Kapitel 21

Nein.

Nein!

Das ist nicht wahr.

Ich rutschte tiefer in meinen Stuhl, als ich mein Handy sperrte und es flach auf dem Tisch liegen ließ. Mein Blick fiel auf Logan, Alex und Jo, die gerade zurückkam. Sie lachten nicht, wie ich es von jedem von ihnen gewohnt war, sie unterhielten sich nur mit jeweils verständnisvollen und aufmunternden Lächeln. Meine Hände zitterten, als ich mein Handy wieder in die Hand nahm. Am liebsten wollte ich laut aufschreien, es so weit wie nur möglich wegschmeißen und somit meine Spur verschwinden lassen. Ich wollte nie wieder erreichbar sein.

Es war nur albern, denn Josh würde immer einen Weg finden, um mich zu finden. Das hatte er bereits als Kind gut geschafft. Wenn ich mich in meinem Baumhaus versteckt hatte, ohne jemand davon zu erzählen und mir hundertprozentig sicher war, fand er mich trotzdem. Vielleicht kannte er mich über all die Jahre einfach zu gut oder er hatte das Talent dafür.

Seine ganze Erpressungsasche war doch total krank, allerdings wusste ich keinen Ausweg daraus. Nicht mal die Polizei zu rufen erschien mir als ein gute Möglichkeit. Josh würde es schaffen, dass alle sich gegen mich drehen und im Endeffekt würde ich diejenige sein, die im Knast landen würde. Vermutlich würde er es bis zum Limit kicken und ich würde als physisch unfähig eingestuft werden. Er ist in Hollywood groß geworden, er kannte all solche gemeinen Spielchen und er konnte sie alle genauso gut spielen.

Ich stand ohne ein Wort vom Tisch auf und verließ die Cafeteria. Ohne ein Ziel ging ich durch die Gänge, bis ich mich selbst wenig später vor dem Eingang, stehend unter dem Vordach, wiederfand. Ich hatte meine Arme verschränkt und rieb leicht, um mich selbst warm zu halten. Die Luftzüge war eisig kalt, was man von Albuquerque nicht erwarten würde.

Was sollte das kranke Spiel von ihm? Hatte er etwa was mit Collins Verletzung zu tun? Ich schwor mir, wenn er tatsächlich etwas dafür konnte, dann würde ich alles riskieren und ihn fertig machen. Ich atmete schneller ein und aus, um mich selbst zu beruhigen. Er konnte mir mein Leben versuchen zu versauen, denn vielleicht würde man irgendeine ebenso verrückte Erklärung dafür finden, aber nicht das Leben von meinen Freunden, die er überhaupt gar nicht kennen sollte. Mein Hände ballten sich zu festen Fäusten, so fest, dass sich meine Fingernägel in meine Handfläche bohrten. Ich spürte den Schmerz nicht, denn meine Wut überwiegt alles in diesem Moment. In mir vermischten sich meine Gefühle.

Schuld. Traurigkeit. Wut.

Und Angst.

Alles prügelte auf einmal auf mein Herz ein. Ich musste doch irgendetwas dagegen tun können. Schließlich konnte ich nicht zulassen, dass er wirklich meinen Freunden wehtat, was er womöglich bereits geschafft hatte. Ich will mich nicht kleinkriegen lassen und ihm das geben, was er will. Er sollte nicht mit einen kranken Spielchen wegkommen!

Ich hörte, wie sich die automatischen Türen öffneten. Die Person kam mit einem Sprint hinaus. „Ali!", rief Logan und kam schließlich auf mich zu. „Was machst du hier draußen?"

Er zog seinen Mantel ohne zu Zögern aus, um mich zittrigen Körper darin einzuhüllen. Besorgt rieb er an meinen Armen, um mich warm zu halten und musterte mich. „Ich musste nachdenken.", sagte ich.

„Worüber?", hakte er mit sanfter Stimme.

Ich blickte zu ihm auf, traf seinen Blick und hielt ihn. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich unbeschreiblich froh, dass er bei mir war. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken zusammen. Er war hier, weil er sich Sorgen um mich machte und weil er ich ihm wichtig war. Ich hatte es mir selbst verboten ihn nochmals anzulügen und das würde nichts bringen, denn seine Hilfe würde mir soviel mehr helfen, als ihn erneut wegzustoßen und zu versuchen es alleine zu regeln. „Josh hat mich vorhin angeschrieben.", gab ich zu. „Er scheint zu wissen, dass wir uns vertragen haben und er hat etwas wegen dem Lacrossespiel von Collin gesagt. Jetzt lässt mich das Gefühl nicht los, dass er etwas mit seiner Verletzung zu tun hat."

Logan runzelte seine Stirn. Sein Finger hakte sich in der Schlaufe seines Mantels ein, wodurch er mich leicht an sich ziehen konnte. Es war keine romantische Geste, es war beschützend, sorgend. „Aber warum sollte er soweit gehen? Ich dachte, er wollte nur uns beide auseinander bringen."

Ich schluckte. Zögerlich legte ich meinen Kopf auf seiner Brust ab. „Ich habe keine Ahnung. Doch, alles was er tut, scheint mir nur weh zu tun zu sollen."

Ich schloss meine Augen. In diesem Moment gab es nichts, was mich beruhigen konnte, außer Logans Herzschlag, dem ich lauschte. Er legte seine Arme beschützend um mich, schloss mich mit in seine eigene Körperwärme. In sichere Arme zu meinem sicheren Hafen. Der Kuss, den er auf meinem Kopf platzierte, bewies mir, dass er hier bei mir war und nicht gehen würde.

„Ich verstehe nur nicht, was du getan haben sollest, dass er dich plötzlich so hasst?"

„Das wüsste ich zu gerne."

– – –

Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Mr und Mrs Terrell zu uns in die Cafeteria kamen und uns nach Haus jagen wollten. Da es jedoch jedem von uns nicht ziemlich gut ging, gab Mrs Terrell ein und lud uns ein bei ihnen zu übernachten, weshalb wir alle gemeinsam mit zu den Terrells fuhren. Mr Terrell hingegen entschied sich im Krankenhaus zu bleiben, um jederzeit für seinen ältesten Sohn da zu sein. Mike erzählte uns, dass seine Mom lieber bleiben, sie aber schon so fertig mit ihren Nerven war.

„Im Gästezimmer können zwei schlafen, sowie in Collins altem Zimmer, wenn es euch nichts ausmacht.", sagte uns Mrs Terrell. Wir nickten nur stumm und zogen unsere Schuhe und Jacken aus. „Ich mache uns erst einmal etwas Warmes zu trinken."

Sie hickste leicht, während sie sprach. Vermutlich unterdrückte sie ein aufkommendes Schluchzen. Ihre blauen Augen waren ohnehin schon schrecklich rot unterlaufen. Mike führte uns in das Wohnzimmer, was mir schon allbekannt war. Die Herzlichkeit des Hauses ließ nicht nach, obwohl es nun mit einem Hauch von Trauer überzog war. Bei dem Anblick des Sofas lief mir ein leichter Schauer über den Rücken. Das letzte Mal saß ich gemeinsam mit Collin auf der Couch. Das war der Tag gewesen, wo er einfach geschwänzt und ich mir unendlich Sorgen um ihn gemacht hatte. Es war der Tag gewesen, wo ich erneut auf Logan traf und sich alles wieder komplett veränderte.

Wir verteilten uns auf den Sesseln und Sofas. Alex reichte uns ein paar Decken, unter welchen wir uns einkuschelten. Ich jedoch ging in Richtung Küche, denn mich bedrückte das Gefühl Mrs Terrell so alleine zu lassen. Erneut konnte ich mir nicht vorstellen, wie sie sich fühlen musste. Ich hielt mich am Türrahmen selbst auf, auch nur noch einen weiteren Schritt in die Küche zu wagen. Ich sah nicht eine Mutter beim Kakao kochen, sondern eine verzweifelte Frau, deren Weltwaage gerade das Gleichgewicht verloren hatte. Sie stützt sich an der Spüle ab. Ihr Schluchzen brach mir das Herz. Sie tat mir leid und gleichzeitig schämte mich, einfach hier zu stehen und sie zu beobachten. Dieser Moment der Trauer gehört ihr allein.

„Mrs Terrell?", murmelte ich leise, da ich sie auf keinen Fall erschrecken wollte.

Sie drehte sich zu mir um. Ihre Hände gingen in die Höhe, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, sobald sie mich erkannte. „Oh, tut mir leid, Alicia. Ich wollte nicht, dass ihr mich so sehen müsst.", entschuldigte sie sich hastig und kramte genügend Tassen heraus. Mit schnellen Schritten kam ich ihr zur Hilfe, da es beinah so aussah, als würde sie gleich die Tasse allesamt fallen lassen.

„Schon okay, Mrs Terrell. Wir haben alle Verständnis dafür.", sagte ich und half ihr weiter.

Ein herzliches, sanfter Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Es ist nur solch ein Schock für mich. Normalerweise ist Collin klüger als das und er hat mir sonst alles erzählt."

„Er ist klug, das ist keine Frage, Mrs Terrell. Nur vielleicht hat er seinen Schmerzen unterschätzt und es für kein großes Ding empfunden, um Ihnen unnötige Sorgen zu bereiten. Oft sieht man die Folgen erst im Nachhinein.", erwiderte ich.

Sie schmunzelte trüb. „Collin hatte Recht, als er sagte, dass du ein sehr verständnisvolles Mädchen bist."

„Hat er das Ihnen gesagt?"

„Er hat mir eine Menge über dich erzählt."

Meine Hand verkrampfte sich an der Küchenplatte, als mich das Gefühl von eigener Enttäuschung überkam. Collin hatte seiner Mom von mir erzählt und in diesem Moment konnte ich nur daran denken, dass die Hälfte vermutlich nicht wahr war, denn ich war nicht die verständnisvolle und gute Person, für die er mich hielt. Ich war egoistisch, durcheinander und eine komplette Katastrophe, dass einen nur mit in den Abgrund riss.

Als ich nichts mehr antwortet, brachten wir zusammen die Tassen ins Wohnzimmer, welche jeder dankbar annahm. Ich setzte mich zurück zwischen Logan und Jo und wärmte mich an meiner Tasse Kakao. Alex und Logan erzählten uns ein wenig vom Dreh, um uns alle abzulenken, worauf Mike von seinen Chancen auf ein Stipendium erzählte.

Ich hörte allen nur halb zu, denn ich konzentrierte mich mehr auf den Herzschlag von Logan. Ich hatte mich an seine Brust gelegt, während Jo sich in meinen Schoß gelegt hatte. Meine Hände strichen über ihre blondes, welliges Haar. Sie tat mir so leid.

– – –

Ich hatte die Zeit vergessen, als ich aufwachte. Es war noch stockduster draußen und das Wohnzimmer wurde nur durch eine gedimmte Standlampe beleuchtet. Wir waren alle im Wohnzimmer eingeschlafen und für diesen Augenblick wirkte die Welt um uns herum friedlich, oder zumindest ihr Schlaf.

Ich blickte hinab auf meine Freundin, bevor ich mich selbst langsam von der Brust meines Liebhabers weg lehnte und Jo sanft und mit aller Vorsicht von meinem Schoß schob. Ich wollte niemanden wecken, ebenso wenig wie ich wollte, dass jemand bemerkte, wie ich verschwand.

Unter dem kleinen Stapel von Jacken zog ich meine hinaus, zog sie mir über, schlüpfte in meine Schuhe und schritt leise zur Tür hinüber. Meine Hand berührte den Türgriff fast, als ich eine Stimme direkt hinter mir hörte: „Also das mit dem Rausschleichen musst du nochmal üben."

„Man Mike, du hast mich total erschreckt.", fuhr ich ihn leise an.

„Was du nicht sagst.", meinte er und zog sich ebenfalls seine Schuhe an.

Verwirrt beobachtet ich, bevor ich im Flüsterton zischte: „Was machst du denn da?"

„Du willst offensichtlich weg von hier und ich erspare dir gerade den eiskalten Weg durch die Nacht."

Er schritt voraus und öffnete die Tür für uns beide, damit wir in die dunkele Nacht verschwinden konnte. „Wo willst du hin?", fragte er mich, als wir zu seinem Auto gingen.

„Ich wollte ins Krankenhaus zu Collin.", antwortet ich, als ich mich neben ihm auf den Beifahrersitz fallen ließ.

„Dir ist bewusst, dass die Besucherzeiten schon längst um sind."

„Ich weiß", murmelte ich, „ich wollte mich irgendwie reinschmuggeln."

Mike schüttelte seinen Kopf. „Mein Dad sitzt in Collins Zimmer und würde dich bemerken, wenn du unerkannt darein willst."

„Kannst du ihn nicht irgendwie raus locken?", seufzte ich. Es war viel von ihm gefragt, aber ich musste Collin sehen. Mir diese Schuld von meinem Herzen reden und einfach sehen, dass es ihm gut ging. Ich hatte kaum ein Auge zugedrückt, denn Joshs Nachricht jagte mir noch immer mehr Angst ein, als ich gerne zugab. Mir lag viel an meiner Freundschaft zu Collin, denn ganz egal, wie kompliziert unsere Freundschaft war, er hat mir geholfen, wenn ich es nicht wollte, aber so dringend gebraucht hatte. Nun ging es ihm schlecht und fühlte mich nur schuldig, sondern auch so als würde ich ihm nicht helfen.

Ich tauschte einen Blick mit ihm aus, bevor er ein halb überzeugendes ‚Okay' antwortet.

Als wir beim Krankenhaus ankam, parkten wir schnell und lief in das Gebäude hinein. Mike hatte beschlossen vorauszugehen und vor seinem Dad ein wenig mehr auf die Tränendrüse zu drücken und ihm zu sagen, dass ihm das Ganze zu sehr mitnehmen würde. Ich wollte nicht, dass er seinen Dad anlog, aber in diesem Moment verfolgte ich egoistisch meinem Wille.

Er versuchte mit seinem Dad für kurze Zeit das Zimmer zu verlassen und mir damit ein wenig Zeit zu verschaffen. Ich hockte in einer Ecke und fühlte mich beinah wie ein Verbrecher, wartend auf eine Nachricht von Mike. In meinem Kopf wollte ich Sätze parat machen, aber dann schmiss ich alles wieder um.

From: Mike

Sind in der Cafeteria. Melde mich, wenn wir zurückgehen.

Hastig stand ich auf und bewegte mich auf Collins Zimmer zu. Vorsichtig drückte ich Klinge der Tür runter und betrachtet das kalt aussehende Krankenzimmer. Neben Collins Bett stand ein Stuhl, der bereits die ganze Nacht über von Mr Terrell besaßen würde. Ich schluckte hart, als ich bemerkte, in welchem Zustand Collin sich befand. Bis vor wenigen Stunden zuhause bei den Terrells hatte ich nicht gewusst, dass Collin im Koma lag. Der Blutverlust und die darauffolgenden OP hatte ihn ausgeknockt.

„Hey Collin", sagte ich leise, als ich mich auf den Stuhl niedersetzte. Ich musterte ihn. Er sah aus wie an dem gestrigen Morgen, als ich neben ihm aufgewacht war. Sein braunes Haar war durcheinander und er trug einen dieser superalbernen Krankenhauskittel, womit er ziemlich lustig aussah und ich ein kurzes, leises Lachen ausstieß. Das Erste seit Langem. „Tut mir leid, es ist nur— du siehst ziemlich lustig aus. Es ist ziemlich früh, aber ich hoffe, das stört dich nicht."

Ich schüttelte meinen Kopf und ärgerte mich über meine eigene Dummheit. „Ich wollte mir dir reden. Weißt du, für jeden fühlt es sich so an, als würdest du bald nicht mehr hier sein, aber du must es und du wirst es auch. Der Arzt meinte, deine Wunde würde bald nochmal gecheckt werden und dann wird es dir wieder besser gehen. Du wirst vermutlich eine richtig krasse Narbe haben, aber hey, das Gute an der Sache ist, ich habe gehört, Mädchen stehen total auf solche Narben und du kannst die ganzen Lesungen schwänzen."

Mein Versuch lustig zu sein und mich damit selbst etwas aufzuheitern scheiterte in jeglichen Weisen.

„Eigentlich bin ich gekommen, weil ich dachte, dass du eine gute Freundin im Moment gebrauchen kannst. Ich weiß nicht, ob ich für dich eine bin, nach allem, was nun zwischen uns passiert ist, aber ich habe dich ziemlich oft gebraucht und du warst von Tag eins hier für mich da. Irgendwie versuche ich dasselbe gerade auch für dich zu sein... ich habe mit deiner Mom geredet. Sie meinte, du hast ihr von mir erzählt...", der Gedanke daran zog auf eimal meine Mundwinkel leicht in die Höhe, „das ist schön, auch wenn ich glaube, dass du mich zu hoch bei ihr gesprochen hast. Ich glaube, ich sollte meiner Mom auch erzählt, dass der Dieb von meiner Ankunft eigentlich ein charmanter Gentleman ist. Sie wird mich auslachen und mir vermutlich sagen, dass ich an diesen Erinnerungen festhalten sollte. Schließlich ist das erst der Anfang, wir haben noch ganze drei Jahre zusammen vor uns und wir packen das zusammen. Jo, du und ich."

Ich blieb still für wenige Moment und beobachtet ihn einfach. Aus Reflex griff ich sanft nach seiner Hand und beugte mich vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern: „Unsere Freundschaft ist einer der besten Dinge, die mir in meinem Leben passiert sind und egal, was kommen mag, ich werde jederzeit an deiner Seite stehen. Egal, ob in guten oder schlechten Tagen, ich werde für dich da sein, danke Collin."

Damit empfand ich meine Rede als zu Ende und mein Herz gleichzeitig entlastet. Er musste nichts über Josh wissen, das war alles, was er wissen musste. Noch bevor ich das Vibrieren meines Handys spürte, war ich schon auf dem Weg zu Mikes Wagen.


 

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Alis und Collins Freundschaft bringt mich noch zum Weinen. 

Hoffentlich gefällt euch das Kapitel & nochmals möchte ich mich sehr für 5,000 Reads bedanken. Ihr seid die Besten! ♥

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