mourning Jeno (draft)

"Meine Eltern wollen umziehen", bemerkt Jeno, als wäre es nebensächlich.

"Wohin? Etwa aus der Stadt?" Ich richte mich auf und sehe ihn mit gerunzelter Stirn an.

"Keine Ahnung. Vielleicht. Haben sich noch nichts überlegt."

"Na toll." Ich seufze genervt und lasse mein Gesicht ein wenig unsanft auf die Matratze fallen.

"Ja, oder?" Ich höre beinahe, wie Jeno die Augen verdreht.

"Müsstest du dann die Schule wechseln?"

"Geh ich von aus."

"...Scheiße."

"Kannst du wohl laut sagen."

---––—––---

Jeno
Beweg deinen Arsch runter

Als es klingelt, stehe ich bereits im Flur, mache die letzten zwei Schritte nach vorne und reiße die Tür auf.

"Zieh deine Schuhe an und komm mit." Jeno lehnt sich gegen den Türrahmen, sieht mir dabei zu, wie ich seiner "Bitte" Folge leiste.

"Wohin gehen wir?"

"Wir gehen nicht. Wir fahren." Er deutet auf sein Fahrrad, abgestellt auf der Auffahrt, und beobachtet mich geduldig dabei, wie ich meines aus der Garage hole.

Hastig schwinge ich mich auf den Sattel und folge ihm, bleibe trotz seines schnellen Tempos mühelos an seiner Seite. Er sagt nichts, zeigt mir nur hin und wieder, wo wir hinmüssen. Einige Zeit später erreichen wir ein Haus mit "zu verkaufen"-Schild im Vorgarten.

"Zieht ihr hierhin?" Ich stelle mein Fahrrad ab und gehe zu ihm, nebeneinander mustern wir das Gebäude.

"Nächsten Monat. Steht aber noch nicht zu hundert Prozent fest."

"Dann können wir ja gar nicht mehr zusammen zur Schule gehen."

"Sieht so aus."

"Och Manno."

"Hehe, dann muss ich dich weniger lang ertragen." Beleidigt verschränke ich meine Arme vor der Brust und sehe ihn gespielt wütend an. Er grinst nur und kneift mir in die Wange.

"Aua..." Für einen Moment glaube ich, dass er sanft über die gleiche Stelle streicht, doch es ist so schnell wieder vorbei, dass ich es als Einbildung abstemple. Doch dann sehe ich das traurige Glänzen in seinen Augen.

"Jeno, was ist los?"

"Nichts."

"Das stimmt nicht."

"Ich... Ich will nicht drüber reden."

"Falls sich das ändern sollte... Ich bin da."

"Danke."

Stille.

"Es ist wegen deiner Schwester, oder? Sie ist auch der Grund, dass ihr umzieht, oder liege ich falsch?" Er schüttelt den Kopf.

"Beides stimmt. Gerade Jungwoo hält es kaum aus. Er kann nicht in den Spiegel sehen. Mich nicht ansehen. Eomma und Appa nicht. Er kommt nicht mehr aus seinem Zimmer. Überhaupt nicht mehr. Aber ich höre ihn weinen. Es... Es ist so... schrecklich. Ich... Deswegen kann ich es mir nicht erlauben, vor ihnen zu weinen, weißt du? Sie können doch selbst Tag für Tag kaum aufstehen. Irgendjemand muss doch noch... irgendwie... ganz sein."

"Bist du es denn?"

"Nein", haucht er, "nein." Ich ziehe ihn wortlos in meine Arme, streiche sanft durch seine Haare.

"Ich denke morgens an sie, ich denke abends an sie, und die ganze Zeit dazwischen auch. Überall versteckt sie sich, wartet darauf, mich zu packen und mit Erinnerungen niederzuschmettern, immer und immer wieder, bis ich einfach nicht mehr weitergehen kann. Und selbst dann ist sie noch da. Ich kann nicht... Ich kann wirklich nicht... Ich... Jaemin–", er schluchzt, "es frisst mich auf, immer noch, dabei kann ich doch schon so tun, als wäre es in Ordnung, als ginge es mir besser. Ist doch egal, dass ich kaum schlafen kann, weil selbst das Waschmittel mich an sie erinnert, ich will nur... Ich... Ich will diese Leere nicht mehr spüren, ich würde lieber den ganzen Tag weinen, als stumpf auf meinen Boden zu starren, und nur daran denken zu können, dass ich ihr auch nur ein winziges bisschen hätte helfen können, ihr sagen können, dass ich sie verdammt nochmal liebe, denn das tue ich, und stattdessen... Ich will Ruhe, Jaemin... Einfach Ruhe. Dass sie mich, und sei es nur ganz kurz, in Ruhe lässt. Durchatmen lässt. Ständig denke ich an sie. Es reicht, in meinen Schrank zu gucken und überall finde ich sie, als hätte sie Abdrücke auf meinen Klamotten hinterlassen. Selbst bei euch ist sie noch da. Als wäre sie ein Geist in meinem Kopf, der mich niemals verlässt. Jaemin... Hilf mir..."

"Ich wünschte, ich könnte es. Ich kann versuchen, dir diese Pause von ihr zu geben... Aber ob es klappt, weiß ich nicht. Es ist ein verdammt harter Weg, sich aus dieser Trauer wieder hochzukämpfen. Aber ich verspreche dir, dass ich dich bei allem unterstützen werde, wenn du mich darum bittest. Wenn's sein muss, organisiere ich dir einen Flug ins All, damit du ein bisschen in der Schwerelosigkeit herumtrudeln kannst."

"Danke, Nana", flüstert er, "danke", immer und immer wieder.

"Noch habe ich es nicht erfüllt."

"Du tust es die ganze Zeit."

"Ich geb mein Bestes..."

"Das ist schon mehr als genug."

Wir bleiben noch eine halbe Ewigkeit so stehen, bis Jeno mich vorsichtig von sich schiebt.

"Kann ich... noch mitkommen?", fragt er leise.

"Natürlich. Bleib, so lange du willst."

***

Als wir wieder bei mir sind, ist mir verdammt kalt. Das Zähneklappern unterdrückend stelle ich mein Fahrrad weg und schließe danach hastig die Haustür auf, um möglichst schnell an Wärme zu kommen. Jeno folgt mir, hat sich wieder in sein Schneckenhäuschen aus Stille zurückgezogen.

"Alles okay, Nana?" Wir ziehen unsere Jacken aus, ich bereue es ein wenig. Noch kälter.

"Mir ist nur ein wenig kalt, es ist alles in Ordnung. Wirklich." Zögerlich strecke ich meine Hand aus – ich kann Wärme vertragen und er Nähe – und er ergreift sie sanft, lässt sich widerstandslos mit in mein Zimmer ziehen. Er sieht aber auch nicht gerade danach aus, als wäre er in der Lage, welchen zu leisten. Ich schließe die Tür hinter uns, wir setzen uns auf mein Bett und fallen gleichzeitig rückwärts auf die Matratze.

Stille.

Nur unsere Atemzüge sind zu hören, und das leise Geräusch, als Jeno seinen Kopf zu mir dreht.

"Nana, wieso hilfst du mir so sehr?" Ihn verwirrt ansehend drehe ich meinen ebenfalls in seine Richtung.

"Tu... ich das?"

"Es reicht doch schon, dass du bei mir bist, dass ich... mich irgendwie... besser fühle. Und ich konnte den ganzen Tag einfach nichts gegen diese Leere tun, aber sobald du da bist, kann ich weinen und ich fühle mich... nicht mehr so... ausgelaugt."

"Ich bin froh, dass das der Fall ist, aber wie... Keine Ahnung."

"Ein Mysterium." Das leichte Grinsen, und sei es noch so klein, auf seinen Lippen, als er meines sieht, macht mich glücklich.

"Wie geht's dir jetzt?", frage ich, setze mich hin und mustere ihn. Er schaut zu mir hoch, aber sein Blick wandert zur Decke, bevor er die Augen schließt.

"Gut. So gut, wie es mir eben gehen kann." Soll ich ihm glauben?

"Wirklich? Sieh mich an." Er öffnet nur kurz seine Augen und schließt sie sofort wieder.

"Mir geht es gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen."

"Jeno. Sieh. Mich. An. Und sag das nochmal." Er setzt sich hin und starrt zurück.

"Mir. Geht. Es. Gut. Okay, nicht gut. Aber es ist alles in Ordnung. Wirklich."

"Versprichst du's mir?" Da war es. Das Zögern. Das Schimmern von Reue, dass er kurz davor ist, mir ein falsches Versprechen zu geben.

"Ja."

"Wieso lügst du?", frage ich leise. Der Blickkontakt bricht.

"Weil ich dich nicht... belasten will."

"Aber ich bin dafür da, dass du mir sagst, wenn es dir beschissen geht."

"Ich... Ja. Ich weiß."

"Und ich muss auch überhaupt nicht versuchen, dir zu helfen. Aber ich mag es nicht, wenn du lügst, Jen. Ich meine, es ist okay, wenn du es mir nicht sagen willst, nicht drüber reden willst, was auch immer, aber... sag nicht, dass es dir gut geht, obwohl es nicht so ist."

"Okay." Eine Träne tropft zwischen seinen geschlossenen Lidern hindurch auf die Matratze und verschwindet im Schwarz des Lakens. Jeno wischt sich die Spur von der Wange, sieht zu mir.

"Es tut mir leid, Nana. Es gibt ja nicht mal einen richtigen Grund dafür, dass ich darüber schweige. Gerade bei dir nicht."

"Ist schon okay. Ehrlich. Aber ich bin immer für dich da, ja? Und wenn ich immer sage, dann meine ich auch immer."

"Danke." Jenos Augen glänzen, trotzdem lächelt er. Und soweit ich das beurteilen kann, ist es ehrlich.

"Das ist selbstverständlich."

"Ist es nicht."

"Für mich schon."

---––—––---

Jeno-yah

Ich schaff das nicht, jaemin
6:56
Ich kann dasnnicht
6:56

Du musst, Jen... Ich helf dir
6:57
Ich komm früher und warte auf dich.
Du musst da nicht allein durch, okay?
6:58

Ich weiß nicht ob ich überhaupt so
weit komme
6:59
Ich fühl mich so leer
6:59
Kraftlos
6:59

Ich komm dir entgegen. Bleib einfach da,
bis wohin du es schaffst
7:00

Manchmal habe ich sas Gefühl,
du kannst Gedanken lesen
7:00

Wer weiß
7:01
Ich bin gleich los
7:01

Noch während ich meinen Rucksack schließe, verlasse ich mein Zimmer, renne die Treppe hinunter und bin innerhalb weniger Minuten rausgehfertig.

"Jaemin, willst du gar keinen Kaffee?" Verwundert sieht Eomma durch die Küchentür, ich höre die Kaffeemaschine laufen.

"Ich kann nicht. Jeno hat Vorrang." Sie lächelt, ein wenig traurig.

"Da fällt mir ein, Dabin bedankt sich bei dir dafür, dass du dich so um ihn sorgst."

"Ist meine Pflicht." Um nichts in der Welt würde ich ihn in so einer Situation allein lassen.

"Tschüss, Schatz."

"Tschüss, Eomma." Ich ziehe die Tür hinter mir zu und mache mich schleunigst auf in Richtung Jeno.

Ein paar Meter von seinem Haus entfernt sehe ich ihn, beschleunige meine Schritte so weit, dass ich fast in einen Laufschritt verfalle. Er steht bewegungslos da, starrt stumpf auf den großen Riss vor sich im Betonboden.

"Jeno!" Er sieht hoch, ich erreiche ihn im gleichen Moment.

"Nana?" Unsere Blicke treffen sich, und sofort treten Tränen in seine Augen. Schwungvoll lege ich meine Arme um ihn, bringe uns ins Schwanken. Abgesehen von dem Beben seines Oberkörpers und seinem klammernden Griff merke ich nichts davon, dass er – wie schon so oft in dieser Woche – so heftig weint, dass es mir das Herz zerreißt. Ich brauche ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass es ihn auffrisst.

"Ich kann das nicht, Nana", schluchzt er leise, "ich..."

"Du schaffst das, Jen. Ich bin die ganze Zeit bei dir, okay? Und wenn's sein muss, schwänzen wir. Du wirst diesen Tag durchhalten, hörst du? Und wenn wir dafür die ganze Zeit hier stehen müssen."

"Danke..."

***

Nach zehn Minuten gehen wir los, mit verschränkten Fingern. Es scheint Jeno zu helfen, so fest, wie er meine Hand drückt.

"Glaubst du, der Tisch ist immer noch da?" Seine Stimme verrät ihn, sie zittert.

"Wir müssen ihn uns nicht ansehen."

"Doch. Also... Ich... will es sehen."

"Okay." Ich denke an die vergangene Woche, wie Tag für Tag mehr Aufmerksamkeiten dazugekommen sind. Es ist bemerkenswert, wie viele Menschen sich an sie erinnern.

Vor dem Haupteingang bleiben wir stehen, hören der Welt um uns herum beim Leben zu. Ich werfe Jeno einen Seitenblick zu. Sein ausdrucksloses Gesicht bereitet mir Sorgen. Es war doch sowieso schon schwer, an ihn heranzukommen. Wie soll das jetzt erst werden?

"Sieht man ihn, sobald man reingeht?", fragt er leise.

"Nein. Er steht rechts an der Wand, wo auch immer der Jahrbuchverkauf stattfindet." Er atmet unregelmäßig.

"Hey, ist schon okay. Wir können noch länger hier stehen, oder wir gehen außenrum. Er läuft nicht weg."

"Nein, ich... Später schaffe ich das erst recht nicht."

"Okay. Geh einfach los, wenn du so weit bist."

Wir stehen direkt in dem Strom aus Schülern, der von der Bus- und Bahnhaltestelle lautstark ins Gebäude fließt, sie laufen um uns herum, bemerken uns nicht. Registrieren uns gar nicht. Zwei Jugendliche, zwischen dutzend Gleichaltrigen, Jüngeren und Älteren, die Finger miteinander verflochten, der einzige Weg, den älteren aufrechtzuerhalten.

Jeno mischt uns unter die lärmenden Schüler, wir werden ins Hauptgebäude gezogen und schieben uns seitlich aus der riesigen Gruppe, stehen vor dem mit Blumen und unzähligen anderen Dingen übersäten Tisch, dessen schmutzig schwarze Decke gar nicht mehr zu sehen ist. Anders als erwartet wird Jeno ruhig. Scheint alles und jeden auszublenden, sich nur auf das Foto zu fokussieren.

"Da liegt ein Buch", flüstere ich, unwissend, ob er mich hört, wahrnimmt, "jeder kann etwas zu ihr schreiben. Da steht schon echt viel drin. Es ist geplant, dass ihr es bekommt." Ich streiche leicht über Jenos Handrücken, versuche, irgendetwas von ihm zurückzubekommen, und wenn es nur ein Blick ist.

Lange Zeit sagt er nichts.

"All diese Leute haben sie gekannt?", fragt er leise, ungläubig.

"Sie war beliebt, Jen. Vielseitig engagiert. Natürlich hat sie viele gekannt."

"Nein. Nicht so. Wirklich gekannt."

"Ich weiß es nicht." Gleich zwei Fragen schießen mir den Kopf, die ich sofort wieder verbannen will.

Hast du sie denn wirklich gekannt?

Kenne ich dich wirklich?

Ich werde sie nicht los.

"Können wir gehen?", haucht er, steht so kurz vor einem Zusammenbruch wie noch nie. Ich ziehe ihn von den vielen Geschenken weg, von dem Bild, lasse nicht zu, dass er weiter leiden muss.

"Ich will kein Mitleid", murmelt er, "von niemandem..."

"Wir gehen mit dem zweiten Klingeln in die Klasse. Okay?" Er nickt leicht, sinkt gegen die Wand.

"Du wirst mich heute nicht eine Sekunde los." Vielleicht ist es eine Frage. Vielleicht ein Versprechen. Vielleicht auch beides.

"Danke." Erst jetzt sehe ich die Müdigkeit in seinen Augen.

"Du träumst von ihr, oder?"

"Jede Nacht." Er blinzelt träge. Sein Leiden lässt mein Herz tonnenschwer werden.

"Du stehst das durch", sage ich leise, "ganz sicher."

"Ich will einfach nur, dass es vorbei ist."

"Es wird nur besser. Nicht beendet." Ich muss niesen.

"Wirst du wieder krank?" Er sieht besorgt aus.

"Keine Ahnung. Ist auch egal. Jeno, mir wird es nicht schlechter gehen als dir. Du bist wichtiger." Jetzt blinzelt er heftig, umklammert meine Hand wieder fester.

"Du bleibst bei mir, oder?", fragt er brüchig, verletzlich.

"Bis zum bitteren Ende."

"Gut. Sonst verliere ich wirklich noch den Halt."

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