03.
Mit meiner Tasse sitze ich auf einem der Hochsitze in unserem Lieblingscafé und warte auf eine gewisse Dame namens Lynn, die mir seit heute morgen auf die Nerven geht, dass sie unbedingt mehr von meinem Date erfahren will. Da sie bis vor kurzem noch in einer ihrer Verlosungen und ich meine Unterrichtsstunden abgesessen habe sowie bei Alison vorbeigeschaut habe, müsste sie in wenigen Minuten hier antanzen, wo bereits eine Tasse Kaffee auf sie wartet. Ich rühre mit meinem Löffel in meinem Cappuccino und sehe aus dem Fenster, beobachte die Menschen, die an mir vorbeilaufen.
Ein Päarchen, zwei Pärchen, ...
"Hey Val. Sorry für die Verspätung, aber mein Prof hat darauf bestanden, dass 'er die Vorlesung beenden würde und keine dämliche Uhr, die an einer Wand hängt und wie ein heiliges Relikt betrachtet wird.'" Sie verdreht ihre Augen, als sie ihre Jacke auszieht und über die Lehne hängt, ehe sie sich neben mich setzt und das Getränk vor ihr bemerkt. "Habe ich dir schonmal gesagt, dass du ein Schatz bist?"
"Lass mich überlegen, schon gefühlte tausend Mal", antworte ich grinsend und nehme einen Schluck meines warmen Getränks während Lynn eine angenehme Position zum Sitzen sucht.
"Hast du denn wenigstens alles für deine Hausarbeit bei ihm fertig? Wenn er euch so auf dem Kiker hat würde ich extra viel Arbeit reinstecken", merke ich an und sie winkt gelassen ab. "Du kennst mich doch. Ich hatte sie schon fertig in meiner Tasche liegen und eben noch vor dem Wochenende abgegeben. Ich glaube manchmal echt, dass seine Lippen eingefroren sind und er deswegen nicht einmal grinsen kann."
Ich kann nur den Kopf schütteln. Zum Glück muss ich mir sowas nicht antun.
"Und wie war es bei dir auf der Arbeit?", hakt sie nach und ich fange an zu grinsen. Ich glaube, dass es das Beste gewesen ist, was mir passieren konnte, als Alison mir damals angeboten hatte für sie zu arbeiten. Mit der Zeit habe ich mehr und mehr Aufgaben bekommen und ich kann mit Überzeugung sagen, dass mir mein Job noch nach knappen zwanzig Jahren Spaß macht. Aber es so aussprechen kann ich natürlich nicht.
"Alles wie immer. Ich kann mich nicht beklagen."
"Man, ich würde auch gerne bei Black Industries arbeiten. Viel Knete, viele schnuckelige Männer, denen du hinterher schmachten kannst. Nicht diese Bubis aus der High School." Sie seufzt auf und ich kann nur schmunzeln. Sie und ihre Vorstellungen. "Mich wundert es sowieso, dass du dir noch niemanden gekrallt hast, Val. Ich meine du siehst Bombe aus, was definitiv in euren Genen liegt, wenn man dich und deine Schwester ansieht. Dir müssen doch die Männer hinterher laufen."
"Jetzt übertreib nicht, Lynn. Und außerdem habe ich dir schonmal gesagt, dass ich keinen Mann will. Keine One Night Stands, keine Männer, die dich sowieso nur verarschen. Das Date hat nur mal wieder bewiesen, dass das alles einfach nichts für mich ist."
Und trotzdem sehnst du dich nach jemanden an deiner Seite, höre ich es gradezu in meinem Kopf flüstern und schüttle meinen Kopf.
"Wie auch immer. Es geht hier schließlich nicht um mein nicht vorhandenes Liebesleben."
"Oh doch, und weißt du warum?" Sie zeigt mit ihrem Finger erst auf mich, dann nach draußen. "Du musst es einfach mal auf dich zukommen lassen und nicht immer dicht machen. Selbst wenn wir aus sind lässt du keinen Typen an dich ran. Etwas tanzen, Hände auf die Hüften, aber bei mehr blockst du sofort ab. Ich sehe das und ich sage dir das jetzt als deine beste Freundin. Aber jetzt erzähl' mal, wie war das Date denn?"
Gebannt sieht sie zu mir, trinkt einen Schluck von ihrem Getränk, ohne auf dieses zu sehen. "Patrick war am Anfang nett. Er sieht gut aus, war charmant. Und dann kamen die Fragen und er wurde mehr und mehr gruseliger. Dass er IT-Experte ist wundert mich nicht einmal, so viel wie er wissen wollte."
Sie sieht mich verwirrt an, auch wenn ich sie nicht ganz ernst nehmen kann, wenn etwas von dem Milchschaum auf ihrer Oberlippe klebt. "Du hast da was", meine ich grinsend und nicke auf ihren Mund. Sie wischt mit ihrer Hand kurz drüber und muss ebenfalls grinsen, bevor sie mich mit Schlitzaugen ansieht. "Das Ablenken kannst du dir abschminken, Valeria Suarez."
Lynn legt erneut einen ernsten Blick auf, bevor sie nach meiner Hand greift. "Dann war dieser Patrick eben ein Reinfall, aber es gibt noch so viele Männer hier draußen. Ich liebe dich, echt. Du bist wie eine zweite Schwester für mich und ich weiß, dass du dir diesen ganzen Schwachsinn nur einredest. Warum auch immer du dich so verschließen tust, da liegt etwas hinter, was du nicht erzählst. Und ich dränge dich auch nicht dazu, aber du solltest nicht deine Vergangenheit deine Zukunft beeinflussen lassen. Hab Spaß. Genieße es jung zu sein. Männer kommen und Männer gehen. Du musst einfach nur eine gewisse Distanz lassen, dann kannst du nicht verletzt werden. Aber wenn du es gar nicht versuchst dich auf etwas einzulassen, egal was, wirst du vermutlich in fünfzig Jahren als eine alte Oma mit ihren zig Katzen enden. Und ich will nicht von mir sagen lassen, dass ich nicht versucht hätte dir deinen Kopf zu richten."
Auch, wenn das ganz sicher nicht eintreffen wird, halte ich meinen Mund und nicke. Selbst wenn es nur dafür ist, um sie zu besänftigen. "Ich werde etwas offener sein, was das männliche Geschlecht." Nicht.
Sie schätzt meine Worte einen Moment ein, nickt dann langsam und hebt ihre Tasse an. "Das will ich für dich hoffen. Notfalls sorge ich persönlich dafür, dass du dich an deine Worte hältst, meine Liebe."
Damit belassen wir, endlich, das Thema und Lynn erzählt mir von dem bevorstehenden Treffen mit ihrer Familie. Seitdem sie nach San Francisco zum Studieren gezogen ist, hat sie keinen Kontakt mehr zu ihnen, weil sie ihr genau das verbieten wollten. Sie solle gefälligst zuhause bleiben und das Familiengeschäft, einen landwirtschaftlichen Betrieb, weiterführen. Doch sie hat es hierher gezogen, da sie Journalismus studieren will. Und soweit schlägt sie sich auch super.
Ich kann sie verstehen. Ich würde mich auch nicht zu etwas zwingen lassen, was ich nicht will. Was bringt es, etwas für die Ehre weiter zu führen, wenn man kein Herzblut hinein investiert? Meiner Meinung nach ist das schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber das ist nur meine Meinung.
"Ich hoffe sie haben es endlich eingesehen. Immerhin bin ich schon mit der Hälfte meines Studiums durch, die können also nicht verlangen, dass ich das hinschmeiße." Sie sieht aus dem Fenster und ein ängstlicher Ausdruck legt sich auf ihr Gesicht. Aufmunternd lege ich meine Hand auf ihre und drücke zu. "Das wird schon nicht passieren. Und wenn, dann sag mir bescheid und ich werde nochmal mit ihnen reden."
Dankbar drückt sie ebenfalls meine Hand und wir widmen uns dem Rest unserer Getränke. Da ich heute noch etwas mit Matteo machen wollte schaue ich ab und an auf mein Smartphone, doch bisher hat er mir noch nicht Bescheid gegeben, ob es bei heute Abend bleibt.
Sobald unsere Getränke leer sind, ziehen wir uns unsere Jacken über und ich hake mich bei ihr ein, nachdem wir das Café verlassen haben. Ich möchte noch nicht nach Hause gehen, weil mich dann wieder die Realität einholt. Meine Gedanken sich nur um das drehen werden, was ich nicht habe. Dass meine Träume und Wünsche, die ich als kleines Mädchen hatte, nie in Erfüllung gegangen sind. Aber tue ich auch groß etwas dagegen?
"Willst du mir nicht sagen, was in deinem Kopf so vor sich geht? Irgendwas ist doch, Val." Lynn mustert mich von der Seite, doch ich zucke einfach nur mit den Schultern. "Grade in der letzten Zeit denke ich viel nach. Und da hilft es nicht, wenn andere einem vor die Nase halten, was ich tun und machen sollte."
Erst als ich neben mich blicke, bemerke ich, was ich getan habe und spüre sofort wie die Schuldgefühle mich einnehmen.
"Es tut mir leid, Lynn. Es war nicht gegen dich, aber ... du bist nicht die Einzige, die immer wieder auf diesem Thema rumreitet, das weißt du. Meine Schwester ist mindestens genauso schlimm, dabei weiß sie genau warum ich so bin. Und mit Matteo verbündest du dich quasi schon, wenn es darum geht mich mit jemanden zu vekruppeln." Frustriert fahre ich durch meine langen Haare und schiebe sie hinter meine Schultern. Wenn ich schon anfange zu reden kann es auch nicht weiter schaden alles zu erzählen.
"Du hast mich gefragt, warum ich so eine Einstellung habe? Warum ich mich lieber von den Männern fernhalte? Das hat einen ganz einfachen Grund. Ich habe jemanden geliebt. So sehr wie bisher noch niemanden, dem ich begegnet bin. Ich wusste von Anfang an, dass meine Hoffnungen umsonst sind, weil er jemand anderes geliebt hat. Tag für Tag habe ich es gesehen, wie sie mehr und mehr einander verfallen sind, und es hat dabei jedes Mal ein Stück in mir zerbrochen. Ich war damals noch jung und naiv. Er wusste von meinen Gefühlen, aber weißt du, was er zu mir damals sagte? 'Du weisst, dass es immer sie war und es immer sein wird.' Ich war für ihn seine kleine Prinzessin, mehr nicht. Weißt du wie lange es gedauert hat bis ich diese Gefühle losgeworden bin? Jahre." Jahrzehnte. Jahrhunderte.
"Und wegen diesem Arsch willst du dir dein Leben kaputt machen lassen? Valeria, du bist eine im Leben stehende junge Frau. Lass dich nicht runterziehen! Hab deinen Spaß, koste das Leben aus und strecke diesem Typen in Gedanken den Mittelfinger entgegen. Oder wenn du ihn siehst, ist scheißegal. Niemand sagt, dass du dein Herz verschenken sollst, aber verschanz dich nicht wie ein Igel. Vielleicht verpasst du grade dann das Wichtige in deinem Leben."
Sie bleibt mitten auf dem Gehweg stehen, schnalzt mit der Zunge und schüttelt den Kopf. "Mensch Val, du bist Spanierin. Du hast das temperamentvolle Blut in dir, nutze es verdammt nochmal und scheiß auf solche Mistkerle!"
Aus dem tadelnden Blick wird langsam ein breites Grinsen, ehe sie mich an meiner Hand packt und mit sich zieht.
"Und ich weiß schon genau wo wir damit anfangen werden."
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Wo sie mich hingeschleift hat? Erst waren wir in ihrer Studenten-WG, die sie sich mit zwei weiteren Mädels teilt, und haben aus ihrem Schrank ein Kleid sowie passende Unterwäsche geholt, bevor wir zu mir gefahren sind. Während sie in ihr glitzerndes Kleid schlüpft, dass mehr Cut Outs hat als Stoff, habe ich mich für ein kariertes Mini-Kleid entschieden.
Die Zeit, bis wir uns auf den Weg in den Club gemacht haben, in den Lynn mich unbedingt schleppen wollte, haben wir damit verbracht uns bereits ein paar Shots zu gönnen und zu quatschen, ehe wir uns komplett fertig gemacht haben. Da Matteo sich bis dato nicht gemeldet hatte - wahrscheinlich wird er von seiner Freundin eingenommen - habe ich ihm geschrieben, dass ich mit Lynn feiern gehe und er seinen Abend, bei was auch immer, genießen soll. Meine Haare steckt Lynn halb hoch, halb lässt sie sie in Wellen über meine Schulter fallen. Spontan fische ich eine Choker-Kette hervor, die ich anziehe, bevor wir uns unserem Make-up widmen.
Eine halbe Stunde später stehen wir bereits im Dark Phoenix, eines der bekanntesten Clubs in Sam Francisco für die Normalos. Die Zeit verging eindeutig wie im Flug, vor allem wenn man nicht allein und beschäftigt ist. An der Bar bestellt Lynn uns zwei starke Cocktails, die uns der Barkeeper mit einem Zwinkern reicht. Ich lächle ihn dankend an, bevor wir anstoßen und ich einen großen Schluck von meinem nehme. Meine Augen schweifen durch den dunklen Raum, während ich weitertrinke, und sehen wie einige schon bereits dabei sind ihre Annäherungsversuche zu starten.
"Warum bin ich nochmal hier?"
"Ganz einfach, um Spaß zu haben. Und jetzt komm, sonst bekommt Mamma ganz sicher heute niemanden ab. Wenn die Rich Kids in ihrem Club feiern können, können wir auch hier genauso viel Spaß haben!" Dass sie damit die gehobener Schicht meint und ganz klar ihre Meinung darüber äußert kommentiere ich nicht, denn wenn ich es zulassen würde, würde auch ich in gewissen Maßen dazugehören. Den Rest meines Glases muss ich leider stehen lassen, da sie mich auf die Tanzfläche zieht. 'My oh my' ertönt von den Boxen und sofort muss ich grinsen. Damit fällt es mir nicht schwer in Stimmung zu kommen.
Meine Hände legen sich über meinen Kopf und ich lasse mich durch die Musik leiten. Lasse meine Hüften kreisen und kann nicht anders als zu lachen. Der Bass vribiert durch meinen Körper und lässt mich aufleben. Meine Bewegungen werden lasziver, freier und so fühle ich mich grade auch. Frei.
Zwei warme Hände legen sich an meine Hüfte und schwingen meinen Bewegungen mit. Ein heißer Atem an meinem Nacken löst eine Gänsehaut aus, worauf ich kurz durchatmen muss. Hab etwas Spaß. Was soll schon passieren?
Und genau das tue ich dann. Ich lasse mich von den Händen näher an die breite Brust ziehen und bewege mich mit dem Typen hinter mir zur Musik. Meine Hände streichen über seine Arme, denen man die Muskeln anmerkt, und aus Neugier drehe ich mich, um ihn ansehen zu können. Seine Hände bleiben weiter dort liegen, wo sie von Anfang an verweilen, und grinsend blicken mich seine blauen Augen an. Zugegeben, er sieht wirklich nicht schlecht aus, mit seinem Dreitagebart und dem verschmitzten Lächeln, aber ich weiß jetzt schon, dass mehr als Tanzen definitiv nicht drin sein wird.
Er beugt sich leicht zu mir und zieht mich dabei näher an sich. "Bist du allein hier, Süße?", höre ich seine dunkle Stimme, die nicht halb so angenehm klingt wie ich es erwartet hatte. Seine Hände wollen weiter über meinen Körper wandern, bis ich sie aufhalte und ihn mit gehobener Braue ansehe. "Ja und das wird auch so bleiben."
Damit schiebe ich seine Hände von mir und mache einen Abgang. Nebenbei halte ich Ausschau nach Lynn, die sich grade prächtig zu amüsieren scheint. Ich stelle mich dafür zurück an die Bar und kurz darauf stellt der Barkeeper ein neues Glas vor mich. "Ich hab doch gar nichts bestellt."
"Sieh es als Aufmerksamkeit des Hauses für diesen Lackaffen." Er zwinkert mir zu, ehe er sich um einen anderen Gast kümmert. Ich lehne mich mit dem Rücken an den Tresen, lege meine Lippen um den Strohhalm und genieße meinen Drink. Nope, ich werde zu hundert Prozent allein von hier weggehen. So wie jedes Mal.
Drei weitere Drinks gönne ich mir, bis ich meine beste Freundin nicht mehr ausfindig machen kann. Doch meine Laune ist immer weiter in den Tiefpunkt gesunken, denn jedes Mal, wenn mich ein Typ angesprochen hat, hat alles in mir danach geschrien eher mein Getränk über ihn zu schütten als mich auch nur von ihnen anfassen zu lassen. Heute scheint einer der Tage zu sein, an denen der Alkohol mich mehr runter zieht statt zu helfen und das haut in diesem Moment richtig rein. Ich winke den Barkeeper zu mir, krame nach meinem Geld, doch er winkt ab und lächelt freundlich. Verständnisvoll. "Das geht auf meine Kappe, hübsche Frau."
Ein dankbares Lächeln legt sich auf meine Lippen, bevor ich den Club verlasse und Ausschau nach einem Taxi halte. Es dauert keine fünf Minuten bis der gelbe Wagen vor mir stehen bleibt und ich erleichtert einstige. Und ein weiterer Tag mit enttäuschenden Männern. Vielleicht wird es Zeit auf alte Kontakte zurückzugreifen.
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