02.

"Wir sehen uns morgen All!", rufe ich in Richtung ihres Büros, bevor ich nach meiner Tasche greife und Black Industries verlasse. Seit über zwanzig Jahren arbeite ich nun bereits als rechte Hand von Alison Black, Ehefrau von Logan Black und Mutter von Eliza und Benni. In all den Jahren, in denen ich sie schon unterstütze, ist es niemals langweilig geworden. Es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte, ihr Angebot anzunehmen und für sie zu arbeiten. Ich mag es zwar Sophia verdanken, dass es überhaupt dazu gekommen ist, worüber ich ihr sehr dankbar bin. Letztendlich aber habe ich es selbst geschafft mich auf dieser Position zu halten. Und mit der Zeit sind mehr und mehr Aufgaben dazu gekommen.

Das Leben hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Meine Schwester, Sophia Suarez - nun Grant, hat den Mann ihres Lebens geheiratet, zwei Mal sogar. Durch Alison's Gabe der Magie haben sie die einmalige Chance bekommen sich einen Herzenswunsch zu erfüllen, von dem sie und Jason dachten, dass ihnen dieses Glück niemals gegönnt sei - meine Nichte Ruby Valentina Grant.

Das Leben als Vampir mag zwar einige Vorteile haben, doch genauso auch Nachteile und Kinder sind eines davon. Ich habe mich unendlich für sie gefreut, als sie mir erzählt haben, dass sie schwanger sei und sie ein Kind bekommen würden. Ich wage mich sogar zu sagen, dass das der glücklichste Moment in ihren Leben gewesen ist. Dieses Jahr wird sie bereits siebzehn Jahre alt, was mir nur umso deutlicher zeigt wie schnell die Zeit vergangen ist.

Wenn ich ihr und mein Leben miteinander vergleiche steht auf jeden Fall eines fest - sie hat das erreicht, was ich mir damals als kleines Kind immer gewünscht hatte: ein eigenes Heim für mich und meine Familie. Einen Mann an meiner Seite, der mich so liebt, wie ich bin. Und ein Kind, mein eigen Fleisch und Blut.

All das habe ich bis heute nicht erreicht. Ich habe meine eigene Wohnung. Es ist die, in der Sophia und ich damals schon zusammen gewohnt haben, bevor sie und Jason sich ihr eigenes Haus in den Bergen haben bauen lassen. Von einem Kind kann keine Rede sein, da mir dies niemals mehr möglich sein wird. Zumindest nicht, wenn es mein eigenes sein soll. Und von Männern brauche ich erst gar nicht anfangen, das hat mir die Geburtstagsfeier vor wenigen Tagen mehr als deutlich gemacht.

Aus einem Date sind vielleicht zwei oder drei geworden. Aber bis auf eine ernsthafte Beziehung, die schon einige Jahrzehnte, oder sollte ich sagen Jahrhunderte, in der Vergangenheit liegt, ist nie mehr entstanden. Meine Gefühle für den Ehemann meiner Schwester haben sich nach meinem emotionalen Zusammenbruch vor zwanzig Jahren Gott sei dank verabschiedet. Bis zu dem Zeitpunkt habe ich nicht einmal wirklich realisiert, wie sehr sie auf mir gewogen und mich runtergezogen haben. Doch heute, mit einem freien Herzen und leichten Schultern, sehe ich es klar vor Augen. Was mir aber auch nicht viel weiterhilft, wenn es keinen Mann bisher gab, der mehr in mir auslösen konnte.

Matteo, mein bester Freund und Fels in der Brandung, weiß um diesen Zustand sehr genau und versucht mich wieder und wieder auf die Männerwelt loszuschicken, wie man gesehen hat. Er ist wie ein großer Bruder für mich, auch wenn der Altersunterschied eindeutig zeigt, dass ich die Ältere bin. Er und seine Familie sind damals mit uns nach Amerika gekommen und seitdem auch hier geblieben. Und hier, in San Francisco, hat er sein Mädchen kennengelernt. Ellie Black. Schwester von Logan Black und seine zweite Hälfte.
Die beiden sind unzertrennlich, was mich nicht nur einmal hat neidisch werden lassen.

Vielleicht ist das auch der Grund - und meine übelst schlechte Laune, die ich nach Benni's Geburtstagsfeier in weiterem Alkohol ertränkt habe - dass ich heute eingeknickt bin. Zum Teufel mit dir, Matteo.

Mit einem Taxi lasse ich mich nach Hause fahren, damit ich mich für mein kommendes Date - ein Kumpel von ihm - fertig machen kann. Alles, was ich von Patrick weiß ist, dass er ein IT-Experte ist und sechsundzwanzig Jahre. Ich weiß nicht einmal wie er aussieht, allerdings habe er ihm ein Bild von mir gezeigt. Ich vertraue Matteo und seinem Urteilsvermögen, es sollte also nichts schiefgehen. Hoffentlich.

Zuhause angekommen stelle ich meine Tasche auf dem Sofa ab und ziehe meine Jacke aus, bevor ich zu meinem Schlafzimmer gehe und meinen Kleiderschrank öffne. Überlegend spiele ich mit meiner Unterlippe, wische Bügel für Bügel zur Seite, bis ich einen meiner Lieblingspullis in den Händen halte. Zwei Minuten später ziert meinen Körper dieser, kombiniert mit einem Rock und einer Netzstrumpfhose. Im Badezimmer stecke ich mein schwarzes Haar nach oben, lege eine enge Kette um und lege passendes Make-up auf.

Zufrieden mit meinem Aussehen schaue ich auf die Uhr, die mir zeigt, dass ich noch eine ganze Stunde habe, bis ich mich auf den Weg in das Restaurant machen muss. Patrick und ich treffen uns gegen 18.30 Uhr vor dem 'Kokkari Estiatorio', was nur knappe zwanzig Minuten von meiner Wohnung entfernt ist und so optimal liegt. Mit meinem Handy in der Hand lasse ich mich auf mein Sofa fallen, tippe auf den Chat meiner besten Freundin Lynn, die Matteo in dem Punkt total unterstützen tut.

Lynn Mychao, vierundzwanzig Jahre alt und angehende Journalistin. Seit zwei Jahren schätze ich sie schon als meine beste Freundin, die mich sehr gern aus meiner Wohnung ins Nachtleben schleift. Auch sie ist der Ansicht, dass ich mich mehr auf die Männer San Franciscos einlassen sollte. Nicht nur einmal hat sie versucht mich, während wir zusammen unterwegs waren, an einen Kerl abzuschieben und ich schätze ihre Einsatzbereitschaft. Allerdings hat sie da einen genauso großen Erfolg wie Matteo - nämlich keinen.

Habe gleich das Date mit diesem Patrick. Drück mir die Daumen, dass ich nicht nach fünf Minuten schon verschwinden will

Schmunzelnd lege ich meine Beine auf den kleinen Couchtisch, schalte meine Anlage an und summe zu einem der neuen Songs aus dem Radio mit. Auf meinem Bauch fängt es an zu vibrieren und grinsend sehe ich auf das leuchtende Display, welches mir die Nachricht von Lynn anzeigt.

Das wird schon, wenn du dich auch drauf einlässt, Süße. Erzähl mir später jedes Detail! xx

Nichts anderes habe ich von ihr erwartet, weswegen ich mein Handy zur Seite lege und noch ein wenig entspanne, ehe es Zeit für mich ist mich langsam fertig zu machen. Zu meinem Outfit kombiniere ich bequeme Boots und eine dünnere Jacke, die ich vorsichtshalber anziehe. Für Mitte Mai ist es schon recht warm in der Stadt, weswegen es quasi unnötig für mich wäre eine Jacke anzuziehen. Da allerdings viele Menschen selbst bei diesem Wetter noch eine Jacke tragen passe ich mich dem Fluss an, um nicht aufzufallen.

Mit meinem Handy, meinem Schlüssel und Portemonnaie verlasse ich meine Wohnung und laufe die Straße entlang. Ich muss genau zwei Mal nach links und zwei mal nach rechts abbiegen, bis ich vor dem gemütlich aussehenden Restaurant stehen bleibe. Da ich fünf Minuten zu früh bin sehe ich mich von außen ein wenig im Inneren um und bin begeistert. Es sieht wirklich toll aus und verspricht gutes und leckeres Essen. Ich zucke zusammen als mir jemand auf meine Schulter tippt und drehe mich dann in diese Richtung. Ich muss meinen Kopf in den Nacken legen, um ihm in sein Gesicht sehen zu können und muss gestehen, dass er wirklich süß aussieht.

Dunkelbraune Augen, die mich an flüssige Schokolade erinnern. Ein leichter Bart, der sein Gesicht ziert und ihn attraktiver erscheinen lässt. Leicht verstrubbeltes Haar, was dazu einlädt seine Finger durch dieses zu streifen. Die Brille, die auf seiner Nase sitzt, verleiht ihm den typischen Look eines Nerds, was aufgrund seines Berufs auch perfekt passt.

"Du bist Valeria oder?", fragt er mit einer freundlichen Stimme und lächelnd nicke ich. "Dann bist du Patrick oder?"
Er nickt ebenfalls, deutet dann in Richtung des Restaurants. "Wollen wir?"
Ich lasse mich von ihm in das Innere des Restaurants führen, wo wir an einen reservierten Tisch geführt werden. Ganz der Gentleman schiebt er mir den Stuhl zurecht, was ihm Pluspunkte verschafft. Sobald er mir gegenüber sitzt, streckt er mir eine der Speisekarten entgegen und es wird still um uns. Viele der Speisen klingen sehr lecker, doch recht schnell entscheide ich mich für einen griechischen Gyrosteller. Ein Kellner kommt an unseren Tisch und ich nenne ihm meine Wahl, Patrick entscheidet sich für einen Antipasti und ebenfalls einen Gyrosteller, zusammen mit einer Flasche passenden Weins.

"Ich freue mich, dass du wirklich gekommen bist."
Grübchen bilden sich in seinem Gesicht, die ihm etwas unschuldiges verleihen. An sich wirkt Patrick eher wie ein Mann, der nicht oft auzugehen scheint. Warum, kann ich nicht genau sagen. Doch die kleinen Details, wie seine nervösen Hände, die immer wieder miteinander spielen, verraten ihn. "Ich freue mich auch. Außerdem vertraue ich auf Matteo's Einschätzung."
"Ja, er ist einer der Guten. Woher kennt ihr euch zwei eigentlich?"

Neugierig schaut er mich an, was irgendwie süß aussieht. Wie er sein Kinn auf seinen Händen abstützt und seine gesamte Aufmerksamkeit auf mir liegt.
"Matteo und ich kennen uns durch meine Schwester und seine Eltern. Wir sind ... zusammen aufgewachsen könnte man sagen. Er ist wie ein Bruder für mich."

"Dann freut es mich, dass er denkt, dass ich gut genug für dich sein könnte", meint er grinsend, was mich doch tatsächlich erröten lässt. "Du scheinst deine Absichten nicht grade verheimlichen zu wollen", meine ich ohne ihn aus den Augen zu lassen. Das Grinsen wird größer und er zeigt seine weißen Zähne. Ein schönes Lächeln, muss ich zugeben. "Warum sollte ich nicht direkt sagen oder zeigen, was ich möchte? Du bist eine wunderschöne Frau, das weißt du sicher selber. Du hast etwas an dir, was mir gefällt. Sehr sogar."

Unsicher, was ich sagen soll, schweige ich. Da scheint wohl jemand direkt ran an die Sache gehen zu wollen.

"Wir werden sehen, wie der Abend läuft", erwidere ich letztendlich, füge aber ein Lächeln zu. Vielleicht wird es ja wirklich noch sehr angenehm. Bisher hat er einen wirklich guten Eindruck hinterlassen.

------

So schnell kann sich dieser wandeln. Seine direkte Art und dass er keinen Hehl daraus macht, was er sich erhofft, ist recht schnell aus dem Ruder gelaufen. Er hat viele Fragen gestellt, was an sich nicht schlimm ist. Allerdings würde ich nicht unbedingt bei dem ersten Date danach fragen, ob ich 'mir vorstellen kann in den nächsten Jahren ein Kind zu bekommen', 'wie ich zu der klassischen Mann-Frau Rolle stehe' oder 'wie es mit Krankheiten in meiner Familie aussieht'.

Die Fragen waren eindeutig nicht tauglich für das erste Treffen und seine penetrante Neugier war für mich irgendwann zu viel. Dennoch habe ich es bis zum Schluss ausgehalten. Patrick hat vorbildhaft unser Essen bezahlt und sogar darauf bestanden mich nach Hause zu bringen. Nur widerwillig habe ich Letzteres zugelassen, da ich eigentlich nicht drauf aus gewesen bin, dass er rausfindet, wo sich meine Wohnung befindet. Sobald wir vor dieser stehen bleiben wende ich mich, unsicher was ich nun tun soll, zu ihm. Im Gegensatz zu mir liegt auf seinem Mund ein Grinsen, welches auch nicht verschwindet, als er meinen Körper an sich zieht, um mich zu umarmen. Etwas steif lege ich meine Arme ebenfalls um ihn, und atme erleichtert aus, sobald er mich aus seinem Griff entlässt. Doch als ich seine Augen auf meinen Lippen spüre gehe ich einen Schritt zurück und lächle leicht.

"Danke für den schönen Abend."

"Ich danke dir."

Er überbrückt den Schritt zwischen uns und beugt sich zu mir. Zum Glück schaffe ich es noch meinen Kopf zu wenden, sodass er statt meinem Mund meine Wange küsst. "Ich freue mich aufs nächste Mal, Valeria."

Sein Blick ist felsenfest, als er die Worte ausspricht und mich stehen lässt, die Straße entlang läuft. Ich stoße die angehaltene Luft aus, suche dann nach meinem Schüssel, um so schnell wie möglich in meine Wohnung zu gelangen. Eine Flut der Erleichterung überkommt mich mit dem ersten Schritt in meine Wohnung, wo ich meine Jacke aufhänge und meine Boots von den Füßen streife. Während ich auf meinem Handy bereits die Nummer meines besten Freundes wähle und es auf Lautsprecher auf den Tresen lege, suche ich in meinem Schrank nach dem Tequila und schütte mir ein Shotglas voll.

"Na Val, wie war das Date?", höre ich seine Stimme. Das Grinsen spüre ich sogar bis zu mir, was mich noch schneller dazu veranlasst den Alkohol in mich zu kippen. "Das wirst du wissen, wenn ich morgen bei dir vor der Tür stehe und du deiner Freundin erklären kannst, warum du auf einem Auge nichts sehen kannst!"
Schallendes Gelächter bringt auch mich dazu, dass sich meine Mundwinkel heben. Ich könnte einfach nie auf ihn wütend sein, egal was für einen Mist er fabriziert. "Er ist ein totaler Kontrollfreak. Wenn du wüsstest, was er mich alles gefragt hat. Ganz ehrlich, da hilft auch nicht sein Aussehen."

"Das tut mir leid, wirklich. Er hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, dass er ... so einen Tick hat."
"Das könnte vielleicht daran liegen, dass du keine Frau bist und keine Brüste hast", antworte ich trocken, was dafür sorgt, dass es kurz still wird. "Punkt für dich, Suarez."

Mit einem Seufzen lehne ich mich an den Tresen und schütte einen weiteren Shot voll. "Ganz ehrlich, ich glaube dieses Jahrzehnt hat keine Männer für mich. Oder dieses Jahrhundert."
"Jetzt übertreib es mal nicht. Die Welt ist groß. Und deine Ansprüche vielleicht zu hoch. Nicht jeder kann so perfekt sein wie ich." Ich rolle meine Augen auf seine Worte, muss dennoch schmunzeln. Er schafft es immer meine Laune anzuheben, egal wie weit im Keller sie zu sein scheint.

"Ich hab dich auch lieb. Aber bitte, verschone mich erstmal mit deinen angeblich guten Typen, die vielleicht etwas für mich sein könnten, ja? Und halte Lynn da raus, das ist unfair, wenn ihr euch gegen mich stellt."
"Wir wollen doch nur, dass du endlich mal wieder ganz aus dir rauskommst. Sie mag zwar nicht genau wissen, wie du sein kannst, wenn du komplett gelöst bist, aber ich. Ich möchte, dass du wieder so glücklich bist wie damals."
"Du vergisst, dass ich damals auch keinen Kerl hatte."

Er stöhnt auf und um Hintergrund ist nun eine weitere Stimme zu hören.
"Trotzdem warst du im Herzen frei. Das bist du jetzt nicht, ob du es zugeben willst oder nicht. Du willst das, was Sophia hat. Du kannst mich nicht anlügen, was das angeht. Dafür kenne ich dich zu lange und zu gut. Aber ich muss jetzt auch auflegen. Also Kopf hoch, ja? Ich liebe dich, Val."

"Ich dich auch. Macht euch einen schönen Abend."

Ich drücke auf den roten Hörer und das Display wird schwarz. Während ich nach dem Shot greife lege ich das Handy zur Seite, schütte Shot über Shot in meinen Körper, bis dieser sich langem aber sicher leichter anfühlt. Und der Platz für die Säuferin des Jahres geht an mich.

Eine junge Frau, die sich mit Alkohol abfüllt, nur um sich so von ihren Sehnsüchten und Niederlagen abzulenken. Die sich nach dem verzehrt, was ihre Schwester hat und es dennoch nicht auf die Reihe bekommt alles in die richtigen Bahnen zu lenken. Die nur Flauten an Männer anziehend findet und von einem Fettnäpfchen ins nächste springen tut. Kann doch nicht besser laufen oder?


Wie ihr vielleicht merkt wird Valeria's Buch etwas direkter, was die Sprache angeht 😅
Aber auch pikante Themen, die vielleicht kritisch betrachtet werden sollen, kommen auf euch zu. Also, um es in ihren Worten zu formulieren:

Dieser Trip wird kein Zuckerschlecken!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top