76 - halt in between
Key West war die letzte Anlaufstelle der vorletzten Etappe, wir erreichten die US-amerikanische Inselstadt wie geplant nach den zwei Seetagen und gerade in dem Moment, in dem ich meine Frühschicht zusammen mit Michelle und Calum begann. Viele Passagiere befanden sich nun an Deck, beobachteten aufgeregt, wie wir anlegten. Einige standen schon im Zwischendeck vor den Türen und konnten kaum erwarten, das Schiff zu verlassen und die Insel Floridas zu erkunden. Auch Louis und ich hatten vor, nach meiner Schicht von Bord zu gehen. Key West hatte schöne Strände und Korallenriffe, die zum Tauchen und Schnorcheln einluden, doch davon hatte Louis erstmal genug.
Stattdessen wollten wir den südlichsten Punkt der kontinentalen Vereinigten Staaten besuchen, der passenderweise auf der Insel lag. Wer konnte schon von sich behaupten, dass er an dem südlichsten Punkt eines Kontinents gestanden hatte? Doch erstmal galt es zu arbeiten, ich bediente die Gäste draußen, erstellte Eisbecher für Eisbecher und genehmigte mir in meiner Pause ebenfalls eine Kugel Vanilleeis. Danach ging es in der Hitze weiter, wir hatten bestimmt an die dreißig Grad und durch die schwüle Luft wurde alles nur noch erdrückender.
,,Tschuldigung, dürften wir dann auch mal bestellen?", hörte ich eine Stimme, die mir absolut unangenehm in den Ohren lag. ,,Natürlich", erwiderte ich möglichst freundlich und ging zu Eleanor und ihren drei Freundinnen, denen ich zuletzt begegnet war, als wir in Helsinki zusammen feiern gegangen waren. Die Namen lagen mir noch auf der Zunge, aber wirklich erinnern konnte ich mich nicht mehr und wollte ich auch gar nicht, so abschätzend wie sie mich musterten. Ihre Väter oder ihre reichen Freunde hatten ihnen sicher diese dreimonatige Reise finanziert, anders konnte ich mir nicht vorstellen, wie solche jungen Mädels sich solch eine Reise leisten konnten.
Ich nahm die Bestellung der vier Mädchen auf, ging in die Eisdiele, bereitete alles zu und brachte ihnen die Eisbecher. ,,So, der Joghurt-Eisbecher, der Cruise Fantasia, der Minz-Becher und für dich, Eleanor, das Spaghetti Eis", ich stellte ihnen alles richtig hin und während die anderen drei schon fröhlich zu ihren Löffeln griffen, sah Eleanor fast schon angewidert auf ihr Eis. ,,Ist alles in Ordnung?", fragte ich, denn leider war das nunmal mein Job. ,,Nein, das hab ich nicht bestellt", erwiderte sie. ,,Ähm doch, das hast du", ich zückte meinen Block und zeigte ihr meine Aufzeichnungen. ,,Hör mal Harry, ich bin gegen diese Kokosraspeln auf dem Eis allergisch, möchtest du, dass ich sie esse und daran ersticke?"
Ein wenig sprachlos starrte ich sie an, stammelte vor mich hin, bis ich die richtigen Worte fand. ,,Nein, natürlich möchte ich das nicht. Aber es steht doch auf der Karte, dass das Eis mit Kokosraspeln ist, du alternativ aber auch Raspel aus weißer Schokolade dazu bekommen kannst. Du hättest nur etwas sagen müssen", erwiderte ich schließlich, was sie die Augen verdrehen ließ. ,,Der Kunde ist doch König, nicht wahr? Also bitte mach mir ein neues und versuch dabei, niemanden umzubringen." Ihre Freunde sagten nichts zu der Situation, aßen stumm ihr Eis oder sprachen miteinander, scheinbar schien es eine völlige normale Situation, dass sie etwas zurückgeben ließ. ,,Natürlich, ich werde mir Mühe geben, niemanden mit einem Deko-Schirmchen zu erstechen", wütend griff ich nach dem Eis und brachte es wieder rein, stellte es hinter den Tresen und bereitete Eleanor ihr neues Eis zu, mit Vanilleraspeln, an denen sie nicht ersticken würde.
,,Du siehst aber wütend aus", war das erste, was ich von Niall hörte, als er zur Schichtablösung in die Eisdiele kam. ,,Oh glaub mir, dass bin ich auch", ich drückte ihm mein Handtuch in die Hände, nachdem ich den letzten Eisbecher abgewaschen hatte und stellte ihn zurück ins Regal. ,,Weshalb denn? Stress im Paradies?", schmunzelnd stupste er mich an, doch den Spaß konnte ich momentan nicht sonderlich mitmachen. ,,Nein, Eleanor war mit ihren Freundinnen hier, sie hat ein ganz normales Spaghetti Eis bestellt, doch als ich es ihr gebracht habe, fragte sie, ob ich sie umbringen wollte, sie sei angeblich gegen die Kokosraspeln allergisch."
,,Wen möchtest du mit Kokosraspeln umbringen?" Louis Stimme ertönte und brachte sofort etwas Entspannung in meine Seele. Wir schenkten uns eine wohltuende Umarmung zur Begrüßung, ehe ich Louis antwortete. ,,Eleanor. Sie ist dagegen allergisch, hat aber auch nichts gesagt und mich das Eis erst einmal machen lassen, bevor sie mich darauf hingewiesen hat." Louis zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte dann den Kopf. ,,Sie ist nicht gegen Kokos allergisch. Sie liebt Bountys und außerdem macht sie sich fast jeden Abend so eine Kokosnussmaske, sie reibt sich das sogar in die Haare, wäre sie dagegen allergisch, wäre ein Bounty schon längst ihr Ende gewesen oder ihr Gesicht durch die Maske rot angeschwollen."
,,Diese blöde..Louis, wenn du nicht bald was tust, schubs ich sie vom Schiff", meine Hände ballte ich zu Fäusten und bekam dadurch von Niall einen belustigten Blick. ,,Wenn du so wütend bist, siehst du aus, wie ein kleines Hündchen, dem der Knochen weggenommen wurde", kommentierte er, was auch Louis zum Lachen brachte. ,,Haha, sehr witzig. Ich hab der Frau doch nichts getan, zumindest nichts, wovon sie weiß." Der Wuschelkopf zuckte mit den Schultern, konnte ihr Verhalten auch nicht erklären. ,,Bald ist es ja mit ihr vorbei. Na komm, lass uns jetzt auf die Insel. Es soll später noch regnen und es wäre doch blöd, wenn wir bis dahin nicht den südlichsten Punkt besucht haben." Ich stimmte zu und rieb mir einmal übers Gesicht. ,,Wir sehen uns heute Abend Ni, viel Spaß beim Arbeiten." ,,Danke, werde ich nicht haben. Bis heute Abend", rief der Ire uns noch hinterher, nahm sich das Tablett und begann seine Schicht.
Während Louis in seiner Kabine noch schnell seine Sachen holte, ging ich auf meine, zog mir meine leicht verschwitzten Arbeitsklamotten aus, wechselte sie durch frische Freizeitklamotten, benutzte eine Menge Deo und wusch mir einmal das Gesicht, bevor auch ich meinen Rucksack packte und dann im Zwsichendeck wieder auf Louis traf. ,,Ich hätte ja vorgeschlagen, dass wir bei dem schönen Wetter laufen, aber das würde zwei Stunden dauern", erzählte Louis, als wir das Schiff verließen. ,,Da rufen wir uns wirklich besser ein Taxi oder Moment, da vorne ist ein Fahrradverleih, wie wäre es mit einer kleinen Radtour?", schlug ich grinsend vor, weshalb Louis nach seinem Handy griff und nach einer passenden Route im Internet schaute.
,,Würde tatsächlich nur eine halbe Stunde dauern, ich bin nur ewig nicht mehr Fahrrad gefahren, hoffentlich hab ich es nicht verlernt." ,,Fahrrad fahren ist wie laufen oder sprechen, das verlernt man nicht, na komm", mit viel besserer Laune als noch heute Morgen bekam ich Louis überredet. Wir liehen uns jeweils ein Fahrrad aus und nachdem wir die Hafengegend verlassen hatten, nahmen wir einander an der Hand, die andere noch an dem Lenker, während aus Louis Handy immer wieder die Stimme des Navigationssystems ertönte, welche uns den Weg lenkte.
Nach etwas mehr als einer Stunde kamen wir dann an, erreichten den südlichsten Punkt der kontinentalen Vereinigten Staaten. Immer wieder waren wir angehalten, hatten die Aussicht auf das Meer genossen und hatten auch bei einem Leuchtturm gestoppt, den wir gesehen hatten. Doch nun standen wir vor einer großen bemalten Boje, die durch ihre Aufschrift erklärte, dass wir unser Ziel erreicht hatten. Da es mittlerweile später Nachmittag war, waren die stärksten Besuchszeiten vorbei, doch noch ein paar andere Touristen waren anwesend, tummelten sich vor der Boje und machten Fotos, wie auch Louis und ich.
Die schwüle Luft wurde mit der Zeit immer erdrückender und wie Louis vorhin gesagt hatte, sah es immer mehr nach Regen aus. ,,Lou? Wollen wir langsam wieder zurück zum Schiff? Ich glaube, da kommt bald was runter." Ich tippte den Wuschelkopf an, der ein vorbeifahrendes Segelboot fotografierte und nach einem Blick in den Himmel nickte er. ,,Wenn wir nicht klatschnass werden wollen, wäre das eine gute Idee." Er steckte sein Handy weg, wir gingen zu unseren Fahrrädern und wollten gerade losfahren, da fielen die ersten Tropfen. Dennoch versuchten wir, die ersten drei Minuten zu fahren, hatten Hoffnung das es besser werden und wieder aufhören würde, doch das tat es nicht.
Und als wir an einem Dessertrestaurant vorbeifuhren, dass den Namen Better Than Sex trug, hielten wir an und betraten dieses, um dort den Regen bei einem mehr als leckeren Stück Kuchen, der als Peanut Butter Perversion auf der Speisekarte gekennzeichnet war, auszusitzen. Besser als Sex mit Louis war er zwar nicht, aber eine Geschmacksexplosion war es trotzdem. Das Restaurant war, wie der Name sagte, sehr verrucht angehaucht, in dunkelroten Tönen gehalten, überall hingen Bilder und Sprüche, die sich zweideutig nur um ein Thema handelten. ,,Harry, nochmal wegen dem heute Vormittag, was du da mit Eleanor durchgemacht hast", fing Louis an, ich sah ihn an und knusperte nebenbei an meinem Schoko-Karamell-Keks, ,,ich weiß, ich muss mich nicht für sie bei dir entschuldigen, aber ich tue es trotzdem. Ohne mich hättest du sie wahrscheinlich nicht am Hals."
,,Lou, alles gut. Solche Menschen gibt es nunmal und der Tag mit dir hat mich schon wieder vergessen lassen, was da heute Morgen war", meinte ich und drückte seine Hand. ,,Trotzdem, ich habe beschlossen, mich morgen noch vor der Abfahrt von ihr zu trennen. Bis San Francisco sind wir fünf Tage auf See, ohne einen Stop an Land, ich weiß nicht, ob ich mich dann dazu überwinden kann. Deshalb möchte ich es morgen tun, vielleicht wird sie dann tatsächlich von Bord gehen und sonst werde ich halt wie geplant, zu meinem Vater gehen. Ich will, dass du nicht noch länger dieser Schikane ausgesetzt bist. Ich möchte, dass wir endlich glücklich sein können", Louis beugte sich über den Tisch, um mir einen kurzen Kuss zu schenken, seine Lippen schmeckten nach Erdnussbutter.
,,Du weißt nicht, wie sehr mich freut das zu hören Lou. Ich kann es kaum erwarten, wir haben solange darauf gewartet, aber wenn es nicht klappen sollte, dann werden wir das innerhalb der nächsten Tage sicher auch irgendwie schaffen." ,,Nein, es wird morgen klappen", widersprach Louis und griff im selben Atemzug nach der Karte, um kurz darauf einen Kellner heranzuwinken. Er bestellte zwei Berry Naughty, hinter dem Namen des Angebots versteckte sich exklusiver Rotwein, das Glas war mit einem Schokorand glasiert und mit Himbeerzucker garniert. Die Namen der Gerichte waren wirklich, wie der Name des Restaurants sagte, sehr sexuell angehaucht und manchmal ziemlich belustigend zu lesen. ,,Auf morgen", meinte Louis, als er das Glas in den Händen hielt und ich erwiderte die Worte, stieß mit ihm an und hoffte auf das beste. Der Wuschelkopf selbst schien sich große Hoffnungen zu machen, dass er die Trennung hinter sich brachte und genau deshalb glaubte ich daran, das es funktionieren würde. Und mit etwas Glück konnten wir die letzte Etappe der Kreuzfahrt als Paar genießen.
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Dann wollen wir mal hoffen, dass morgen alles glatt läuft und Louis sich seine Hoffnungen erfüllt..
All the love xx
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