Kapitel 30

Die Aufregung ließ mich vergessen, dass ich in der vorletzten Reihe im Flieger neben einer Lady mit Höhenangst für mehrere Stunden festsaß. Ich beschwerte mich nicht. Zu einem, weil es mein einziger Weg kurzfristig nach Atlanta war und zu anderem, weil die Lady mich vor dem Nervös werden ablenkte. Ich beruhigte sie den Flug über und konnte nicht einen Moment darüber nachdenken, was ich Logan sagen würde, sobald ich am Set ankam.

Bevor ich in Albuquerque los geflogen war, hatte ich meinem Dad meine angegebene Ankunftszeit geschrieben und er versprach mir, dass er mich persönlich abholen kommen würde. Ich hatte keine Ahnung, was mich nun erwarten würde. Ich hoffte einfach, dass der Vorstand meine lahme Entschuldigung für eine Beurlaubung glaubte. Mein Großvater war bereits vor ein paar Jahren gestorben, aber so wie ich ihn kannte, wäre er bestimmt stolz auf mich gewesen, dass ich mich per E-Mail beim Vorstand wegen seines ‚plötzlichem' Tode beurlauben lassen habe.

All das, nur weil ich mir unsicher über meine Gefühle zu einem Schauspieler war. Wenn der Vorstand das herausfinden würde, würden sie bestimmt denken, dass ich einen an der Waffel habe und mich haushoch vom College schmeißen.

Jedoch waren meine ersten Schritten auf dem Boden in Atlanta eine Erlösung.

Mein Koffer war klein genug gewesen, dass ich ihn als Handgepäck mit mir nehmen konnte und dadurch die endlose Schlange am Gepäckband überspringen konnte. Ich schritt aus den Ausgang durch den Zollbereich durch und blickte mich nach meinem Dad um.

„Dad", rief ich laut und schreckte die ältere Dame neben mir, bei der ich mich hastig entschuldigte, bevor ich meinen Rucksack und meinen Koffer fester griff und auf ihn zu rannte.

„Nicht so wild, Alicia", lachte er, als ich meinen Koffer vor ihm los ließ und mich mit einem Arme um den Hals fiel. Erst jetzt bemerkte ich, wie schön es war meine eigene Familie wiederzusehen. Ich grinste ihn leicht an, als er meinen Koffer mir abnahm und mit mir zu seinem geliebten, allbekannten SUV auf dem Parkplatz hinüber schritt.

„Du wirst dieses Auto niemals aufgeben, nicht wahr?", fragte ich ihn, als ich die Tür zum Beifahrersitz öffnete.

„Nein", antwortet er, „nie und nimmer."

Im Auto wurde ich dann schlussendlich richtig nervös. Dad erklärte mir den Ablauf für den heutigen Dreh und dass wir direkt zum Set fahren mussten, da heute ein Nachtdreh an der Reihe war. Ich blickte in den Seitenspiegel. Dadurch dass ich mit der Höhenangst-Lady drei Stunden lang am Reden war, sah ich aus wie ein durcheinander gewirbelter Teenager, der gerade von seiner ersten Klassenfahrt kam und den ganzen Trip seinen Kamm nicht gefunden hat. So wollte ich Logan nicht unbedingt begegnen, aber ich hatte meinem Dad schon so viel aufgebrummt, da wollte ich mich nicht beschweren.

„Und wie liefen die Dreharbeiten ohne mich so?", fragte ich ihn, um in ein lockeres Gespräch mit ihm zu kommen. Wir beide waren nie große Redner. Meistens war er nicht zuhause, sondern irgendwo in der Welt einen Film am Drehen oder sich mit Studiobossen am Treffen.

„Wir kommen gut voran. Mit meiner Tochter an meiner Seite hat es trotzdem mehr Spaß gemacht, obwohl ich jetzt mehr Platz in meiner neuen Suite habe.", scherzte er, was mich zum Grinsen brachte.

Ich saß in einem tiefen Loch, während er sich freute. Es tat gut ihn so munter zu sehen, denn normalerweise war er andauernd gestresst und hatte für nichts und niemanden Zeit, außer für die Arbeit. Vielleicht sollte ich ihm raten Mom mal anzurufen. Sie würde sich bestimmt über seinen Stimme freuen.

„Und wie ist das College so? Logan hat mir ein bisschen erzählt—", er stoppte sich selbst bei Logan. Jetzt, da er wusste, dass wir uns gedatet haben, war es nicht nur für mich komisch, sondern wohl auch ein wenig für ihn.

„Es gefällt mir. Meine Kurse sind ganz gut. Ich tue mich zwar schwer mit einem meiner Lehrer, aber dafür ist meine Zimmermitbewohnerin ein Engel. Ich habe auch einen guten—", nun stoppte ich mich. Wie sollte ich Collin nennen? Einen guten Kumpel? Was waren wir eigentlich so wirklich? Vielleicht sollte ich es einfach lassen, schließlich war ich hier, um herauszufinden, wer Logan für mich war und dann würde ich auch wissen, wer Collin für mich war.

„Bisher einen guten Durchschnitt.", log ich.

Mein Dad nickte zufrieden. Wenn er wüsste, dass ausgerechnet Skript Schreiben mein Hassfach geworden war, dann wäre er vielleicht nicht mehr so zufrieden. Er parkte auf einem freien Platz auf dem Set Gelände. Wir hielten beide innen. Er wusste, dass ich nicht wegen ihm hier war. „Denkst du... denkst du, ich kann mit Logan vor dem Dreh noch reden?", fragte ich ihn.

„Er müsste in seinem Trailer sein.", antwortet er mir und gab mir einen aufmunterndes Lächeln mit auf den Weg, bevor wir uns voneinander trennten. Ich zog die Ärmel meiner Sweatshirt Jacke weiter runter, als in die von ihm hingewiesene Richtung ging. Die Trailer reihten sich ähnlich wie in Vancouver aneinander an. Ich las die Ausweiseschilder, bis ich vor seinem Trailer stehen blieb.

Es war drei Wochen her, seitdem ich ihn fortgeschickte hatte. Nun stand ich vor seinem Trailer, immer noch ohne jegliche Ahnung, was ich ihm sagen würde. Unsere Beziehung, wenn man es überhaupt eine wirklich gewesen war, hatte mehrere Höhen und Tiefen durchlaufen. Von allen sind wir mit gewissen Schaden fortgegangen. Waren wir beide überhaupt stark genug, um solch eine Beziehung zu führen? Vielleicht waren wir einfach nicht füreinander gemacht; egal, wie sehr wir uns wollten.

Meine Hand hob sich, um anzuklopfen, als die Tür urplötzlich aufging und ich einen Sprung nach hinten machte. Aus Logans Trailer kam Alex hervor, die mich überraschend ansah. „Ali", sie klang genauso überrascht, wie sie auch aussah. Sie strich sich ihr blondes Haar hinter die Ohren, blieb dabei auf der Treppe zum Trailer stehen.

„Hi", stammelte ich leise.

Ich hörte Schritte hinter ihr und bevor ich mich wegdrehen konnte, weil ich mich so schämte, sah ich sein Gesicht. Mein Herz blieb stehen. Gekleidet in T-Shirt und Jogginghose stand er neben seiner Filmpartner und sah zumindest genauso verschlafen aus wie ich es tat. „Alicia.", er klang keineswegs überrascht. Nicht wütend, auch nicht froh.

Er klang ohne jede Emotion.

„Ich geh mal besser", unterbrach Alex uns und drückte mich kurz, „Schön, dich wiederzusehen."

Am liebsten hätte ich meine Arme nie von ihr gelassen und sie einfach festgehalten, damit sie hier blieb. Jetzt, da ich Logan wiedergesehen hatte, wollte ich auf keinen Fall mit ihm alleine sein. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Ich war ihm und all unseren Fehlern ausgesetzt. Nachdem sie verschwand, kehrte die peinliche Stille über ihn und mich, bis er sie brach: „Was machst du hier?"

„Ich wollte mir dir reden."

„Ach ehrlich?", er hob eine Braue, „Nach drei Wochen bin ich es dir wert?"

Ich kniff meine Augen bei seinem lauten Ton zu und versuchte mein Zucken zu kaschieren. „Ich war durcheinander.", erklärte ich. Das war keine Entschuldigung und das wusste ich. „Kann ich vielleicht reinkommen und dir alles erklären?"

Herzzerreißend Wiedersehende, indem sich das Paar hoffnungslos verliebt ineinander in die Arme fällt, gab es wirklich nur in Nicholas Sparks Filmen. Im wahren Leben musste man dafür kämpfen.

Logan ließ sich mit der Antwort Zeit und macht mich nur noch mehr nervöser, bis er schließlich nickte und mich in seinen Trailer reinließ. Ich bevorzugte den Hocker, anstelle des eigentlichen noch freien Platz neben ihm auf der Couch, auf die er sich fallen ließ.

„Ich bin mal gespannt.", meinte er offensichtlich ironisch.

War es das überhaupt noch wert?

Ich war nicht umsonst drei Stunden nur für diesen Mann nach Atlanta geflogen, um sofort wieder abzuhauen. Mein Herz wusste etwas, was mein Kopf erst viel später wusste. Ich würde ihm gleich mein gesamtes Herz ausschütten und er konnte darüber entscheiden, ob er mich wegstießen oder nicht. Es war seine eigene Entscheidung, nicht länger meine.

„Logan—", seine Augen funkelten vor Wut, als ich seinen Namen sagte, aber ich entschied mich dazu, es einfach ignorieren und fortzufahren, „du musst wissen, als ich dich weggeschickt habe, war das keine leichte Entscheidung. Ich war wütend und enttäuscht von dir. Irgendwas sagte mir, dass es nicht zwischen uns funktionieren würde, jetzt, wo wir die Wahrheit voneinander kennen. Ich habe dich weggestoßen. Habe versucht nicht mehr an dich zu denken und wollte herausfinden, ob ich es nicht besser wäre, wenn ich mit Collin enden würde."

Ich sah, wie sich sein Kiefer verkrampfte. Ihm gefiel der Gedanken daran nicht.

„Auf den ersten Blick erscheint Collin wirklich wie die bessere Wahl. Er war da für mich, wenn ich ihn gebraucht habe und ich mag ihn sehr. Er liebt mich und ich weiß, dass ich es auch gerne tun würde, denn mit ihm scheint alles so viel leichter. Aber mein Herz springt nicht andauernd, wenn ich ihn sehe. Ich fühle ein Kribbeln in meinem Bauch, aber es haut mich nicht und was bringt mir das, wenn ein anderer Mensch mir die Luft zum Atmen raubt, nur wenn ich sein Gesicht auf meinem Fernsehbildschirm sehe?"

Ich blickte ihn an.

„Ich kann nicht mit jemand anderem zu sein, wenn du es bist, von dem meine Gedanken nicht abweichen. Mein Herz wird nie aufhören für dich zu schlagen. Unsere Beziehung ist praktisch zum Scheitern verurteilt, aber das Risko gehe ich ein. Ich lasse mir lieber mein Herz von dir hundert—von mir aus auch tausendmal—brechen, solange ich weiß, dass du mich liebst, denn ich... ich liebe dich, Logan."

Ich hatte gar nicht realisiert, dass ich angefangen habe zu Weinen. Im Vergleich zu all den Tränen, die ich den vergangenen Wochen vergossen hatte, waren diese hier aber befreiende Tränen. Endlich hatte ich alles von mir gesprochen und es war lange her, seitdem ich mich das letzte Mal so unbeschwert gefühlt hatte.

Logans Augen schimmerten im Licht seines Trailers, bis sein Blick von mir abweichte und auf den Boden glitt. Er fuhr sich mit seiner Hand durch sein dunkles Haar. Als er mich wieder ansah, traf mich sein Bild so sehr, dass ich beinah von meinem Hocker fiel. „Wenn unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, wieso gehst du dann nicht zu Collin? Er kann dir viel mehr geben, als ich es kann.", sagte er.

Er sagte genau das Falsche. Genau das, was ich nicht von ihm hören wollte. Ich wollte von ihm hören, dass er mich wollte, genauso sehr wie ich ihn. Ich schüttelte meinen Kopf heftig. „Er ist nicht du. Er kann mich nicht so fühlen lassen, wie du es tust."

Er sagte nichts, was mich frustrierte. Es frustrierte mich so sehr, wenn ich schüttelte ihm mein Herz aus, während ich nur den Anhaucht von seiner Meinung über mich kannte, weshalb ich etwas anders versuchte: „Sie gehört mir. Ich will nicht, dass irgendjemand anders diese Schmetterlinge in ihrem Bauch verursacht, wenn er lächelt oder ihren Namen sagt. Ich will nicht, dass irgendjemand anders sie verlegt macht oder sie ‚Baby' nennt. Nenn mich doch selbstsüchtig, aber sie gehört mir."

Ich atmete tief durch.

„Kennst du diese Zeilen noch? Es war eins der Skripts, die wir zusammen gelesen hatten. Du hast diese Zeilen wiederholt—wieder und wieder auf's Neue—dabei hast du mich angesehen, als würdest du mich damit meinen.", meine Stimme sagte zusammen, genau wie ich. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte, damit er realisierte, dass ich alles für ihn tun würde.

Logan schluckte hörbar. „Ich habe es nicht umsonst getan. Ich wollte dir klar machen, dass es so für dich und mich ist. Du hast mir damals meinen Kopf verdreht. Ich war dir komplett verfallen, weil egal, was du getan hast, du hast mich auf jede Weise bezaubert."

Seine Worte gaben mir Hoffnung, auch wenn er so fern von mir wirkte.

„Und?", hakte ich leise nach, „Was ist mit jetzt? Denkst du immer noch so?"

Er blickte auf die Uhr.

„Ich muss mich für die nächste Szene vorbereiten.", sagte er auf einmal und drückte sich von der Couch hoch. Mein Blick folgte ihm, während er mir keinen mehr gewährte. Er öffnete die Tür zu seinem Trailer. Er würde einfach gehen. Einfach so.

Plötzlich stand ich auf und ballte meine Hände zu Fäusten. „Wenn du mich liebst, dann lass mich nicht gehen.", sagte ich mit geballter Stimme. Es war das Letzte, was ich ihm noch sagen konnte und was ihn zum inne Halten brachte.

„Warte hier auf mich.", hörte ich ihn sagen, bevor die Tür ins Schloss knallte. Meine Brust bebte. Ich konnte nicht fassen, was gerade passiert war.

– – –

Ich wusste nicht, wie lange die Szene dauern würde. Trotzdem wartet ich auf ihn, vor allem, dass mir sowieso keine andere Ahnung gegeben war, denn ich war abhängig von meinem Dad hier. Ich wechselte irgendwann meinen Platz von dem unbequemen Hocker auf die Couch und zog meine Beine nahe an meinen Körper, als ich mich zur Seite legte und meine Augen schloss.

Meine Gedanken quälten mich mal wieder.

Liebe war viel zu kompliziert für mich. Es war nicht das, was man sich immer erträumt hatte. Es war so viel mehr. Es war ein Teil von uns Menschen, jedoch auch ein Teil unserer Persönlichkeit. Jeder Mensch hatte seine eigene Meinung und verteidigte diese mit seinem Leibe. Ein Grund, warum wir uns miteinander auseinandersetzten. Ich wollte nicht mehr mit Logan streiten. Ich wollte mit ihm jeden Tag so erleben, wie unsere Ersten. Dieses endlose Glücksgefühl nochmal spüren mit einem dauerhaften Lächeln auf meinen Lippen, dass ich mich fragte, wieso ich nicht verkrampfte.

Einen glücklichen Anfang mit ihm war alles, was ich mir in diesem Moment wünschte.

Und den Rest?

Der würde sich von alleine entwickeln.

Ich spürte, wie jemand mir über meine Arme fuhr. Sanft und vorsichtig, als würde die Person nicht bemerkt werden wollen. Mein Körper sagte mir, dass ich eine ganze Weile geschlafen hatte. Als ich meine Handy öffnete, sah ich Logan auf dem Hocker vor mir sitzen. Ich blinzelte ein paar Mal, nur um nochmal sicher zu sein, dass ich nicht falsch lag.

Er sah nicht mehr so stur wie zuvor aus. Eher so, als wäre seine harte Schale gebrochen worden. Meine Mundwinkel zuckten leicht in die Höhe.

„Du bist wach", flüsterte er mit einem schwachen Lächeln.

Das war der Logan, den ich damals kennengelernt hatte.

Ich rollte meine Lippen übereinander, genoss den Moment von Ruhe zwischen uns. „Ja, ich war ein bisschen müde.", erklärte ich und richtet mich langsam auf. Meine Haare standen, wie es sich anfühlte, in alle Richtung ab und hatten sich an den unmöglichsten Stelle verknoten. Ich stieß einen Seufzer, gefolgt von meinem leisen Kichern aus, welches Logan einstimmte.

Ich sah ihn an. „Ich habe dich ewig nicht mehr lachen gehört."

„In den letzten zwei Monaten gab es nicht wirklich viel zu lachen."

Wieder schmunzelten wir beide. Vielleicht sollte ich ein Filmskript darüber schreiben, was uns beiden in den letzten zwei Monaten widerfahren war. Es war bestimmt gutes Filmmaterial—wenigstens auf der Höhe von Nicholas Sparks. Tragisch, herzzerbrechend und...

„Ali?"

Mein Herz machte einen Sprung.

Er hatte mich ewig nicht mehr Ali genannt.

„Hm?"

„Es ist auch jetzt noch so."



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Und wie fandet ihr dieses Kapitel? Hoffentlich hat es euch gefallen.


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