiert und fühlen sich nicht klebrig an, was mich etwas milder stimmt. Und auch die Auswahl ist nicht gerade klein, weshalb ich mich für eine gemischte Maki-Platte und einer größeren Platte mit allerlei Nigiri, Sashimi und Inside-Out-Rolls entscheide. Matteo scheint nicht sonderlich experimentierfreudig zu sein, denn er entscheidet sich für seine Standard-Wahl aus allem, was keinen Fisch oder anderweitige Meerestiere beinhaltet, genauso wie keine Nigiri.

Kurz darauf kommt eine freundliche Bedienung zu uns. Ihre beinahe schwarz wirkenden Augen wandern für einen Moment zu lange über meinen besten Freund, bevor sie höflich nach unserer Bestellung fragt und was wir zu trinken haben möchten. "Euer Essen sollte in ca. zehn Minuten fertig sein", fügt sie hinzu, nachdem sie alles auf ihrem Tablet in ihren Händen notiert hat und sich dann von uns abwendet. Sobald sie außer Hörweite ist lache ich leise auf, woraufhin Matteo nur seine Augen verdreht. "Spar dir deinen Kommentar, Val."

"Ach, warum denn?", necke ich ihn, füge dann hinzu, "Ich kann ja nichts dafür, dass sie dich so offensichtlich angeschmachtet hat."
Kopf schüttelnd streicht er sich durch sein dunkles welliges Haar. "Nur interessiert mich sowas schon einige Jahre nicht mehr, wie du ganz genau weißt." Seine Gesichtszüge werden weich und ich weiß ganz genau, dass er gerade an Ellie denken muss. Ich unterdrücke das Gefühl, wie sich mein Herz für einen winzigen Moment zusammenzieht, denn dieses ist mir nicht unbekannt. Und doch kann Matteo nichts dafür, dass ich wahrscheinlich noch einige Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte oder Jahrhunderte, allein verbringen werde.

Ich räuspere mich, was ihn wieder ins Hier und Jetzt zieht. Dass diese Thematik ihn jedoch auf etwas lenkt, worüber ich ganz sicher nicht weiterreden will, merke ich an seinem neugierigen Blick, den er mir nun zuwirft. "Wenn wir schon dabei sind: bist du dir sicher, dass du Patrick nicht doch noch eine zweite Chance geben willst? Du scheinst es ihm ganz schön angetan zu haben."

"Und ich habe dir gesagt, dass ich keine Lust auf einen Kontrollfreak habe, egal wie gut er aussehen mag." Ich verziehe meine Lippen, aber Matteo gibt so schnell nicht nach. Wie hätte ich auch etwas anderes erwarten können?
"Vielleicht war er auch einfach nervös?" Er verschränkt seine Arme und lehnt sich nach hinten gegen das Polster. "Immerhin bist du eine schöne Frau und weißt, was du willst. Das kann auf andere recht ... beeindruckend wirken."

"Beeindruckend?" Ich betone das Wort, denn ich weiß ganz genau, was er mir damit sagen will. Ich mag im Vergleich zu Sophia kein ganz so stark ausgeprägtes Temperament haben, doch ab und an sticht es doch verstärkt raus, das kann selbst ich nicht abstreiten. Aber ich wüsste nicht, dass ich bei dem Date auch nur annähernd so gewesen wäre. Matteo hebt daraufhin abwehrend seine Arme. "Ich mein ja nur."

Wir werden unterbrochen, da dieselbe Bedienung unsere Teller mit den verschiedenen Sushi-Varianten auf den Tisch stellt. Auch unsere Getränke finden den Weg vor unsere Nasen. Mit einem knurrenden Magen schaue ich über das ganze Essen und gebe meinem besten Freund nicht einmal die Gelegenheit noch etwas zu sagen, sondern greife nach den verpackten Stäbchen und breche sie entzwei, deute dann mit einem vor ihn auf den leeren Teller. "Guten Appetit."

Das lässt ihn gänzlich aufgeben und beide stürzen wir uns auf die vollen Teller, die genauso schnell verputzt werden wie sie ihren Weg zu uns gefunden haben. Und ich kann definitiv sagen, dass die Bewertungen ihnen gerecht werden, auch wenn das Optische des Ladens selbst noch einiges an Arbeit bedarf. Im Hintergrund spielt leise Radiomusik, der die aktuellen Charts von sich gibt und als einziges die Stille zwischen uns füllt. Sobald mein Magen gänzlich gefüllt ist, lehne ich mich seufzend zurück und streiche über meinen Bauch. "Und, was sagst du?"

Auch er scheint zufrieden zu sein, denn mehr als ein lächelndes Nicken bringt er nicht zustande. Zwar ist das Sushi - geschweige denn irgendeine Art an menschlichem Essen - für uns nicht Überlebens notwendig, aber auch wir können uns durch diese satt fühlen. Die junge Frau lässt sich auch nicht lange bitte, bis sie zufällig wieder vor unserem Tisch erscheint und fragt, ob sie noch etwas für uns tun kann. Ich kann genau erkennen, wie Matteo seinen Blick abwendet, daher setze ich ein breites Grinsen auf uns strecke meinen Arm über den Tisch, um meine Hand auf seine zu legen. "Ich denke, wir sind soweit satt, oder Baby?"

Es braucht kein Wort oder gar eines Blickes, bis er darauf einsteigt und ein sanftes Lächeln aufsetzt, während er unsere Hände ineinander verschränkt. "Ja, würde ich auch sagen."
Die Augen der Bedienung weiten sich kaum merkbar, doch mir entgeht es keineswegs. Während sie also leise etwas murmelt und sich abwendet, wahrscheinlich, um unsere Rechnung zu holen, ziehe ich meine Hand zurück und grinse. "Ich verstehe wirklich nicht, wieso dir sowas schwer fällt."

"Ich mag es eben nicht in enttäuschte Gesichter zu sehen. Du weißt, dass ich für sowas eine Schwäche habe." Ja, das weiß ich nur zu gut. So tough Matteo auch aussehen mag, dadurch, dass er umgeben von vielen Frauen aufgewachsen ist, hat er zu dem Geschlecht eine besondere Bindung. Ich mache es ihm nicht zum Vorwurf, immerhin hat er so ein sensibles Gespür dafür bekommen, wie es mir oder Ellie geht, was in ihrer Beziehung sicher ein Pluspunkt ist. 

"Dann komm, Romeo." Wir stehen auf und gehen an den Tresen, um dort unser Essen zu bezahlen, dann hake ich mich bei ihm unter und wir verlassen das Restaurant. Sobald wir wieder in seinem Auto sitzen, auf den Weg zu meiner Wohnung, kommt Matteo noch ein letztes Mal auf Patrick zu sprechen. Ich kann verstehen, dass er für seinen Freund nochmals ein gutes Wort einlegen will, aber bis auf den ersten Eindruck hat mich rein gar nichts an diesem Mann angezogen. Und wenn ich mir meinen Männergeschmack ansehe, passt Patrick ebenfalls nicht in mein Beuteschema, attraktiv hin oder her. Das muss auch Matteo irgendwann akzeptieren, als er enttäuscht aufseufzt. "Ich dachte wirklich, dass er vielleicht jemand wäre, an den du dein Herz verlieren könntest."

"Nur wissen wir beide, dass das bei mir nicht so schnell passiert", erwidere ich und lehne mich ans Fenster. "Wir Suarez-Frauen scheinen einen gewissen Typ Mann zu haben, wie es aussieht."
Leise murmelt er etwas und wenn mein Gehör nicht so gut wäre, wäre es mir vielleicht entgangen. Aber das ist es nicht. "Ja, und ich weiß nicht, ob ich mir so jemanden für dich wünsche."

Auch Stunden später, in einer gemütlichen Decke auf meinem Sofa liegend und mit meinem Handy in der Hand, muss ich noch an seine Worte denken. Ich weiß nicht wieso, doch sie spuken in meinen Gedanken und lassen sich nicht wie sonst wegwischen. Es ist mir nicht neu, dass Matteo mir das wünscht, was er selbst hat: einen Menschen an seiner Seite, der einen bedingungslos liebt. Er hat diesen Menschen in Ellie Black gefunden. Meine Schwester in Jason. Alison in Logan. Sie alle haben ihr Gegenstück gefunden, wobei mein bester Freund wohl einiges mehr an Glück hatte und nicht durch so viel Mist durch musste wie die anderen.

Und ich habe es in meinem Leben bisher nicht geschafft die Person zu finden, die so zu mir gehört. Dass mich diese Gedanken oft genug in seine Tiefe ziehen ist nichts Neues und meist versuche ich mir das nicht anmerken zu lassen. In gewisser Weise habe ich jemanden, nur nicht so, wie ich es gern hätte. Zumindest nicht mehr, aber wir beide wissen, dass es so besser ist. Er ist nicht die Sorte Mann, der sich an eine einzige Frau bindet, auch wenn er es eine Zeit lang schaffte. Doch Zeiten ändern sich ... und Menschen auch. Oder in unserem Fall eher Vampire.

Das Summen auf meinem Bauch richtet meine Aufmerksamkeit auf den leuchtenden Bildschirm.

Kennst du das Gefühl, wenn du die ganze Welt am liebsten verfluchen würdest?

Will ich überhaupt wissen, was passiert ist?

Ich sag's dir, Typen sind scheiße

Und zu dieser Erkenntnis kommst du erst jetzt?

Ich muss schmunzeln bei den unzähligen Emojis, die sie mir schickt, bevor sie noch hinzufügt

Wie auch immer. Vielleicht sollte ich doch ans andere Ufer wechseln

Ich frag dich das morgen nochmal

Kopf schüttelnd drehe ich den Bildschirm und schaue aus meinem Fenster, wo die Sonne nach und nach am Horizont versinkt und den Tag in die Nacht überleitet. Im Hintergrund ist das Licht der Sitcom zu sehen, die in dem Moment im Fernsehen läuft, von der ich aber kaum etwas mitbekommen habe. Ich dachte, sie würde mich ablenken, habe mich aber geirrt. Denn in letzter Zeit scheinen meine Gedanke in Gewässer zu wandern, die mich die vergangenen Jahre nicht so sehr gestört haben wie sie es jetzt tun. Nur wieso?

Seufzend greife ich nach der Fernbedienung, lasse den hell erleuchteten Bildschirm sich in tiefe Schwärze hüllen und stehe dann auf. Meine Beine tragen mich in mein Badezimmer, wo ich mich mit beiden Händen an dem Waschbecken abstütze und meinem Spiegelbild gegenübersehe. In diese beinahe schwarzen Augen, die schon lange keinen Glanz mehr in sich tragen, sondern ... Resignation. Aber es hat sich nichts verändert. Ich habe mich nicht verändert. Und doch ist da diese kleine Stimme, die mir leise zuflüstert, dass ich mich lange genug selbst belogen habe.

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