Kapitel 13

„Ali Spatz", holte mich die Stimme meiner Mom aus meinen Gedanken, „wir sind da."

Mein Blick wanderte nach draußen. Ein Haufen von neuen Studenten trudelten ebenfalls ein, alle wirkten fröhlich mit ihren vollgepackten Koffers und Kartons auf dem Weg zu ihrem neuen Zuhause. Meine Mom und ich hatten vor meinem Verbindungshaus geparkt. Es war groß und in weiß gestrichen. Man konnte sehen, dass das College genügend Geld besaß, um seinen Schülern solch eine Bleibe zu bieten.

Ich öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Das Wetter machte sich sofort bekanntlich. Es war heiß in New Mexiko, verdammt heiß. Ich wedelte mir mit einer Hand Luft zu und machte mich auf dem Weg zum Kofferraum. Ich wollte das alles einfach hinter mich bringen.

Ingesamt hatte ich nicht sehr viele Dinge von Zuhause mitgenommen, seit es in jedem Zimmer bereits die passende Einrichtung gab und ich noch vieles vor Ort kaufen konnte. Ich öffnete den Kofferraum und hob meinen überfüllten Koffer hinaus. Zum Glück hatte dieser vier Rollen, dachte ich mir, als ich das Gewicht bemerkte. Meine Mom nahm einen Rucksack auf ihren Rücken und einen Karton, als jemand auf uns zu gejoggt kam.

„Hey, kann ich irgendwie behilflich sein?", fragte ein Junge, circa in meinem Alter.

„Oh ja, das wäre zu freundlich.", sagte meine Mom und überreichte ihm einfach einen meiner Kartons. Ungläubig sah ich zwischen den Beiden hin und her.

„Mom!", zischte ich leise, „Der Typ könnte auch ein Dieb sein."

Offensichtlich war ich nicht leise genug, denn der Dieb hatte es mitbekommen und lachte. „Nein, ich bin kein Dieb. Ich heiße Collin und wohne hier in der Verbindung, du anscheinend auch."

„Ja", presste ich peinlich berührt hervor. „Teilen sich Jungen und Mädchen ein und dasselbe Haus?"

„Eigentlich nicht, aber es gab ein großen Wasserrohrbruch in meinem alten Verbindungshaus, weshalb wir erstmal bei den Mädchen untergebracht sind."

Ich nickte und holte den Umschlag aus meiner Tasche. „Kannst du mir zeigen, wo Zimmer 45 ist?", fragte ich Collin, der mir ein freundliches ‚Klar' antwortet und voraus ging.

„Wie heißt du eigentlich?", wollte er wissen.

„Alicia."

Im Verbindungshaus hörte man von überall lautes Gerölle und lautes Gerede. Überall herrschte ein wenig Chaos und trotzdem war alles so geordnet. Collin führte uns nach oben, wo die meisten Zimmer untergebracht waren. Die Flure waren endlos lang. Es dauerte beinah eine halbe Ewigkeit, bis wir an meinem neuen Zimmer ankamen. „Okay, hier ist dein Zimmer.", sagte er und öffnete die Tür.

Ein Mädchen mit blondem, schulterlangen Haar stand an einem Bett nahe der Tür und sah uns überrascht an. Schnell drängelte ich mich an Collin vorbei und streckte ihr die Hand aus. „Hi, ich bin Alicia Harries, deine neue Mitbewohnerin.", stellte ich mich vor.

„Joanna O'Dean, aber nenn' mich einfach Jo.", sagte sie freundlich und schüttelte meine ausgestreckte Hand. Sie erklärte direkt, dass sie direkt das Bett nahe der Tür haben wollte, wenn mir das nichts ausmachte. Ich schüttelte den Kopf und nahm Collin den Karton ab, welchen ich auf die praktische Bank vor meinem Bett stellte.

„Wir sehen uns bestimmt noch", sagte er mit einem Lächeln und verschwand, nachdem Mom und ich uns bei ihm bedankt hatten. Meine Mom hingegen sah aus, als würde sie gleich in Tränen aufgehen.

„Ich glaube, du brauchst mich hier nicht mehr. Ruf mich an, falls irgendetwas ist und erzähl mir vom Unterricht und alles.", sagte sie und zog mich in eine feste Umarmung, direkt vor meiner Mitbewohnerin. Ich liebte meine Mom wirklich über alles, aber sie konnte echt peinlich werden. Jedoch brachte ich es nicht über mein Herz, sie vor den Kopf zu stoßen. Das hatte ich mit zu vielen schon getan.

„Werde ich machen, Mom", sagte ich und drückte sie ein letztes Mal für einige Zeit feste an mich. Sie schenkte mir ein tapferes Lächeln, verabschiedete sich von Jo und verließ unser Zimmer. Seufzend setzte ich mich auf mein Bett nieder und kramte in einem der Kartons nach Kleinigkeit über meinen Nachttisch. Ich stellte ein Bild von Dad, Mom und mir direkt drauf. Gerade wollte ich das nächste Bild hervor holen, als ich bemerkte, dass es nur ein leerer Rahmen war. Verwirrt drehte ich den Rahmen um und fand einen Zettel auf der Rückseite kleben:

Vielleicht passt hier ein Bild von dir und deinen neuen Freunden Alex, Brandon und Logan rein. - Mom x

Ich biss mir auf meine Lippe, denn ich spürte, wie meine Tränendrüsen loslegen wollten. Hastig legte ich den Rahmen zurück und öffnete stattdessen meinen Koffer. „Alles okay, Alicia?", fragte Jo mich und beugte sich, um mir in mein Gesicht sehen zu können. Dabei beachtet sie trotzdem mir genügend Platz zu geben.

„Ja, es ist nur komisch nicht mehr Zuhause zu sein.", die allererste Halblüge, die ich einer unschuldigen Seele, wie die meiner Mitbewohnerin, erzählt hatte. Mein schlechtes Gewissen setzte sofort ein und ich bereute es gesagt zu haben. Auf der anderen Seite hatte ich mir dadurch eine lange Konversation, die vermutlich mit vielen Tränen verbunden war, erspart, denn über Alex, Brandon und Logan konnte ich noch nicht reden.

Vor allem nicht über Logan.

Ich hatte ihn in den letzten Tagen versucht aus meinem Kopf zu drängen, aber ich hatte mich selbst dabei erwischte, wie ich seinen Kontakt auf meinem Handy geöffnete hatte und so gerne seine Stimme hören wollte. Ich entschuldigte mich kurz bei Jo und verschwand nach draußen auf den Flur, um meinen Dad anzurufen. Das war das Nähteste, was ich Logan kommen konnte.

„Alicia!", grüßte er mich viel zu fröhlich, dafür, dass ich ihn einfach so sitzengelassen hatte, „Bist du gut am College angekommen?"

Mein Dad war zwar ein Regisseur, aber er konnte genauso gut schauspielern, weshalb ich nicht einordnen konnte, ob er stolz auf mich oder enttäuscht von mir war. „Ja, Mom ist gerade gefahren. Alles super hier. Habe eine tolle Mitbewohnerin, sie wirkt sehr nett."

„Das freut mich zu hören, Schatz."

Ich schritt von einem Ende des Flurs zum Anderen. „Und wie läuft die Arbeit so?"

Wie ging es Logan?

Er zögerte mit seiner Antwort. „Es geht voran. Wir sind auf dem besten Weg, aber dass deine Künste fehlen, macht sich leider bemerkbar. Logan und Jake vermasseln ihre Texte ohne deine Hilfe viel zu oft, es ist frustrierend."

Mit oder ohne meine Hilfe würde Logan seinen Text wohl verhauen. An der Lage war nicht sein Talent Schuld, sondern sein Privatleben, dass ich vollkommen auf den Kopf gestellt hatte. „Ihr müsst umsichtig mit den Beiden sein", versuchte ich zu helfen, „einer musst den Gegenpart spielen, am besten in verschiedenen Stimme. Es hilft... es hat geholfen."

„Danke Schatz, ich leite es mal so weiter. Hör mal, ich muss jetzt wieder auflegen. Die Dreharbeiten fangen gleich an."

„Klar, tschüss Dad."

Und schon hatte er aufgelegt. Ich ging geradewegs zurück zu meinem Zimmer. Jo schien gegangen zu sein, denn ich war alleine im Zimmer. Mein Blick fiel auf meinen noch nicht aufgeräumten Koffer und die vollgepackten Kartons. Wenigstens etwas, womit ich mich ablenken konnte.

– – –

Schon wieder klopfte es an der Tür zu Jo's und mein Zimmer. Wieso konnte das denn nicht mal aufhören? Ich wollte nicht, dass irgendjemand in dieses Zimmer kam. Jo hatte ihren Schlüssel und sonst hätte sie was gesagt. Erneut klopfte es und raubt mir somit meinen letzten Nerv.

Wütend sprang ich aus meinem Bett und stürmte auf die Tür zu, welche ich mit einem gewaltigen Ruck öffnete. „Sachte, sachte, du Biest.", lachte Collin mit erhobenen Händen. Was wollte er denn hier?

„Wieso klopfst du dann im Sekunden Takt an meine Tür?", meckerte ich ihn zickig an.

Eigentlich hätte ich mit einer ebenso zickigen Antwort gerechnet, aber Collin blieb vollkommen gelassen. „Auf dem Kampus wird gleich ein großes Lagerfeuer gemacht. Das ist Tradition. ich wollte dich abholen und mitnehmen."

Collin und ich standen zwischen Tür und Angeln, was mir nichts ausmachte und ihm anscheinend auch nicht. „Wieso das?", fragte ich, „Du kennst mich doch überhaupt gar nicht."

„Hier kennt sich so ziemlich kaum jemand, weshalb ich dachte, ich nehme das nette Mädchen von vorhin mit, dass mich als einen Dieb bezeichnet hat und jetzt am liebsten töten möchte.", sagte er und verblüffte mich erneut mit seiner Gelassenheit.

Für einen Moment zögerte ich. Im Auto hatte Mom mich noch dazu gedrängt, dass ich mich unter die Leute mische, weil ich ansonsten angeblich einsam auf dem College enden würde. „Wenn du nie wieder so an meinem Tür klopfst, dann warte kurz. Ich muss mir noch schnell eine Jacke schnappen."

„Deal.", sagte er.

Ich huschte durch das Zimmer und holte meine Jeansjacke, welche ich zügig überstreifte. „Okay, wir können.", sagte ich und gab Collin einen leichten Schubs aus dem Zimmer. Schon, als wir die Haustür des Verbindungshaus geschlossen hatten, konnten wir den Strom von Studenten in eine Richtung erkennen. Collin und ich tauschten schnell Blicke aus, bevor wir uns den Anderen anschlossen.

In der Menge mussten wir im Entenmarsch gehen, was mir aber nichts ausmachte, weil so konnte ich die Anderen alle beobachten. Viele hatten sich schon in großen Grüppchen zusammen gefunden und lauten gemeinsam lauthals miteinander. Andere liefen alleine oder nur mit einer anderen Person, wie ich mit Collin. Doch das Schlimmste lief direkt vor mir. Es war ein Pärchen, das ich meinte jede fünf Sekunden abschleckte.

Den Stich in meinem Herz ignorierte ich.

Plötzlich verübten zwei Hände starken Druck auf meine Schultern aus, dass ich vor Schreck fast zusammenklappte. „Was zur Hölle?", fluchte ich und wirbelte herum, um zu erkennen, wer es war. Jo, die im nächsten Moment lässig ihren Arm um meine Schultern legte, grinste mich an.

Innerlich gefror ich. Ihre Geste erinnerte mich an Alex mit jedem einzelnen Detail. Ich versuchte die Erinnerungen wieder tief in meinem Kopf zu verstecken.

„Alles okay bei dir?", fragte mich Collin.

So langsam ärgerte es mich extrem, dass ich anscheinend so transparent für jeden war.

Ich blinzelte kurz, damit ich wieder deutlich sehen konnte und antwortet: „Ist nur die Menschenmenge. Ein bisschen zu viel auf einmal."

Lügen, Lügen.

Vorhin sollte mich das führen?, fluchte ich in meinem Kopf. Würden mich die Erinnerungen an unsere kurze Zeit jagen? Mich in meinen Träumen verfolgen? Würde sie mich fertig machen? Mich schließlich dazu bringen, zurückzukehren?

Ich musste unbedingt aufhören darüber nachzudenken, sonst machte ich mich selber noch fertig. Heute war mein erster Tag auf dem College meiner Träume, ich sollte es genießen. Jedoch fühlte ich schon den Teufel auf meiner Schulter sitzen, der sich über mich lustig machte. Ich konnte das hier nicht genießen, auch wenn ich mir die größte Mühe machen würde. Ich strengte mich an und versuchte an aufmunterente Dinge zu denken. Jo und Collin.

Ich hatte direkt zwei Freunde gefunden.

Mehr brauchte ich auch nicht, denn ich bin eine verdammte Lügnerin, schallte es in meinem Kopf.

„Ist wirklich alles okay?", fragte Collin nochmals, als wir uns auf eine der Bänke setzten.

Das ist deine Chance, sagte mir der Engel.

„Ich habe über eine alte Entscheidung nachgedacht. Ob ich mich nicht falsch entschieden habe.", versuchte ich zu erklären, aber die Situation war mehr als kompliziert und konnte auf keinen Fall in unter fünf Minuten erklärt werden.

Ich konnte ihm schlecht erzählen, dass ich eigentlich Logan Lerman gedatet habe und ihn anlügen musste, um ihn und seinen Job zu schützen.

„Was wäre denn, wenn du dich anders entschieden hättest?"

„Dann säße ich nicht hier und er nicht dort, wo er gerade ist."

„Ist er im Knast?"

„Was?", stieß ich hervor, „Was... nein. Er sitzt... bei der Arbeit."

„Oh, okay", erwiderte Collin, „Ich weiß nicht, worum es geht. Aber ich denke nicht, dass du dich falsch entschieden hast, liebste Alicia."

Oh doch.

Trotz meiner Zweifel an seinen Worten brachte mich sein komischer Akzent ein wenig zum Lächeln. Wenigstens war er gut im Aufmuntern.

Er und ich verstummten und richteten unseren Blick in die Mitte zu einem hohen Stapel von Holz. Eine Frau, geschätzt in ihren frühen Vierzigern und gekleidet wie eine Direktorin aus einem klischeehaften Teenie-Film, betrat das Podest.

„Hallo und herzlich Willkommen, liebe Studenten und Studentinnen. Entweder haben Sie sich für einen der Vorkurse beworben oder sind bei uns nicht zum ersten Mal. Heute möchten wir symbolisch mit unserem traditionellen Lagerfeuer den ersten Tag für dieses Schuljahr besiegeln. Es dient dem Kennenlernen, nicht unter den Studenten, sondern auch unter dem Kollegium. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend und ein wunderbares Studieren."

Die Menge applaudierte. Jo und Collin, die sich anscheinend schon bestens verstanden oder gar schon länger kannten, grinsten sich an. „Wie wäre es, wenn ich uns was zutrinken hole, Collin was zu Essen und du Alicia hältst hier die Stellung?", schlug sie vor.

Collin stimmte ein und machte sich auf den Weg, sowie auch Jo, bevor ich antworten konnte. Ich sah den Beiden nach, bis sie sich trennten. Um mich herum wurde es lauter, aber in meinem Kopf war es lauter, oder mein Handy in der Hosentasche. Mit einem Handgriff zog ich es heraus und entsperrt.

Eine neue Nachricht von Josh. Was wollte er von mir? Ich öffnete sie und traute meinen Augen nicht.

From: Josh

Scheint so, als ob dein Loverboy bei seinem Fotoshooting nicht gerade der Glücklichste ist.

Ich öffnete den dazugehörigen Bildanhang. Es zeigte ein Bild von Logan, offensichtlich von einem neuen Fotoshoot. Sein Blick war gesenkt. Die Miene unaufmerksam und enttäuscht. Ich ließ mein Handy in meinen Schoß fallen und stützte meine Gesicht in meine Hände. Meine Tränendrüsen hatte es wohl ganz satt und wollte sich entleeren – mitten in der Öffentlichkeit.

Hastig wischte ich mir meine Tränen, mit dem festen Gedanken, dass ich aussehen musste wie ein Monster, da ich keine wasserfeste Wimperntusche trug. Es war nicht meine Hände, die das Schreiben erschwerten, sondern meine Augen, die mir die Sicht verschwommen machten.

To: Josh

Wieso tust du mir das an? Ich habe doch alles getan, was du wolltest.

From: Josh

Das Leben ist nicht immer fair, Harries.




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Wie schätzt ihr Ali's neue Freunde und Josh ein? Lasst eure Meinung freien Lauf, würde mich nämlich sehr interessieren :) 

An der Seite findet ihr das Bild, welches Ali gesendet bekommen hat. Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem Kapitel etwas aufmuntern, da das Letzte ein sehr Schlechtes war :( 

xx

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