26. Kapitel
"Okay, das hier ist ein winziges Zimmer. Aber besser als nichts", kam es vergnügt von Flipsi, während wir uns aufs Bett quetschten, weil der Rest der drei Qudratmeter mit Zeugs vollgestellt war.
Wir hatten tatsächlich noch all unsere Arbeit geschafft und ich wurde auch noch nicht rausgeworfen wegen des Kurzschlusses... Felicitas hatte mir alles nochmal haarklein erklärt und am Ende hatte ich selbst die Kochwäsche, die Buntwäsche und eine weiße Maschine fehlerfrei angemacht. Außerdem hatte ich alles in den Trockner geworfen und ohne Falten gemangelt!
Ich spürte jeden einzelnen Muskel, aber das machte nichts. Ich hatte nichts mehr verbockt und wenn mein Herz nicht brennen würde, wie mit Essigsäure übergossen, wäre ich wirklich glücklich...
Eigentlich hätte ich mich jetzt lieber in mein Bett gelegt und Winterschlaf gehalten, doch ich hatte Flipsi versprochen, sie auf die Party zu begleiten. ... Obwohl ich eigentlich gar kein Party-girl war.
"Hallo? Erde an Lily!! Mach nicht wieder so ein trauriges Gesicht! Oh, zum Glück. Jetzt kommt unser Make-up-Artist!!!!! Du wirst ihn lieben", wieder hüpfte sie vor Freude zur Tür. Ich hatte schon festgestellt, das Hüpfen so ihr Ding war. Es war kein übertriebenes Springen, sondern ein extrem federnder Gang, den sie immer an den Tag legte, wenn sie aufgeregt war.
Geschickt stieg sie über die Berge von Bücher und Klamotten, die sich in wilden Türmen stapelten und riss die Tür auf.
"Ohhhhh, Mika! Komm rein! Ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen", mit diesen Worten zerrte sie niemand anderen, als den Rezeptionisten in das Chaos ihres Zimmers.
Vor Schreck erstarrte ich auf dem Bett zu Eis und sah zu ihm herüber.
Ach du Schande. Bei ihm hatte ich heute Vormittag erst als Tayrenia eingecheckt.
Flipsi drehte ihn einmal wild im Kreis und drückte ihm zwei Küsschen auf die Wange. Als er sich lachend zu mir umdrehte, um mich zu begrüßen, erstarb sein Lächeln.
Langsam schloss er die Tür und sah Flipsi ernst an. Diese merkte seine krasse Stimmungsänderung und sah angespannt zwischen uns hin und her.
"Mika, was ist denn?", fragte sie.
"Felicitas, du weißt, dass wir keine Gäste mit in unseren Bereich nehmen dürfen. Wir können uns bei Filch sonst gleich die Kündigung abholen", meinte er mit gerunzelter Strin.
"Aber .. das ist Lily. Sie ist meine Hilfskraft. Das ist kein Gast." Flipsi lachte. "Jetzt mach keinen Aufstand. Du bist ja schon ganz paranoid."
Mit zusammengekniffenen Augen, sah Mika mich an. Seine Stimme verriet, dass er sich zusammenriss, nicht unfreundlich zu werden, weil er mich als Gast sah.
"Möchtest du sie aufklären, oder soll ich das machen? Sie ist meine Freundin, weißt du? Ich werde nicht zulassen, dass du ein Spiel mit ihr spielst, weil ihr reichen Mädchen euch hier langweilt." Seine Stimme war höflich, doch in seinen Augen funkelte es wütend und abwehrend verschränkte er die Arme vor der Brust.
Scheiße!
Jetzt gab es nur den Weg nach vorn! Mir schlug das Herz bis zum Hals. Auf keinen Fall, wollte ich, dass Flipsi sauer auf mich war.
"Ich würde ihr nie weh tun. Bitte, lass mich erklären!", bettelte ich leise und krabbelte ein Stück auf dem Bett nach vorn.
Er schnaubte und sah bedeutungsvoll zu Flipsi. "Na, da bin ich aber jetzt gespannt."
Da ich nicht wusste, wo ich beginnen sollte zu erzählen, startete ich einfach mit dem Ball. Also mit dem Abend, an dem ich Luca zum ersten Mal gesehen hatte und mein Leben begonnen hatte, vollkommen aus den Fugen zu laufen.
Ich hielt keinen stundenlangen Monolog, aber ich ließ die wichtigen Fakten auch nicht aus: mein reiches Elternhaus, die Verlobung mit Timothy, dem Tinder-Ekel, die Erpressung mit dem Studium, der Grund, warum ich diesen Job angenommen hatte...
Als ich am heutigen Tag angelangt war und berichtete, wie Luca mich verbunden hatte, stoppte ich, aus Angst, es würde alles wieder aufleben lassen. All den Schmerz und die Wut, dass er mich stehen gelassen hatte.
Doch ich hatte die Rechnung ohne die beiden gemacht. Während meines Vortrages hatte mich keiner unterbrochen. Sie hatten nur manchmal ein "Ist nicht wahr!" oder ein "Was für ein kranker Scheiß" losgelassen.
Aber jetzt kam Leben in sie. Mika hielt sich theatralisch die Hände vor den Mund und sah mich mit großen Augen an. Seine Feindseeligkeit war wie weggeblasen. Sie hatten seiner unfassbar sympathischen Art Platz gemacht, die mir heute Morgen schon aufgefallen war.
"Oh Gott, Schatz, du bist ja so was von ein Opfer dieses anarchistischen Systems. Komm her, Kleines, lass dich drücken." Er kam zu mir und presste mich an seine Brust und streichelte mein Haar, während er weiter sprach. "So eine kleine Taube. Warum hast du das nicht gleich gesagt! Flipsi, wieso hast du denn nicht nachgehakt. Das Butterblümchen wäre heute fast gegrillt worden!"
Flispi sah aus, als würde sie gleich weinen.
"Aber ich wusste das da doch noch nicht", gab sie piepsig von sich und ruderte mit den Armen. Eine Angewohnheit, die sie immer machte, wenn sie unter großem Stress stand.
"Sie konnte das doch nicht wissen.", wollte ich sie verteidigen, doch Mika quetschte mein Gesicht so sehr an seine Brust, dass nur ein "Skondnischtwisn" herauskam.
Flipsi sprang zu uns aufs Bett und umarmte uns. "Tut mir echt leid, Tayra. Du hättest mir das doch sagen können."
Wahrscheinlich gaben wir ein ziemlich skurriles Bild ab. Mika, der mich halb erquetschte und Flipsi, die sich über uns geworfen hatte, wie eine zweite Decke... Aber ich war so erleichtert, dass die beiden nicht sauer waren, dass das hier schon fast ... schön war.
Aber nur fast.
Schließlich brannten meine Muskeln wie Feuer.
"Ähm, Meka?", versuchte ich ihn auf mich aufmerksam zu machen. Er verstand meinen Wink.
"Ach, Butterblümchen. Entschuldige. Ich kann mich nur so in dich hineinversetzen. Ich muss auch die ganze Zeit eine Rolle spielen." Wie eine Diva lehnte er sich zurück und betrachtete schwer seufzend die Zimmerdecke.
"Ich heiße eigentlich Michael. Aber ich will lieber Mika sein, mit grünem Lidtstrich und pinkem Nagellack. Aber nur Flipsi nennt mich Mika. Die anderen weigern sich. Von meinen Eltern will gar nicht erst anfangen. Und was geschehen würde, wenn ich wirklich mit Lidstrich an der Rezeption stehen würde, das will ich mir gar nicht erst vorstellen ... Die Porter's sind stock konservativ."
Mitleidig sah er mich an.
"Deine Schwiegereltern in spe sozusagen", seufzte er melodramatisch.
"Erinner mich nicht daran", nuschelte ich hoffnungslos.
"Genau, erinner sie nicht daran" schimpfte Flipsi. "Ich habe sie gerade wieder aufgebaut, nachdem Luca sie halb besinnungslos geknutscht hat und dann einfach abgehauen ist."
"Danke Flipsi", meinte ich mit einem schmerzhaften Grinsen.
Sie schlug sich die Hände vor den Mund. "Oh nein, tut mir leid. Ich wollte keine Flashbacks wach rufen."
"Ja, jetzt sei mal kurz still Flipsi, sonst klebe ich dir den Mund mit Perückenband zu.", meinte nun auch Mika, doch ich sah, dass er es nicht böse meinte. Dafür hatte er Flipsi viel zu lieb.
Dann wandte er sich wieder mir zu. "Na schön, Schatz. Dann zaubere ich heute Nacht die Königin in dir heraus, die in dir steckt." Er wirkte so begeistert und zog einen riesigen Make-up Koffer hervor, der mir vorhin gar nicht aufgefallen war.
Seit meiner Beichte hatte sich sein Auftreten grundlegend geändert. All seine Gesten waren femininer und weicher und seine Stimme höher. er schien sich wirklich viel Mühe zu geben, eine andere Rolle zu spielen. Ich fühlte mit ihm und es tat mir wirklich leid, dass er sich so verstellen musste.
"Hast du schon mal deine Brille weggelassen und deine schwarze Mähne befreit?", fragte er, während er mir konzentriert Lippenstiftfarben ans Gesicht hielt und mein Gesicht nach links und rechts drehte.
"Nein, noch nie", gab ich zögerlich zurück.
Verzückt betrachtete Mika mein Gesicht. "Dann fangen wir heute damit an. Wir werden Luca zeigen, wie wunderschön du bist, mein Schatz und dann lässt du ihn einfach links liegen."
Dann drehte er sich zu Flipi um und zeterte mit hoher Stimme: "Und mit deinen Haaren lässt du mich heute auch was Schönes machen! Du siehst sonst immer aus, wie der Dicke von den Ghostbusters!"
Während die beiden sich herum zankten und darüber diskutierten, wer wem ähnlich sah, dachte ich zum ersten Mal in meinem Leben:
So fühlt es sich also an, mit Freunden zusammen zu sein.
Es war warm und weich. Wie der erste Weihnachtskeks im Winter.
Voller Vorfreude und Versprechungen. Aber auch voll Geborgenheit.
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