Kapitel 10
Mir wurde fast schlecht vor Panik. Bevor ich etwas unternehmen oder gar Logan vorwarnen konnte, schrillte das Geräusch der Klingel und Logan sprang förmlich von seinem Stuhl. Er murmelte ein paar Worte des Ärgernis, wer uns doch nur störte. Ich wollte ihn abhalten, aber so schnell konnte nicht einmal aufstehen.
„Ist Alicia bei dir?", hörte ich die Stimme von Josh.
Meine Dummheit war mir überlegen, denn in genau diesem Moment kam ich um die Ecke in das Sichtfeld von ihm. Mit einmal hämmerte die Tür gegen die Wand. Logan regte sich sofort über die gewaltvolle Bewegung von Josh auf. Ich schloss meine Augen, denn ich wollte nichts lieber, als das alles hier auszublenden. Das hier war schließlich kein Thriller, indem ich entführt wurde und dennoch fühlte es sich so an.
„Alicia!", motzte Josh mich, wie ich es schon seitdem ich 16 Jahre alt war von ihm kannte. „Wir gehen. Sofort."
Ich wollte ihm nicht widersprechen, denn jetzt hatte ich noch eine gute Chance, ihn überredete zu kriegen, dass er es meinem Dad verschwieg. Ich nickte schlicht und schnappte mir meine Tasche, die im Flur stand. Logan nahm dies natürlich nicht so leicht hin, wie ich es tat. „Logan, nicht.", versuchte ich von abzuhalten, aber er hörte nicht auf mich.
„Das ist doch nicht dein Ernst, Josh. Du reagierst total über!"
Josh drehte sich zu ihm um. Man konnte den Größenunterschied direkt sehen. „David hat befohlen, dass ich Alicia zu ihm bringe. Wenn er erfährt, dass du mit ihr irgendwas gemacht hast, dann bist du deinen verdammten Job los, Lerman!"
„Komm jetzt, Josh. Bring mich einfach zu Dad.", meinte ich und griff nach seinem Oberarm, um ihn hinter mir her zu zerren. Mit einem Blick versuchte ich Logan zu übermitteln, dass dies die beste Lösung gerade war, um uns beide zu schützen. Josh riss sich von mir los, kam aber trotzdem mit. Er knallte die Tür zu Logans Apartment regelrecht zu, doch ich zwang mich selbst nicht zu zucken.
Er sprach kein Wort mit mir, bis wir im Auto saßen. „Ich kann es echt nicht fassen...", murmelte er vor sich hin, als ich mich anschnallte.
„Was meinst du?", fragte ich genervt, aber ruhig. Ich wollte sein Temperatur nicht zu einem mentalen Fistfight herausfordern.
„Ich meine, ich habe dich schon bei vielen Jungs abgeholt und weiß, dass du nicht die Unschuldsblume bist, wie dein Daddy vielleicht glaubt. Aber jetzt mal ehrlich, Lerman? Von allen, ihn? Du hast dich wirklich von ihm berühren lassen? Dein Vater wird sich sicherlich freuen darüber zu hören."
Nein, nein, nein.
Ich ignorierte, dass Josh mich geradewegs beleidigte, denn ich wusste selbst, dass mein Dad eigentlich wusste, dass ich schon sexuelle Erfahrungen mit Jungs gemacht habe. Aber wenn er erfahren würde, dass Logan und ich etwas am Laufen hatten, dann würde ich sofort zurück nach L.A gehen müssen und Logan bekäme seinen Job gekündigt. Das konnte ich nicht zulassen.
Ich hatte mir doch so strikt vorgenommen, Privates von meinem Arbeitsleben zu trennen, aber daran war ich nun wohl endgültig vor dem Scheitern.
„Josh, hör zu. Ich weiß nicht, was du gegen Logan hast, aber er ist kein Schwein und er hat mir nicht weh getan. Es geht dich nichts an, mit wem ich schlafe. Du arbeitest nur für mein Vater als Assistent, nicht als Petze. Du darfst ihm auf keinen Fall davon erzählen. Ich will nicht, dass Logan wegen mir seinen Job verliert.", sagte ich, aber meine Stimme rutschte immer mehr ins Erbärmliche, „bitte, Josh."
Josh blickte mich für wenige Sekunde fest an. „Warum sollte ich das tun? Dieses Arschloch hat es verdient, nachdem, was er getan hat."
„Was hat er denn getan?"
„Geht dich nichts an."
Ich stieß einen Seufzer aus. Das war so typisch von Josh. Wenn er Probleme hatte, wollte er nie darüber reden. Er war wie ein geschlossenes Buch, für das es keinen passenden Schlüssel gab. Grauenhaft.
„Bitte Josh", wiederholte ich, „Mein Dad wird ausflippen. Er wird nicht auf's College lassen, nichts. Ich tue alles, was du willst."
Das hätte ich besser nicht sagen sollen.
„Okay, ich halte meinen Rand, wenn du eine Sache tust."
Stumm nickte ich, obwohl sich die Wut schon in mir beulte.
„Du wirst morgen zu Logan am Set gehen und ihm sagen, dass du dich von ihm trennen willst, weil du es nicht mehr ertragen kannst, vor ihm geheim zu halten, dass du in Echt mit einem anderen Jungen zusammen bist."
Mein Mund klappte sich auf.
„Nein", war das Erste, aber Bestimmte, was meinen Mund verließ, „Nein, das werde ich nicht tun."
Ich würde Logan auf keinen Fall sein Herz brechen.
Auf keinen Fall.
„Dann werde ich deinem Dad von euch Zwei erzählen."
Ich schlug flach mit meiner Hand auf das Armaturenbrett, was Josh unbeeindruckt ließ. „Das ist Erpressung!"
„Dann sieh es so. Ich spiele keine Spielchen, Alicia.", sagte er hart.
Er startet den Motor und fuhr vom Parkplatz. Meine Zeit zum Entscheiden tickt von hier. Ich fuhr mir mit meinen Hände durch mein Gesicht. Das konnte nicht sein Ernst sein. Am liebsten wollte ich einfach die Tür öffnen und mich auf die Straße schmeißen. Ich würde vermutlich glimpflicher davon wegkommen, als auf diesen Deal mit Josh einzugehen.
Ich kannte diesen jungen Mann schon mein Leben lang und dann erpresste er mich wie aus dem Nichts? Von diesem Sommer hatte ich mir die beste Zeit meines Lebens erhofft und so schien es auch drauf auszulaufen, doch Josh machte mir einen heftigen Strichen durch die Rechnung.
Ich biss auf meine Lippe und dachte über die gesamte Situation nach. Ich würde somit Logans Job retten. Er würde den Film fertig drehen. Ich würde ihn verlassen und vorzeitig vielleicht auf's College gehen. Unsere Wege würde sich trennen.
„Schwörst du mir, dass niemand davon erfährt, wenn ich darauf eingehe?", fragte ich leise.
Joshs Miene hellte sich auf, da sich danach anhörte, dass ich das Angebot annahm. Er rutschte etwas in seinem Sitz und antwortet mit einem knappen Ja.
Konnte ich auf sein Wort zählen?
Er fuhr den Wagen auf die Auffahrt zum Hotel von meinem Dad und mir hoch und parkte vor dem Eingang. „Ich gebe dir bis heute Abend Zeit, ansonsten weiß dein Dad morgen früh über alles Bescheid.", sagte er kalt und drückte meinen Anschnallgurt los.
Mein Blick sank in meinen Schoss, bevor ich meine Tasche aus dem Fußraum schnappte, ausstieg und die Tür mit einem Rums zu knallte. Mir doch egal, wie viel das Auto wert ist. Obwohl sich meine Beine betäubt anfühlten, zischte ich wütend durch die Lobby zu den Fahrstühlen bis zu der Suite. Ich kramte in meiner Tasche nach meiner Karte und öffnete die Tür und flog genauso schnell wie ins Schloss.
„Alicia?"
Ich schloss meine Augen für einen kurzen Moment. „Ich bin wieder da, Dad."
Wie aus dem Nichts erschien er an dem offnem Türrahmen zum Wohnzimmer der Suite. „Wo warst du? Ich habe unheimliche Sorgen gemacht."
Sein Ton hatte sich angehoben, wie so oft, wenn er wütend war.
„Ich habe bei Alex übernachtet, nachdem es auf dem Konzert etwas länger geworden ist. Jetzt bin ich wieder da.", log ich ohne dabei rot zu werden und zog meine Schuhe aus, „das hatte ich dir auch, nebenbei gesagt, geschrieben."
Sofort sah er seinen eigenen Fehler ein. „Tut mir leid, ich habe nicht mehr auf mein Handy gesehen, seit dem ich dir geschrieben habe. Wir hatten einen sehr stressigen Tag am Set und jetzt stehe ich vor einem Berg von Papierkram.", seufzte er und setzte sich an seinen Schreibtisch. Ich hielt mich an der Wand fest und beobachtet ihn. Es tat mir leid, dass ich nicht für ihn da gewesen war. Gestern hätte er bestimmt meine Gesellschaft gebraucht und wir hätten Essen geben können.
Ich ging auf ihn zu. „Ich bin ab jetzt voll und ganz dabei.", versuchte ich aufmunternd zu klingen.
Sein Blick musterte mich. „Alles okay bei dir, Ali Schatz?", fragte er.
Ich presste meine Lippen aufeinander. Ich könnte lachen und heulen zugleich. Das letzte Mal hatte er mich so genannt, als Großvater gestorben ist und das war mindestens sechs Jahre her. Ich blickte auf, direkt in seine besorgten Augen. Ich könnte ihm hier und jetzt alles beichten und auf das Beste hoffen, ohne dass ich Logan verlassen müsste oder er seinen Job verlieren würde. Mein Mund blieb geschlossen. Egal, wie nahe mein Dad und ich uns standen, wir haben noch nie so nahe gestanden, dass er mir sowas vergeben würde.
Er hatte in seinem Leben die eine strikte Regel gezogen. Vielleicht, um sich selbst zu schützen. Ich kannte den Grund nicht, aber ich hatte diese einfache Regel endgültig überschritten.
Mein Arbeitsleben war nicht mehr oberflächlich. Jetzt war es privat.
„Hast du Zoff mit den Anderen?", hakte er nach.
Ich schüttelte sofort meinen Kopf und suchte kurz nach einer passenden Lüge. „Ich mache mir nur ein wenig Sorgen um das College. Bin schon aufgeregt und so."
Das war die schlechteste Lüge, die mir in meinem ganzen Leben eingefallen war. Trotzdem grub Dad nicht weiter nach. „Das tut mir leid, aber sieh mal, du machst hier einen tollen Job und ich kann dir versichern, dass das College eine Menge Spaß machen wird."
„Gut zu wissen", hauchte ich, „gibst du mir ein paar Minuten? Dann komm ich gleich um dir zu helfen."
Als ich sein Nicken sah, verließ ich das Wohnzimmer und wanderte in mein Zimmer der Suite. Aus meiner Hosentasche zog ich mein Handy hervor. Eine neue Nachricht von Logan. Mit einem tiefen Durchatmen ließ ich mich auf das frischgemachte Bett fallen und öffnete sie.
From: Logan
Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich um Josh. Er übertreibt nur. — Logan, x
Ich wollte nicht zurückschreiben und ich konnte auch nicht. Mein Handy warf ich auf die Bettdecke, es hüpfte jedoch nur darauf und dann krachend auf den Boden. Mir war es völlig egal, sollte es doch kaputt gegangen sein. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare.
Wieso? Wieso? Wieso?
Als ich mich für das College bewarb, hatten Mom und Dad wiederholt gesagt, dass es eine große Entscheidung war. Wenn ich dort bin, muss ich anfangen, meine eigenen Entscheidung zu treffen, ganz ohne die Ratschläge oder Hilfe meiner Eltern. Insgeheim musste ich das doch schon mein Leben lang. Mit zehn Jahren ist man plötzlich alt genug, wird der Welt entgegen gestreckt und die sieht die dunklen Seiten. Die hellen Seiten, die man aus seiner früheren Kindheit kannte, verdunkelten sich. Mit 14 Jahren hat man gefühlt sein erste Mid-Life-Crisis, man verliebt sich zum ersten Mal oder bekomme reihenweise Sechsen in der Schule. Danach geht alles nur noch bergab. Das Leben war nicht mehr kunterbunt.
Und meine war in diesem Moment erfüllt mit Dunkelheit.
Ich musste eine Entscheidung treffen.
Zumindest redete ich mir das weiterhin ein, denn schon bevor ich aus Joshs Wagen gestiegen war, kannte ich die Entscheidung, die ich treffen würde. Ich wollte es mir nur selbst nicht eingestehen. Die Wahrheit schmerzte mich genauso wie es ihn schmerzen wird.
Ich rollte mich über das Bett, bis ich mein Handy sah und mich danach streckte. Halbherzig öffnete ich die Unterhaltung mit Josh und tippte ihm seine Antwort.
To: Josh
Du hältst dein Wort.
Meine Daumen verharrten auf der Absendetaste, bevor ich den Mut fand, um drauf zudrücken und alles geschehen ließ. Wieso fühlte es sich so an, als hätte ich geradewegs mein eignes Todesurteil unterzeichnet?
From: Josh
Gut, dann haben wir einen Deal.
Ein Deal mit dem Teufel in Person.
Ich hoffte nur, dass es die richtige Entscheidung war.
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