Kapitel 19

Meine Worte schien ihn zu überraschen. Urplötzlich zog er mich noch näher an sich heran. „Du wirst mich nicht verlieren", versprach er mir leise, was mein Herz beruhigte und strich mir über mein Haar. Diese Nähe zwischen ihm und mir jagte mir Angst ein. Mit einer freien Hand wischte ich mir die Tränen aus meinen Augen.

„Ich war gerade dabei mich mit Logan zu versöhnen und dann mache ich ausgerechnet sowas.", schluchzte ich hervor.

Collin blieb still für wenige Sekunden, bevor er mich enttäuscht fragte: „Denkst du, es war ein Fehler?"

War es einer?

Ich wusste es nicht. Mein Kopf sagte ‚Ja', aber mein Herz sagte ‚Nein'. Es fühlte sich nicht an wie ein Fehler. Da war keine Reue, die ich verspürte. Keine Wut auf ihn, sondern nur auf mich selbst und meinen verwirrten Kopf. „Nein", antwortet ich und gab mein Bestens mich zu beruhigen, indem ich tief durchatmete. „Das ist mein Problem. Ich bereue es nicht, aber ich sollte mich so fühlen, verstehst du? Es tut mir leid, Collin, aber ich sollte dir das nicht antun, wenn mein Herz noch klar nach jemand anders sich sehnt."

Es war ehrlich und überrascht mich selbst, denn ich wusste, wie verletzend und harsch diese Wort klangen, egal, wie sehr ich schön sprechen wollte. Ich wollte ihm nichts vorlügen. Keine Lügen, keine Spiele mehr. Nie wieder.

„Erzähl es ihm nicht", sagte er nach einer Weile.

„Was?"

„Erzähl es Logan einfach nicht und vergiss es."

Im Gegensatz zu mir sprach er seine Worte nicht schön. Er ließ sie so harsch klingen wie ihre tatsächliche Bedeutung. Er kämpfte gegen den Willen seines Herzen, das spürte ich und sah es ihm auch an. In Wahrheit wollte er nicht, dass ich es vergas, ebenso wenig wie ich es selbst wollte. „Collin", sagte ich, „ich will nicht vergessen, was je zwischen uns ist, aber ich muss das tun, was mir mein Herz sagt und ich muss mein Weg zu Logan wieder finden."

Ich machte es nicht erträglich für ihn. Für mich selbst auch nicht.

„Ich will das nicht vergessen. Ich will uns, was auch immer wir sind, nicht einfach so vergessen.", es fiel mir schwer diese Sätze aus meinem Mund zu bekommen.

Seine Hände strichen zärtlich durch mein Haar. „Dann geht es dir nicht anders wie mir."

„Es tut mir leid."

„Das muss es nicht", seine Stimme war plötzlich so leise und sanft, dass ich überall eine Gänsehaut bekam.

– – –

Es dauerte eine Weile, bis Collin und ich es geschafft hatten von der Couch aufzustehen. Wir schnappten uns unsere Oberteil und zog sie hastig über. Die Stimmung zwischen uns war komisch und angespannt. Peinlich bewegt blickte ich durch das Durcheinander in seinem Zimmer. „Ich geh mir schnell was Frisches anziehen und dann komme ich sofort zurück und helfe dir mit dieser Katastrophe.", sagte ich hastig und griff nach meiner Tasche und meinen Schuhen.

„Ist schon okay", sagte er, „ich schaff' das auch alleine."

„Nein, Collin", erwiderte ich mit der Tür in meiner Hand, „lass mich dir helfen, bitte."

Er gab ein und nickte. Schnell schloss ich die Tür hinter mir und rannte auf die andere Seite des Flurs zu Jo und meinem Zimmer. Als ich die Tür vorsichtig öffnete, erkannte ich sie noch schlafend in ihrem Bett. Hoffentlich hatte sie sich gestern Nacht nicht die Augen wund geheult, oder gar versucht mich oder Collin zu erreichen. Meine Tasche warf ich leise auf mein Bett und holt mir frische Klamotten aus dem Schrank. Innerhalb von wenigen Minuten schälte ich mich aus meinen Sachen vom Vortag und schlüpfte in neue. Mein Handy sowie mein Schlüssel steckte ich in meine Hosentasche.

Bei Collin zurück im Zimmer hatte er schon die unzähligen Bierflaschen beseitig. Ich sammelte die zwei leeren Chips Tüten auf und wischte die Krümmel in meine Hand auf, damit ich sie im Mülleimer verschwinden lassen konnte. Wir hatten das Zimmer schnell sauber gemacht und stand nun stumm voreinander. Elektrische Spannung entstand zwischen uns und jede Berührung könnte tödlich für uns sein, aber keiner von uns schritt ein Schritt zurück. Jeder von uns starrte einfach wortlos auf den Boden.

„Magst du mich noch?", fragte ich.

Collin runzelte seine Stirn. „Wieso sollte ich das nicht tun?"

„Es tut mir einfach leid. Es ist meine Schuld, ich hätte lieber in meinem Zimmer bleiben sollen, auch wenn Jo mich gekillt hätte."

„Ali", seufzte er und schritt vor, „es waren nur Küsse. Die werden dir vergeben, da bin ich mir sicher. Hör auf dir ganz alleine die Schuld zu geben. Ich bin genauso dran schuldig. Aber Menschen tun nunmal eben Dinge, die man besser nicht getan hätte."

Dieses Mal war ich diejenige, die nicht antwortet. Wir standen eine ganze Weile so und sah uns nur stumm an, bis ich beschloss nach draußen zu gehen und ein wenig frische Luft zu schnappen. Ich konnte sein Zimmer nur mit einem schlechten Gewissen verlassen. Das war nicht die Intention, die ich gehabt hatte, als ich ihn am allerersten Tag hier getroffen hatte.

Meine Füße trugen mich die Treppe hinunter, wo ich sofort nach draußen ging. Draußen war es nicht mehr so warm, wie es gestern noch war. Der Herbst würde bald kommen und das Wetter macht dies offensichtlich. Als ich mein Handy vibrieren spürte, zog ich es aus meiner Hosentasche und checkte es.

From: Logan

Hast du schon gefrühstückt? Ich könnte dich an deinem Verbindungshaus abholen.

Ich zögerte, aber wusste die Antwort bereits.

To: Logan

Gerne

Mehr schrieb ich ihm nicht, stattdessen hüpfte ich von der Mauer, auf die ich mich gesetzt hatte und ging zurück ins Haus, um mich etwas frisch zu machen. Logan schickte mir eine Antwort, dass er in zehn Minuten bei mir sein würde. Ich dachte über Collins Wort nach, während ich versuchte meine Haare zu bändigen. Logan war hier, da Alex mir helfen wollte, dass ich alles mit ihm klärte. Ich wollte nichts lieber als das, aber es war nicht leicht, vor allem nicht nachdem, was ich gestern getan hatte.

Pünktlich nach zehn Minuten war Logan nicht nur da, sondern ich auch unten. Er lächelte mich ein an, was mir hingegen schwer fiel. Mich quälte die Wahl noch, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte oder nicht. Ich wollte ihn nicht länger anlügen oder je wieder anlügen, das wäre eine schlechte Entscheidung, um einen Neustart von ihm zu verlangen.

Ich setzte mich neben ihm ins Taxi, wobei ich meine Umhängetasche auf meinem Schloss feste umgriff. „Freut mich, dass wir nochmal reden können", sagte er höflich.

„Ja, ich mich auch", erwiderte ich etwas leiser.

Die restliche Taxifahrt blieben wir still. Ich hasste Stille. Man sagte nichts, man verhielt sich praktisch wie Fremde. Hingegen war Stille manchmal auch das Einzige, was angebracht war.

Logan bezahlt den Taxifahrer zügig und ließ sich gar nicht erst auf eine weitere Diskussion mit mir ein, was ich auch nicht riskierte, bevor wir ausstiegen und auf ein nettes Café zusteuerten, dass ich noch nicht kannte. Allgemein kannte ich noch nicht viel von der Stadt, hatte mir es aber für die nächsten Wochen festvorgenommen.

„Hier gibt es unglaubliches Frühstück, laut meiner Mom", sagte er und öffnete mir die Tür, damit ich als Erste eintreten konnte. Das Erste, was sich bekanntlich machte, war die warme, dennoch angenehme Luft hier drin. Wir suchten uns einen netten, kleinen Ecktisch und durchblätterten eine Karte, die uns eine Bedienung wenig später gebracht hatte.

„Hast du heute keine Lesungen?", fragte Logan und schaute über seine Karte zu mir hinüber.

Meine Mundwinkel schoss leicht in die Höhe. „Samstags hat man für gewöhnlich keine Lesungen", sagte ich mit einem Zwinkern.

„Oh ja, stimmt", gab er lachend wieder.

Ich lächelte ihn ehrlich an wegen seinem schussligen Fehler. Die Bedienung kam zurück und nahm unsere Bestellung auf.

„Ich finde, wir sollten nochmal über alles reden — über uns und... wie es weitergehen soll", sagte er kühl.

Ich schluckte. „Wie meinst du das genau?"

„Es ist doch offensichtlich, dass Alex mich nur hierhergebracht hat, damit wir miteinander über alles reden können", fing er an. „Du weißt, wie sehr ich geliebt habe. Gefühle verschwinden nicht so schnell, Ali, oder doch?"

Ein Zittern durchzuckte meine Hände. Logan schien bereit zu sein mir eine zweite Chance zu geben. Eine, die ich mir seit Wochen erträumt hatte, aber die ich jetzt nicht mehr verdiente. Am Morgen hatte ich keine Reue und keinen wirklich Scham verspürt, aber jetzt tat ich das. Jetzt, wo ich ehrlich mit der Person sein musste, die ich vermutlich niemals aufhören würde zu lieben. Er verdiente Ehrlichkeit nach allem, was ich ihm angetan hatte.

„Ich weiß und du kannst mir glauben, nachdem ich gegangen bin, hingen meine Gedanken nur an dir. Ich habe mich selbst gequält, weil ich das zurück haben wollte", sagte ich, „Ich war so glücklich mit dir und dann habe ich alles kaputt und ich kann einfach nicht aufhören, alles zu versauen, was wir versuchen aufzubauen."

Konnte ich nicht jemals aufhören zu heulen? Wie konnte ein Mensch bitte so viel weinen? Tag ein, Tag aus. Ich fühlte mich schwach, weshalb ich sie hastig versuchte weg zublinzeln.

„Was meinst du damit?", fragte er.

Jetzt oder nie.

Tue ich es jetzt, dann konnte ich seine Reaktion nicht errechnen.

Tue ich es später, würde ich es mir niemals verzeihen können und er auch nicht.

Ich musste es tun.

„Ich habe etwas getan, was ich vielleicht besser nicht hätte tun sollen."

„Ali, was ist passiert?"

Spuck es aus.

Ich konnte nicht wegrennen — das wäre feige.

Ich konnte nichts anders außer die Wahrheit sagen.

„Gestern Nacht hatte meine Mitbewohnerin eine kleine Krise, weshalb ich sie allein gelassen habe. Ich wollte bei Collin auf der Couch übernachten und er hat mich dazu eingeladen ein Bier mit ihm zu trinken. Nach allem, was gestern geschehen ist, hatte ich das Gefühl ich könnte es gut gebrauchen. Es blieb jedoch nicht bei einem Bier. Wir betrunken uns und" meine Stimme stockte. Unbewusst sah ich auf meine Finger, „wir haben uns geküsst."

Ich traute mich nicht hochzublicken. Ihm in die Augen zu sehen. „Nur geküsst?", hakte er nach.

Ich nickte.

„Und?"

„Was und?"

„War es etwas Besonderes? Hat dir der Kuss etwas bedeutet?", seine Stimme klang urteilend. Wütend. Zerbrochen. Hart. Alles zugleich.

Ich zögerte, was ihn sichtlich auf die Folter spannte. Er verdiente nichts als die Wahrheit, also bekam er nur die Wahrheit, wie sie war. „Ja, in gewisser Zeit war er besonders. Ich bereue ihn nicht, aber das tut nichts zur Sache. Im Vergleich zu dir war es anders. Deine Küsse machen mir Angst vor der Liebe und ihrer Macht. Du konsumierst alles von mir und ich verfalle dir so leicht. Das mit Collin war nicht so.", meine Stimme hingegen klang verängstigt. Gedemütigt. Zerbrochen.

Die Kellnerin brachte uns unser Essen und sah mich mit einem fragenden Blick an. Vermutlich dachte sie, dass Logan gerade dabei war mit mir Schluss zu machen oder sie hatte einfach unser Gespräch gehört und Mitleid mit einem von uns beiden. Ich bedankte mich schnell bei ihr für das Bringen, jedoch starrte ich mein Essen nur an. „Es tut mir leid."

Logan berührte sein Essen ebenso wenig wie ich und blickte stattdessen aus dem Fenster heraus. „Ich frage mich wirklich, warum ich hier bin. Damit mir noch einmal mein Herz brechen kannst, oder was?"

Sein Blick traf strafend meinen.

„Du bist hier, weil ich mich für alles entschuldigen will. Dafür, was für ein schrecklicher Mensch ich bin. Dafür, dass ich mit dir aufgrund einer dummen Erpressung Schluss gemacht habe. Dafür, dass ich dir so weh getan habe. Für alles Schlechte, was du wegen mir durchmachen musstest und trotzdem bitte ich dich, nicht nur uns, sondern vor allem mir eine weitere Chance zu geben."

Es fühlte sich an, als würde Logan mich für eine Ewigkeit anstarren.

„Ich liebe dich immer noch, und ich denke nicht, dass ich jemals damit aufhören werde", sagte ich langsam und ließ es einfach kullern, da die Anstrengung meine Tränen zurück zuhalten einfach zu groß wurde.

Plötzlich rief Logan die Kellnerin und bezahlt für unser Essen, obwohl wir es nicht einmal angerührt hatten. Eigentlich wollte ich meins selber bezahlen, aber alles passierte viel zu schnell. Er stand auf und griff nach meiner Hand. Hastig schnappte ich meine Tasche und ließ mich von ihm rausziehen. Ein Gefühl von gewohnter Wärme schoss durch meinen gesamten Körper. Wir liefen hinaus aus dem Café, etwas weiter weg, bis er stehen blieb und mich mit einem Schwung an sich zog.

Gestern Nacht war ich Collin genauso nahe, doch bei Logan war es immer noch anders. Mein Herz fing an wilder und schneller zu klopfen. Er raubte mir die Luft zum Atmen. Wir taten uns das gegenseitig an. „Ich werde niemals dazu fähig sein dich aufhören zu lieben, Ali", sagte er atemlos. Sein fixierte Blick fiel auf meine Lippen, als er nach vorne schritt. Mein Herz schlag mir bis in den Hals, als seine Hand sanft an meine Wange legte. Aus Reflex umgriff ich sein Handgelenk und legte meine Gesicht in seine Hand.

„Ich würde dich jetzt so gerne küssen", murmelte er hitzig gegen meine Lippen.

Ich gefror bei seinen Worten und es fühlte sich an, als würde als in mir stoppen. Bis auf mein Herz, welchen gegen meine Rippen schlug.

„Dann tue es", war sein Stichwort von mir, worauf er sich langsam vorbeugte. Er zögerte für ein paar Momente, ich spürte seinen warmen Atem auf meinen Lippen. Dann ganz sanft drückte er seine Lippen auf meine. Sanft und vorsichtig, bis ich ihn zurück küsste. Ich spürte keine Schmetterlinge in meinem Bauch, sondern Vollständigkeit. Ich war wieder vollständig, denn ich vermutet, dass alles, was ich jemals wollte, wieder hatte. 

Seit dem ersten Tag, als ich ihn gesehen hatte, war ich mir sicher gewesen, dass ich seins war.



______________________________________________________

Logan und Ali haben sich wieder vertragen & geküsst. Die Zwei sind, glaub ich, erst mal glücklich, während ich gerade mit meinen Emotionen verrückt spiele. #Heulalarm 

Die Story ist noch nicht zu Ende, falls ihr das denkt, denn es fehlt noch eine Person... wer errät sie? 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top