Kapitel 24
Noch zwanzig Minuten, dann kann ich endlich raus aus dieser Hölle.
Nervös wartend trippelte ich mit meinem Bleistift auf dem Tisch herum. Vorne hielt Mr Donovan eine Lesung, jedoch hatte ihm kaum Beachtung geschenkt. Ich wollte nur weg von hier. Der Raum war dieses Mal überfüllt von Studenten, die ich alle nicht sehen wollte und in meinem Kopf war noch nicht mal mehr Platz für all diesen Stoff. Geschweige denn, kannte ich überhaupt das Thema der heutigen Lesung. Ich hatte mich nur tief in meinen Stuhl gesetzt und hoffte, dass die Zeit schneller vorbei ging.
Jo, die neben mir saß, hingegen schrieb fleißig mit. Sie lernte wie verrückt in letzter Zeit. Es schien ihre Art von Ablenkung zu sein. Normalerweise klappte es für mich ähnlich, aber heute war einfach ein beschissener Tag. Collin hatte seine Operation und weder Jo noch ich hatten Ahnung, wie es ihm ging. Das letzte Mal, dass ich ihn besucht hatte, war vor zwei Tagen gewesen. Nachdem er seinen kurzen Aussetzer hatte war nicht mehr im Krankenhaus gewesen. Vor dem Krankenhaus war ich jedoch in der Zeit mehr als dreißig Mal. Jedes Mal stand ich nur davor und ging dann wieder.
Ich fühlte mich schlecht deswegen. Ich hatte ihm versprochen, dass ich wiederkommen würde und hatte es nicht getan. Nun stand die OP an und ich zitterte an meinem gesamten Körper, obwohl ich noch nicht mal in seiner Nähe war. In mir pochte diese Hoffnung, dass alles gut verlaufen und Collin ins Verbindungshaus zurückkehren würde, auf. Er würde wieder unser guter, alter Collin sein und unsere Zeit am College würde unvergesslich und ich konnte mit Logan glücklich werden.
Logan.
Auch ihn hatte ich seit diesem Tag nicht mehr gesprochen, wenn man von ein paar Nachrichten absah. Er texte mir zehnmal mehr, als ich ihm antwortet und ich war mir sicher, dass er merkte, dass irgendwas in der Luft war. Ich spürte, wie ich mich abkapselte, aber vielleicht war das genau das Richtige für mich gerade. Zeit für mich alleine.
Meine Seele war belastet genug.
„Miss Harris?", zog mich eine Stimme aus der Trance. Erschrocken hob ich meine Augenbraue und starrte zu Mr Donovan, „Wenn Sie nun so aufmerksam wären, würden sie uns bitte erläutern, warum die Hauptperson sich ausgerechnet für diesen Lebensweg entschieden hat? Welche Veränderung bringt dies zu dem Skript?"
Was für eine passende Frage.
Ich zögerte leicht mit meiner Antwort, denn ich spürte die Blicke sämtlicher Anwesenden auf mir. „Vielleicht, weil es gerade das Richtige für sie ist. Es unterstützt ihre Charakterentwicklung. Es ist nicht leicht mit anderen Menschen zu leben. Menschen sind verletzlich und das ist, was ein Zusammenleben kompliziert macht. Man möchte seine Mitmenschen nicht verletzen. Das ist das Letzte, was man will. Aber man kann nicht durch sein Leben gehen und andauernd nur Rücksicht auf Andere nehmen, denn dann verletzt man nur sich selbst. Irgendwann sind wir alle mal verletzt... ich glaube, Sie wusste das und Sie wollte ihre Mitmenschen den Schmerzen nicht antun, da Sie ganz genau wusste, dass Sie sie verletzen wird."
Der Saal war ruhig. Mein Blick huschte unsicher zu Jo, die mich leicht bedrückt ansah. Sie wusste, dass ich mich mit dem Skript nicht befasst hatte und hier ganz allein von persönlichen Gefühlen gesprochen hatte. Jedoch wusste das Mr Donovan nicht. „Ein gutes Argument, Miss Harries. Vielen Dank. Lasst uns das in der nächsten Stunde mal aufgreifen."
Ich schluckte. Ein paar Studenten starrten mich für wenige, längere Sekunden an und ließen dann wieder ihre Blicke von mir ab. Das schrille Klingeln war meine Erlösung. So schnell wie möglich packte ich meine Sachen zusammen und huschte aus dem Saal. Ich wollte nur noch in mein Zimmer, um den ganzen Tag lang bedrückt Tom Odell zu hören und nichts zu tun.
Auf dem Gang konnte sie das plötzliche Gestarre nicht lassen. Ich bereute es schon meinen Mund geöffnet zu haben. Schnurstracks verließ ich das Gebäude und ging den kurzen Weg zum Verbindungshaus. Ich biss mir auf die Lippe und ging immer schneller. Obwohl mir nach Heulen war, wollte ich es nicht, vor allem nicht in aller Öffentlichkeit.
Hastig kramte ich meinen Schlüsselbund aus meiner Umhängetasche, steckte ihn rasch in das Türschloss und öffnete die Tür. Mich erfreute nur noch der Gedanken daran, dass ich gleich in meinem sicheren Zimmern war, doch als ich die Tür öffnete, blieb ich mit einem Schreck im Türrahmen stehen. Eine Person stand von meinem Bett auf und sah mich an. Die Kleidung dunkel, ebenso wie das Haar. In seinen Hände eine rote Rose.
„Was machst du hier?", fragte ich ihn mit einem unklaren Blick. Die Tränen, die mir bereits im Flur aufgekommen war, verschwammen mir meine Sicht. Trotzdem war es eine wunderschöne Sicht.
„Du hast gesagt, du brauchst mich, also hier bin ich.", seine Stimme war ruhig. Ruhig, weil er wusste, dass ich am Weinen war.
Mit einem Mal ließ meine Tasche von meiner Schulter auf den Boden gleiten und ging auf ihn. Meine Arme schlossen sich um seinen Nacken, während seine mich schloss. Sanft legte ich meinen Kopf auf seine Schultern und presste mich fest gegen ihn, als hätte er das Letzte, was mich noch retten konnte. Ich hatte diese vertraute Nähe vermisst.
„Es tut weh", murmelte ich gegen seine warme Haut.
„Wein nicht, bitte nicht.", bat er mich. Vorsichtig löste er sich von mir und griff nach meinem Gesicht. Sein sanftes Lächeln ermutigte mich, bevor er sich vorbeugte. Seine Lippen berührten zärtlich die Stellen, wo meine Tränen hinunter kullerten. „Ich weiß, es ist schwer. Aber es wird besser und jetzt bin ich bei dir."
Seine Augen versprachen mir dasselbe.
Automatisch legte ich meine Hände an seine Handgelenke und zog ihn zögerlich in einen Kuss, aus der sinnlosen Angst, dass er mich nicht zurück küssen würde, obwohl ich ganz gewusst, dass er es tun würde. Seine Hände zogen mein Gesicht näher an seins, als er den Druck verstärkte. Glücklich erwidernd drückte ich meinen Körper gegen seinen. „Ich liebe dich, Ali. Vergiss das nie.", hauchte er zwischen seinen Küssen.
– – –
Dieses Gefühl, dass man hat, wenn diese eine gewisse Person bei einem ist. Es nimmt dir so viel ab, was du nicht alleine tragen kannst. Du fühlst dich geborgen, beschützt, geliebt. Meine Seele fand zum ersten Mal seit Wochen Ruhe.
Es ist einer dieser Momente, wo alles still ist. Du hörst seinen Herzschlag, als wäre es der Rhythmus von deinem gesamten Leben. Als wäre es der einzige Rhythmus, den du kanntest. Der Einzige, der dich ruhig und glücklich machte.
Einer dieser Momente, wo man nichts sagen musste, um sich komplett perfekt verstand. Nicht immer brauchte man Wörter dazu. Alleine die Taten zählten so oft.
Und in diesem Moment spürte ich alles davon. Geborgen in Logans Armen. Sein Herzschlag gegen meinen. Ich würde nichts in der Welt geben, um dies zu ändern. Ich würde ewig so liegen bleiben wollen, wenn es nur ging.
„Alles klar bei dir?"
Ich schlug meine Augen auf und blickte ihn an. Hatte ich ihm jemals gesagt, wie schön seine Augen waren? Langsam nickte ich und strich sanft mit meiner Hand über seine leicht stoppelige Wange. „Bist du glücklich?", fragte er.
„Wenn ich bei dir bin, dann immer.", antwortet ich.
Logans Lächeln ließ mein Herz direkt einen Hüpfer machen. Sein Finger strich sich einen Weg meinen Arm hinauf. Von meinen Fingerspitzen bis über meinem Ellbogen, über meine Schultern, meinen Hals hinauf bis sie bei meinen geschwungenen, geöffneten Lippen hielten.
„Ich will, dass du glücklich bist.", sagte er und klang plötzlich ganz anders als zuvor, was mir Sorgen bereitet. „Du hast es verdient, glücklich zu sein. Du sollst dein ganzes Leben lang glücklich sein dürfen und dein College absolvieren, eine wunderbare Familie haben und ein Leben führen, mit dem du zufrieden bist. Mein Gott, Ali, du glaubst nicht, was du alles auf dieser Welt verdienst hast."
Woher kam all das auf einmal? Ich verstand es nicht. Zwar erwärmte seine Worte mein Herz, dennoch konnte ich nicht den Fakt ignorieren, dass er es so klingen ließ, als wäre er kein Teil von meiner Zukunft, denn das war er. Er war der größte und wichtigste Teil meiner Zukunft. Ohne ihn konnte sie mir nämlich nicht mehr vorstellen.
„Ich bin glücklich", erwiderte ich, denn ich wollte ihn wissen lassen, wie sehr ich ihn wollte. Wie sehr ich uns und eine Zukunft an seiner Seite wollte. „Ich bin glücklich mit dir. Ich will mit dir glücklich sein. Ich will an deiner Seite leben. Ich will mit dir eine Familie haben und den Rest meines Lebens verbringen—"
„Ali—"
„Nein, Logan. Ich will das alles mit dir. Ich will dich nie wieder verlassen müssen. Ich will einzig und allein für immer bei dir sein!"
Seine Augen schlossen sich. Mein Teenager-Ich hätte sich vor solch einer Liebeserklärung gefürchtet und akzeptiert, wenn der Junge sie mit der Begründung, dass sie zu doll klammert, abserviert hätte. Die Beziehung mit Logan war weit mehr als das. Dies war meine erste richtige Beziehung, womit ich mir erstmalig eine Zukunft vorstellen konnte. Falls mich jemand bei einem dämlichen Familiendinner fragen würde, könnte ich ihnen antworten, dass ich sehr verliebt in meinen Freund bin und mir eine Zukunft mit ihm erträumte. Ich hätte endlich eine Antwort auf solche Fragen.
Tränen verließen seine Augenwinkel.
Ich befürchtet das Schlimmste.
„Lass mich nicht gehen, bitte nicht.", wisperte ich aus Angst.
Er blinzelte die kommenden Tränen fort, als er mich ansah. „Ich lasse dich nicht gehen. Niemals."
Sein Arm zog mich näher an sich heraus. Wie wir wohl aussehen mussten— zwei Menschen liegend auf einem Bett, weinend auf der Suche nach ihrer Zukunft. „Irgendwann wirst du mein Mann, wenn du mich als Frau haben wollen würdest und dann würde ich dich zu dem Vater meiner Kinder machen und du wärst für immer mein.", sagte ich leise.
„Es wäre mir eine Ehre, dich als meine Frau zu haben."
„Das ist hoffentlich nicht der Heiratsantrag.", versuchte ich zu witzeln.
„Nein", lachte er leise, „da denke ich mir schon etwas ganz Besonderes aus."
Sein Schmunzeln ließ ein warmes Gefühl in meiner Brust ausbreiten. „Bleibst du über Nacht hier?", fragte ich ihn.
„Wenn es von den Regeln hier aus geht, dann gerne.", antwortet er und rieb meinen Arm herzlich. Ich mochte diese bedeutungslos wirkenden Berührungen, die für mich im Gegensatz zu anderen voll mit Liebe waren.
Ich nickte kurz und sagte. „Wenn du willst, kannst du duschen gehen. Ich ziehe mich um und lege mich dann hin. Ich hatte heute eine langen Tag."
Nun nickte er und drückte mir einen sanften Kuss auf die Stirn, wodurch wir beinah wie ein altes Ehepaar wirkten. Ich konnte nicht glauben, dass ich gerade tatsächlich mit Logan über eine mögliche Hochzeit zwischen uns gesprochen hatte. Mit dem Thema Hochzeit hatte ich mich nicht oft beschäftigt. Meine Eltern waren mit das einzige Ehepaar, dass noch glücklich zusammen war. Viele Eltern meiner alten Freunde oder viele Bekannte waren getrennt oder bereits zum dritten Mal verheiratet.
Liebe hielt in Hollywood nicht.
Während er im Bad verschwand, kramte ich meine Schlafsachen aus der Kommode hervor, welche ich gegen meine Alltagsklamotten tauschte. Meine Haare band hoch in einen Dutt, damit sie mich nicht über die Nacht störten und wischte mir mit einem Abschminktuch das bisschen Schminken, was ich für den Unterricht aufgetragen hatte, ab. Erschöpft schlüpfte ich zurück in mein Bett und zog die Decke höher, bis sie meine Schultern bedeckten.
Meine Augenlider fühlten sich bereits schwer an. Ich wollte nur noch schlafen, das Klingeln meines Handy hielt mich davon jedoch ab. Ich hatte gehofft, dass es Mike oder Jo war, da sie mit ihm zu sich nach Hause gefahren war. Es war keiner der Beide, stattdessen war es eine Person, von der ich am wenigstens eine Nachrichten bekommen wollte.
From: Unknown
Sei nicht so blind, Alicia. Logan wird dich für immer anlügen, wenn du nicht langsam hinter sein kleines Geheimnis kommst. - Josh
Meine Finger schwebten über den ‚Löschen' Button. Josh konnte mir nichts tun. Ich brauchte keine Angst vor einem Typen zu haben, der gerade mal ein paar erbärmliche Jahre alt als ich war und sich viel auf seinen Job einbildete. Ich wollte auch nicht in Tränen aufgehen. In den letzten Tag fühlte ich mich nämlich wie eine permanente Heulseue. Ich klickte die Nachricht einfach und legte meine Handy beiseite.
Ich war aufgewühlt.
Und wusste, dass es so nicht weitergehen konnte.
Ich musste ihn darauf ansprechen oder ich würde nie die Wahrhaftigkeit an dieser Nachricht erkennen.
_________________________________________________________
Wundert euch nicht, Ali hat auch noch spät Lesungen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top