Kapitel 1

Unsicher überblickte ich das Chaos in meinem Zimmer, welches ich beim jetzigen Zeitpunkt sogar in Kategorien unterteilen konnte. Noch nie zuvor hatte ich mich Packen so sehr gestresst wie an den vergangenen drei Tagen, an denen ich meinen Koffer mindestens fünf bis sieben Mal ein und ausgepackt hatte.

Heute Abend würde es auf nach Vancouver gehen und ich war mir noch immer nicht sicher, ob ich wirklich an alles gedacht hatte. Andauernd waren erst mir und dann auch Mom Dinge eingefallen, die ich vergessen hatte. Im Endeffekte hatte ich mein komplettes Zimmer auf den Kopf gestellt, und obwohl mein Koffer bereits jetzt schwer zuzumachen war, zweifelte ich an jedem Teil des Inhaltes.

Ich hatte mich auf mildes Sommerwetter eingestellt und noch Sachen für die kühlen Tage eingepackt, so war ich auf alles im Grunde gefasst. Den Inhalt meines Badezimmers habe ich beinah komplett in den Koffer verfrachtet, nur um dann die Hälfte wieder rauszuschmeißen.

„Und hast du schon alles gepackt?", erklang die Stimme von Dad, der sich an meinen Türrahmen lehnt hatte. Er strahlte pure Ruhe aus, wie er es an fast allen Tagen tat. Ich hingegen verlor sobald sämtliche Nerven. Die Aufregung ließ mich nicht mehr klar denken, und ich wusste, wie das banal das klang.

Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ mich auf mein Bett fallen. „Ich weiß es nicht. Ich habe irgendwie das Gefühl, ich vergesse etwas.", erwiderte ich ehrlich und blickte erneut durch das Chaos, als ob ich etwas weiteres finden, was ich vergessen hatte.

Dad ging auf meinen Koffer zu und schwang einen prüfenden, aber nicht eindringlichen Blick über meine Sachen. „Du hast sicher nichts vergessen, ansonsten können wir es dir auch in Vancouver nachkaufen."

„Ok, du hast Recht", murmelte ich und hob einer meiner Lieblingsjacken vom Boden auf. Die würde ich auch noch einpacken.

Gemeinsam quetschten wir den Inhalt zusammen, da ich das Klischee eines überfüllten Koffers mit voller Bravour erfüllt hatte. Obwohl der Reißverschluss so aussah, als würde er jeden Moment platzen, klatschte Dad in die Hände und stemmte sie danach in die Hüfte.

„Das hätten wir.", murmelte er selbstsicher und ließ mich mit einem schmunzelnden Kopfschütteln alleine zurück in meinem Zimmer.

– – –

Die letzten Stunden vor unserer Abfahrt zum Flughafen verging rasend schnell, als Dad und ich Mom bei ihren ersten Entwürfen für die neue Inneneinrichtung zuhörten. Die Koffer war schon parat im Auto, sowie mein Dad, der in der Verabschiedung von Mom durch all die Jahre schon geübt war. Ich hingegen kämpfte erneut gegen mein schlechtes Gewissen an und zog jeden Moment mit ihr in die Länge. Es war nicht für ewig, und dennoch fühlte es sich kurz so an.

„Ich werde dich vermissen, Mom. Bist du dir wirklich sicher, dass ich mich nicht eher hier brauchst? Bald bin ich auf dem College, und das mit Dad ist nur ein Praktikum—"

Mom schüttelte ihren Kopf. Solche Sätzen hatte sie sich in den vergangenen Tagen bereits hundertmal anhören müssen, nur um darauf mein Gewissen zu beruhigen, wie es sie auch jetzt tat. „Es ist nicht nur ein Praktikum, es ist deine Zukunft, Ali. Also los, zeig denen, wie gut du bist und dann hast du deine Zukunft sicher in der Tasche."

Ein vorab letztes Mal schloss sie mich in eine feste Umarmung, bevor sie mit mir zum Auto ging, um sich nochmal von Dad zu verabschieden. Zum Abschied winkten wir ihr beide nochmal zu, bevor der Fahrer uns zum Flughafen brachte, wo wortwörtlich die Hölle ausgebrochen war. Inzwischen der Mengen von Menschen konnte ich kaum mit den langen Beinen meines Vaters mithalten, ohne von Anderen mit ihren riesigen Koffern über die Füße gefahren zu bekommen.

Ich wollte mich gerade nach unserem Fluggate umschauen, als mein Dad mich aus meiner fixierten Trance riss: „Alicia, wo bleibst du?"

„Wo willst du hin? Weißt du unser Gate überhaupt?", rief ich ihm verwirrt hinterher, da er in eine völlig falsche Richtung lief. Trotzdem folgte ich ihm tiefer in den Flughafen hinein, fern von jeglichen Security Checks, und verdoppelte mein Tempo, um ihn endlich einzuholen.

„Wir fliegen mit einem Privatjet des Studios, ansonsten schaffe ich es nicht zum Meeting.", antwortet mein Dad versunken in sein Handy, und da war er wieder. Nicht mein Dad, sondern David Harries, der weltbekannte Regisseur, der wie ein Schauspieler ein Schalter in seinem Kopf umlegen konnte.

Mein Chef, nicht mein Dad.

Je näher wir dem verlassenen Gate in der hintersten Ecke des Flughafens kam, desto schwieriger wurde es für mich sein Tempo beizubehalten. In ein Telefonat versunken reichte er seine Arbeitstasche einer Stewardess und streckte seine Arme aus, abgesehen von dem, in der sein Handy hielt, während ein Security Wärter ihn abscannte. Nickend schritt Dad vor und ergriff seine Arbeitstasche mit einem sympathischen Lächeln wieder.

Ohne zu wissen, was ich genau tun musste, versuchte ich es ihm gleich zu tun. Reichte einer Stewardess mein Koffer, der anderen meinen Rucksack und ließ mich ebenfalls am Körper abscannen. Nervös wartete ich auf das Nicken des Wärters, bevor ich meinen Rucksack mir wieder schnappen konnte, und Dad weiter folgte.

Die Treppe des Gates hinunter schritt wir raus in die sonnige Abendwärme von Los Angeles und gingen auf den weißen Jet zu. Ich war mir sicher, dass mir trotz aller Mühe jede Überraschung ins Gesicht geschrieben war. Trotz des Hollywoodalltags, in den meine Mom und ich durch die Arbeit meines Dads hin und wieder gezogen wurden, waren sie stets bodenständig geblieben. So etwas wie in einem Jet zu fliegen gab es da nicht.

Das Grinsen in Dads Gesicht verriet mir, dass er sich über meine staunenden Augen belustigte, als ich ihm in den Jet folgte. Eine Stewardess wies mich auf einen der Plätze neben Dad hin.

An die Menge von Fußraum im Flieger konnte ich mich gewöhnen.

Mir war klar, dass Dad in seinen Arbeitsmodus verfallen würde, noch bevor der Flieger von der Erde abgehoben war. Die drei Stunden Flug würde ich stattdessen dafür nutzen, nochmal über das Skript zu gehen. In den vergangenen Tagen war ich es mehrmals durchgegangen, um mich — wie befohlen — mit dem Stoff vertraut zu machen.

Es handelt sich um den dritten Teil der Percy Jackson Filmreihe. Als ich es gelesen hatte, war ich überrascht, dass ich weder die vorherigen Teile gesehen, noch die Bücher gelesen hatte. Zwei Dinge, die ich definitiv noch nachholen musste. Es war ein Film für Jugendliche, voller Herz, unglaublich amüsant und gefüllt mit Actionszenen, somit etwas, womit Dad gut arbeiten konnte.

– – –

Meine Füße trugen meinen übermüdeten Körper durch die Zollschleuse, hinaus ins Freie dicht gefolgt von meinem Dad. Im Gegensatz zu ihm hatte ich die Arbeit nicht nach einer Stunde niedergelegt und versucht, ein wenig Schlaf abzubekommen. Großer Fehler, vor allem, als ich das Gekreische hinter der Schleuse hörte.

Am Vancouver Flughafen sah es ähnlich aus wie am LAX, nur ohrenbetäubend lauter. Eine riesige Menge von jungen Teenagern stürmte in Begleitungen von ebenso zahlreichen Müttern und Vätern auf den Flugsteig zu.

Was war denn los? Hatte One Direction ein Konzert hier, von dem ich nichts wusste?

Ich umklammerte den Griff meines Koffers fester und zog ihn hinüber zu meinem Dad, um ihn vorgebeugt zu fragen: „Was ist denn hier los?"

Dad überschaute die Menge, bevor er zu schmunzeln begann und die Schulter zuckte. „Scheint so, als sei Logan auch eben angekommen."

Das waren seine einzigen Worte, die mir keine wirkliche Antwort auf meine Frage gab. Logan — der Name sagt mir etwas, allerdings konnte ich nicht zuordnen. Wer auch immer er war, er schien ein geliebter Held unter den Teenagern zu sein. Bevor ich mich weiter mit dem Gedanken befassen konnte, gab mir Dad einen leichter Schubs fort vom Flugsteig. „Komm, wir müssen dort lang."

Wir entzogen uns der kreischenden Menge, die mit jeder Minute lauter zu werden schien, und ging auf dem Seiteneingang hinaus, wo ein schwarzer SUV auf uns wartet. Mit einem Lächeln gab ich dem Fahrer meinen Koffer entgegen, der ihn in den Kofferraum hievte, während mein Blick für einen Moment lang weiter an der überfüllten Ausgangshalle hing.

Schließlich riss ich mich los, schob den Gedanken in die hinterste Ecke meines Kopfes und setzte mich zu Dad auf die Rückbank. Minuten vergangen und dennoch setzte sich der Fahrer nicht in den Wagen und fuhr los. Stattdessen blieb er neben dem Auto wie ein Bodyguard stehen. Noch bevor ich die Chance hatte, Dad zu fragen, wieso er das tat, öffnete sich die Tür neben mir und ein junger Mann blickte mir entgegen.

Wie aus Reflex schob ich mich auf den Platz in der Mitte, um ihm meinen abzugeben.

„Hey David", grüßte dieser mein Dad gelassen und ließ sich seufzend gegen den Sitz fallen.

„Hallo Logan, schön, dich wiederzusehen."

Ich blickte zwischen ihm und meinen Dad hin und her. Das war also Logan. Der Logan, wieso aus dem Flughafen ein Sammelplatz von strahlenden, und gleichzeitig weinenden Teenagern geworden war.

„Logan, das ist meine Tochter Alicia und wird meine Regieassistenz sein.", als Dad plötzlich auf mich zeigte, riss ich mich aus meiner Trance.

Wärme schoss mir in die Wangen, sobald ich kapierte, dass ich Logan die ganze Zeit angestarrt hatte. Davon schien er allerdings nichts gemerkt zu haben, denn er blickte von David an mir vorbei. Für eine Sekunde musterte er mich, bevor er mir seine Hand entgegen streckte, die ich freundlich, dennoch nervös annahm. „Hi, ich bin Logan."

„Haben die wegen dir so einen Aufstand gemacht?", fragte ich darauf und deutete auf die Ausgangshalle.

Ihn schien die Frage zu überraschen, denn er zögerte kurz, doch sein sekundenspätes Lächeln beruhigte mich wieder. „Kann gut sein."

Während der Fahrt unterhielten sich Dad und Logan über meinen Kopf hinweg über den Ablauf der nächsten Tage. Hauptsächlich sprach Dad, wobei Logan sich als ein geduldiger Zuhörer herausstellte. Ich hingegen scheiterte alle Male, die ich versuchte, ihm zuzuhören. Stattdessen dachte ich an einzelne Szenen aus dem Skript, überlegte, wie Logan sie spielen würde. Immer wieder erwischte ich mich selbst dabei, wie ich zu ihm hinüber blickte und mir unbewusst jede Kontur seines Gesichts einprägte.

Er sah gut aus, mit den leicht gelockten brauen Haaren, den ehrlich aussehenden Augen und den spitz zulaufenden Kinn. Ich konnte verstehen, warum man ihn als den Hauptdarsteller casten würde. Er musste nichts sonderliches tun, um von ihm beeindruckt zu sein.

Ich löste meine Blick von ihm, als ich mich eine Welle von kitschiger Gänsehaut überkam. Ohne sein Talent in Action gesehen zu haben, war ich einfach nur beeindruckt von ihm, oder zumindest war es das, was ich mir selbst einredete.

„Wir sehen uns morgen am Set. Bis dann, Logan.", verabschiedete sich mein Dad von mir, als der Wagen vor unserem Hotel gehalten hatte und wir uns hier zu trennen schienen. Logan blieb wohl in einem anderen Hotel wie wir. Bevor ich ausstieg, hob ich kurz die Hand als Abschied und folgte erneut meinem Dad durch das Getümmel.

Unsere Koffer hatte der Fahrer bereits an das Hotelpersonal weitergegeben, weswegen Dad direkt zum Check-In überging. Mein Blick wanderte durch die große Eingangshalle, welche ebenso luxuriös wie minimalistisch gehalten wurde. Ich musste an irgendeinem Tag hier runter kommen und ein paar Bilder für Mom machen, ich war mir sicher, dass ihr das gefallen würde.

Mit den Zimmerschlüsseln in der Hand kam Dad erneut auf mich zu und zusammen gingen wir hinüber zu den Fahrstühlen. Müde lehnte ich mich gegen die Fahrstuhlwand, sehnend nach einem Bett. Der Fahrstuhl hielt im vorletzten Stock, und mir war klar, dass dies auf Dads Mist gewachsen gab, denn für ihn gab es in Hotels nichts Wichtigeres als eine gute Aussicht.

„Wir teilen uns eine zwei Zimmer Suite für einen Aufenthalt, also wage es ja nicht zu schnarchen.", warnte er mich.

Gespielt empört blickte ich ihn, bevor ich meine Augen zusammen kniff. „Ich und schnarchen? Ich glaube, du verwechselt da jemand!"

Grinsend stieß er die Tür zu unserer Suite auf und deutete auf das Zimmer, welches ich beschlagnahmen konnte. Schnell fand ich mich auf dem gemütlichen Untergrund des Bettes wieder.


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